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01. Okt. 2007

Mittel- und Osteuropa

Stephen Bastos über Katzenjammer und Hoffnungsschimmer

Rezensionen zu "Polens Weg. Von der Wende bis zum EU-Beitritt", "Quo vadis, Polonia", "Verpasster Neuanfang? Deutschland, Polen und die EU" sowie zu "Inklusion, Exklusion, Illusion. Konturen Europas"

Polens Weg. Von der Wende bis zum EU-Beitritt

Piotr Buras / Henning Tewes | Hohenheim Verlag 2006, 279 Seiten.

Karl Marx scheint mit Polen kein Glück zu haben. War das Land in den achtziger Jahren Vorreiter beim Untergang des Kommunismus in Europa, so schickt es sich gut 20 Jahre später an, die marxistische Theorie von der Abhängigkeit des politischen Überbaus vom wirtschaftlichen Unterbau abermals zu widerlegen. Polen gibt nach gut drei Jahren EU-Mitgliedschaft ein widersprüchliches Bild ab. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt, der Lebensstandard steigt. Politisch aber taumelt das Land von Krise zu Krise. Innenpolitisch scheint Polen weit entfernt von einer Stabilisierung. Außen- und europapolitisch hat es seine Rolle noch nicht gefunden. Wie lassen sich diese Widersprüche erklären? Und wie bedrohlich sind die Krisenphänomene wirklich? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, kann jetzt auf zwei bemerkenswerte Bücher zurückgreifen. Ohne zu beschönigen zeichnen beide ein wesentlich positiveres Bild von den Erfolgen und Perspektiven der jungen polnischen Demokratie als die Medienberichte über tagespolitische Turbulenzen vermuten lassen. Buras und Tewes bieten eine konzise und faktengesättigte Analyse der Entwicklungen von 1989 bis zum EU-Beitritt. Ausgehend von der Frage, „wie ein wirtschaftlich ruiniertes und politisch tief gespaltenes Land zu einem EU-Mitglied wurde, das mit voller Berechtigung auf eine funktionierende Demokratie und eine stabile Marktwirtschaft verweisen“ kann, erzählen sie eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte. Gut geschrieben und souverän im Urteil analysieren sie die Erfolgsfaktoren der polnischen Transformation und die Ursachen für die aktuellen populistischen Verwerfungen. Ein gelungenes Beispiel deutsch-polnischer Zusammenarbeit der jungen Generation.

Quo vadis, Polonia? Kritik der polnischen Vernunft

Manfred Sapper / Volker Weichsel / Andrea Huterer (Hrsg.) | Doppelheft der Zeitschrift Osteuropa, Berliner Wissenschaftsverlag 2006, 334 Seiten.

Die Zeitschrift Osteuropa liefert mit einem Sonderband zu Polen eine differenzierte und facettenreiche Analyse der aktuellen politischen Lage in Polen und fragt: „Gibt es Anlass zur Sorge?“ Die Antwort ist eindeutig: Es wäre falsch, die Krisensymptome zu überzeichnen, denn der Populismus trage den Keim seines Untergangs bereits in sich. Er zeitige „paradoxe Folgen. Er attackiert die Demokratie, doch steigert er ihre Integrationskraft, er ist antimodern, und er befördert doch die Modernisierung. Und der synthetische Blick in Wirtschaft und Gesellschaft zeigt, dass es ein anderes Polen gibt. Die Kluft zwischen den populistischen Eliten und der Gesellschaft wächst. Diese ist individualistischer, flexibler, eigenverantwortlicher und pragmatischer, als es im Weltbild des Populismus denkbar ist.“ Die meisten der insgesamt 23 Analysen beschäftigen sich mit innenpolitischen Fragen. Kai-Olaf Lang und Pawel Swieboda untersuchen die Europa-Politik der Kaczynski-Regierung und kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Die polnische Regierung hat ihren Platz in Europa noch nicht gefunden und agiert weitgehend konzeptionslos auf der europapolitischen Bühne. Sie verkennt die politischen Realitäten und die Entscheidungslogiken der EU und droht sich mit ihrer „patriotischen Außenpolitik“ selbst zu marginalisieren. Beide Autoren verweisen aber auch auf die positiven europapolitischen Ansätze in Außen-, Sicherheits- und Energiepolitik.

Was die Wirtschaftspolitik angeht, gibt Sebastian Plociennik Entwarnung: „Trotz Europaskepsis und protektionistischer Rhetorik hat die konservative Regierung jedoch an der Integration der polnischen Wirtschaft in die europäischen und globalen Märkte nicht gerüttelt. Sie ist bemüht, den Haushalt zu konsolidieren, hält den Złoty bislang stabil und hat dafür gesorgt, dass die Gelder aus den EU-Fonds konsequenter abgerufen werden.“ Harsche Kritik hingegen übt Reinhold Vetter, der deutlich macht, dass zwischen der sozialen Rhetorik der Kaczynski-Brüder und den politischen Realitäten eine beeindruckende Kluft besteht und die dringend erforderlichen Strukturreformen der polnischen Sozialsysteme bislang ausgeblieben sind. Der Band wird seinen Wert auch nach den nächsten Wahlen behalten, wenngleich man sich gerade mit Blick auf das mögliche Ende der Kaczynski-Regierung eine Analyse zur oppositionellen Bürgerplattform gewünscht hätte.

