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01. Juli 2014

Mit Rat und Vertrag

Ein Vergleich der Governance-Systeme in der Arktis und der Antarktis

Kann regionale Stabilität besser durch einen internatio-nalen Vertrag, wie in der Antarktis, oder durch ein pragmatisches Regime, wie den Arktis-Rat, gesichert werden? Ein Vergleich beider Systeme und der unterschiedlichen regionalen Bedingungen zeigt, dass die vertrauensvolle Kooperation in der Arktis besser geeignet ist, Konflikte zu schlichten.

Die Arktis mag so ähnlich aussehen wie die Antarktis, doch die Gebiete unterscheiden sich sowohl in geophysikalischer als auch in politischer Hinsicht. Die nordpolare Region besteht im ­Wesentlichen aus dem nur teil- und zeitweise eisbedeckten Arktischen Ozean und den in diesen hineinragenden Inseln – deren größte Grönland ist – sowie den über dem nördlichen Polarkreis liegenden Landgebieten der acht arktischen Staaten (Dänemark/Grönland, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Russland, Schweden und USA).
Die Antarktis ist dagegen ein eigener, gebirgiger und eisbedeckter Kontinent am Südpol, zu dem einige Inselgruppen im Südatlantik gehören. Obwohl die historischen Entdecker- und derzeitigen Anliegerstaaten territori­ale Forderungen auf Teile der Antarktis angemeldet haben, wurde 1958 beschlossen, alle Ansprüche für die Dauer von 30 Jahren (1992 für wei­tere 50 Jahre verlängert) auf Eis zu legen und die Region entmilitarisiert und kernwaffenfrei zu bewahren.
Der unterschiedlichen geografischen und politischen Situation entsprechen auch die Governance-Systeme. Für die südpolare Region ist der internationale Antarktis-Vertrag maßgebend, der 1959 unterzeichnet wurde und dem mittlerweile 50 Staaten angehören. Die wichtigste Aufgabe dieses Vertrags ist die Erforschung der Südpolarregion. Die Weiterentwicklung des antarktischen Systems erfolgt in den Beratungen der Konsultativversammlung der Mitgliedstaaten.1
Dagegen haben die fünf Anliegerstaaten des Arktischen Ozeans 2008 bei ihrem Treffen in Ilulissat2 explizit den Abschluss eines umfassenden internationalen Vertrags für wenig sinnvoll erklärt; stattdessen beanspruchen sie die volle Souveränität über ihre arktischen Territorien und Schelfgebiete.3 Das gemeinsame Koordinierungsforum der fünf Ozeananrainer und der drei weiteren arktischen Staaten ist der Arktische Rat, dem auch Vertreter der indigenen Völker angehören.

