Koloss auf tönernen Füßen
Zu groß, zu unbeweglich, zu überfrachtet: Die NATO braucht eine neue Zweckbestimmung
Die Allianz steckt in einer tiefen Anpassungskrise. Sie wird nur dann fortbestehen, wenn sowohl die Europäer als auch die Amerikaner deutlich machen, dass sie an der NATO als Risikogemeinschaft festhalten wollen. In der Zukunft muss sie viel flexibler werden, um die unterschiedlichen Anorderungen ihrer Mitgliedsländer weiterhin erfüllen zu können.
Mit seiner Kritik am Substanzverlust des Atlantischen Bündnisses und der Forderung nach einem verstärkten Nachdenken über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen1 hat der Bundeskanzler einen Stein ins Wasser geworfen, dessen Schockwellen rasch die Hauptstädte auf beiden Seiten des Atlantiks erreicht haben. Der Vorschlag Gerhard Schröders war aber zu unbestimmt, um dort und in Brüssel politische Reaktionen auszulösen. Vielmehr wurden Konkretisierungen erwartet und die Frage aufgeworfen, welche Motive Schröder mit seiner Rede verfolgt habe.
Dem Kanzler ist zweifellos zuzustimmen, dass die NATO „nicht mehr der primäre Ort [ist], an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und koordinieren“.2 Aus Sorge, durch eine solche Diskussion würden die Konflikte im Bündnis weiter vertieft, hat die Allianz darauf verzichtet, ihr 1999 angenommenes strategisches Konzept an die neuen Bedingungen nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 anzupassen. Dennoch führt die NATO – trotz unzulänglicher militärischer Fähigkeiten – auf dem Balkan und in Afghanistan eine Reihe von wichtigen Operationen erfolgreich durch.
Ein widersprüchlicher Befund
Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären? Das strukturelle Problem des Bündnisses besteht darin, dass es seit dem Ende des Ost-West-Konflikts seinen ursprünglichen Daseinszweck verloren hat, Verteidigung gegen eine akute militärische Bedrohung zu bieten. Sein dazu entwickeltes institutionelles Instrumentarium wurde aber im Wesentlichen beibehalten. An die Stelle der stets präsenten Bedrohung in der Mitte Europas sind nunmehr die weit weniger fassbaren Risiken des internationalen Terrorismus, der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen an so genannte „Problemstaaten“ und die vom Staatsversagen in vielen Regionen ausgehenden Instabilitäten getreten. Aus einer „alliance of commitment“ wurde eine „alliance of choice“3; an die Stelle vertraglich eingegangener Verpflichtungen treten freiwillige Leistungen.
Da ein neuer strategischer Grundkonsens im Bündnis aufgrund der Meinungsverschiedenheiten über Anlass und Umstände eines Einsatzes von militärischer Macht bisher nicht möglich ist, konzentriert sich die NATO stattdessen auf pragmatische Schritte, um ihre politische Relevanz und ihre militärische Reaktionsfähigkeit zu verbessern. Im November 2002 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten in Prag ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das allerdings noch nicht vollständig und zeitgerecht implementiert worden ist. Dazu gehören
- die Transformation der Bündnisstreitkräfte, um ihre Einsatz- fähigkeit, Interoperabilität und Kampfkraft zu verbessern. Die Europäer benötigen aber nicht ebenso anspruchsvolle Streitkräfte wie sie die USA besitzen; wichtig ist, dass sie mit den amerikanischen Truppen zusammenwirken können;
- die Schaffung einer NATO Response Force (NRF), welche zum einen dem Bündnis die Fähigkeit zu raschen Reaktionen und Einsätzen überall auf der Welt geben kann und die zum anderen als „benchmark“ für die Qualität ihrer Streitkräfte dienen soll;
- die Verstärkung der Verteidigung gegen und des Schutzes vor chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Waffen (CBRN) und die Aufstellung eines NATO-CBRN-Bataillons;
- die Neuordnung und „Verschlankung“ der NATO-Kommandostrukturen. Künftig tritt an die Stelle der geographischen eine funktionale Einteilung in ein Allied Command Operations (Brunsum) und ein Allied Command Transformation (Norfolk).4
Diese Maßnahmen haben aber bisher nicht ausgereicht, um den Dissens über Ziele und Strategien der Allianz zu überwinden. Die neuen weltpolitischen Risiken und die vielfältiger gewordenen Interessen ihrer nunmehr 26 Mitglieder erfordern eine neue Zweckbestimmung der NATO sowie ein verbessertes Pooling der Ressourcen und flexiblere Entscheidungs-prozesse als bisher. Diese müssen einerseits „Koalitionen der Willigen“ ermöglichen, andererseits aber einen gemeinsamen Abstimmungsrahmen bieten. Um diesen Widerspruch aufzulösen, ist ein verstärktes Nachdenken über Sinn und Zweck der Allianz und in der Allianz notwendig.
