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01. Mai 2002

Neue EU-Nachbarn

Strategien gegenüber Südost- und Osteuropa jenseits der Erweiterung

Die Osterweiterung der EU beschert ihr neue Außengrenzen und damit neue Nachbarn. Nach dem Vorbild der Osterweiterung ist die Union beim Aufbau einer engeren Zusammenarbeit mit den Ländern Ost- und Südosteuropas bereits sehr aktiv. Dass Südosteuropa mittelfristig der EU beitreten wird, scheint dabei fast schon beschlossene Sache zu sein.

Nach der Aufnahme derjenigen Staaten, die sich gegenwärtig im Prozess der Beitrittsverhandlungen befinden, wird die Europäische Union ein Zusammenschluss von 27 Ländern sein. Mit dem Fortschreiten der Erweiterung und der Einbindung dieses Prozesses in die europäische Integration wächst die Union immer mehr zu einer gesamteuropäischen Regionalmacht. Die späteren Herausforderungen für die europäische Politik zeichnen sich bereits heute in den – künftigen – Nachbarschaften der Union ab.

Geographisch gesehen sind drei Regionen von besonderer Bedeutung: Die aktuelle Lage im Nahen Osten verdeutlicht, dass die EU im Mittelmeer-Raum mit erheblichen Konflikten konfrontiert ist. Der israelisch-arabische Konflikt ist eng mit der innenpolitischen Dynamik vieler arabischer Staaten verknüpft, deren autoritäre Strukturen und ineffizienten Wirtschaftssysteme meist nur geringe Legitimität in der Bevölkerung hervorrufen. Auch in Osteuropa wird die Union im Zuge ihrer Erweiterung unmittelbar an die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion angrenzen. Insbesondere im Fall Russlands wird die EU einen Nachbarn haben, der einerseits sperriger Akteur in der Transformation, andererseits aber „global player“ in der Sicherheitspolitik ist. Das zur Russischen Föderation gehörende Gebiet Kaliningrad wird dann zu einer Exklave innerhalb der Europäischen Union.

Die Entwicklungen in Südosteuropa haben die Union zuerst auf Grund der territorialen Nähe und gewaltsamen Eskalation zum Handeln gezwungen. Obwohl in dieser Region eine Beruhigung der Lage eingetreten ist, bergen Entwicklungsdefizite und -disparitäten in diesen meist noch ungenügend konsolidierten Demokratien weiteres Konfliktpotenzial. Wichtigstes Instrument der EU-Außensteuerung der Reformen ist dabei die langfristige Beitrittsperspektive.

Die Nachbarländer im Osten und Süden Europas sind von der Spezifität der postkommunistischen Transformation geprägt. Die Gleichzeitigkeit von nationalstaatlicher Konsolidierung, Schaffung parlamentarischer Demokratien, Marktwirtschaft und Zivilgesellschaften kann erhebliche Probleme verursachen. Migration, Schmuggel, grenzüberschreitende Kriminalität, wirtschaftliche Krisen, gesellschaftliche Konflikte bis hin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen stellen eine potenzielle Bedrohung für Sicherheit und Stabilität der EU dar.1

Die Leitlinien der europäischen Politik gegenüber Drittstaaten manifestieren sich im Rahmen von bi- und multilateralen Abkommen, technischer Hilfe und Handelsbeziehungen. Obwohl die Europäische Union mit der Einbindung der Mittelmeer-Anrainer in den Barcelona-Prozess, der Unterzeichnung von Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit den GUS-Staaten sowie den Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen für die Staaten Südosteuropas Schritte in Richtung einer gesamteuropäischen Politik getan hat, war bisher jenseits der Erweiterungsperspektive kaum ein klares Bild von neuen Ordnungen und Grenzen zu erkennen. Lange Zeit hat die Europäische Union den Erweiterungsprozess bewusst offen gehalten. Ziel war, auf diesem Wege die Prävention von Konflikten sowie eine Entwicklung in Richtung Demokratie, Marktwirtschaft und Zivilgesellschaft in den Nachbarstaaten zu forcieren.