Polare Regime

Untersucht man die Governance-­Systeme beider Regionen, so stellt sich die Frage, welches von beiden besser geeignet ist, die Politik der Mitglieder zu koordinieren und regionale Stabilität zu sichern: ein internationaler Vertrag wie der Antarktis-Vertrag oder ein pragmatisches Regime multilateraler Koordinierungsprozesse wie der Arktische Rat? Der Begriff des Governance-Systems soll so verstanden werden, dass er Vertragssysteme, internationale Organisationen und dauerhafte Handlungsregime umfasst.
Beide Systeme unterscheiden sich in ihrer Rechtsfigur und Verbindlichkeit. Der Antarktis-Vertrag ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der nach seiner Verlängerung zunächst bis 2041 gilt. Die Unterzeichnerstaaten haben sich darin zum Schutz der Antarktis und zur friedlichen Nutzung des Gebiets südlich 66° südlicher Breite verpflichtet. Die Mitglieder einigten sich auf eine Zurückstellung von Gebietsansprüchen und auf eine internationale Zusammenarbeit in der Forschung mit ungehindertem Informationsaustausch.
Für beide Regionen dient als globaler völkerrechtlicher Rahmen das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ),4 das seit 1992 in Kraft ist. Während sich die Regeln des arktischen Regimes explizit am internationalen Seerecht orientieren – es ist zum Beispiel für die Festlegung der Schelf- und Seegrenzen maßgeblich – wurde der Antarktis-Vertrag schon vor der Unterzeichnung des SRÜ abgeschlossen. Im Wesentlichen kodifiziert das Seerechtsübereinkommen die allgemeinen Regeln des Meeresgewohnheitsrechts.
Neu sind jedoch die Festlegung einer Breite von 200 Seemeilen für das Küstenschelf sowie die Möglichkeit einer Ausdehnung auf 350 Seemeilen für den Fall, dass ein Staat den Nachweis einer entsprechenden Ausdehnung seines Festlandsockels erbringt. Damit wird jedoch die Sub­stanz des Antarktis-Vertrags berührt. Das SRÜ stärkt beträchtlich die territorialen Ansprüche der Anliegerstaaten, insbesondere Argentiniens, da dieses danach das Recht hätte, Teile des antarktischen Kontinents als Fortsetzung seines Festlandsockels zu beanspruchen. Bis auf Weiteres sind mit dem Antarktis-Vertrag jedoch alle Ansprüche eingefroren worden.5
Mit dem Abschluss des Antarktis-Vertrags verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, den antarktischen Kontinent frei von Kernwaffen und anderen militärischen Installationen zu halten. Die Einhaltung dieser Bestimmungen wird durch regelmäßige Vor-Ort-Inspektionen gewährleistet. Hingegen gibt es in der Arktis keine entsprechende Verständigung: Die nördlichen Großmächte bestehen darauf, Fragen der militärischen Sicherheit nicht im Rat zu behandeln. Heute findet allerdings eine „schleichende“ Militarisierung dieser Region statt. Moskau hat seine Aufklärungsmissionen bis an die Grenzen der anderen Arktis-Staaten wieder aufgenommen; Russland und auch Kanada bauen neue Stützpunkte im Norden und verstärken ihre Streitkräfte. Dennoch ist das durch die enge Koopera­tion im Arktischen Rat auf anderen Gebieten geschaffene Vertrauen so groß, dass in keinem Staat des Arktischen Rates die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung akut erscheint – auch nicht nach der russischen Okkupation der Krim.
Das zentrale Koordinierungsforum des Antarktis-Vertrags ist die jährliche Konsultativversammlung der Mitglieder. Das sind die Staaten – gegenwärtig 28, darunter seit 1983 die Bundesrepublik Deutschland –, die in der Antarktis eine aktive Forschungspolitik betreiben, zum Beispiel mit ständigen Forschungsstationen; weitere 22 Länder haben Beobachterstatus. Bisher wurden fünf Konventionen verabschiedet: zum Schutz der antarktischen Fauna und Flora (1964), der antarktischen Robben (1972), der lebenden Meeresschätze, zum Beispiel Krill oder Fische (1980) sowie der Albatrosse und Sturmvögel (2004). Im Jahr 1991 einigte man sich auf ein umfassendes Umweltschutzprotokoll; darin wird die Antarktis als „ein dem Frieden und der Wissenschaft gewidmetes Naturreservat“ bezeichnet, in dem „jede Tätigkeit im Zusammenhang mit mineralischen Ressourcen mit Ausnahme wissenschaftlicher Forschung verboten“ ist. Ein Übereinkommen zur Nutzung der mineralischen Ressourcen scheiterte 1989 am Widerstand Frankreichs und Australiens.
Ähnlich wie die Initiative zum Antarktis-Vertrag geht auch das arktische Regime auf enge wissenschaftliche Zusammenarbeit zurück. 1989 starteten acht arktische Staaten einen Prozess, dessen Kernstück die Arktische Umweltschutzstrategie (AEPS) ist. Mit dieser sollen die Arktis-Forschung in den verschiedenen Disziplinen koordiniert sowie Maßnahmen entwickelt werden, mit denen die fragile arktische Umwelt geschützt werden kann. Auf Vorschlag Kanadas entstand 1996 daraus der Arktische Rat. Grundlage ist die in Ottawa verabschiedete Entschließung der acht Arktis-Staaten, jedoch kein internationaler Vertrag. Inzwischen hat sich der Arktische Rat von einem lockeren Koordinationsgremium für die Implementierung der Umweltschutzstrategie zu einer aktiven Regionalorganisation entwickelt.
Mitglieder des Arktischen Rates sind neben den acht arktischen Staaten sechs Vertreter der indigenen Gemeinschaften als Ständige Beobachter, zwölf weitere Beobachter von an der Region interessierten Nicht-Arktis-Staaten wie Deutschland oder China, sowie Vertreter von einschlägigen Nichtregierungsorganisationen. Nach dem Willen seiner Mitglieder ist der Arktische Rat ein Beratungs- und kein Beschlussorgan. Der Fokus liegt auf der Umsetzung der Umweltschutzstrategie. Spezifische Sach- und Organisationsfragen werden an Ständige Arbeitsgruppen delegiert oder Task Forces für ihre Bearbeitung eingerichtet. Führen diese Arbeiten zu Vertragsempfehlungen, wie zur Seenotrettung oder zur Vermeidung von Ölverschmutzungen im Meer, müssen entsprechende Verträge von den Mitgliedstaaten abgeschlossen werden, da der Arktische Rat keine supranationalen Kompetenzen hat.
Die geringe Zahl von acht Arktis-Staaten macht eine Einigung häufig leichter, zumal die Vertreter der indigenen Gesellschaften und die Beobachterstaaten und -organisationen nicht an den Vertragsverhandlungen mitwirken. Seit 2010 verfügt der Arktische Rat über einen Generalsekretär und ein Ständiges Sekretariat, das gemeinsam finanziert wird und im norwegischen Tromsø angesiedelt ist. Es ist noch nicht sicher, ob der 2013 von Kanada vorgeschlagene Arktische Wirtschaftsrat eine Unter- oder unabhängige Parallelorganisation des Arktischen Rates wird.

Ressourcen nutzen

In beiden Regimen hat eine Verdichtung der Organisationsstrukturen stattgefunden, die auf die von der Klimaerwärmung begünstigte größere Zugänglichkeit der polaren Regionen und der damit verbundenen wirtschaftlichen Möglichkeiten – und Risiken – zurückzuführen ist. In der Arktis wecken die reichen, bereits erkundeten oder vermuteten Öl- und Gasvorkommen großes Interesse. Allerdings wird ihr Nutzen angesichts der hohen Erschließungskosten, der widrigen Wetterbedingungen und der großen Entfernung von den Verbrauchern häufig überschätzt. In den arktischen Landgebieten befinden sich auch ergiebige Lagerstätten an Kupfer, Eisen und anderen Wertmetallen sowie Seltenen Erden, die für moderne Technologien gebraucht werden. Die Erschließung dieser Ressourcen ist jedoch ein tiefer Eingriff in ein sensibles Ökosystem.
In der Arktis wie in der Antarktis ist der rapide wachsende Tourismus eine Belastung für einheimische Bewohner und Umwelt. Meist fahren Touristen auf eis­tauglichen Expeditionsschiffen in die Polarregion; die Anlandung erfolgt mit Tenderbooten oder, da es in vielen Regionen weder Häfen noch Stege gibt, mit motorbetriebenen Zodiac-Schlauchbooten. Trotz strikter internationaler ­Regeln kommt es hin und wieder zu Unfällen, die schwierige Rettungsaktionen in einer Region ohne ausgebaute Infrastruktur erforderlich machen.
Bei ihren Landgängen dringen Touristen vor allem in empfindliche Naturräume, aber auch in die Lebenswelt der einheimischen Bevölkerung ein. Die arktischen Staaten haben Bestimmungen entwickelt, mit denen die Zahl der Touristen begrenzt und die Sicherheitsanforderungen an die Schiffe hoch gehalten werden. Geplant ist die Erarbeitung eines Verhaltenskodex für arktische Landgänge.
Unter dem Dach des Antarktis-Vertrags gibt es einen Ausschuss der nationalen Tourismusbeauftragten, der einschlägige Regeln für den Besuch der Antarktis entwickelt hat und die Zahl der jährlichen Besucher so zu begrenzen sucht, dass sich die durch Touristen verursachten Schäden in Grenzen ­halten.
Die Arbeit des Arktischen Rates und seiner Arbeitsgruppen hat zu einer realistischen Einschätzung des Umfangs möglicher Schäden beigetragen und die Entwicklung von Gegenstrategien gefördert. Bisher haben sich die arktischen Staaten jedoch nur auf konkrete Maßnahmen zur Seenotrettung und zur Verhinderung von Meeresverschmutzungen geeinigt. Die meisten Anliegerstaaten haben nationalen Regelungen den Vorzug gegeben. So hat Kanada bereits 1985 einen Arctic Waters Pollution Prevention Act erlassen. Dieser nimmt Bezug auf Artikel 234 des Seerechtsübereinkommens und soll die nationale Kontrolle über die Wasserwege Kanadas und deren Schutz vor Verschmutzungen sicherstellen.

Souveränität schützen

Obwohl der Kreis der Arktis-Staaten überschaubarer ist als der des Antarktis-Vertrags, fallen die großen Unterschiede zwischen den sehr auf nationale Souveränität pochenden Nordamerikanern und Russen einerseits und den stark an engerer Zusammenarbeit interessierten Skandinaviern auf.
Da die Tätigkeit des Arktischen Rates maßgeblich von dem Staat geprägt wird, der für zwei Jahre den Vorsitz innehat, wechseln sich Perioden der Betonung nationaler Souveränität mit solchen des institutionellen Ausbaus ab, die zum Beispiel zur Gründung des Sekretariats und der Aufwertung der Gruppe Hoher Beamter zu einem inoffiziellen Führungsgremium zwischen den Ratstagungen geführt haben. Gegenwärtig hat Kanada den Vorsitz (2013 bis 2014); die Regierung in Ottawa betont die wirtschaftliche und politische Entwicklung ihrer arktischen Gebiete. Wenn danach die Vereinigten Staaten den Vorsitz übernehmen, dürfte die Verhinderung des Eindringens von Terroristen und damit die Heimatverteidigung im Vordergrund stehen.
Kanada und Russland haben gerade verlaufende Küstenlinien um ihre Inseln und Halbinseln in der Arktis gezogen. Sie beanspruchen die in diesen Räumen liegenden Wasserstraßen als Teil ihres Hoheitsgebiets und machen die Durchfahrt fremder Schiffe von vorherigen Genehmigungen, der Beachtung bestimmter Regeln und der Zahlung von Passagegebühren abhängig. Dies betrifft sowohl die durch den arktischen Archipel Kanadas verlaufende Nordwestpassage als auch den Nördlichen Seeweg entlang der Küsten Sibiriens. Die anderen arktischen und nichtarktischen Staaten erkennen diese Vorgaben jedoch nicht an und bestehen stattdessen auf freier Durchfahrt.
Die Mitglieder des Antarktis-Vertrags haben sich in den vergangenen 50 Jahren auf ein Regelwerk von inzwischen über 250 Einzelmaßnahmen verständigt, jedoch nur fünf Konventionen zum Schutz der antarktischen Umwelt verabschiedet. Am nachhaltigsten dürften sich jedoch der bereits im Vertrag vereinbarte Verzicht auf Atomanlagen und das Scheitern der Konvention zur Ausbeutung der antarktischen Bodenschätze auswirken, welche die Antarktis zu einer kernwaffenfreien Zone machen. Die geringe Zahl der abgeschlossenen Konventionen lässt sich auf die Tatsache zurückführen, dass die Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Interessen verfolgen und alle Entscheidungen im Konsensverfahren getroffen werden müssen.

