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01. Nov. 2007

Ohnmachtspiele

Buchkritik

Vier Diplomaten, vier Lebensalter: Berndt von Staden (Jahrgang 1919), Christian Feit (1921), Franz Pfeffer (1926) und Jürgen Ruhfus (1930) haben ihre Memoiren vorgelegt. So unterschiedlich die Lebenswege, so einhellig die Erkenntnis: Der Handlungsspielraum von Diplomaten ist heute gering. Sie sind eher PR-Manager und Horchposten ihrer Regierung.

Es sind die historischen Schlaglichter, mit denen Christian Feit die Schilderung seines Werdegangs immer wieder unterbricht, die seine Memoiren so lesenswert machen. Feit thematisiert nicht nur sein Herkommen aus Schlesien, seine Breslauer Heimat, das Familienzentrum Agathenhof im Glatzer Bergland, sondern berichtet auch eindringlich von den Erlebnissen im Krieg. Kurz nach Beginn des Russland-Feldzugs im Juni 1941, so erzählt er, sei neben der Vormarschstraße eine Bühne errichtet worden, vor der ein Feldgottesdienst abgehalten werden sollte. „Dies zeigte uns, dass die Feuertaufe nahte. Sodann bemerkten wir die mit schreienden Menschen beladenen Lastwagen, die (…) aus Lemberg in Richtung eines Wäldchens fuhren.

Von dort knatterten in Abständen Maschinengewehrsalven. Wir waren uns schnell einig, dass es ein Unding sei, in der Nähe von Menschenhinrichtungen einen ersten feierlichen Feldgottesdienst mitzumachen.“ Bei der Aufnahmeprüfung für den Auswärtigen Dienst versagte Feit „wegen zu vieler Fehler im französischen Aufsatz“. Jedoch stellte ihn das Auswärtige Amt im Dezember 1951 als Wirtschaftsreferenten für verschiedene Generalkonsulate ein. Seine diplomatische Laufbahn fand ihre Krönung als Botschafter in Belgien, ehe er 1986 aus dem Dienst ausschied. Er empfand sich immer als Einzelkämpfer, ohne Crew oder Gruppenschutz. „Dass dennoch ein Werdegang durch die personalpolitischen Maulwurfgalerien herauskam, spricht vielleicht zu meinen Gunsten.“ Seine etwas kauzig anmutende Außenseiterposition erlaubt ihm immer wieder pointierte Urteile.

In allen vier Erinnerungswerken wird bestürzend deutlich, wie gering heutzutage, selbst für Botschafter, eigenständige Wirkungsmöglichkeiten sind. Weder Ruhfus in Washington noch Pfeffer in Paris waren am Zustandekommen der Wiedervereinigung wesentlich beteiligt. Heutige Diplomaten müssen nach besten Kräften die Politik des eigenen Landes im Gastland plausibel machen, müssen um Verständnis, ja Sympathie für Deutschland werben, müssen herauszufinden versuchen, welche politischen Strömungen, die für unsere Politik von Bedeutung sein können, auf dem Auslandsposten zu erspüren sind. Sie sind also einerseits Public Relations-Manager, andererseits Beobachter, Horchposten der eigenen Regierung.

Die beschränkten eigenen Wirkungsmöglichkeiten deutscher Diplomaten zeigen sich am deutlichsten bei Jürgen Ruhfus, weil er detailliert von seinem lebenslangen Tun und Lassen berichtet. Jedem jungen Menschen, der mit dem Gedanken umgeht, Diplomat zu werden, ist sein Buch dringend ans Herz zu legen. Denn Ruhfus schildert anschaulich seine Vorfahren, Kindheit und Jugend, die berufliche Ausbildung, Auslandsstationen in Dakar, Athen, Nairobi und London, unterbrochen durch Zeiten in der Zentrale, so seine sechs Jahre im Pressereferat des AA und drei – besonders wichtige – Jahre im Kanzleramt unter Helmut Schmidt. Hier war er wirklich im Zentrum der Macht, entsprechend informiert, auch einflussreich. Unter Helmut Kohl, genauer unter Hans-Dietrich Genscher, war er von 1984 bis 1987 Staatssekretär im Auswärtigen Amt. In den folgenden fünf Jahren beendete er seine diplomatische Laufbahn als Botschafter in Washington. Die Atmosphäre seiner jeweiligen Wirkungskreise wird spürbar. Man glaubt nach der Lektüre, selbst in Dakar, Nairobi, London oder Washington gewesen zu sein. Ruhfus, ein Mann von angenehmen Umgangsformen, hat – wenn man seinen Ausführungen glauben darf – durchweg sympathische Kollegen und Gesprächspartner im In- und Ausland erlebt. Darum möchte man ihn beneiden.

