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12. Dez. 2007

Mit gutem Beispiel voran

... in der Energie- und Klimapolitik: eine Aufgabe für Deutschland und die EU

Die Aufgabenstellung ist anspruchsvoll: krisenflexibel soll sie sein, umweltverträglich, effizient und gerecht. Deutschland und die EU sollten in der Energie- und Klimapolitik eine Vorreiterrolle übernehmen und mit der Einführung einer CO2-Steuer notwendige Veränderungen in Gang setzen.

Energie- und Klimapolitik gehören zu den anspruchsvollsten Gestaltungsaufgaben, vor denen die internationale Politik heute steht. Es geht dabei um eine äußerst komplexe politische Herausforderung, die die Zukunft unserer Gesellschaft bestimmen wird und in ihren politischen Dimensionen gleichermaßen Innen- wie Außenpolitik betrifft.

Diese Herausforderung reicht mehrere Dekaden in die Zukunft, aber sie beginnt heute. Um ihr gerecht zu werden, bedarf es einer umfassenden politischen Konzeption und einer Herangehensweise, die eine Vielzahl einzelner Facetten des Problems zusammenführt und sie integriert bearbeitet. Dass das für die Politik nicht einfach sein wird, liegt auf der Hand. Erspart dürfte es ihr allerdings in keinem Falle bleiben, sich mit dieser Herausforderung auseinanderzusetzen – wenn nicht jetzt und vorausschauend, dann später und in krisenhaften Zuspitzungen.

Vier Problembereiche stehen dabei im Mittelpunkt:

  1. eine sichere und nachhaltige Energieversorgung,
  2. der Schutz des Klimas,
  3. der Umbau des Weltenergiesystems weg von Erdöl und Erdgas und hin zu langfristig nachhaltigen Energieträgern,
  4. die Verteilungsgerechtigkeit: Energie- und Klimapolitik müssen so gestaltet werden, dass die Chancen der Dritten Welt gewahrt bleiben, zu unserem Wohlstandsniveau aufzuschließen – und natürlich würden wir dabei auch gerne die Lebensqualität unserer eigenen, reichen Gesellschaften bewahren.

Unsere Energieversorgungssicherheit ist aufgrund ausgeprägter energiewirtschaftlicher und auch politischer Abhängigkeiten von unsicheren Förder- und Transitländern bereits heute gefährdet. So erhielt Deutschland 2004 ein Drittel seiner Erdölimporte und fast ein Viertel seiner Erdgasimporte aus Russland.1

Die globale Klimaerwärmung schreitet so rasch voran, dass für eine halbwegs effektive Eindämmung des Treibhauseffekts nach Einschätzung der Experten der Internationalen Klimakommission IPCC nur noch ein enges Zeitfenster von etwa acht Jahren bleibt. Und das in einer Situation, in der dringend mehr Wachstum gebraucht wird, um einer rasch wachsenden Weltbevölkerung, die mehrheitlich noch immer bitter arm ist, zu einem unserem Wohlstandsniveau wenigstens einigermaßen vergleichbaren Lebensstandard zu verhelfen.

Die Energieversorgung in weiten Teilen Afrikas südlich der Sahara deckt nicht einmal den jährlichen Mindestbedarf der Menschen und wird zum größten Teil über die Verbrennung traditioneller Biomasse (beispielsweise Holz oder Dung) erzeugt.2 Wenn also in der Entwicklungspolitik nicht in erster Linie CO2-arme, nichtfossile Energieformen zum Einsatz gelangen, wird sich die Umsetzung der Millenniumsziele energie- und klimapolitisch kaum verkraften lassen.

Langfristig müssen aufgrund der absehbar schon bald rückläufigen Erdöl- und Erdgasförderung3 sowie mit Blick auf die inzwischen deutlich erkennbaren, schwerwiegenden Auswirkungen der bei der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle anfallenden CO2-Emissionen (Treibhauseffekt) auf das Weltklima4 diese Energieträger durch andere, umweltverträgliche ersetzt werden. Daneben muss Energie insgesamt sehr viel effizienter genutzt werden, als dies heute der Fall ist.

Vier Leitsätze für die Energiepolitik

Bei aller Komplexität dieser vier Aufgaben lassen sich doch Wege aufzeigen, wie sie politisch gemeistert werden können. Die folgenden vier Leitsätze wenden sich an die Adresse der deutschen Energiepolitik, die freilich nur mit ihren europäischen Partnern und über weit reichende, regionale und globale Kooperation in der Lage sein wird, Fortschritte bei der Bewältigung dieser energie- und klimapolitischen Herausforderungen zu erzielen.