Stabilität sichern

Die Ausgangsfrage lautete, welchen Beitrag der Arktische Rat und der Antarktis-Vertrag zur regionalen Stabilität leisten. Eine wesentliche Voraussetzung von Stabilität ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Staaten der Region bzw. derjenigen Länder, die spezifische Interessen in der Region haben. Sie müssen die Fähigkeit besitzen, Konflikte einvernehmlich oder mit Hilfe anerkannter Schiedsinstanzen zu lösen.
In beiden Regionen gibt es latente Territorialkonflikte. In der Arktis betreffen sie – abgesehen von dem unerheblichen Fall der Felseninsel Hans zwischen Grönland und Kanada – keine Landgebiete, sondern Schelf- und Seegrenzen. Für den Konflikt zwischen den USA und Kanada über den Verlauf der Seegrenze in der Beaufort-See ist eine Lösung noch in diesem Jahr zu erwarten, da beide Länder auf den meisten Gebieten eng zusammenarbeiten.
Für die Grenze in der Beringsee wurde 1989 zwischen den USA und Russland bzw. der damals noch existierenden Sowjetunion eine Vereinbarung getroffen, die jedoch von der russischen Duma bisher nicht ratifiziert wurde. Ungeklärt sind auch die Definition und Nutzung der erweiterten Territorialgewässer um Spitzbergen. Norwegen beansprucht diese als nationales Hoheitsgebiet, während die EU und Russland davon ausgehen, dass für diese Gewässer die Regelungen des Spitzbergen-Vertrags von 1920 ebenfalls gelten und sie damit allen Staaten zur Nutzung offen stehen.
Nach mehr als 40 Jahren ergebnisloser Verhandlungen ist es Norwegen und Russland jedoch 2010 gelungen, einen Kompromiss über den Verlauf der Seegrenze in der Barentssee zu vereinbaren. Er wurde erleichtert durch die Feststellung der UN-Kommission zur Festlegung der Grenzen des Kontinentalschelfs (CLCS), dass das umstrittene Seegebiet auf dem Festlandsockel beider Länder läge und diese daher gemeinsam eine Lösung finden müssten. Die vielfältige Kooperation zwischen Oslo und Moskau nach dem Ende des Kalten Krieges hat sicher dazu beigetragen, eine entsprechende Vertrauensbasis zu schaffen.
Sehr viel schwieriger dürfte die Zuordnung der mittelarktischen Seerücken sein. In wenigen Jahren muss sich die CLCS mit der Frage befassen, ob der Lomonossow-Rücken – wie von Moskau behauptet – eine Fortsetzung der sibirischen Landmasse oder aber des nordamerikanischen Kontinents – das heißt Grönlands und Nordkanadas – ist. Russland hat seit seinem ursprünglichen Antrag an die CLCS (2002) durch verschiedene Aktionen – zum Beispiel 2007 durch das Ablegen seiner Flagge auf dem Meeresgrund unter dem Nordpol sowie durch Erklärungen von Präsident Wladimir Putin – die Bedeutung unterstrichen, die Moskau dem Besitz des Lomonossow-Rückens und damit des Nordpols zumisst.
Dem Arktischen Rat fehlt zwar eine vertragliche Grundlage, seine Mitglieder können zur Konfliktregelung aber auf die mit dem Seerechtsübereinkommen geschaffenen Institutionen zurückgreifen: auf die CLCS und den in Hamburg angesiedelten Seegerichtshof. Gerade im Hinblick auf die noch nicht abschließend geregelten Seegrenzen kommt der CLCS und ihren Empfehlungen große Bedeutung zu. Allerdings kann sie keine bindenden Entscheidungen treffen, sondern nur Empfehlungen aussprechen, die dann von den Staaten umgesetzt werden müssen.
Theoretisch können auch die Mitglieder des Antarktis-Vertrags auf diese beiden Institutionen zurückgreifen. Die zwischen ihnen auftretenden Konflikte beziehen sich jedoch – mit Ausnahme des argentinischen Festlandsockels – nicht auf Seegrenzen, sondern auf historische Ansprüche auf Sektoren des unbesiedelten antarktischen Kontinents. Als Schiedsinstanz verweist der Vertrag seine Mitglieder daher für den Fall, dass ein Konflikt nicht durch Verhandlungen, Vermittlung oder Schiedsverfahren beigelegt werden kann, an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Die Antarktis-Konsultativversammlungen konzentrieren sich vor allem auf organisatorische Fragen; Vertragsangelegenheiten, zum Beispiel die Aushandlung und Verabschiedung von Konventionen, gehören dagegen zu den Obliegenheiten von Regierungskonferenzen; Sachfragen (Kommunikationssysteme, Schifffahrt) werden auf Expertentreffen erörtert. Eine besondere Bedeutung hat der Antarktische Forschungsausschuss (SCAR), der alle zwei Jahre Vollversammlungen abhält, auf denen die Forschungsprogramme der Mitgliedstaaten koordiniert werden; an diesen Sitzungen nehmen deshalb auch die nationalen Forschungsbeauftragten teil.

