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01. Nov. 2007

Kleiner Mann, Grande Nation

Sarkozys Kurs irritiert die EU-Partner

Vertreter einer „neuen“ Politik, Mann des (Auf-)Bruchs, Lautmaler, nicht Leisetreter: Seit seinem Antritt löst Frankreichs Präsident Schritt für Schritt ein, was er vor seiner Wahl versprach. Doch sein nassforscher Kurs, geprägt von außenpolitischen Alleingängen, irritiert die EU – und lässt erahnen, dass Paris kein einfacherer Partner geworden ist.

Am Abend seines Wahlsiegs, dem 6. Mai 2007, erklärte Sarkozy: „Frankreich ist zurück in Europa.“ Dieser Ankündigung folgten Taten. Sein erster Auslandsbesuch, noch am Abend seiner Amtseinsetzung am 16. Mai, führte ihn zur amtierenden EU-Ratspräsidentin Angela Merkel nach Berlin. In straffem Rhythmus folgten weitere Reisen in europäische Hauptstädte und bilaterale Treffen in Paris. Auf der Agenda standen stets der EU-Verfassungsvertrag, über dessen Schicksal der nur wenige Wochen später stattfindende EU-Gipfel entscheiden sollte, sowie von Sarkozy angestrebte Projekte, wie etwa eine Mittelmeer-Union oder auch die Reform der Eurozone.1

Für die deutsche EU-Präsidentschaft war Frankreichs neue Position zum EU-Verfassungsvertrag anknüpfungsfähig: Sarkozy wollte einen Vertrag unterstützen, der die politische Substanz des in Frankreich und den Niederlanden abgelehnten Regelwerks im Wesentlichen erhält, als Änderungsvertrag zu den bestehenden EU-Verträgen jedoch deutlich knapper ausfallen, auf Verfassungssymbolik verzichten und in Frankreich parlamentarisch ratifiziert werden sollte. Beim Juni-Gipfel konnte sich Sarkozy so als „guter Europäer“ positionieren, der nicht nur Frankreich zurück in die aktive Europa-Politik gebracht, sondern den Kompromiss überhaupt erst ermöglicht hatte. Aus Sicht mancher allerdings etwas übertrieben, stellte er sich auch gleich als der Dealmaker des Gipfels dar.

Der neue Elan, mit dem Sarkozy Frankreich europapolitisch zurückmeldet, ist jedoch kein Indiz dafür, dass Frankreich für die deutsch-französische oder europäische Zusammenarbeit ein einfacherer Partner geworden wäre. Genauso wenig lässt sich daraus ableiten, dass alte Souveränitätssorgen ihre Bedeutung verloren hätten – oder etwa, dass Frankreich die Akzeptanzprobleme der Europäischen Union im Inneren bewältigt hätte.

Die gute Nachricht ist sicher, dass Berlin in Paris nach zweijähriger Referendumsschockstarre wieder ein aktives Gegenüber hat. Die schlechte, dass unter Sarkozy die Europa- und Außenpolitik weniger wertebasierten Überzeugungen, sondern einem machtpolitischen Führungsanspruch zu folgen scheint, dem Europa als Instrument dienen kann. Zudem erscheint sie als Funktion seiner innenpolitischen Agenda. Hier liegt nämlich sein eigentliches politisches Projekt: die liberale Reform des französischen Wirtschafts- und Sozialsystems. Da die von ihm angestoßenen Maßnahmen in den kommenden Monaten viel Gegenwehr produzieren dürften, ist zu erwarten, dass Sarkozy in europa- und außenpolitischen Fragen eine stark interessenbezogene, öffentlichkeitswirksame Politik verfolgt, um die Kritik an seiner Innenpolitik zu kompensieren. Hierzu gehört, dass Sarkozy sich europapolitisch ein viel protektionistischeres Image gibt, als dies seiner Reformagenda entsprechen dürfte. Seine Angriffe auf die Europäische Zentralbank, die Infragestellung der EU-Wettbewerbspolitik oder auch protektionistische Positionen in der Handelspolitik spülen sein rechtsliberales Profil weich.2 Durch sein unilaterales, konfrontatives Vorgehen verärgert er die EU-Partner – ein Preis, den er dafür bereitwillig zu zahlen scheint.