Es zeigten sich aber auch die Unzulänglichkeiten dieser Nachbarschaftspolitik. Der Einfluss der Europäischen Union auf Krisenprävention und Prosperität in ihrer Nachbarschaft nahm unter zwei Bedingungen zu. Dabei handelt es sich um Höhe und Umfang der Außenunterstützung in Verbindung mit der Konkretisierung einer Beitrittsperspektive. Dies trifft vor allem auf die Staaten Südosteuropas zu, denen die EU 1999 die Perspektive auf eine vollständige Integration in ihre Strukturen eröffnete. Für die Nachbarschaftsregionen im Mittelmeer-Raum und in Osteuropa fehlt das strategische Pendant. Ohne dies explizit zu formulieren, stößt die Union in ihrer derzeitigen Konstruktion einerseits an die Grenzen ihrer Erweiterungsfähigkeit, kann aber andererseits auch keine Alternativen für eine gesamteuropäische Politik anbieten. Dies beinhaltet das Fehlen von Instrumenten, um Konflikte und Transformationsprozesse in den europäischen Nachbarschaften zumindest im Sinne der Stabilitätssicherung beeinflussen oder gar steuern zu können.

Die Grenzen der Erweiterungsfähigkeit und der Erweiterungswille der EU (mit der Türkei als Lackmustest) implizieren die Herausforderung, eine Nachbarschaftsstrategie zu entwickeln, die ohne Konditionalität, Attraktivität und die Zielstrebigkeit eines Beitrittsversprechens auskommt, dadurch aber nicht zu politischer Rhetorik ohne Reformimpuls wird.

Länder- und Regionalstrategien

Im Dezember 2001 verabschiedete die Europäische Union Länder- und Regionalstrategien für Staaten, zu denen sie Beziehungen mit substanzieller Außenunterstützung unterhält – von China bis Marokko, von Moldau bis Nordkorea. Dazu gehören auch die Staaten der drei Nachbarregionen Südosteuropa, Osteuropa und Mittelmeer-Raum. Es stellt sich die Frage, ob und in welcher Form diese Strategien einen Beitrag für den Aufbau einer gesamteuropäischen Ordnung leisten können.

Was die Reformförderungspolitik der EU für den Balkan von den stärker länderorientierten EU-Strategien und der Unterstützung für die künftigen östlichen Nachbarstaaten unterscheidet, ist der Regionalansatz. Was sie von dem ebenfalls als Kooperationsregion aufgefassten Mittelmeer-Raum unterscheidet, ist die Zielstrebigkeit und -genauigkeit der Programme in Richtung EU-Besitzstand. Was sie von beiden anderen Nachbarregionen unterscheidet, sind der Mittelaufwand und die strikte Konditionalität als Anreiz.

Europäisierung des Balkans

Die strategische Ausrichtung der EU-Außenunterstützung birgt für Südosteuropa besondere Herausforderungen. Im Jahre 1999, noch bevor in Kosovo die Waffen schwiegen, wurde die Grundsatzentscheidung getroffen, die Länder des Westbalkans als potenzielle EU-Beitrittskandidaten zu betrachten. Andrerseits bereitet gerade die seitdem eingetretene „Proliferation“ der Außenunterstützungsstrategien für diese relativ kompakte Region besondere Schwierigkeiten.

Diese Beitrittsperspektive, im Stabilitätspakt von Juni 1999 u.a. auf Grund der Bedenken von Seiten Frankreichs noch mit maximaler Zurückhaltung formuliert („Die EU wird die Region enger an die Perspektive einer vollständigen Integration dieser Länder in ihre Strukturen heranführen“), ist mittlerweile Konsens. Dementsprechend hieß es beim Europäischen Rat in Feira (Juni 2000) kurz und knapp: „Alle Länder [des Westbalkans] sind potenzielle Bewerber für den Beitritt zur EU.“2

Nach dem erprobten Modell der Osterweiterung wurde im Mai 1999 der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess für Südosteuropa ins Leben gerufen, der neben bilateralen Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU seit Dezember 2000 das Unterstützungsprogramm CARDS umfasst. Die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen ersetzen die Europa-Abkommen der Osterweiterung bis hin zum EU-Beitritt, während CARDS das Südostpendant zu PHARE und TACIS ist. Die Vorbedingungen ähneln den Kopenhagener Kriterien mit regionaler Kooperation sowie Respektierung der Dayton-Abkommen und der Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag als regional-spezifischen Ergänzungen. Dementsprechend sind mit dem EU-Besitzstand die Zielanforderungen als Messlatte für nationale Reformprogramme und Transformationsstrategien festgelegt.

