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29. Jan. 2008

Rezessionsangst und Dollarschwäche

Die Amerikaner haben 20 Jahre über ihre Verhältnisse gelebt. Für den Weg aus der Schuldenfalle heißt die Parole jetzt: sparen, sparen, sparen!

Es ist eine klassische Story in der US-Wirtschaftsgeschichte: Der erfolgsverwöhnte Tycoon überschätzt seine Fähigkeiten, lebt über seine Verhältnisse, versinkt im Schuldensumpf und muss sich eines Morgens zur Pleite seines Imperiums bekennen. Heute fällt der Part des Tycoons der gesamten US-Wirtschaft zu – und 2008 könnte sich als das Jahr des bösen Erwachens herausstellen. Nach zwei Dekaden fast ununterbrochenen Wachstums droht die Rezession. Der schwache Dollar ist ein erstes Symptom, das den konjunkturellen Wendepunkt ankündigt. Es wäre kaum verwunderlich, wenn die Präsidentenwahl am 4. November im Zeichen der Wirtschaftspolitik stünde.

Die USA stehen am Ende einer der längsten Aufschwungphasen ihrer Geschichte. In den vergangenen 20 Jahren wuchs die US-Wirtschaft pro Jahr um durchschnittlich drei Prozent. Wer im Januar 1988 Aktien kaufte, hat bis heute Gewinne von 550 Prozent eingefahren. Arbeitslosigkeit ist für die meisten Amerikaner nur ein Übergangsproblem – für Ökonomen heißt dies, dass ein Zustand der Vollbeschäftigung besteht. Die Aufschwungphase wurde nur kurz durch das Platzen der Internetblase im Sommer 2000 und mittelbar auch durch die Terrorangriffe im September 2001 unterbrochen. Allerdings trieben diese beiden Ereignisse die US-Wirtschaft nicht in eine echte Rezession, wie sie technisch definiert ist: negatives Wirtschaftswachstum in zwei aufeinander folgenden Quartalen.

Aber die Erfolgsgeschichte ist nur ein Teil der Wahrheit. Mit dem Wachstum stellte sich auch die Leichtsinnigkeit ein: US-Haushalte sind hoch verschuldet (mit durchschnittlich 133 Prozent des verfügbaren Einkommens), wenden pro verdientem Dollar durchschnittlich 20 Cent zur Tilgung ihrer Schulden auf und sparen kaum noch. Ende 2007 lag die Sparquote der US-Verbraucher bei Null. Wer so viele Schulden angehäuft hat und nicht auf Reserven zurückgreifen kann, dem geht früher oder später das Geld aus. Fraglich nur, wann und wie dieses Phänomen konkret sichtbar wird. Fraglich auch, welche Wege es gibt, diese Korrektur wenig schmerzlich für die US-Wirtschaft durchzuführen.

Es gibt drei zentrale Antworten auf diese Fragen. Die Einen sehen im Außenwert des Dollars den wichtigsten Mechanismus zur kontrollierten Rettung der amerikanischen Volkswirtschaft. Die Anderen blicken auf die überbewerteten Aktien und Immobilienpreise als die wichtigsten Faktoren – nur eine Korrektur hier würde die US-Wirtschaft wieder stabilisieren. Die Dritten halten einen massiven Einbruch der US-Verbraucherausgaben für unvermeidlich. Am wahrscheinlichsten ist wohl eine Kombination aller drei Szenarien.

Wer die Korrektur über den Außenwechselkurs befürwortet, wünscht sich einen schwachen Dollar. Die Logik ist recht simpel. Mit dem schwachen Dollar steigen zwar die Preise für europäische oder asiatische Importe, gleichzeitig aber werden amerikanische Exporte international attraktiver. Wenn sich dadurch das Außenhandelsdefizit der USA schließt, bleibt mehr Geld im Land und erleichtert eine Korrektur des nationalen Schuldenproblems. Das größte Problem der Dollarschwäche ist die steigende Inflationsrate: Importe werden teurer. Weil gleichzeitig auch noch der Ölpreis steigt, muss die Federal Reserve Bank früher oder später mit höheren Zinsen reagieren. Sie läuft dann allerdings Gefahr, in eine beginnende Rezession hinein auch noch die Kredite zu verteuern.

Das zweite Szenario rückt die Aktien und Immobilienpreise in den Vordergrund. Die konjunkturelle Euphorie, historisch niedrige Zinsen und das Gefühl der ökonomischen Unverwundbarkeit haben US-Verbraucher zu Großanlegern werden lassen. Weil Aktien- und Immobilienpreise stetig steigen, fühlen sich die Anleger reicher als sie sind. Schulden werden im Kontext der Illusion aufgenommen, das wertvolle Aktienportfolio oder Eigenheim stellten ausreichende Sicherheiten dar. Fallen nun die Preise dieser Vermögenswerte, dann bleibt nur ein Weg, um nicht in die Schuldenfalle zu geraten: sparen, sparen, sparen.

Damit sind wir beim dritten Szenario. Den USA bleibt wohl nur die Einsicht, dass das üppige Leben nicht ewig weitergehen kann. Die Korrektur der immens hohen Konsumausgaben ist unvermeidlich. Das enttäuschende US-Weihnachtsgeschäft ist ein Vorbote dessen, was Unternehmen im Jahr 2008 erwartet: weniger neue Fernseher, Autos und Computer. Und eine Faustregel galt in der US-Wirtschaft bislang immer: Wenn der Konsum einbricht, dann bricht auch die Konjunktur ein. Im besten Fall streift das Wachstum ähnlich wie zur Jahrtausendwende den konjunkturellen Eisberg nur leicht und dampft nach kurzer Pause munter weiter. Doch dieses Szenario ist nicht sehr wahrscheinlich. Insgesamt ähnelt die heutige Situation sehr stark derjenigen von vor 20 Jahren. Damals, zwischen 1985 und 1988, fiel der Dollar massiv. 1987 brachen die Aktienmärkte ein und kurz danach begann die letzte wirkliche US-Rezession.

Der Wahlkampf könnte also ganz im Zeichen der Wirtschaft stehen. Auf den ersten Blick ein eher gutes Vorzeichen für die Demokraten: Bill Clinton gelang sein Überraschungssieg 1992, weil er die Wirtschaftspolitik zum Schlüsselthema machte. Doch weil in der kniffligen aktuellen Konjunktursituation eigentlich keine für Wähler attraktive Strategien aus der Wirtschaftspolitik zu erwarten sind, könnte es sein, dass sich beide Parteien auf Durchhalteparolen beschränken. Kein Tycoon gibt den Traum des großen Lebens gern freiwillig auf.

Prof. Dr. HENRIK ENDERLEIN, geb. 1974, lehrt Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin.