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01. Jan. 2016

Die schiefe Achse Teheran–Moskau

Aus dem Zweckbündnis zur Stützung Assads dürfte kaum mehr werden

Auf den ersten Blick verfolgen Russland und der Iran in Syrien ein gemeinsames Interesse: den Herrscher Baschar al-Assad an der Macht zu halten. Doch dort enden die Gemeinsamkeiten beinahe schon. Zu einer strategische Allianz zwischen Teheran und Moskau wird es nicht kommen, das gegenseitge Misstrauen ist viel zu groß.

Als sich Ali Laridschani, Präsident des iranischen Parlaments, am 15. Oktober 2015 an die Teilnehmer des Valdai Club wandte, trug er schwarz, um in schiitischer Tradi­tion an das Märtyrertum von Husain Ibn Ali zu erinnern. Allerdings dürfte zweierlei der Trauer entgegengewirkt haben: zum einen die Tatsache, dass Laridschani überhaupt eingeladen war, das Panel zum Thema „Krieg und Frieden“ zusammen mit Wladimir Putin zu leiten; zum anderen Putins Würdigung der Islamischen Republik als unersetzlichen Partner im Krieg in Syrien und im Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat.

Doch die Kernfrage blieb in Valdai offen: Ist die Moskau-Teheran-Achse eine taktisches Zweckbündnis oder kündigt sich hier eine strategische Allianz an? Auf den ersten Blick ähneln sich die politischen Vorstellungen der beiden Staaten – sowohl im Hinblick auf kurzfristige Ziele wie den Erhalt des syrischen Baath-­Regimes unter Baschar al-Assad und die Bekämpfung der übrigen, von den USA unterstützten Oppositionstruppen in Syrien als auch bezogen auf die langfristigen Ziele. Und dazu gehören der Kampf gegen die „Arroganz“ der USA und ihrer Bündnispartner sowie die Revision der nach dem Kalten Krieg etablierten Weltordnung.

Es scheint, als hätten sich die beiden auf eine Art Arbeitsteilung geeinigt, um diese Ziele zu erreichen. Seit dem 30. September 2015 liefert Russland verstärkt Waffen an Damaskus und fliegt selbst Lufteinsätze, um Oppositionsgruppen zu bekämpfen und das syrische Militär zu unterstützen. Der Iran wiederum ergänzt das syrische Militär mit Bodentruppen. Außerdem kämpfen die Islamischen Revolutionsgarden, die libanesische Hisbollah und schiitische Milizen aus dem Irak, Afghanistan und Pakistan auf der Seite des Assad-Regimes.

Diese Zweiteilung minimiert das Risiko der Russen und Iraner, eigene Verluste zu erleiden. Dies ist vor allem für Russland von zentraler ­Bedeutung, da das Land den langwierigen sowjetischen Krieg in Afghanistan (1979–1989) noch nicht vergessen hat und im vergangenen Oktober schwer getroffen wurde, als ein russisches Passagierflugzeug durch einen vom IS verübten Bombenanschlag zum Absturz gebracht wurde. Die iranische Führung ist ebenfalls an geringen Verlusten interessiert, um einen Umschwung in der öffentlichen Meinung zu vermeiden. Somit überlassen beide Mächte die risikoreichen Operationen gern den kampfwilligeren und politisch entbehrlichen schiitischen Milizen.

Grenzen der Partnerschaft

Die politische Annäherung könnte jedoch ein jähes Ende finden, wenn beide Seiten detaillierter diskutierten, welche Ordnung sie in Syrien etablieren möchten. Der Iran setzt vermutlich auf eine Verstetigung des Konflikts mit geringer Intensität, um den IS als Feind der USA und Europas zu erhalten und damit seine militärische Präsenz in der Region zu legitimieren.

Dagegen würde Russland vermutlich ein syrisches Regime vorziehen, das zu schwach ist, um unabhängig von Moskau zu handeln, aber trotzdem stark genug, um das gesamte Staatsgebiet Syriens wieder effektiv zu kontrollieren. Schätzungsweise haben sich 7000 russische Bürger dem IS angeschlossen, die ihr Augenmerk möglicherweise als nächstes auf die bereits instabilen Gebiete im nördlichen Kaukasus und in Zentralasien richten. Es ist daher zu erwarten, dass Putin darauf abzielt, alle mit dem IS assoziierten Widerstandsgruppen in Syrien vollständig aus­zulöschen. Spätestens der Absturz des russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai hat es ihm praktisch unmöglich gemacht, das Fortbestehen des IS weiter stillschweigend zu akzeptieren.