Das in Brüssel allgegenwärtige Gefühl der Malaise hat eine weitere Ursache in der Diskrepanz zwischen den Aufgaben, vor die sich das Bündnis gestellt sieht, und den Möglichkeiten, über welche es verfügt, um diese zu bewältigen. Gegenwärtig ähnelt das Bündnis einem Koloss auf tönernen Füßen. Um die Relevanz und Effektivität der NATO zu erhöhen, sind vor allem auf drei Gebieten Reformen erforderlich.5
1. Verbesserung der Streitkräfteplanung und -stellung
Obwohl die europäischen NATO-Partner mehr Soldaten unter Waffen haben als die USA (1,7 Millionen gegenüber 1,4 Millionen Mann), verfügt das Bündnis nicht über ein gemeinsames Streitkräftekonzept. Insbesondere ist die Truppenstellung für Nicht-Artikel-5-Operationen zu einem großen Problem geworden. Mit Ausnahme der britischen und französischen Truppen spiegeln diese in Dislozierung, Ausbildung und Bewaffnung noch weitgehend die Bedingungen des Ost-West-Konflikts wider und entsprechen nicht den neuen Anforderungen der Allianz. Außerdem sind in fast allen Ländern die Verteidigungshaushalte so stark beschnitten worden, dass die zuständigen Minister vor der Alternative stehen, die Mittel entweder für die Modernisierung der Streitkräfte oder für Auslandseinsätze auszugeben. Erschwerend wirkt die „goldene Regel“ der NATO, wonach alle Kosten für Auslandseinsätze – abgesehen von drei kleineren gemeinsamen Posten für Logistik, AWACS and Hauptquartiere – vom Entsendestaat getragen werden. Außerdem fehlt vielen Mitgliedsstaaten der politische Wille, um sich bei Missionen zu engagieren, bei denen ihre eigenen nationalen Interessen nicht direkt berührt sind. Dem unwürdigen Zustand, dass der NATO-Generalsekretär mit dem Hut in der Hand herumgehen und bei den Mitgliedern vor einem Einsatz um benötigte Fähigkeiten betteln muss, soll künftig durch langfristige Globalplanungen für alle NATO-Operationen abgeholfen werden.
Das Bündnis wird den unterschiedlichen Interessen seiner Mitglieder und der Komplexität sicherheitspolitischer Anforderungen dann am besten Rechnung tragen können, wenn es sich statt auf strategische Konzepte auf Vereinbarungen über eine Streitkräfteplanung konzentriert, die sich nicht an vermuteten Bedrohungen, sondern an vorhandenen Potenzialen orientiert.
Eine realistische Bestandsaufnahme der vorhandenen Kräfte und Möglichkeiten wird eher zu differenzierten militärischen Optionen führen als nicht eingehaltene Zusagen und Versprechungen. Dies heißt aber nicht, dass die Mitgliedsstaaten die Entwicklung einsatzfähiger, interoperabler Streitkräfte vernachlässigen könnten. Sie benötigen zusätzliche Kampfkraft und Fähigkeiten zur Machtprojektion über den engeren euro-atlantischen Raum hinaus, um die neuen internationalen Herausforderungen bewältigen zu können. In einem späteren Schritt ist dann vielleicht auch eine Vereinbarung über ein neues strategisches Konzept möglich.