„Durchkreuzt“ wird diese bilaterale Logik von Konditionalität und Kriterien durch den Regionalansatz des Stabilitätspakts, in dem die EU ebenfalls die „führende Rolle“ übernimmt. Der Pakt ist, abgesehen von einer eher nach dem Helsinki-Prozess als nach den Kopenhagener Kriterien oder gar dem Besitzstand ausgerichteten Basiskonditionalität, auf regionale Kooperation angelegt. Die laufende Reform des Stabilitätspakts unter dem neuen Sonderkoordinator, Erhard Busek, nimmt eine Prüfung der Funktionalität und Effizienz von Regionalität in den verschiedenen Politikbereichen (z.B. Energieversorgung, Infrastruktur und Handel) vor, strebt aber gleichzeitig eine Verbesserung der Komplementarität von Stabilitätspakt und Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess an.3

Von Seiten des Stabilitätspakts wurde der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess als „wichtiger EU-Beitrag zum Stabilitätspakt“ gewürdigt, während die Kommission den Pakt in ihren Ausführungen zum Westbalkan im jährlichen Fortschrittsbericht kaum erwähnte und eher als Vorstufe zum Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen betrachtete. Dies ist nicht nur ein Wortspiel oder ein Kompetenzkonflikt: Die Prinzipien Regionalität und Konditionalität widersprechen sich: Konditionalität fördert die Fortgeschrittenen und benachteiligt die Nachzügler. Die gestaffelte Aufwertung der bilateralen Beziehungen zur EU, etwa die Schengen-Grenzen, schaffen Trennlinien innerhalb der Region, die unter dem Stabilitätspakt zusammengeführt werden sollten.

Andrerseits zeigen EU und Stabilitätspakt in ihrer Herangehensweise kaum Sympathie für (sub)regionale Zusammenschlüsse, die auf politischem Willen und Funktionalität beruhen, dabei aber die Grenzen zwischen den EU-Kategorien mit 15 Mitgliedern, zwölf bzw. 13 Kandidaten, fünf perspektivischen Kandidaten und mindestens vier Nichtkandidaten verwischen. Gerade die Heterogenität der Balkan-Region macht Regionalität zur Zerreißprobe, die sich nur mit besonderen Anreizen etablieren lässt. Dennoch ist es nahezu unmöglich, Regionalkooperation zur Bedingung der Annäherung an die EU zu machen. Gerade die Erfahrungen in Mittel- und Osteuropa zeigen, dass die individuelle Beitrittsperspektive der Regionalkooperation abträglich ist.4

Der neue Sonderkoordinator für den Stabilitätspakt hat diese Strukturprobleme erkannt und Reformansätze präsentiert.5 Mit dem schleichenden Rückzug der Amerikaner und dem Nahen der ersten großen Runde der Osterweiterung schält sich die EU als zunehmend dominante Regionalmacht und alternativlose Zukunftsperspektive für den Westbalkan heraus. Somit ist die Konzeption des Stabilitätspakts als multiinstitutionelles Unterfangen oft nicht kompatibel mit den EU-Strukturen. Spätestens nach der Erweiterung 2004 wird sich die Frage stellen, ob sich eine Trennung zwischen (nur) Rumänien und Bulgarien als „Kandidaten der zweiten Runde“ einerseits und perspektivischen Kandidaten auf dem Westbalkan aufrecht erhalten lässt, zumal Kroatien dabei ist, diese beiden Kandidaten bei der Erfüllung der Beitrittskriterien zu überholen. Andrerseits ist Moldau Mitglied des Stabilitätspakts, hat aber explizit keinen Anspruch auf eine Beitrittsperspektive.

