Neue Drohnen braucht das Land
An Wissen und Können mangelt es der Start-up-Szene in Deutschland nicht, an Aufträgen der Bundeswehr schon. Woran liegt das, und wie ließe es sich ändern?
An Selbstbewusstsein fehlt es der Firma Quantum Systems nicht: „Dieses Land braucht mehr Überflieger“, heißt es auf einem Plakat. Zu sehen sind Drohnen vor schwarz-rot-goldenem Hintergrund.
Das Plakat hängt an mehreren Litfaßsäulen in Berlins Regierungsviertel. Dort hat der Drohnenhersteller aus Gilching bei München ein Büro direkt am Hauptbahnhof. Im Showroom sieht man den Grund für das Selbstbewusstsein: die Aufklärungsdrohne „Vector“, das Erfolgsprodukt des einstigen Start-ups. Mehrere hundert Stück davon hat das Unternehmen bislang an die ukrainischen Streitkräfte geliefert, finanziert vom Bundesverteidigungsministerium. Seit Anfang des Jahres nun werden die ersten von 14 Aufklärungsdrohnen vom Typ „Falke“ an die Bundeswehr ausgeliefert. Endlich.
Zum zehnjährigen Jubiläum erklärte Quantum-Systems-Geschäftsführer Sven Kruck, dass bis 2030 unbemannte Systeme „mindestens 40 Prozent der Streitkräftestruktur Deutschlands, Europas und auch der NATO ausmachen“ würden. Gundbert Scherf, Mitbegründer des KI-Unternehmens Helsing – und Konkurrent von Quantum Systems – denkt ähnlich: „Aktuell läuft die Debatte noch wie im Kalten Krieg“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa Ende März. „Da zählen wir Panzersysteme, Flugzeuge und Schiffe auf der einen Seite und gucken, ob wir mit viel Geld in die Nähe von Parität kommen“. Realistischer sei es, einen „Drohnenwall“ an der NATO-Ostflanke zu errichten. Dies, so Scherf, der auch im Bundesverteidigungsministerium für die damalige Staatssekretärin Katrin Suder gearbeitet hat, könnte man in einem Jahr schaffen.
Bislang scheint die Bundeswehr von einem solchen Szenario weit entfernt. Zwar vermittelt man in der Kommunikation nach außen gern den Eindruck, Drohnen seien der Gamechanger auf dem Schlachtfeld. Intern sieht es allerdings völlig anders aus: Lediglich 600 unbemannte Fluggeräte unterschiedlichster Bauart sind für alle Teilstreitkräfte verfügbar, die Masse beim Heer. Abgesehen von den fünf flugzeuggroßen Drohnen vom Typ Heron TP, die mit Raketen ausgerüstet werden können, verfügte die Bundeswehr bis Ende März über keine einzige Kampfdrohne. Anfang April dann der Kurswechsel im Verteidigungsministerium: Es sei geplant, noch in diesem Jahr Angriffsdrohnen zu beschaffen. Für die der NATO versprochenen drei Heeresdivisionen für die Ostflanke gibt es bislang fast keine Drohnenaufklärung.
Wenn Russland die NATO angreift, wird es das unter anderem mit Drohnenschwärmen tun
An Know-how mangelt es in Deutschland nicht. Helsing, das wie Quantum Systems zu den Stars am Drohnenhimmel gehört, will insgesamt 10 000 seiner neu entwickelten Kampfdrohnen HX-2 an die Ukraine liefern. Für die Kosten kommt die Bundesregierung im Rahmen der sogenannten „Ertüchtigungsinitiative“ auf. Einen Vertrag über die Lieferung von HX-2 an die Bundeswehr gibt es jedoch laut Auskunft eines Unternehmenssprechers bislang noch nicht.