2. Ergänzung der militärischen Instrumente durch politische Mittel
Im Wesentlichen ist die NATO ein militärisches Verteidigungsbündnis; ihre Aufgaben sind jedoch gegenwärtig vorwiegend politischer Natur. Für die Bewältigung der neuen Risiken reichen die militärischen Mittel des Bündnisses daher nicht aus; sie müssen durch politische Instrumente und Verfahren ergänzt werden. Dazu bieten sich folgende Möglichkeiten an:
a) Die Weiterentwicklung des Instrumentariums der NATO für zivile Aufgaben zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau, zum Beispiel durch den Aufbau einer Stabilization and Reconstruction Force (NSRF) parallel zur NRF, wie Binnendijk und Kugler vorschlagen.6 Aber würde eine derartige NSRF nicht eine Verdoppelung der von der Europäischen Union geplanten schnellen Reaktionsstreitmacht darstellen und mit dieser in Konkurrenz treten, vor allem wenn sich diese vorrangig auf die nicht unter Artikel 5 des NATO-Vertrags fallenden „Peterberg-Aufgaben“ konzentriert7?
b) Eine andere Möglichkeit besteht in der Intensivierung der bereits in Ansätzen vorhandenen institutionellen Zusammenarbeit mit anderen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie der Europäischen Union und deren Ausbau zu einem effektiven Netzwerk im Sinne von „interlocking institutions“. Jede Institution würde danach in einem eingeübten Zusammenspiel diejenigen Aufgaben übernehmen, für die sie am besten geeignet ist und sich für andere Anforderungen der Hilfe anderer Organisationen vergewissern.
c) Am vielversprechendsten ist eine konstruktive Verschränkung von NATO und EU, wobei die NATO gemäß „Berlin-Plus“ als Instrumentenkasten der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)8 und umgekehrt die ESVP als „tool box“ der NATO dienen können. Vorraussetzung ist jedoch, dass die EU/ESVP verlässlich die benötigten Hilfen bereitstellen kann.
3. Nutzung und Einhegung der EU-Dynamik
Wenn es der EU gelingt, glaubwürdige und rasch einsatzfähige Streitkräfte aufzubauen, könnte sie in Konkurrenz zur NATO treten. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn die EU/ESVP das gleiche Spektrum an Fähigkeiten zu entwickelt sucht, über welche die NATO verfügt. Im Vordergrund sollte stattdessen die Entwicklung einer konstruktiven Komplementarität im Sinne einer funktio- nalen Abstimmung und gegenseitigen Unterstützung stehen. Die NATO bliebe die führende Militärorganisation, die dann agiert, wenn entweder anspruchsvolle militärische Fähigkeiten, die Mitwirkung der Vereinigten Staaten oder die Projektion von überlegener Macht über den euro-atlantischen Raum hinaus gefragt sind. Ohne sich auf eine klar abgegrenzte Arbeitsteilung einzulassen, könnte sich die ESVP auf die Wahrnehmung von Stabilisierungs- und Rekonstruktionsaufgaben konzentrieren bzw. eingesetzt werden, wenn spezielle europäische Interessen tangiert sind.
Die Zukunft des Bündnisses
Die NATO der Zukunft wird eine wesentlich flexiblere Organisation als in der Vergangenheit sein. Wir leben in einer Zeit rascher Veränderungen, die sich auch in den Strukturen und Prozessen des Bündnisses widerspiegeln müssen. Nur dann wird es den sich weiter differenzierenden Interessen seiner Mitglieder Rechnung tragen können, ohne daran zu zerbrechen. Langfristig könnte die Allianz zu einem transatlantischen Clearing House werden, da drei Entwicklungen unübersehbar sind.
Zum einen wird die EU, wenn die gegenwärtige Dynamik anhält, eines Tages zu einer glaubwürdigen Macht heranwachsen, die zu autonomem Handeln in der Lage ist. Zweitens verstärkt sich in der NATO der Trend hin zu Operationen, an denen sich unterschiedliche Gruppierungen von Mitgliedsstaaten beteiligen und die verschiedenen Zwecken dienen (so genannte „coalitions of the willing“). Schließlich wirken schon heute in großem Maß Länder an NATO-Einsätzen mit, die nicht dem Bündnis angehören, ihm aber durch Partnerschaftsabkommen verbunden sind.