Bereits vor 2004 wird sich die Frage nach dem Mehrwert – und dem Verfallsdatum – eines reformierten Stabilitätspakts im Vergleich zum Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess stellen: Der Regionalansatz wird auf einzelne wenige Politikfelder eingeschränkt, und regionale Eigenverantwortung ist im geberorientierten Stabilitätspakt kaum mehr gelungen als im von Brüssel aus diktierten Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess. Letzterer ist nicht weniger umfassend als der Stabilitätspakt; beide beinhalten Reformvorhaben von der Grenzsicherung bis zum Aufbau der Zivilgesellschaft. Somit wird der Pakt weiterhin eine subsidiäre Rolle spielen, während die Balkan-Länder in relevanten Bereichen wie Justiz und Inneres oder Umwelt bereits in die EU teilintegriert werden.

Gemäß dem eigenen Regionalansatz,6 aber ausgeprägter als die grenzüberschreitende Komponente im PHARE-Programm, kennt CARDS fünf Länderstrategien und eine horizontale Regionalstrategie mit entsprechenden Mitteln für länderübergreifende Projekte. Für die Jahre 2002 bis 2004 sind jedoch für zentral koordinierte CARDS-Projekte 80 Millionen Euro und für dezentrales „integriertes Grenzmanagement“ 117 Millionen Euro reserviert – jährlich weniger als zehn Prozent des Gesamtbudgets.7

Nachdem die „salonfähigen“ Balkan-Staaten anfänglich neben ECHO und Obnova-Nothilfe auch beschränkten Zugang zu den PHARE-Mitteln erhielten, ist CARDS mit 775 Millionen Euro jährlich (2000 bis 2006) gut ausgestattet, verglichen mit der vorherigen gesamten EU-Unterstützung für den Westbalkan von durchschnittlich 550 Millionen Euro jährlich (1991 bis 2000). Dafür dient die EU-Hilfe nicht länger vorwiegend humanitären Zwecken, dem Wiederaufbau, der Stabilität und der Regionalkooperation, sondern soll nur noch die Umsetzung des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses unterstützen. Nahezu jeder Euro fließt in genuine europäische Prioritätsbereiche (und Interessen): Justiz und Inneres, institutioneller Auf- und Ausbau sowie Investitionsförderung.8

Seit Ende 2001 verfügt CARDS über ein regionales Strategiepapier für die Phase 2002 bis 2006 inklusive eines mehrjährigen Indikativprogramms 2002 bis 2004 (MIP), komplementär zu den fünf Länderstrategieberichten. Die Prozeduren und Kriterien des gesamten Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses mit jährlichen Fortschrittsberichten und Aktionsplänen ähneln zunehmend in Form und Inhalt der EU-Osterweiterung – nur mit dem Unterschied, dass für den Westbalkan in Brüssel formal Chris Patten als Kommissar für Außenbeziehungen zuständig ist und – noch – nicht Günther Verheugen.

Die Entscheidung für die EU-Integration der kleinen, umschlossenen Balkan-Region ist aber längst gefällt, und eine weitere, die europäischen Außengrenzen damit festzuschreiben, deutet sich an.

Länderstrategien für Osteuropa

Mit Ausnahme Weißrusslands hat die Europäische Union für die westlichen GUS-Staaten Länderstrategien verabschiedet.9 Gemäß den vorgegebenen Richtlinien entsprechen sie dem Aufbau der regionalen Einschätzung der Lage, der Auswertung der bisherigen Kooperation und der Formulierung künftiger Schwerpunkte, die gleichzeitig die nationalen TACIS-Programme (Technical Assistance for the Commonwealth of Independent States) für die Jahre 2002 bis 2003 enthalten.