Derweil hat eine von Helsing entwickelte „Resilienzfabrik“ in Süddeutschland den Betrieb aufgenommen. Die laut Unternehmen „hocheffizienten Produktionsanlagen“ erlauben eine dezentrale Massenproduktion in ganz Europa. Oder, wie Helsing-Mitbegründer Scherf sagte: „Damit behalten die Länder die Kontrolle über die Produktion und Lieferketten.“ In vielen internen Gesprächen rühmen hohe Militärs stolz solche „Innovationen made in Germany“, angeführt von Boris Pistorius. Er hat die Drohnen zu seiner Herzensangelegenheit gemacht. Nur: Angekommen ist davon bei der Truppe noch wenig.
Genug Geld, mangelnder Mut
Dabei sind sich alle Militärexperten einig: Wenn Russland, wie von Generalinspekteur Carsten Breuer prognostiziert, in vier Jahren in der Lage ist, die östliche NATO-Flanke anzugreifen, dann wird es das unter anderem mit Drohnenschwärmen tun. Das Schlachtfeld in der Ukraine liefert momentan die Blaupause dafür. Ein wirkliches Gegenmittel kann derzeit keine europäische Streitmacht liefern, geschweige denn die Bundeswehr.
Am Geld kann es seit den Milliarden, die noch der alte Bundestag für die Verteidigung im März freigegeben hat, nicht liegen. „Es ist ein Freifahrtschein“, so ein hoher Beamter aus dem Verteidigungsministerium. Alle Verteidigungsausgaben, die höher sind als 1 Prozent des BIP (ca. 43 Milliarden Euro), können trotz Schuldenbremse finanziert werden.
An mangelnder Erkenntnis der Verantwortlichen liegt es offensichtlich auch nicht. Das im März erschienene „Weißbuch“ der EU-Kommission definiert Drohnenabwehr als eine der zentralen Fähigkeiten, die Europas Armeen fehlen. Diese Fähigkeitslücke zu beseitigen, ist eine „strategische Notwendigkeit, die zu erfüllen Jahre dauern wird“. Auch die Politik, so zum Beispiel die grüne Verteidigungspolitikerin Sara Nanni, bekennt offen: „Wir sind nicht da, wo wir sein sollten.“ Und der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, sprach auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz im Februar davon, „dass im Prinzip alles da ist, es muss nur beschafft werden“.
Und hier liegt das Problem, das Oberstleutnant Aldo Kleemann, Gastwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), so benennt: „Es gibt kaum Risikobereitschaft. Was wir brauchen, ist der Mut zu experimentieren.“ Und eine Vorstellung davon, wo und wie Drohnen eingesetzt werden sollten.
Die soll es nun geben. „Einsatz UxS/LMS Heer“ ist der kryptische Name des neuen Konzepts des Heeres. Es soll „konkrete Forderungen an die unbemannten Systeme und die notwendigen Stückzahlen“ benennen und „grundsätzliche Einsatzmöglichkeiten“ aufzeigen. Mehr, so ein Sprecher des Amtes für Heeresentwicklung, könne man aus Gründen der Geheimhaltung nicht sagen.
Unter dem Begriff „UxS“ versteht man „Unbemannte Systeme“ (Drohnen) und „LMS“ steht für „Loitering Munition Systems“, also Systeme, bei denen Munition über einem Ziel „herumlungern“ kann und sich dann ihr Ziel sucht.
Laut des Sprechers sei man mit dem Konzept seit 2023 „zügig vorangekommen“. Die Bundeswehr testet nun alle fürs Heer denkbaren Größenordnungen an Drohnen, von der handtellergroßen Aufklärungsdrohne Black Hornet bis zum Aufklärungssystem HUSAR mit einer Spannweite von über fünf Metern.
Alles Systeme, die bekannt und in kleiner Stückzahl schon in Betrieb sind. Bleibt nur eine Frage offen: Die Innovationszyklen bei Drohnen sind so rasant, dass sie bei ihrer Bestellung schon veraltet sind. Aus diesem Grund ist es militärtechnisch nicht sinnvoll, „sich zehntausend Drohnen in einen Hangar zu stellen“, so Militärexperte Kleemann. So sieht es auch Grünen-Verteidigungsexpertin Nanni: „Eine Drohnenarmee bringt gar nichts.“
Dem Tanker Tempo machen
Um der Bundeswehr nicht Unrecht zu tun: Man versucht an vielen Stellen, den „Tanker“ in Sachen Drohnen schneller in Bewegung zu bringen. Aber: Geht es schnell genug? Seit 2017 gibt es das Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw), eine Art Schnittstelle zwischen Bundeswehr und der Start-up-Szene. Bislang sind 186 Projekte gestartet worden, 40 finden eine Anwendung, u.a. zur digitalen Lagebilderstellung und KI-gestützten Datenauswertung. Vorbilder sind ähnliche Institutionen wie das Directorade of Defense Research & Development (DDR&D) in Israel oder die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) in den USA.