1. Versorgungssicherheit ist die Grundlage jeder Energiepolitik.

Die deutsche sowie die europäische Energieversorgung sind und bleiben aufgrund der Konzentration der Erdöl- und Erdgas-Exportkapazitäten in krisengefährdeten Regionen (wie dem Persisch/Arabischen Golf, Russland oder Zentralasien) auf absehbare Zeit anfällig für größere Versorgungsstörungen.5 So geht die EU-Kommission in ihrem Grünbuch zur Versorgungssicherheit aus dem Jahr 2001 davon aus, dass 2020 die Hälfte der Ölimporte der EU aus den OPEC-Staaten kommen werden. Ihre Gasimporte wird die EU zu diesem Zeitpunkt laut derselben Quelle zu 60 Prozent über russische Lieferungen decken.6

Es gilt dabei, zwischen zwei unterschiedlichen Risikotypen zu unterscheiden. Der erste Risikotyp ist politischer Natur: Förderländer oder Konzerne können Lieferunterbrechungen androhen oder auch nur andeuten und so versuchen, politischen Einfluss auszuüben oder einseitig Preiserhöhungen durchzusetzen. Beispiele hierfür wären die arabische „Ölwaffe“ 1973 oder das Vorgehen Russlands gegen Weißrussland und die Ukraine in den Wintern 2005/06 bzw. 2006/07. Der zweite Typ von Risiken umfasst Störungen etwa im Gefolge von Kriegen, Bürgerkriegen, Terroranschlägen oder Naturkatastrophen, die nicht auf Akteure mit politischen Zielsetzungen gegenüber den Verbraucherländern zurückgehen. -Beispiele hierfür wären der Preisanstieg auf den Welterdölmärkten im Gefolge des Hurrikans „Kathrina“ oder das Auf und Ab der Erdölpreise in Reaktion auf die politischen Entwicklungen in der Golf-Region.

Der Schlüssel zu Versorgungssicherheit und politischer Unabhängigkeit liegt in der Krisenflexibilität der Energiesysteme. Kommt es zu unerwarteten, schwerwiegenden Versorgungskrisen, dann müssen kurzfristig alternative Energiequellen gefunden, neue Versorgungsrouten aufgebaut und Einsparpotenziale mobilisiert werden. Damit das gelingt, müssen rechtzeitig Vorkehrungen für den Krisenfall getroffen werden. Dies geschieht am wirkungsvollsten durch eine Kombination funktionierender Wettbewerbsmärkte und flankierender staatlicher Maßnahmen.

Zu den Flexibilitätsreserven, die Energiesicherheit verbessern könnten, zählen etwa:

  • ungenutzte Produktionskapazitäten nicht betroffener Förderländer, die rasch aktiviert werden können,
  • Erdöl- und Erdgasvorratslager, die herangezogen werden können, um Lieferengpässe zu überbrücken,
  • freie Kapazitäten im Transport (alternative Pipelinerouten, Tanker) und (bei Erdöl) in der Verarbeitung (Raffinerien), um die verfügbaren Mengen flexibel dorthin umlenken zu können, wo die Engpässe am gravierendsten sind,
  • Kraftwerke, die in der Lage sind, kurzfristig von Öl oder Erdgas auf Kohle oder andere Energieträger umzustellen,
  • Einsparmaßnahmen (etwa Fahrverbote) auf der Nachfrageseite, die den Verbrauch kurzfristig und ohne gravierende Auswirkungen drosseln können.

Genauso funktioniert das Versorgungs-Sicherheitssystem der Internationalen Energieagentur (IEA): Kommt es zu schweren Versorgungsengpässen, müssen alle Mitglieder vertragsgemäß zunächst ihren Erdölverbrauch drosseln. Sodann wird auf die „strategische“ Erdöl-Vorratshaltung zurückgegriffen, die die Mitgliedstaaten in einem von der IEA vorgeschriebenen Umfang (derzeit 90 Tage des normalen Erdöl-Einfuhrbedarfs des Mitgliedslands) zu unterhalten verpflichtet sind, und schließlich werden die verfügbaren Mengen an Öl unter allen Mitgliedern gleichmäßig verteilt.

Versorgungssicherheit kann nicht durch Autarkie, also Energieunabhängigkeit, erreicht werden. Absolute Versorgungssicherheit wird es auf absehbare Zeit nur für wenige Länder (wie etwa Norwegen) geben. Aufgrund ihrer weltwirtschaftlichen Verflechtungen könnten jedoch selbst diese Länder den negativen Folgen einer internationalen Energiekrise nicht entkommen. Es geht also darum, die unvermeidlichen, aber im Einzelnen unterschiedlich gelagerten Versorgungsrisiken für alle gemeinsam zu managen. Denn in den globalen Energiemärkten dominieren die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Energieimportländern, Transitländern und Exporteuren. Exporteure von Energie, die oft kaum andere Ausfuhreinnahmen vorzuweisen haben, und die großen Transitländer sind nicht selten ebenso existenziell auf Absatzmärkte bzw. Transiterlöse angewiesen wie etwa Deutschland, die USA oder China auf Energieeinfuhren.

Eine effektive Zusammenarbeit kann die Risiken für alle von den internationalen Energiemärkten Abhängigen verringern und beherrschbar machen. Dies setzt voraus, dass alle Beteiligten ihren Teil dazu beitragen. Im Sinne des ersten energiepolitischen Leitsatzes bedeutet dies für Deutschland und die Europäische Union, die Krisenflexibilität ihrer Energiesysteme systematisch zu überprüfen und ggf. zu verbessern. Damit haben wir bereits unseren zweiten energiepolitischen Leitsatz eingeführt.

2. Nationale bzw. europäische Energiepolitik muss international eingebettet werden.

Alle zentralen energie- und klimapolitischen Herausforderungen sind ihrer Natur nach global, sie lassen sich demnach auch nur noch global und multilateral bewältigen. Deshalb gilt es, bestehende internationale Regelwerke für die Weltenergiemärkte bei Erdöl und Erdgas – wie die gemeinsame Energiepolitik der EU, die IEA oder das Internationale Energieforum, in dem Förder- und Verbraucherländer zusammenarbeiten – auszubauen und auch neue Strukturen zu schaffen. Alle wichtigen Förder-, Transit- und Verbraucherländer müssen auf regionaler bzw. globaler Ebene in die Zusammenarbeit eingebunden werden. Auf einer nachgeordneten zweiten Ebene sollten auch die im Bereich der Förderung, des Transits und der Vermarktung von Erdöl und Erdgas dominierenden Großunternehmen berücksichtigt werden.

Diese zweite Leitlinie reflektiert elementare Gegebenheiten des internationalen Energiesystems: Die internationalen Märkte für Erdöl und Erdgas sind oligopolistisch und hochgradig politisiert. Die Frage ist deshalb nicht, ob, sondern wie diese Märkte politisch eingebettet sind. Aufgrund der Wohlstandsgewinne haben Förderländer, Transitstaaten und Verbraucherländer gleichermaßen ein vitales Interesse an einer langfristig berechenbaren, abgestimmten und krisenfreien Abwicklung des internationalen Erdöl- und Erdgashandels und der damit zusammenhängenden Kapitalströme. Natürlich gibt es daneben ausgeprägte Interessenkonflikte zwischen den Beteiligten, z.B. über Preisgestaltung und Gewinnverteilung. Aber auch politische Konflikte können auf die Energiemärkte durchschlagen, wenn Abhängigkeiten so ausgeprägt einseitig sind, dass sie sich zur politischen Einflussnahme bis hin zur Erpressung („Ölwaffe“) nutzen lassen. Konflikte im Weltenergiesystem sind also vorprogrammiert.

Gelingt es den Staaten nicht, ihre Interessen und Konflikte in einem funktionierenden Verhandlungsrahmen zu bearbeiten, wird eine sachliche Lösung der Probleme nur noch schwer möglich sein. Für die unterschiedlichen Herausforderungen müssen dabei auch unterschiedliche Institutionen geschaffen werden. Das Internationale Energieforum könnte Keimzelle für eine langfristige Kooperation im Energiebereich sein, der (vorerst leider gescheiterte) Energiechartavertrag ein mögliches Vorbild, das vielleicht sogar neu belebt werden könnte.