Konkret wird es künftig drei Arten von Operationen geben:
- Operationen, bei denen die NATO als Ganzes auf Beschluss des NATO-Rates aktiv wird und die unter dem Befehl von SACEUR bzw. einem anderen integrierten Kommando stehen;
- Operationen, die auf Beschluss des NATO-Rates erfolgen, an denen sich aber nicht alle oder nur einige Mitglieder und möglicherweise zahlreiche Nichtmitglieder beteiligen. Die operativen Entscheidungen würden dann auf Truppenstellerkonferenzen im Zusammenwirken mit dem NAC fallen;
- Operationen, die von einer Ad-hoc- Koalition unter den Regeln von „Berlin-Plus“ durchgeführt werden und die NATO-Fähigkeiten und Kräfte nutzen, wenn sich die NATO nicht als Ganzes engagieren will. Die Verantwortung liegt dann bei der EU, die sich jedoch um den Schulterschluss mit den NATO-Kommandobehörden bemühen wird.
NATO-Rat und Militärausschuss hätten dann die Funktion eines Weichenstellers auf dem transatlantischen „Verschiebebahnhof“ und wären nicht ein an klare Regeln gebundenes Führungsorgan. Wenn es sich um eine EU-Operation handelt, werden sie eng mit dem Politischen und Sicherheitskomitee (PSK) der EU zusammenarbeiten. Wenn sich eine größere Zahl von Nichtmitgliedern – etwa Staaten der Partnerschaft für den Frieden (PfP) und Dialogpartner an der Peripherie des euro-atlantischen Raumes – an der Operation beteiligt, werden sie den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPR) konsultieren, der für diese Aufgabe der EAPR allerdings einen kleinen organisatorischen Unterbau benötigt. Außerdem wäre es angesichts der großen Zahl der Mitglieder sinnvoll, konkrete Arbeitsaufträge an kleine, gemeinsame Arbeitsgruppen zu geben.
In der Zukunft wird das Bündnis also eine sehr viel lockere und flexiblere Gestalt haben. Es wird zusammengehalten durch gemeinsame Werte und Interessen sowie durch das gemeinsame Streitkräftepotenzial, das für sehr unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden kann. Die Nichtbeteiligung eines Landes an einer Operation ist nicht mehr ein kritikwürdiger Sonderfall, sondern Normalität. Manche Aktivitäten werden dadurch erleichtert, andere allerdings erschwert. Die Allianz wird aber nur dann fortbestehen, wenn sowohl die Europäer als auch die Amerikaner deutlich machen, dass sie an der NATO als Risikogemeinschaft festhalten wollen. Die USA können ihre sicherheitspolitischen Ziele zwar auch ohne die Mitgliedschaft in der Allianz verfolgen; aber eine NATO ohne die USA hat keinen Bestand. Das Bündnis wird so lange bestehen bleiben, wie es sich auf einen Grundbestand an Zielen und Bedrohungseinschätzungen stützen kann.
Empfehlungen
Der vom Bundeskanzler in München ins Wasser geworfene Stein wird nur dann Wirkung zeigen, wenn die Bundesregierung die beginnende Diskussion über die Zukunft des Bündnisses durch eigene Vorschläge anreichert. Zu diesem Zweck muss sie zunächst ihre eigenen sicherheitspolitischen Interessen definieren und darauf gestützt eine kohärente Bündnispolitik entwerfen, die zwar auf aktuelle Ereignisse reagiert, aber über den Tag hinaus Bestand haben kann. Um konstruktiv Einfluss auf die Diskussion nehmen zu können, muss sie eigene Vorschläge entwickeln, die zuvor mit den wichtigsten Partnerstaaten abgestimmt werden.9 Sie sollten folgende Elemente beinhalten:
- Konkretisierung des Vorschlags einer Task-Force zur Ausarbeitung von Vorschlägen für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen. Die Bundesregierung sollte in diesem Zusammenhang deutlich machen, dass Deutschland ein originäres Interesse am Fortbestand des Atlantischen Bündnisses als Risikogemeinschaft, als Sicherheitscaucus und als transatlantischer Transmissionsriemen hat.
- Die Task-Force sollte sich entsprechend den Vorschlägen des Bundeskanzlers aus unabhängigen Persönlichkeiten zusammensetzen. Sie sollte vom NATO-Generalsekretär eingesetzt werden und sich an der von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzten „Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel“10 orientieren und ihren Bericht dem Generalsekretär und dem Rat unterbreiten. Eine von der EU und den USA eingesetzte Gruppe würde nicht die realen Interessen im transatlantischen Raum widerspiegeln, da sie eine Reihe wichtiger Staaten (z.B. Kanada und die Türkei) ausschließt. Der Harmel-Report kann wegen der Zusammensetzung der damaligen Arbeitsgruppe aus Vertretern aller Mitgliedsstaaten kein Vorbild sein; eine derartige repräsentative Gruppe würde nur die vorhandenen Konflikte reproduzieren, wenn es keinen starken Vermittler gibt, der sich mit aller Kraft für einen Konsens einsetzt. Dieser ist aber nicht in Sicht.