Allein der Finanzierungsrahmen zeigt, wie viel Wert man dort auf Innovation in den Streitkräften legt. Das DDR&D stellt jährlich über 250 Millionen Dollar (Stand Anfang Oktober 2023) nur für Grundlagenforschung zur Verfügung. Weitere Projekte in Millionenhöhe werden für Forschungskooperationen mit der Industrie ausgegeben. DARPA hat ein jährliches Budget von rund vier Milliarden Dollar. Der CIHBw hat jüngst die Gründung eines „Deep Tech Defense Innovation Fund“ angekündigt, der 300 Millionen Euro privates Kapital akquirieren soll. Damit soll ein „Ökosystem“ für Start-ups im Verteidigungssektor geschaffen werden. Woher das Geld kommen soll, ist noch unklar.
Und: Die Bundeswehr plant derzeit ein Innovationszentrum auf dem ehemaligen Fliegerhorst in Erding. Es fügt sich ein in das „Defense Cluster“ rund um München, zu dem die Bundeswehruniversität, das Planungsamt und auch Drohnenhersteller wie Quantum Systems oder die Firma Arx Robotics, die selbstfahrende Kampfroboter produziert, gehören. Laut eines Berichts des NATO-Investitionsfonds vom Februar 2025 hat sich München zum führenden Zentrum für Innovationen im Verteidigungsbereich entwickelt.
Hier in Erding soll auf freien Flächen und in Hallen ein „Defense Lab“ entstehen. Denn die Erfahrung hat gezeigt: Viele Innovationen wie neue Drohnentechnologien werden von unterschiedlichen Stellen wie Planungsamt, Zentrum Digitalisierung, Beschaffungsamt und Amt für Heeresentwicklung unkoordiniert bearbeitet. Im neuen „Defense Lab“ sollen alle Player der Bundeswehr zusammen mit Soldaten und Unternehmen gemeinsam neue Produkte testen – und weiterentwickeln.
Der Schwerpunkt wird dabei auf dem Einsatz Künstlicher Intelligenz, Quantentechnologie und Drohnen liegen. „Wir glauben fest daran, dass wir eng zusammenarbeiten müssen, wenn wir erfolgreich sein wollen“, sagte der damalige Verteidigungsminister Pistorius Mitte Februar zur Gründung. Da Geld ja in Zukunft kein Problem mehr sein dürfte, stellt sich nur die Frage, wann das neue „Defence Lab“ einsatzbereit ist. Aus dem Verteidigungsministerium ist zu hören, es „sollen zeitnahe Entscheidungen ermöglicht werden, die dann in Folge sukzessive umgesetzt werden“.
Von der Ukraine lernen
Zeit ist ein Gut, das den ukrainischen Soldaten und Soldatinnen, die in Deutschland bei der Bundeswehr ausgebildet werden, nicht zur Verfügung steht. Rund 20 000 von ihnen sind in der Bundesrepublik von mehreren europäischen Staaten trainiert worden, unter dem Dach der EU-Ausbildungsmission für die Ukraine. Zuständig dafür ist das Special Training Command (ST-C) in Strausberg nahe Berlin.