Auch die langfristigen klimapolitischen Herausforderungen lassen sich nur im globalen Rahmen bearbeiten. Hier können nachhaltige Erfolge nur dann erreicht werden, wenn es gelingt, die großen Schwellen- und Entwicklungsländer einzubinden, die ihren Energiehunger hauptsächlich mit Öl, Gas und Kohle stillen. Selbst wenn alle Unterzeichnerstaaten des Kyoto-Protokolls ihre Verpflichtungen punktgenau erfüllen würden, wäre damit nur ein kleiner Teil des weltweiten CO2-Ausstoßes abgedeckt. So hat allein China im Jahr 2003 mehr als vier Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen und seine Emissionen seit 1990 damit um mehr als 70 Prozent gesteigert. Indien hat in demselben Jahr zwar „nur“ eine Milliarde Tonnen CO2 emittiert. Dies entspricht aber einer Steigerung um fast 90 Prozent gegenüber 1990! Übertroffen wird dieser prozentuale Wert lediglich durch Indonesien, das seine Emissionen verdoppelt hat, allerdings auf „nur“ 300 Millionen Tonnen.7

Es muss vordringlich die Aufgabe der Industriestaaten sein, einen institutionellen Rahmen zu schaffen, der alle betroffenen Staaten auf einen aktiven und wirksamen Klimaschutz verpflichtet, den ärmeren Ländern hierfür aber auch Anreize und Hilfestellungen bietet und gleichzeitig zu einer gerechten Verteilung der entstehenden Gewinne und Belastungen beiträgt. Eine erste Chance hierzu bieten die Verhandlungen zu einem Nach-2012-Abkommen im Rahmen des Kyoto-Prozesses. Die Unterstützung aller G8-Staaten für einen solchen Verhandlungsrahmen war dabei ein Schritt in die richtige Richtung.8

3. Die Steuerungswirkung der Energiepreise sollte konsequent genutzt werden.

Das Energiepreisniveau insbesondere in den Industriestaaten muss systematisch, schrittweise und kontinuierlich über einen längeren Zeitraum hinweg angehoben werden. Dazu sollte Deutschland die EU für eine über mindestens 15 Jahre hinweg verbindliche, über Besteuerung des Endverbrauchs (am besten auf Kohlendioxid-Basis) zu realisierende jährliche Erhöhung der nominalen Energiepreise um vier bis sechs Prozent gewinnen. Dabei geht es um eine stetige, längerfristig berechenbare und volkswirtschaftlich verkraftbare Anhebung der realen Energiekosten, um so größere Planungssicherheit für Anpassungsmaßnahmen auf der Angebots- wie der Nachfrageseite zu schaffen.

Eine solche Erhöhung der realen Energiekosten böte die besten Chancen, umfassende Veränderungsprozesse im Weltenergiesystem einzuleiten und voranzutreiben, dabei zugleich auch die Versorgungssicherheit der Verbraucherländer zu verbessern, den Treibhauseffekt einzudämmen und die Machtverhältnisse in den Weltenergiemärkten auszutarieren. Denn die Gewissheit, dass sich die Energiepreise über einen längeren Zeitraum stetig erhöhen werden, würde eine enorme Innovationsdynamik entfalten und damit die Angebots- wie die Nachfrageseite vermutlich rascher und grundlegender verändern, als uns dies heute vorstellbar sein mag. Dadurch würden auch neue volkswirtschaftliche Wachstumsimpulse entstehen, die die Wachstum dämpfenden Effekte höherer Energiepreise kompensieren könnten.

In ihren Auswirkungen würde die vorgeschlagene CO2-Steuer zu einer indirekten Förderung CO2-armer Energieformen führen. Deren Wettbewerbsfähigkeit würde sich gegenüber den fossilen Energieträgern mittelfristig radikal verbessern. Die direkte Förderung regenerativer Energieformen könnte damit möglicherweise überflüssig werden. Allerdings müsste darauf geachtet werden, dass die Steuerungswirkungen sozial abgefedert sind. Ein Teil der Steuereinnahmen aus der CO2-Steuer müsste dazu verwendet werden, die unteren Einkommensschichten zu entlasten bzw. die für sie ja empfindlich höheren Energieausgaben zu kompensieren.

4. Deutschland sollte in der EU und die EU sollte in der (industrialisierten) Welt als Vorreiter einer konsequenten internationalen Energie- und Klimapolitik agieren.