Verpasster Neuanfang? Deutschland, Polen und die EU

Adam Holesch | Bouvier Verlag 2007, 181 Seiten.

Die Zeit der „deutsch-polnischen Interessengemeinschaft“ scheint lange vorbei zu sein. Katerstimmung macht sich breit. Angesichts des hoffnungsvollen Neubeginns der deutsch-polnischen Beziehungen 1989 drängt sich die Frage auf, was seitdem schief gelaufen ist und ob wir uns auf eine dauerhafte Entfremdung einstellen müssen. Der junge Politikwissenschafter Adam Holesch liefert eine erste systematische preisgekrönte Untersuchung der deutsch-polnischen Beziehungen seit 1989. Er macht deutlich, dass die Verstimmungen bereits Ende der neunziger Jahre einsetzten. Es greift also zu kurz, die augenblickliche Krise nur auf die Politik der Kaczynski-Regierung zurückzuführen. In seiner ausgewogenen und erfreulich nüchternen Untersuchung geht Holesch mit den Kaczynski-Brüdern hart ins Gericht, verweist aber auch auf die Fehler der deutschen Seite. Dafür steht das deutsch-russische Projekt der Ostsee-Pipeline, genauso wie die von deutscher Seite „bewusst offen gelassenen Vermögensfragen“. Die Studie konzentriert sich auf die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen. Dabei besteht immer die Gefahr, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamiken aus den Augen zu verlieren, die den Beziehungen mittlerweile eine stabile und auch belastungsfähige Grundlage geben. Die Studie erweist sich aber auch dort als anregend, wo man nicht mit ihren Thesen übereinstimmen mag. Abgerundet wird sie mit einer umfangreichen und gut aufgearbeiteten Bibliographie und mit einem Hoffnungsschimmer am Horizont: „Erst nach dem Wechsel der politischen Eliten, erst wenn die Europa-Generation das Ruder in beiden Ländern übernimmt, wird sich die nachbarschaftliche Verkrampfung endgültig lösen.“

Inklusion, Exklusion, Illusion. Konturen Europas: Die EU und ihre Nachbarn

Manfred Sapper / Volker Weichsel / Andrea Huterer / David Oberhuber (Hrsg.) Doppelheft der Zeitschrift Osteuropa, Berliner Wissenschaftsverlag 2007, 336 Seiten.

Mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) will die EU Stabilität, Sicherheit und Wohlstand in die Nachbarstaaten der EU exportieren und so einen Ring befreundeter Staaten um sich herum etablieren. Eine Idee, die letztlich ohne vernünftige Alternative ist. Und doch steckt in der ENP ein Grundwiderspruch: Sie folgt weitgehend der Logik der EU-Erweiterungspolitik, ist aber gleichzeitig bislang als klare Alternative zur Erweiterung konzipiert. Reichen die Anreize der EU jenseits einer konkreten Beitrittsperspektive aus, um die Nachbarländer langfristig zu stabilisieren und einen erfolgreichen Verlauf der Transformationsprozesse zu sichern? Und welche Rückschlüsse aus der Analyse der ENP lassen sich für die künftige Gestalt der EU ziehen? Der Tenor der Beiträge in diesem beeindruckenden Sonderband der Zeitschrift Osteuropa ist eindeutig: Der ENP fehlt es nach wie vor an „Schwung und Überzeugungskraft“. Es besteht eine große Kluft zwischen Theorie und Praxis. Erweiterungspolitik zu betreiben, ohne den Adressaten einen Beitritt zur EU in Aussicht zu stellen, funktioniert bislang nicht. Die EU gibt damit ihren größten Trumpf aus der Hand, ihr Einfluss bleibt begrenzt. Hinzu kommt der Kreml-Faktor: „Zunehmend kollidieren die Interessen Russlands und der EU im Nachbarschaftsraum. Moskau wertet die Nachbarschaftspolitik als Versuch, Russland aus der Region zu verdrängen, und reagiert allergisch auf Demokratisierung.“ Der Band stellt insgesamt ein veritables Referenzwerk dar, das wertvolle Anregungen für die weitere Ausgestaltung der ENP enthält. Schade nur, dass die Rolle der USA in den ENP-Regionen und die Möglichkeiten transatlantischer Kooperation nicht thematisiert werden.

Stephen Bastos, geb. 1973, ist in der DGAP im Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Robert Bosch Stiftung verantwortlich für die deutsch-polnischen Beziehungen. In diesem Rahmen organisiert er unter anderem den Gesprächskreis Polen/Deutsch-Polnische Beziehungen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2007, S. 137 - 139.

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