Bemerkenswert ist zunächst die Einschätzung der jeweiligen nationalen Problemspezifika. Als die Europäische Union zu Beginn der neunziger Jahre die Transformation in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion durch Hilfsprogramme und Beratungsleistung zu unterstützen begann, griff sie auf die Grundgedanken des Konsenses zwischen den internationalen Finanzorganisationen zurück. Demnach galten Liberalisierung und Privatisierung als Motoren der Systemtransformation. Zehn Jahre Erfahrungen mit den postsozialistischen Transformationen Osteuropas unterstreichen die Bedeutung institutioneller Faktoren. Die Weiterentwicklung der TACIS-Bestimmungen spiegelt dieses veränderte Verständnis der Transformation wider. 1991 bestand das Hauptziel in der Transformation zur Marktwirtschaft, 1993 wurde dies um die Stärkung der Demokratie ergänzt, und seit 2000 sind der Übergang zur Marktwirtschaft sowie die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaat formulierte Ziele.10

Die Länderstrategien für die Jahre 2002 bis 2006 setzen die differenzierte Einschätzung der Lage fort. Moldau wird als zukünftiger Nachbarstaat der Europäischen Union verstanden. Angesichts der künftigen direkten Grenzbeziehungen drohen wirtschaftliche Instabilitäten, das Armutsproblem sowie der Dnjestr-Konflikt die Europäische Union unmittelbar zu belasten. Trotz einiger Reformfortschritte im Jahr 2000 stellt die Länderstrategie der EU Probleme bei den institutionellen Reformen, der Schaffung eines Privatsektors sowie der Umsetzung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens mit der EU in den Vordergrund.

Ein weiteres Hauptthema des EU-Interesses ist der Aufbau von modernen und leistungsfähigen Grenzübergängen. Hiermit werden erneut die Folgefragen der EU-Osterweiterung angeschnitten. Russlands wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowie die Beziehungen zur EU beruhen ganz wesentlich auf dem Export von Rohstoffen nach Europa. Darüber hinaus zeigt die Union Interesse an Russland als verlässlichem Partner in der Außen- und Sicherheitspolitik und als Abnehmer europäischer Exporte. Ähnlich wie in der bisherigen europäischen Politik existiert keine Länderstrategie für Weißrussland. Damit wird zu Recht die europäische Kritik am Regime von Alexander Lukaschenko zum Ausdruck gebracht, gleichzeitig beraubt sich die Union aber auch ihrer Einflussmöglichkeiten für die Stärkung demokratischer und marktwirtschaftlicher Reformen jenseits des offiziellen Weißrusslands.

Bei der Umsetzung in Politikempfehlungen und Unterstützungsprogramme zeigen alle drei Länderstrategien ähnliche Schwerpunkte. Im Zeitraum von 2002 bis 2003 verfolgt die Europäische Union das Ziel, die Reform von Rechtsstaat und Verwaltung zu unterstützen, die wirtschaftlichen Bedingungen und das Investitionsklima zu verbessern und die gesellschaftlichen Reformen zu forcieren. In der Ukraine soll zusätzlich noch der Aufbau von Grenzanlagen unterstützt werden. Die Projekte sind für das Jahr 2003 mit 94 Millionen Euro für Russland, 48 Millionen Euro für die Ukraine und 20 Millionen Euro für Moldau budgetiert. Im Vergleichszeitraum veranschlagt die Union 775 Millionen Euro für die Unterstützung des Balkans. Diese Budgetverteilung verdeutlicht die Schwerpunktsetzung der europäischen Nachbarschaftspolitik, deren Priorität auf dem Balkan liegt.

Auf der analytischen und programmatischen Ebene beinhalten die Programme Fortschritte im Vergleich zur bisherigen Politik der EU gegenüber ihren künftigen Nachbarstaaten. Nach wie vor bleibt aber das Bild einer gesamteuropäischen Politik verschwommen – es gibt keine Perspektive für eine künftige Mitgliedschaft in der EU. Demzufolge wird auch der Mechanismus von mit Annäherung an die EU konditionalisierten Reformen entfallen. Die Europäische Union verfügt über begrenzte Mechanismen, um ihre Interessen für Sicherheit und Stabilität in ihren künftigen Nachbarstaaten umsetzen zu können. Wie die Folgewirkungen des 11. September 2001 zeigen, stellen die Nachbarstaaten im Osten der Europäischen Union, allen voran Russland, nicht nur ein Risiko, sondern zugleich auch Partner bei der Bewältigung internationaler Herausforderungen dar.11 Vorausgesetzt, Wladimir Putins Solidaritätsbekundungen mit dem Westen sind nachhaltig, würde dies das Ende der euroasiatischen Modernisierungsdebatte bedeuten – Russland müsste als Teil des Westens seine Entwicklung an europäischen Maßstäben orientieren. Die EU ist dazu aufgefordert, jenseits ihrer Erweiterungspolitik Konzepte für eine gesamteuropäische Ordnung zu entwickeln.