Die Umwelt schützen

Ein wichtiges Ziel sowohl des Arktischen Rates als auch des Antarktis-Vertrags ist der dauerhafte Schutz der Umwelt. Am Südpol sollen vor allem die Verbringung von Schadstoffen auf einen bisher sehr „reinen“ Kontinent verhindert und der Erhalt der antarktischen Flora und Fauna gesichert werden. Im Norden geht es darum, die Folgen des Klimawandels abzuschätzen und geeignete Gegenstrategien zu entwickeln. Die Auswirkungen der Klimaerwärmung sind teilweise dramatisch: So schmilzt in Grönland die jahrhundertealte Eisdecke ab und führt weltweit zu einer Erhöhung des Meeresspiegels. In Alaska ebenso wie in anderen Regionen taut der Permafrost und gefährdet Straßen, Pipelines und Gebäude.  
Das Schmelzen des Seeeises an den Küsten Grönlands und Nordkanadas gefährdet die Überlebensfähigkeit der dortigen Inuit, die ihre traditionelle Jagdbeute – Robben, Wale und Eisbären – nicht mehr mit ihren Schlitten erreichen können. Ähnliche Probleme haben die indigenen Bewohner Nordsibiriens, deren Beute weniger und schwieriger zu erreichen ist. Hinzu kommen die in fast allen nördlichen Regionen auftretenden Gefahren durch auslaufendes Schiffsöl und die Havarie von Ölbohrplattformen. Da von diesen Veränderungen alle Arktis-Staaten betroffen sind, eint sie ihre gemeinsame oder miteinander abgestimmte Bewältigung. Trotz unterschiedlicher Interessen in anderen Fragen ist dies ein gemeinsames Band, das sie stärker als jeder internationale Vertrag zusammenhält.
Die Mitglieder des Antarktis-Vertrags haben mit weit geringeren Problemen zu kämpfen. Sie sind bemüht, den Vertrag mit Leben zu füllen und insbesondere die Erforschung der Antarktis zu fördern sowie den Umweltschutz zu verbessern. Hinzu kommt, dass sich aus der Erfahrung, aufeinander angewiesen zu sein, in der Arktis eine gemeinsame Vertrauensbasis entwickelt hat, die den Mitgliedern des Antarktis-Vertrags fehlt.
Natürlich ist das große gemeinsame Vertrauen im Kreis der acht Arktis-Staaten nicht ungefährdet, aber gegenwärtig eine Realität. Es führt dazu, dass das arktische System stärker als das der Antarktis in der Lage ist, regionale Stabilität zu gewährleisten, obwohl ihm eine gemeinsame Vertragsbasis fehlt.

Prof. Dr. 
Helga -Haftendorn 
lehrte bis Ende 2000 Internationale 
Beziehungen an 
der FU Berlin.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2014, S. 106-113

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