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01. Juli 2011

Palästina? Ja bitte!

Warum eine UN-Anerkennung Israel nutzen könnte

Die Palästinensische Autonomiebehörde treibt die Kampagne zur Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die UN an – und Israel macht sich große Sorgen. Das ist grundfalsch. Israel sollte die Chancen dieser diplomatischen Initiative erkennen und gemeinsam mit den USA an der Formulierung einer entsprechenden UN-Resolution mitwirken

Es ist nicht das erste Mal, dass die Palästinenser nach der Anerkennung eines nicht existierenden Staates streben. Noch lange vor der Unterzeichnung der Osloer Grundsatzabkommen erkannten zahlreiche europäische Regierungen die Palästinensische Befreiungsfront als legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes an. Die PLO durfte in zahlreichen europäischen Hauptstädten ihre Gesandtschaften etablieren, obwohl sie damals noch Terror als legitimes Mittel zur „Befreiung Palästinas“ (und zwar der Befreiung „ganz“ Palästinas, inklusive des israelischen Territoriums) ansah. Diese Anerkennung empfand man in Israel damals als reine Beschwichtigungspolitik einer radikalen Organisation gegenüber. Die einzig wirklich substanzielle Folge dieser Anerkennung aber war – eine Mäßigung der PLO.

Nachdem die PLO im November 1988 in Algier den „Staat Palästina“ ausgerufen hatte, führte dies erneut zu einer globalen Welle der Anerkennung und Befürchtungen in Israel. Und wieder ist danach nichts weiter Aufregendes passiert. Auch die gegenwärtige diplomatische Kampagne der palästinensischen Autonomiebehörde versetzt die Israelis in Unruhe. Aber dieses Mal sind solche Befürchtungen, denen Premier Benjamin Netanjahu ja sehr deutlich Ausdruck verleiht, nicht ganz grundlos. Vier Faktoren nämlich haben sich während der vergangenen Jahrzehnte entscheidend verändert.

Die Palästinenser hätten zum ersten Mal einen diplomatischen Erfolg zu verbuchen, während Israel stärker denn je isoliert ist und die Delegitimierung des jüdischen Staates weiter fortschreitet. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte, und das ist vielleicht noch wichtiger, legen die Palästinenser die Grundlagen für eine staatliche Infrastruktur – und sei es derzeit nur in der Westbank. Alle Seiten sind sich einig, dass es einen palästinensischen Staat geben soll. Und nicht zuletzt ist der Welt klar, dass 15 Jahre nach der Unterzeichnung des Oslo er Grundsatzabkommens weder Israel noch PLO politisch fähig sind, eine Zweistaatenlösung auszuhandeln und durchzusetzen.

Das erklärt die wachsende Sympathie für eine UN-Anerkennung. Sie soll nicht nur zu einer einseitigen palästinensischen Unabhängigkeitserklärung führen, sondern zu einer von den Vereinten Nationen anerkannten Schaffung eines Staates in den Grenzen von 1967. Und da es mit dem Friedensprozess nicht vorangeht und US-Präsident Barack Obama offensichtlich keinerlei Hoffnung hegt, Premier Netanjahu als Partner für den Frieden gewinnen zu können, wird eine Anerkennung immer wahrscheinlicher. Ob die USA dann im Sicherheitsrat ihr Veto einlegen werden oder nicht: Israel wäre noch isolierter als jetzt. Was also sollte es tun?

Don’t worry, be creative

Zunächst sollte es aufhören, sich bei aller Welt zu beschweren, tief durchatmen und dann zusammen mit seinem amerikanischen Partner überlegen, wie man die palästinensische Initiative so gestalten kann, dass sie sowohl für Israel als auch für eine Zweistaatenlösung von Vorteil sein kann.

Der für Israel günstigste Aspekt ist dabei, dass sich die palästinensische Initiative auf eine Anerkennung in den Grenzen von 1967 beschränkt. Das Rückkehrrecht oder die Frage der heiligen Stätten – Themen, die noch jede Verhandlungsrunde sprengen können, weil die palästinensische Position Israel existenziell bedroht – werden gar nicht erwähnt. Wenn die Vereinten Nationen diesen Konflikt, den Israel bislang mit der PLO aushandeln muss (in der die Flüchtlinge von 1948 überproportional stark vertreten sind), in einen Konflikt zwischen zwei Staaten verwandeln könnten, wäre das doch zumindest bedenkenswert. Israel würde dann nicht mehr mit dem Vertreter der PLO und damit dem Vorsitzenden einer „flüchtlingslastigen“ Organisation, sondern mit dem Präsidenten eines Staates Palästina verhandeln. Eine Lösung würde damit eher erleichtert als erschwert.

Israel und die Vereinigten Staaten können eine akzeptable Sprachregelung für eine UN-Resolution diskutieren, die die Notwendigkeit eines Gebietstauschs, besondere Arrangements für die Siedlungen und für israelische Sicherheitsbedürfnisse als Angelegenheiten definiert, die zwischen zwei Staaten verhandelt werden müssen. In einer solchen Sprachregelung könnten auch die Modalitäten verankert werden, Ost-Jerusalem zur Hauptstadt eines palästinensischen Staates zu erklären, während man gleichzeitig und damit zum ersten Mal auch offiziell West-Jerusalem international als Israels Hauptstadt anerkennen würde. Jerusalem und Washington könnten darauf bestehen, dass sich die neue UN-Resolution im Kern an der UN-Resolution 181 der Generalversammlung von 1947 orientiert, die ja ausdrücklich einen „jüdischen Staat“ vorgesehen hatte. Gemeinsam können sie eine Sprachregelung entwerfen, welche die völkerrechtlichen Verpflichtungen festlegt, denen Israel unterworfen wäre, wenn aus den palästinensischen Gebieten offiziell ein palästinensischer Staat geworden ist. Als Entgegenkommen für die Anerkennung einer solchen UN-Resolution könnte Israel von Washington gewisse Sicherheitsgarantien und von der Arabischen Liga eine Bereitschaft zur Normalisierung der Beziehungen verlangen.

All das wäre möglicherweise realisierbar, wenn Israel aufhört, gegen die diplomatische Kampagne der Palästinenser zu opponieren und stattdessen versucht, sie auch zum eigenen Vorteil zu nutzen. Das setzt natürlich voraus, dass Premierminister Netanjahu wirklich an der Entstehung eines palästinensischen Staates interessiert ist, um damit auch den jüdischen und demokratischen Charakter des Staates Israel zu wahren. Unglücklicherweise ist die Regierung Netanjahu dazu vollkommen unfähig. Es wäre folglich Washington, das die Initiative ergreifen müsste. Um aber einen solchen Ansatz zu realisieren, müsste die Regierung Barack Obamas zunächst selbst ihre derzeitige, äußerst unglückliche Nahost-Politik revidieren.

YOSSI ALPHER war Direktor des Jaffee Center for Strategic Studies an der Universität Tel Aviv und ist Mitherausgeber des Web-Portals bitterlemons.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2011, S. 102-104

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