Eine der häufigsten Fragen, die viele Ukrainer ihren deutschen Ausbildern stellen, ist: Wo sind eure Drohnen? Der Chef des ST-C, der deutsche General Olaf Rohde, räumt ein, dass die Bundeswehr ihnen wenig bieten kann: „Sie haben viel mehr Expertise, viel mehr Technik, viel mehr Digitalisierung, und sie haben auch die Einsatzerfahrung damit. Da laufen wir schon ein Stück weit hinterher.“
Warum also werden die „Lessons learned“ aus der Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte nicht konsequent umgesetzt? Eine Frage, die man in der Bundeswehr mit der Schaffung einer sogenannten Task Force „Drohne“ beantworten wollte. Um schnell sichtbare Ergebnisse zu erzielen, durften die Kommandeure der Heeresverbände von ihrem „Handgeld“ auch Drohnen auf dem freien Markt kaufen. Allerdings ist das „Handgeld für Kommandeure“ nicht etwa erhöht worden; es liegt bei rund 5000 Euro.
Das Amt für Heeresentwicklung legt Wert auf die Feststellung, dass „die Beschaffung auf diesem Wege nicht die Grundlage für eine umfängliche Ausstattung des deutschen Heeres mit unbemannten Systemen“ ist. Es sei nur ein „erster Schritt“. Vielleicht wollte die Führung der Bundeswehr damit signalisieren: Ihr könnt doch schon mal üben.
Auf die Nachfrage, wie groß denn die Experimentierfreudigkeit in einzelnen Verbänden sei, gibt man sich beim Heer schmallippig. Einzelne Kommandeure wollen öffentlich nicht sprechen. Einer fasste seine Erfahrungen so zusammen: „Viele haben die Sorge, dass sie experimentieren und dann feststellen: Die Sache fliegt nicht so, wie wir uns das vorstellen.“ Genau das aber, so Militärexperte Kleemann, sei Teil des Lernprozesses: „Man muss die Bereitschaft haben, auch mal was abzuschreiben.“ Die ukrainischen Streitkräfte machen vor, wie es geht, beschreibt General Rohde seine Erfahrungen: „Bei denen machen sie es einfach. Die steuern die Drohne mit einer App, probieren etwas aus und zwei Tage später können sie es.“
Anpassen oder scheitern
Deutsche Drohnenhersteller wie Helsing oder Quantum Systems haben längst erkannt, wie wichtig es ist, in der Ukraine präsent zu sein. „Adapt or die“ heißt die Strategie. „Entweder du passt dich an oder du hast keinen Erfolg am Markt“, so bringt Quantum-Systems-Geschäftsführer Kruck die Unternehmensphilosophie auf den Punkt. Mit der Aufklärungsdrohne „Vector“ ist das bayerische Unternehmen seit den ersten Monaten nach der russischen Invasion im Februar 2022 in der Ukraine präsent. Dabei kommunizieren die Entwickler direkt mit den Einheiten, die die Drohnen einsetzen. Auf diese Weise fließt das Feedback sofort in die Produktionsstätte bei München ein.
Bei Nachfragen zur Experimentierfreudigkeit gibt man sich beim Heer eher schmallippig
Seit April 2024 hat auch Quantum Systems eine Niederlassung in der Nähe von Kyjiw mit derzeit 70 lokalen Mitarbeitern. Sie reparieren die Drohnen vor Ort und gewinnen so Zeit, weil die Technik nicht erst wieder nach Deutschland gebracht werden muss. In der Firmenzentrale in der Nähe von München werden wöchentlich bis zu 25 Drohnen hergestellt, drei Viertel der Produktion gehen in die Ukraine. Die Erfahrung aus den vergangenen Jahren hat der Quantum-Drohne das Label „battle proofed“ eingebracht – und neue Aufträge. Im April 2024 orderte die australische Armee die Systeme „Vector“ und „Scorpion“ für 54 Millionen Euro, eine Produktionsstätte im Land ist auch aufgebaut. Was fehlt, ist der Auftraggeber Bundeswehr.
Mit Firmen wie Quantum Systems oder Helsing könnte Deutschland die Nummer eins im Bereich Drohnentechnologie werden, zumindest in Europa. Allerdings seien dafür mehr staatliche Aufträge nötig, so Kruck: „Wir müssen einfach jetzt handeln. Wir müssen Drohnen in die Streitkräfte bringen und sie nutzbar machen.“
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2025, S. 74-78
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