Grenzen gesamteuropäischer Politik

Die EU gestaltet die Beziehungen zu den Nachbarstaaten nach dem bisherigen Erfolgsrezept der Osterweiterung. Die klare Perspektive auf den Beitritt, verbunden mit den Vorgaben des Besitzstands, legen die Leitlinien fest für die Stabilisierung und Westorientierung in den Staaten Mittel- und Osteuropas. Diese Strategie schreibt die EU auf dem Balkan fort, indem sie umfangreiche finanzielle Außenunterstützung mit der Aussicht auf die Heranführung an europäische Institutionen verbindet. In der Ende 2001 verabschiedeten Regionalstrategie für den Balkan wird die Beitrittsperspektive immer mehr zur Strategie gegenüber den Nachbarn in Südosteuropa.

In Osteuropa greift diese Strategie nicht. Es fehlt an institutionellen Vorgaben für die Zusammenarbeit, an umfangreichen Plänen zur Unterstützung der betroffenen Staaten durch die EU ebenso wie an den entsprechenden Anreizen. Verglichen mit dem Balkan erhalten die GUS-Staaten nur minimale finanzielle Mittel. In der euro-mediterranen Partnerschaft setzt sich dieses Problem fort. Die von der EU angestrebte Transformation des Mittelmeer-Raums lässt sich nicht ohne die EU-Beitrittsperspektive als wirksamstes Instrument europäischer Politik erreichen.

Ohne dasss dies an irgendeiner Stelle explizit formuliert worden wäre, deuten alle Anzeichen darauf hin, dass die Erweiterung um Südosteuropa beschlossene Sache ist, diese Erweiterung vorläufig aber einen Schlussstrich unter diese Politik im Verhältnis zu den Transformationsstaaten in der europäischen Nachbarschaft darstellt. Als Alternative und Ergänzung der Erweiterungspolitik verfügt die Europäische Union bisher nicht über tragfähige Konzepte und Kapazitäten zur Gestaltung einer gesamteuropäischen Politik.

Anmerkungen

1  Vgl. Werner Weidenfeld (Hrsg.), Jenseits der EU-Erweiterung. Strategiepapier, Gütersloh 2001, S. 11–19.

2  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Feira am 19.–20. Juni 2000, abgedruckt in: Internationale Politik, 8/2000, S.115 ff., hier S. 119.

3  Vgl. Stability Pact Policy Outline 2002 presented to EU-General Affairs Council by Special Coordinator Erhard Busek, 11.3. 2002; vgl. auch den Beitrag auf S.25–26.

4  Andreas Wittkowsky, Stability through Integration? South Eastern Europe as a Challenge for the European Union, Eurokolleg 43; Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.), Bonn 2000; Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) The Balkans and New European Responsibilities, Gütersloh 2000, passim.

5  Stability Pact Policy Outline 2002, a.a.O., (Anm. 3).

6  Vgl. dazu Franz-Lothar Altmann, Die Balkanpolitik der EU – Regionalansatz und Prinzip der Konditionalität, in: Südosteuropa, Nr.10–11/1998, S. 503–515.

7  EC External Relations DG, CARDS Assistance Programme to the Western Balkans, Regional Strategy Paper 2002–2006.

8  EC, CARDS Programme. Guidelines 2002–2006.

9  Country Strategy Paper 2002–2006, National Indicative Programme Ukraine, Moldavia, Russia.

10 An Evaluation of the TACIS Country Programme in Russia, Final Syntheses Report, Development Researchers’ Network – Linden Consulting Partnership (Hrsg.), Januar 2000, S. 15 f.

11 Vgl. Dmitri Trenin, Vladimir Putin’s Autumn Marathon: Towards the Birth of a Russian Foreign Policy Strategy, in: Briefing Moskovskogo Centra Karnegi, Nr. 11, November 2001.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, Mai 2002, S. 27 - 34.

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