Hierfür gibt es viele Gründe. Kurzfristig ist es die recht hohe Abhängigkeit Deutschlands von einem einzelnen Energielieferanten – Russland –, die zu einer aktiven Politik der Energiesicherheit drängt. Von einer Stabilisierung der Weltenergiebeziehungen, aber auch von einer nationalen wie internationalen Vervielfältigung der Energiequellen kann kaum ein Staat so profitieren wie die Bundesrepublik. Auch die EU hat in diesem Bereich einen enormen Handlungsbedarf, muss sie doch ihre internationale Positionierung gegenüber offensiven Nachfragemächten wie China und Indien, aber auch gegenüber einer zunehmend politisierten Angebotsseite behaupten und ausbauen.

Für die langfristigen Herausforderungen ergibt sich ein etwas anderes Bild. Die Auswirkungen des Klimawandels sind für die Staaten der EU zumindest bis zum Jahr 2030 vergleichsweise wenig gravierend und könnten mit den bestehenden technologischen Instrumenten weitgehend abgefangen werden.9 Hier sind es also eher ethische Erwägungen, die zu einer Vorreiterrolle drängen. Tatsächlich haben die reichen Staaten ihre wirtschaftliche Entwicklung dadurch ermöglicht, dass sie riesige Mengen an Energieressourcen verbrannt und damit den weltweiten CO2-Ausstoß drastisch gesteigert haben. Da die Entwicklungsländer hieraus eine besondere Verantwortlichkeit der Industriestaaten ableiten, führt für diese wohl kein Weg daran vorbei, sich dieser Verantwortung zu stellen. Wirksamer Klimaschutz kann nur unter Einbindung der Staaten der Dritten Welt erreicht werden; diese Einbindung wird aber nur dann gelingen, wenn die Industriestaaten mit gutem Beispiel vorangehen und eine wirksame Klimaschutzpolitik betreiben.

Die vierte Leitlinie fordert Deutschland dazu auf, sich für eine wirklich gemeinsame europäische Energiepolitik einzusetzen. Die jüngste Unterstützung der Bundesregierung für einen energiepolitischen Abschnitt im neuen EU-Reformvertrag ist vor diesem Hintergrund ein sinnvoller und überfälliger Politikwechsel.

Im Zusammenhang mit der europäischen Energieversorgungssicherheit sollte Deutschland hier insbesondere die Bedenken der osteuropäischen Mitgliedstaaten ernst nehmen und in der eigenen Energiepolitik berücksichtigen. Hier ist viel Porzellan zu kitten, das beispielsweise durch die unzureichende Vermittlung des Nord-Stream-Projekts (Ostseegaspipeline) zerschlagen wurde. Praktisch bedeutet eine solche Politik, dass sich Berlin für eine Vervielfältigung der Energiequellen der EU und für einen funktionierenden, wettbewerbsbestimmten europäischen Energiemarkt einsetzen sollte, der zu einer besseren Verteilung der Energieressourcen und zu größerer Versorgungssicherheit beitragen könnte.

Ein besonderes Merkmal der deutschen Energiepolitik sind die engen Beziehungen zu Russland. Diese Beziehungen sollte Deutschland zukünftig stärker als bisher nutzen, um Russland in internationale energiepolitische Institutionen einzubinden. Langfristig sollte die Bundesregierung nach dem Scheitern des Energiecharta-Vertrags darauf hinarbeiten, Russland und die EU in ein gemeinsames energiepolitisches Regelwerk einzubinden. Auch sollte sich Deutschland in seinen Beziehungen mit Russland als Anwalt der osteuropäischen Mitgliedstaaten verstehen. Gelingt es Deutschland, von den anderen beteiligten Staaten als vertrauenswürdiger Vermittler in energiepolitischen Konflikten akzeptiert zu werden, kann es seinen Einfluss zugunsten einer Stabilisierung und Entpolitisierung der Energiebeziehungen einsetzen.

In der Klimaschutzpolitik sollte sich Deutschland insbesondere für die Umsetzung des Reduktionsziels für CO2 von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 einsetzen und mit gutem Beispiel vorangehen. Ein nationaler Plan zur Umsetzung des Europäischen Klimaschutzziels sollte zügig aufgestellt und die selbst gesetzten Ziele sollten energisch umgesetzt werden. Auf der Basis einer solchen Politik könnte Deutschland dazu beitragen, die anderen Mitgliedstaaten ebenfalls zu einer effizienten nationalen Umsetzung des EU-Klimaschutzziels zu bewegen. Weltweit sollte sich Deutschland auch weiterhin für ein verbindliches Reduktionsziel von 30 Prozent bis zum Jahr 2020 stark machen und zugleich für eine koordinierte Energiesteuerpolitik werben. Dabei sollte es Forderungen nach einer Einbindung der Entwicklungs- und Schwellenländer mit der Bereitschaft verbinden, diese für eventuelle Wohlstandsverluste zu entschädigen.