- Bekenntnis zur Verbesserung der eigenen militärischen Fähigkeiten. In Anerkennung der bestehenden Haushaltsprobleme muss sich die Transformation der Bundeswehr auf eine veränderte Prioritätensetzung und Rationalisierung unter Nutzung betriebswirtschaftlicher Konzepte konzentrieren. Vorrangig sind die Erhöhung der Einsatzfähigkeit, Verlegbarkeit, Interoperabilität und Kampfkraft der Bundeswehr, wobei sie – soweit wie möglich – auf die Kooperation mit den europäischen Partnern zurückgreifen sollte.
- Da das Atlantische Bündnis angesichts seiner starken transatlantischen Dimension nicht von einer wie auch immer ausgestalteten EU/ESVP ersetzt werden kann, muss sich die Bundesregierung um ein konstruktives Verhältnis zwischen NATO und ESVP bemühen und Synergieeffekte zwischen beiden Organisationen anstreben. Dabei könnten prozessual gemeinsame Arbeitsgruppen wie die bereits bestehende Joint Capabilities Group und substanziell ein „tool box“-Konzept, das in beiden Richtungen wirkt, hilfreich sein.
- Im Bündnis selbst sollte die Bundesregierung für schlanke, aber flexible Organisationsformen eintreten, sich vor allem aber um die Wiederbelebung der informellen Gesprächsforen bemühen. Dabei geht es nicht um ein Wiederaufleben der einst für Deutschland als Ganzes und für Berlin wichtigen Vierergruppe, sondern je nach Problemkomplex sollten weitere Partner, z.B. Polen, Spanien oder Italien, herangezogen werden. Angestrebt werden sollten flexible Foren mit einer variablen Geometrie.
- Schließlich sollte sich die Bundesregierung bewusst sein, dass von Deutschland eine seiner weltpolitischen Rolle entsprechende Verantwortungsbereitschaft und darauf gegründete Initiativen und Leistungen erwartet werden.
1 Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der 41. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik am 12. Februar 2005, Internationale Politik (IP), 3/2005, S. 137.
2 Ebenda, S. 138
3 Richard Kugler, Hans Binnendijk und David Gompert: A New Capabilities Framework for NATO. CINSP/NDU Arbeitspapier, Februar 2005, S. 2.
4 Prager Gipfelerklärung der Staats- und Regierungschefs auf dem Treffen des Nordatlantikrats am 21. November 2002 in Prag, IP, 3/2003, S. 90.
5 Vgl. dazu meine SWP-Studie: Das Atlantische Bündnis in der Anpassungskrise. Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, Februar 2005, S. 5.
6 Zu Einzelheiten vgl. Hans Binnendijk und Richard Kugler: Needed – A NATO Stabilization and Reconstruction Force. Washington, Defence Horizons 45, CTNSP/NDU, September 2004.
7 Vgl. Petersberger Erklärung der Staats- und Regierungschefs, verabschiedet vom Ministerrat der Westeuropäischen Union am 19.6.1992 in Bonn, Europa-Archiv, 14/1992, S. D479–485.
8 Vgl. NATO-EU: A Strategic Partnership. NATO Issues, 30.7.2004; Berlin Plus Agreement. Supreme Headquaters Allied Powers Europe, Info, 22.8.2003.
9 Die wegen der Erkrankung des Bundeskanzlers von Verteidigungsminister Peter Struck in München verlesene Rede Schröders war weder innerhalb der Bundesregierung noch mit den Partnern abgestimmt worden. Dies erklärt die dadurch ausgelösten Spekulationen über seine Motive.
10 Vgl. den UN-Bericht der Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel: Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung. Zusammenfassung: IP, 1/2005, S. 133–137, Volltext unter http://www.un.org/secureworld/.
Internationale Politik 4, April 2005, S. 80 - 85.