Auch Franz Pfeffer gibt ein sehr genaues Bild seiner Tätigkeit in Warschau und Paris. Anders als Ruhfus, der immer in der westlichen Welt tätig war, hat Pfeffer in der Vorwendezeit unter unvergleichlich schwierigeren Umständen in Polen arbeiten müssen. Er verschweigt nicht, welchen Schikanen er in Warschau ausgesetzt war. „Wo sich ein Hindernis aufrichten ließ, wurde es aufgerichtet. Wer wie wir etwas bewirken wollte, watete über lange Strecken durch tiefen Sand.“ Und es gab Schlimmeres. Da wurde ein stehendes Auto, in dem ein Referent der Botschaft saß, von einem Lastwagen in klarer Absicht gerammt. Als ein anderer Referent in seine Wohnung zurückkehrte, glich sie einem geplünderten Kaufhaus. Bei einem Einbruch waren die Heizungen bei eisiger Kälte von den Eindringlingen abgestellt worden und die Heizkörper geplatzt. „Diese kriminellen Attacken waren umso unverzeihlicher, als die beiden deutschen Beamten sich mit großem Elan für die Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen einsetzten.“

Pfeffer ist, wie auch die anderen drei, ein nachdenklicher Mann, der viel über uns Deutsche sinniert hat. So berichtet er, offensichtlich zustimmend, der verehrungswürdige deutsch-polnische Pionier Karl Dedecius habe gesagt: „Man sollte an dem Grauen der Geschichte nicht pathologisch festhalten. Ein Gleichnis aus der Bibel mahnt, dass man an Sodom und Gomorra zwar denken soll, sich aber nach ihnen nicht unentwegt umsehen darf. Der Blick zurück ist tödlich und macht zu Säulen aus Salz. Die Unfähigkeit zu trauern, die uns oft vorgeworfen wird, ist ein Extrem, das andere aber ist die Unfähigkeit zur Freude.“

In Frankreich war es für Pfeffer ungleich einfacher als in Polen. Noch schwieriger als in Warschau war es aber, Zugang zum Machthaber zu finden. Von einem wirklichen Kontakt zum französischen Staatspräsidenten konnte man nicht sprechen. Das hat Pfeffer allerdings nicht gehindert, sich ein klares Bild Mitterrands zu machen, auch seine problematischen Reisen nach Kiew und Ost-Berlin („für uns im falschen Augenblick und mit höchstwahrscheinlich falscher Zielsetzung“) während der Wiedervereinigung einfühlsam zu analysieren. Pfeffer beschreibt Mitterrand als einen Solitär, einen Einzelgänger, er sieht in ihm einen Mann einsamer Entschlüsse und kunstvoller Selbststilisierung, aber auch einen Philosophen, der viel über Leben und Tod und den Nachruhm meditierte, einen Stoiker und Spötter, auf Abstand bedacht, voll intellektuellen Hochmuts. „Mitterrands Ehrgeiz, die Hartnäckigkeit, mit der er seine Macht ausbaute und verteidigte, seine Haltung, die auf Abstand und Würde bedacht war, die glänzende Form seiner gemeißelten Sprache – das alles flößte Respekt ein und fand wohl auch geheime Bewunderer in den Reihen seiner Gegner.“

Aber das diplomatische Geschäft bewegt sich meist nicht auf diesen Höhen der Betrachtung, sondern sieht banaler aus: „Nur die Eingeweihten wissen, dass eines der größten Kreuze des Auswärtigen Dienstes die vielen Stunden sind, die man, vor allem bei Essen mit fester Sitzordnung, manchmal bis spät in die Nacht hinein und eingekeilt zwischen wenig ergiebigen, langweiligen, allzu redseligen oder allzu schweigsamen Tischgenossen verbringen muss. Da ist schwer zu sagen, was elender macht: der Redeschwall eines Konfusen oder die dunkle Abgesunkenheit eines Teilnahmslosen, der durch kein Thema in Schwingungen zu versetzen ist.“

Ein anderes Kreuz sind schlechte Mitarbeiter, jene „Fußkranken“, die auf dem Rücken der Tüchtigen mitgeschleppt werden müssen. „Wie die Personalabteilung mir auf den Protest nach einer, wie mir schien, verfehlten Neubesetzung ganz offenherzig und ungerührt mitteilte, ‚können große Botschaften unsere Sozialfälle am ehesten absorbieren‘.“ Das größte Lesevergnügen der hier behandelten Erinnerungen bringen Berndt von Stadens Memoiren. Bereits mit seinen „Erinnerungen aus der Vorzeit. Eine Jugend im Baltikum 1919–1939“, die 1999 erschienen, und dem Band „Ende und Anfang. Erinnerungen 1939 bis 1963“ aus dem Jahre 2001 hatte von Staden außerordentlich lesenswerte Selbstzeugnisse geliefert, die er jetzt mit einem dritten Band über die Jahre von 1963 bis 1979 vervollständigt.