Reorganisation des außenpolitischen Machtapparats

In den ersten Monaten im Amt konzentrierte sich Nicolas Sarkozy so intensiv wie keiner seiner Vorgänger auf die innenpolitischen Geschäfte. Die politische Führung teilt er sich im Inneren mit dem von ihm ernannten Premierminister. Die Umsetzung seines Reformvorhabens hat Sarkozy jedoch zur Chefsache gemacht und interpretiert durch sein politisches Mikromanagement das Präsidentenamt neu. Premier François Fillon, den er als „collaborateur“ (Mitarbeiter) bezeichnete, setzt kaum eigene Akzente.

Im Gegenzug will Sarkozy scheinbar die Gestaltung der französischen Außenpolitik verändern. So kündigte er an, sich entsprechenden Debatten im Parlament zu stellen. Dass dies aber eine substanzielle Beeinflussung der Politik bedeuten würde, scheint unwahrscheinlich. Andere Vorschläge zeigen, dass er die außen- und sicherheitspolitischen Strukturen der Republik weiter auf sich ausrichtet: Bereits vor seiner Wahl kündigte er die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrats im Elysée-Palast an, der den Einfluss des Verteidigungsministeriums zurückdrängen dürfte. Die Rollen von Außen- und Europaminister schwächte er unter anderem durch die Berufung zweier linker Politiker, denen er durch diesen Schritt die politische Basis im eigenen Parteilager entzog.

Anders als Präsidenten anderer parlamentarischer Demokratien besitzt Frankreichs Staatspräsident Kompetenzen, die nicht der Gegenzeichnung durch den Regierungschef oder eines Ministers bedürfen. Außenpolitisch relevant ist, dass er als Oberbefehlshaber der Streitkräfte dem interministeriellen Verteidigungsrat vorsitzt und in alleiniger Verantwortung über den Einsatz von Atomwaffen entscheidet. Zudem führt er die Verhandlungen über internationale Verträge und entscheidet über ihren Ratifizierungsmodus. Dass aber die Außenpolitik eine „domaine reservé“ des Präsidenten sei, gibt die französische Verfassung nicht vor. Dies ist eine von Charles de Gaulle begründete Praxis, alle wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Fragen alleine zu entscheiden. In der Ära Sarkozy dürfte dies nicht anders sein.

Bereits die ersten Monate seiner Amtszeit waren von außenpolitischen Alleingängen ohne Konsultationen im Inneren oder mit den EU-Partnern geprägt. Die wohl medial verbreitetste Episode war die Befreiung der bulgarischen Krankenschwestern aus libyscher Haft. Für die EU-Partner und die französische Opposition und Öffentlichkeit waren die im Nachhinein bekannt gewordenen Atomgeschäfte schwierig zu verdauen, die Sarkozy mit Muammer al-Khaddafi eingegangen war.

Einen ebenso unerwarteten Alleingang unternahm Paris wenig später in Bezug auf den Iran. Nachdem Außenminister Bernard Kouchner Teheran zunächst quasi mit Krieg gedroht hatte, forderte er am 2. Oktober ohne Abstimmung mit der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft die EU-Partner dazu auf, noch vor einem neuen Beschluss des UN-Sicherheitsrats im Außenministerrat über Sanktionen zu diskutieren. Erst eine Woche zuvor hatten die fünf Vetomächte des Sicherheitsrats und Deutschland das weitere Vorgehen in einer Doppelstrategie festgezurrt: Es wird über eine neue UN-Resolution zu Sanktionen verhandelt, während gleichzeitig der Hohe Repräsentant der EU die Verhandlungsbereitschaft Teherans sondiert. Frankreichs Vorstoß stellte nicht nur die Kohärenz der französischen Position in Frage, sondern auch die vom Sicherheitsrat getragene Doppelstrategie. Kritiker befürchten, dass Länder wie China und Russland die Möglichkeit eines alleinigen Vorangehens Europas als Vorwand nehmen könnten, aus der gemeinsamen Strategie auszuscheren.

Annäherung an die USA

Die neue Härte Frankreichs im Umgang mit dem Iran bedeutet in einer der wichtigsten sicherheitspolitischen Fragen zugleich eine Annäherung an die USA. Auch hinsichtlich eines zweiten Landes schwenkte Paris auf US-Kurs ein: Sarkozy knüpft nicht an die von Chirac gepflegte Freundschaft mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin an, die für Frankreich immer auch ein Gegengewicht zu den transatlantischen Beziehungen darstellte. Bei seinem Moskau-Besuch am 10. Oktober brachen deutliche Divergenzen etwa über die Iran-Sanktionen oder den künftigen Status des Kosovo auf. Weiterhin bemängelte er das Fehlen einer unabhängigen Presse und Justiz. In einer außenpolitischen Rede kritisierte Sarkozy, Russland nütze seine Trümpfe wie die Öl- und Gasreserven „mit Brutalität“.

