Ressource Aufmerksamkeit
Die Massenmedien betreiben Politik ohne Machtausübung
Medien als Schnittstellen zwischen politischen und ökonomischen Strukturen
Massenmedien fungieren in der politischen Auseinandersetzung als selektive Mediatoren; spiel- und institutionentheoretisch lassen sie sich als „Schiedsrichter“ (third party enforcer) des Spieles politischer Akteure fassen. In der Ökonomie versorgen Medien andere Unternehmen mit Aufmerksamkeiten für Werbeflächen. Aufmerksamkeit zu genießen ist sowohl in der Ökonomie als auch in der Politik eine wesentliche Ressource zur Beeinflussung anderer Akteure. Anderen Akteuren die eigene knappe Aufmerksamkeit zu schenken, entspricht dann im weiteren Sinne einer Form von Konsum oder Investition und begründet Abhängigkeiten. Die Struktur asymmetrischer Aufmerksamkeitsbeziehungen zwischen politischen und ökonomischen Akteursgruppen – einschließlich der Massenmedien – legt daher deren Konkurrenz-, Kooperations- und Abhängigkeitsbeziehungen offen.
Die Teilnahme der politischen Akteure an der öffentlichen Kommunikation kann governance theoretisch als Versuch interpretiert werden, über strategische Beiträge Steuerungsimpulse zugunsten der eigenen Partei und Karriere zu setzen. Die öffentliche Aufmerksamkeit als Bedingung jeder Governance können sich die Akteure in Mediendemokratien nur über die Massenmedien sichern. In erster Näherung wird Governance dabei als eine Art indirekter oder weicher Steuerung bzw. Beeinflussung der Entscheidungen und des Verhaltens anderer Akteure bestimmt. Man spricht im Zusammenhang mit dem Phänomen auch von „Steuerung ohne Steuerung“ und verweist vor allem darauf, dass dabei weitgehend auf den Rückgriff auf hierarchische Mittel verzichtet wird. Entsprechend wurde die Politikwissenschaft zuerst im Bereich der Außenpolitik auf Governance-Prozesse aufmerksam.
In der soziologischen Terminologie ist Governance recht gut zu fassen als Politik ohne Machtausübung. Mit dieser Auffassung ist aber ein verändertes bzw. erweitertes Politikverständnis verbunden, wenn nun der Einfluss formal nicht entscheidungsbefugter Akteure im Vorfeld kollektiv bindender Entscheidungen systematisch einbezogen wird. Das erfordert einerseits eine prozessuale Sicht auf Politik als kommunikativ ausgetragenes Spiel um Einfluss (Governance-Prozesse); andererseits rücken neben den formalen und offiziellen Regelungen für politische Entscheidungen auch informelle Strukturen in den Vordergrund, die faktisch die Bedingungen und Arten der Teilnahme an Governance-Prozessen regeln (Governance-Strukturen). Die Vorgänge werden durch den Umstand kompliziert, dass Governance auch auf die Veränderung solcher, nunmehr auch informeller, Governance-Strukturen gerichtet sein kann.
Mit der Bestimmung der Form von Governance als Kommunikation vor der formellen Entscheidungsfindung rücken die Massenmedien als selektive Mediatoren der politischen Kommunikation in prominente Position. Sie regieren als Agendasetter und Gatekeeper den wesentlichen Teil informeller Governance-Strukturen – und das mit einem eigenen Interesse. Dieses „Regieren im Sinne des Bestimmens der Regeln öffentlicher politischer Auseinandersetzung“ ist näher am Machtbegriff als alle anderen Arten von Governance-Prozessen. Es ist hier demnach zu klären, welche Governance die Medien selbst ausüben.
Die Medien selbst haben ein allgemeines Interesse an der Aufrechterhaltung politischen Wettbewerbs, da dieser kommunikativ über die Erzeugung von Aufmerksamkeit für politische Themen und Lösungsvorschläge ausgetragen wird. Diese Aufmerksamkeit kommt aber zuerst – und unabhängig vom Ausgang des politischen Spieles – den Medien zugute. Als Selektoren öffentlicher Kommunikation befinden sich die Medien damit in einer erheblichen Machtposition gegenüber den politischen Akteuren, die um deren Aufmerksamkeit buhlen.
Die Medienwissenschaft betont die Gatekeeper-Funktion der Massenmedien, die über selektive Berichterstattung den Inhalt der politischen Kommunikation (mindestens mit-)bestimmen. Ausschlaggebend für die Selektion der Massenmedien sind die Aufmerksamkeitspotenziale der Inhalte, die sie an Politiker weiterreichen können. Die Massenmedien selbst können keine Macht erlangen (ihre ökonomische Zielgröße ist Gewinn), sind aber politisch einflussreiche Akteure, da ihre Berichterstattung die Wahlchancen von Politikern mitbestimmt. Der Zugang zu diesen Medien, bzw. deren Aufmerksamkeit, wird damit wiederum zu einer wesentlichen Einflussressource politischer Akteure, die sie kommunikativ erlangen und einsetzen können.
Diese Macht zugunsten bestimmter Akteure auszunutzen, liefe aber dem Interesse der Medien an der Aufrechterhaltung des Konkurrenzspiels selbst entgegen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Spiel beuten Medienunternehmen ökonomisch und nicht politisch aus: über Erlöse für ihre Publikationen und über Werbeerlöse, die von eben diesem Aufmerksamkeitspotenzial abhängen. Das ökonomische Spiel, an dem die Medien selbst teilnehmen, und das politische, das die Medien vermitteln, sind demnach in spezifischer Weise verschränkt. Aus diesem Grund lassen sich Medien als effiziente Verstärker des Spieles politischer Akteure qualifizieren.
Prof. Dr. BIRGER P. PRIDDAT, geb. 1950, ist Head of Department for Public Management & Governance an der Zeppelin University Friedrichshafen; er lehrt dort Politische Ökonomie.
Internationale Politik 11, November 2006, S.88‑89