Seine Ortsschilderungen sind ebenso anschaulich wie seine Charakterisierungen führender Politiker. So schreibt er über das Arbeitszimmer des amerikanischen Präsidenten, das Oval Office: „Ganz anders als die pompösen, aber seelenlosen Riesenräume moderner Machtzentren, wirkt es mit seiner geschwungenen Fensterwand (…) fast wie ein Gartenzimmer. Die Möbel sind im ‚colonial style‘ gehalten, der im Weißen Haus vorherrscht. Man betritt gleichsam das Arbeitszimmer eines wohlhabenden virginischen Plantagenbesitzers. Der Raum ist hell und anmutig, der Boden mit einem schwedisch-blauen Teppich bespannt, auf dem gelbe Sterne prangen.“ Und wie sah es in einem der Gästehäuser auf den Moskauer Leninhügeln 1980 aus? „Hier findet sich das Beste, was die Sowjetunion an Wohnkomfort zu bieten vermag (…) Alles funktioniert, selbst die sanitären Anlagen, was auch in guten Hotels im Osten meist nicht der Fall ist. Aber mein großes Zimmer enthält weder einen Lehnsessel noch einen Schreibtisch. Die Kofferablage ist überdimensioniert, die Lichtschalter sind zu hoch und etwas schief angebracht. Auch das Gastgeschenk, das ich am nächsten Tage vorfinde, zeigt, dass man sich in einer anderen Welt befindet: ein naturalistisches, gusseisernes Pferd, das mit fliegender Mähne daherstürmt.“

Ähnlich plastisch sind seine Personenbeschreibungen, beginnend mit sich selbst, nachdem er 1970 Direktor der vereinigten politischen Abteilung des AA geworden war. „Mein Ehrgeiz, den ich nicht leugnen kann, ist eher von der passiven Art. Sein Antrieb ist weniger der Wille, mich durchzuboxen, als die Sorge, es nicht gut genug zu machen. Jetzt aber begann ich insgeheim einen Größenwahn zu entwickeln. Wenn ich in meinem Dienstwagen mit eigenem Fahrer durch die Gegend fuhr, bildete ich mir plötzlich ein, ein mächtiger Mann zu sein. Dabei hätte ich wissen müssen, dass es seit den Tagen des Geheimrats von Holstein unseligen Angedenkens keinen ‚mächtigen‘ Direktor der politischen Abteilung mehr gab – und auch nicht mehr geben konnte.“

Russische Politiker jener Jahre werden ebenso klar gezeichnet wie amerikanische. Breschnew, Kossygin, Gromyko oder Falin treten ähnlich deutlich vor das innere Auge wie Lyndon Johnson, Henry Kissinger, Nixon oder Carter. Am meisten wird deutsche Leser wohl interessieren, wie von Staden unsere Politiker der sechziger und siebziger Jahre charakterisiert. Über den CDU-Politiker Gerhard Schröder als Bonner Außenminister sagt er: „Nach meinem Eindruck gehörte Schröder eher zu den verschlossenen Menschen, die sich nur schwer öffnen. Er war ein angenehmer Vorgesetzter, der sich nie im Ton vergriff, zugleich aber wirkte er ausgesprochen kühl und distanziert.“ Nachdem von Staden den damaligen FDP-Vorsitzenden im Sommer 1970 „zum ersten Mal aus nächster Nähe“ beobachtet hatte, notierte er im Rückblick: „Die Rolle, die Scheel in der deutschen Nachkriegspolitik gespielt hat, ist meiner Meinung nach nicht hinreichend gewürdigt worden (…) Die CDU hatte sich aus respektablen Gründen noch nicht dazu durchringen können, die unausweichliche Wende zu vollziehen. Dazu bedurfte es eines Regierungswechsels, für den nur eine Koalition der SPD mit der FDP zur Verfügung stand. Für sie hat Walter Scheel sich entschieden. Das verlangte von ihm großen Mut. Denn er war es, der parteipolitisch das Risiko trug, nicht Brandt.“ Und wie sah von Staden Helmut Schmidt? „Ein nüchterner Realist, viel erfahren im Ost-West-Geschäft, in Strategie und Rüstungskontrolle, in Wirtschafts- und Währungspolitik, selbstbewusst, verletzbar, nicht frei von Emotionen.“

Christian Feit: Fußnoten zu unserer Geschichte 1921–2001. Ein etwas anderes Buch. Norderstedt: Books on Demand GmbH 2006, 247 Seiten, € 28,80

Jürgen Ruhfus: Aufwärts. Erlebnisse und Erinnerungen eines diplomatischen Zeitzeugen 1955 bis 1992. Sankt Ottilien: Eos-Verlag 2006, 443 Seiten, € 24,80

Franz Pfeffer: Ein Amt und eine Meinung. Botschafter in Polen und Frankreich. Frankfurt: Societätsverlag 2006, 543 Seiten, € 19,90

Berndt von Staden: Zwischen Eiszeit und Tauwetter. Diplomatie in einer Epoche des Umbruchs. Erinnerungen. Berlin: wjs-Verlag 2005, 197 Seiten, € 34,00

Prof. Dr. ARNULF BARING, geb. 1932, ist emeritierter Professor für Zeitgeschichte und Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Jüngste Veröffentlichung: „Deutschland gehört nicht nur den Deutschen. Rückblicke und Ausblicke“ (Hohenheim Verlag 2007).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2007, S. 130 - 134.

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