Die unterschiedlichen Perspektiven der beiden Mächte bedeuten sicherlich auch, dass sie ganz verschiedliche Vorstellungen von der jeweiligen Dauer ihres Engagements in Syrien haben. Wenn Teheran tatsächlich an einem schwelenden Konflikt interessiert ist, wird es sich wenig ­Gedanken um eine konkrete Lösung und einen Abzug der iranischen Truppen aus der Region machen. Moskau steht dagegen unter Zeitdruck. Es ist unwahrscheinlich, dass die russische Öffentlichkeit einen Militäreinsatz unterstützen würde, der viele Jahre andauern und Billionen Rubel kosten könnte.

Ungeachtet der offenbar fehlenden Exit-Strategie Russlands wird sich der Kreml Gedanken machen müssen, wie ein Rückzug aus Syrien ohne Gesichtsverlust vonstatten gehen könnte, falls die USA und ihre Verbündeten Baschar al-Assad nicht als legitimen Machthaber akzeptieren sollten. Moskau wird Assad nur so lange militärisch unterstützen können, wie die russische Öffentlichkeit dies zulässt. Gleichzeitig kann es sich Russland nicht leisten, Assad fallen zu lassen und einen Sturz des Regimes durch den IS oder eine der Oppositionsgruppen zu riskieren.

Ein damit verbundener Streitpunkt ist das Schicksal von Assad selbst. Während Moskau vermutlich bereit wäre, ihn mit einem kremltreuen Nachfolger zu ersetzen, ist für Teheran – und vor allem für die Islamischen Revolutionsgarden – das Fortbestehen des syrischen Regimes an die Person Assad gebunden.

Tiefes Misstrauen

Das russisch-iranische Verhältnisist insgesamt durch tiefes Misstrauen geprägt. Durch sein Eingreifen im ­Syrien-Konflikt demonstriert Russland dem Iran seine militärische Überlegenheit, macht deutlich, dass es unklug wäre, Moskau zu umgehen und versucht, den Iran in der eigenen Einflusssphäre zu halten. Gleichzeitig würde Russland vermutlich iranische Interessen übergehen, um Zugeständnisse von den USA zu erreichen. Ein derartiger Kurs deckte sich mit Russlands bisheriger Strategie, die Islamische Republik als Druckmittel in den Verhandlungen mit den USA zu benutzen.

In Valdai behauptete Putin, Russland sei im Hinblick auf das iranische Nuklearprogramm von den USA „betrogen worden“. Es war ein unbeholfener Versuch, davon abzulenken, dass die russische Regierung einerseits Sanktionen des UN-Sicherheitsrats gegen den Iran unterstützt hat, während sie andererseits Geld und politische Konzessionen von Teheran einforderte, um noch härtere Sanktionen zu verhindern.

Die iranische Führung ist sich des politischen Doppelspiels Putins vollauf bewusst. Durch die Nuklearvereinbarung und die damit einhergehende Aufhebung internationaler Sanktionen ist Teheran nun aber weniger abhängig von Russland und damit handlungsfähiger in seinen Beziehungen zu Moskau und Washington. Die Unterstützung durch die amerikanische Luftwaffe bei der Rückeroberung der irakischen Stadt Tikrit im Frühjahr 2015 und Moskaus Angst vor verstärkter militärischer Kooperation zwischen Teheran und Wa­shington könnten Motive für Russlands Militäreinsatz in Syrien sein.

Assad hat ebenfalls ein Interesse an mehr Unabhängigkeit. Der syrische Diktator versucht mithilfe seiner russischen Unterstützer seine starke Abhängigkeit vom Wohlwollen Teherans zu verringern. Dies könnte zu Spannungen zwischen dem Iran und Russland führen, da sowohl der Oberste Geistliche Führer des Iran, Ali Khamenei, als auch Putin um die Position des Protektors von Damaskus und Architekten der zukünftigen Ordnung in Syrien konkurrieren.

Die Sonntagsreden in Teheran und Moskau mögen die engen Beziehungen der beiden Staaten anpreisen und ihre gemeinsame Anstrengung in den Vordergrund rücken, den „legitimen“ Machthaber Syriens zu retten. Doch hinter den Kulissen brodelt es, und eine strategische Partnerschaft dürfte noch lange auf sich warten lassen.

Ali Alfoneh ist Senior Fellow bei der Foundation for ­Defense of Demo­cracies (FDD) in ­Washington.

Flemming Splidsboel Hansen ist Senior Researcher am Danish Institute for International Studies in Kopenhagen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2016, S. 75-77

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