Ungeachtet dieser Kritik verfolgt Frankreich wirtschaftspolitische Interessen: So wird der Vorstoß, den französischen Ölkonzern Total zu Gazproms Partner bei der Erschließung eines der weltgrößten Erdgasfelder in der Barentsee zu machen, von der Regierung unterstützt.3 Hinzu kommt eine symbolstarke Annäherung an George W. Bush: Sommerferien in der Nähe des US-Präsidenten, familiäres Barbecue mit den Bushs, drei US-Besuche im ersten halben Jahr seiner Amtszeit. Seine demonstrative Kontaktaufnahme mit Washington, die im traditionell antiamerikanischen Frankreich mit politischen Kosten verbunden sein kann, folgt möglicherweise folgendem Kalkül: jetzt mehr Amerika, um später mehr Europa zu bekommen. Mehr Europa will Sarkozy in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik erreichen. Dieser Vorstoß geht einher mit Gedankenspielen über eine Wiedereingliederung Frankreichs in die militärische Struktur der NATO.4

Stärkung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Die europäische Verteidigungspolitik soll einer von bisher vier genannten Schwerpunkten5 der französischen EU-Ratspräsidentschaft werden. Ersten Äußerungen von Staatschef und Verteidigungsminister zufolge wird auf eine Komplementarität zwischen NATO und EU gesetzt, wobei der Kapazitätsmangel in Europa unterstrichen wird. Von dieser Schwäche soll es sich jedoch befreien: Paris will die Interoperabilität der Streitkräfte verbessern und schließt die Zusammenlegung von Streitkräften oder auch die Bildung von Allianzen in Heer und Marine nicht aus. Gemeinsame Kommandostrukturen sollen gestärkt, europäische Rüstungschampions aus der Taufe gehoben, Forschung und Innovation im Rüstungssektor gemeinsam gefördert werden. Ziel ist, unter französischer Ratspräsidentschaft im -zweiten Halbjahr 2008 eine neue Europäische Sicherheitsstrategie auszuarbeiten, welche die bisherige ablöst.

Ein französischer Führungsanspruch ergibt sich nicht nur dadurch, dass Paris im kommenden Jahr ohnehin die EU-Ratspräsidentschaft und damit Agendasetzungsfunktionen innehat. Er ergibt sich auch aus dem im Vergleich geringeren Engagement der wichtigen EU-Partner in diesem Bereich: Großbritanniens Premier Gordon Brown konzentriert sich derzeit stark auf die Innenpolitik, Deutschland hingegen wird von Frankreich aufgrund der im Verhältnis geringeren Verteidigungsausgaben, der größeren Vorbehalte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr und der größeren Abstimmungserfordernisse im bundesrepublikanischen System eher als Partner gesehen, den man mitziehen muss. Auch wenn Sarkozy seine Bemühungen um eine stärkere Verteidigungspolitik der EU in das transatlantische Signal einbindet, sich wieder voll in die NATO-Verteidigungsstrukturen zu integrieren, liegt doch die Schlussfolgerung nicht fern, dass er versucht, die „multipolare Welt zu schaffen, von der sein Amtsvorgänger Jacques Chirac nur träumte“.6

Neues Verteidigungsweißbuch

Um seiner angestrebten europäischen Führungsrolle gerecht zu werden, treibt Frankreich die Modernisierung und Transformation seines eigenen Verteidigungsapparats voran7 – noch in diesem Herbst erfolgt eine Evaluierung der Programme. Anders als Chirac dies nach seiner Wiederwahl tat, kündigte Sarkozy vorerst keine Ausgabensteigerungen an. Den Verteidigungsetat nahm er zudem nicht a priori von allgemeinen Ausgabendeckelungen aus. Als Grundlage für das für März 2008 angekündigte Verteidigungsweißbuch8 und für das neue Loi de programmation militaire 2008–2013 dürfte dennoch ein Verteidigungsetat von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts realistisch sein.