Ökonomisch sollte Deutschland seine führende Position bei energie-technologischen Innovationen weiter ausbauen und bewusst nutzen. Gelingt es einer erneuerbaren Energieform oder einer energieeffizienten Technologie, sich auf dem deutschen Markt durchzusetzen, erleichtert dies perspektivisch ihre weltweite Durchsetzung. Hier liegt eine große Chance für die deutsche Energiewirtschaft, aber auch für die Energiepolitik. Zu klären ist dabei, wie entstehende Innovationen möglichst rasch und kostengünstig an Entwicklungs- und Schwellenländer weitergegeben werden können, ohne die wirtschaftlichen Anreize für die weitere Technologieentwicklung zu reduzieren.

Dreh- und Angelpunkt deutscher Energiepolitik sollte jedoch die Erhöhung der Energiepreise über die CO2-Steuer im Rahmen der Europäischen Union sein. Eine glaubwürdige Weichenstellung für eine solche Politik würde schon heute die Machtverhältnisse im internationalen Energiesystem verschieben und somit die Politisierung der internationalen Energiebeziehungen zurückdrängen. Zugleich wäre dies ein Signal an die Adresse der nachdrängenden Wirtschaftsmächte in Asien und Lateinamerika: Die alten Industriestaaten könnten mit einer solchen Politik deutlich machen, dass sie sich ernsthaft von einem zivilisatorischen Modell lösen wollen, das die Mobilität des Einzelnen durch individuelle Motorisierung mit einem Ausmaß an Energieverschwendung bezahlte, der für den Rest der Menschheit auf der Grundlage der heutigen Technologien schlicht unmöglich ist.

Prof. Dr. HANNS W. MAULL, geb. 1947, lehrt an der Universität Trier Politikwissenschaft.

MICHAEL SANDER, geb. 1979, ist Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung und Doktorand an der Universität Trier.

  • 1Die genauen Mengen sind 33,7 Prozent für Öl- und 39,1 Prozent für Gasimporte. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Verfügbarkeit und Versorgung mit Energierohstoffen, Berlin 2007.
  • 2Das United Nations Development Programme gibt den jährlichen Energiemindestbedarf pro Kopf mit 50 Kilogramm Öläquivalent (kgoe) an. Die tatsächliche Versorgung liegt beispielsweise im Tschad bei 5 kgoe. Hier wäre also eine Verzehnfachung der Energieversorgung notwendig, um nur den notwendigen Mindestbedarf zu decken.
  • 3Colin J. Campbell, Frauke Liesenborghs und Jörg Schindler: Ölwechsel!, München 2007.
  • 4International Panel on Climate Change: Climate Change 2007. The Physical Science Basis, Cambridge 2007, S. 664–745, insb. S. 683–705.
  • 5Clingendael International Energy Programme: Study on Energy Supply Security and Geopolitics, The Hague 2004, einsehbar unter http://ec.europa,eu/comm/energy_transport/doc/2004_lv_ciep_report_en.pdf.
  • 6Europäische Kommission: European Greenpaper. Towards a European Strategy for the Security of Energy Supply, Luxemburg 2001, S. 37 f. und S. 66 f.; vgl. auch Europäische Kommission: Green Paper. A European Strategy for Sustainable, Competitive and Secure Energy, Brüssel 2007.
  • 7Die genauen Werte sind für China 4151 Millionen Tonnen und 72,8 Prozent, für Indien 1276 Millionen Tonnen und 87,9 Prozent sowie für Indonesien 296 Millionen Tonnen und 97,7 Prozent, UNSTATS (Hrsg.): Environmental Indicators. Climate Change. CO2-Emissions; http://unstats.un.org/unsd/environment/air_co2_emissions.html.
  • 8Summit Declaration of the G8: Growth and Responsibility in the World Economy, 7.6.2007, insb. S. 13–28.
  • 9International Panel on Climate Change: Climate Change 2007: Impacts, Adaption and Vulnerability, Cambridge 2007, S. 542–580, insb. S. 547–549.