Für das Weißbuch hat Sarkozy noch weitere Parameter festgezurrt:9 Oberste Priorität hat unter den Bündnisstrukturen die Europäische Union, eine Annäherung der äußeren wie inneren Sicherheitspolitik – insbesondere im Kampf gegen den internationalen Terrorismus – steht weiter auf der Agenda. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass auch die französische Nukleardoktrin einer Diskussion unterzogen wird, doch wird die bisherige Abschreckungspolitik, schenkt man seinen Andeutungen Glauben, Leitbild bleiben. Dem Weißbuch dürfte zudem ein regionales und umfassendes Sicherheitsverständnis zugrunde liegen, das Demographie, Wirtschaft, Umwelt und Energie einschließt. Dieses schlägt sich etwa im Bemühen um die Gründung einer Mittelmeer-Union nieder.

Einflusssphäre im Mittelmeer-Raum

In seiner Rede vor den Botschaftern am 27. August 2007 definierte Sarkozy vier Pfeiler der Mittelmeer-Union: die Zusammenarbeit in Umweltfragen, der Dialog der Kulturen, Wirtschaftswachstum und Sicherheit. Ein informeller Dialog mit den Mittelmeer-Staaten hat unter Einbindung der EU-Kommission bereits begonnen. Für das erste Halbjahr 2008 hat Sarkozy ein erstes Treffen der Staats- und Regierungschefs angekündigt. Seine eigene EU-Ratspräsidentschaft könnte Frankreich im zweiten Halbjahr nutzen, um die Umsetzung erster Vorhaben voranzutreiben, die eine Kooperation mit EU-Strukturen erfordern.

Laut Sarkozy soll Frankreich die „herausragende Macht am Mittelmeer“ sein – die Einbindung der Mittelmeer-Anrainerstaaten unter Pariser Führung würde Frankreichs Einfluss in Afrika, der ansonsten auch über das Netzwerk der Frankophonie organisiert ist, am südlichen Mittelmeer-Rand deutlich stärken und einen privilegierten Zugang zu Märkten und Ressourcen sichern. Die Mittelmeer-Union ist zudem eines der Instrumente Sarkozys zur Bekämpfung und verstärkten Kontrolle der illegalen Immigration. Damit steht sie in direktem Zusammenhang mit seinen innenpolitischen Zielen: Der frühere Innenminister Sarkozy hat eine Beschränkung der Immigration versprochen und unter anderem damit dem rechtsextremen Front National in großem Stil Wähler abgejagt.

Sarkozy wird gestützt von einer Wählermehrheit, die ihn zu einem wesentlichen Teil aufgrund seines französisch-nationalen und souveränitätsbetonten Auftretens gewählt hat. Wenn er sie nicht verlieren will, muss er liefern – in der Innen- wie in der Außenpolitik.

Dr. DANIELA SCHWARZER, geb. 1973, ist Frankreich- und Europa- Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Derzeit forscht sie als Gastwissenschaftlerin am Institut français des relations internationales (ifri) in Paris.

  • 1Beispielhaft für die Vielzahl der bilateralen Treffen ist die Pressekonferenz zum Treffen mit Italiens Ministerpräsident Romano Prodi: https://pastel.diplomatie.gouv.fr/editorial/actual/ael2/bulletin.asp?li….
  • 2Siehe auch: Daniela Schwarzer: Reformer und Protektionist: Die zwei Gesichter von Nicolas Sarkozy, ifo Schnelldienst 11/2007, S. 6–9, Daniela Schwarzer: Aktivist im Europäischen Salon. Sarkozy hält die EU-Partner mit seiner Interessenpolitik in Atem, Dokumente, Juli 2007, S. 15–19.
  • 3Siehe zum Beispiel www.reuters.com/article/companyNewsAndPR/ idUSPAC00839320070712.
  • 4Siehe etwa die Rede von Verteidigungsminister Hervé Morin am 11. September 2007, www.botschaft-frankreich.de/IMG/morin_toulouse_11.9.pdf.
  • 5Die anderen bisher genannten Schwerpunkte sind: Energie, Umwelt und Immigration. Siehe: Communication de Jean-Pierre Jouyet: la Présidence française du conseil de l’Union européenne, 19.9.2007, www.rpfrance.eu/article.php3?id_article=735.
  • 6John Thornhill: How Sarkozy could win America and lose Europe, Financial Times, 29.9.2007.
  • 7Siehe die Rede von Verteidigungsminister Morin (Anm. 4).
  • 8Dieses soll wiederum Grundlage für das Weißbuch zur Außenpolitik sein, das bis Juni 2008 angekündigt ist.
  • 9Siehe hierzu die Grundsatzrede von Nicolas Sarkozy zur Außenpolitik vom 27.8.2007, zu finden unter www.internationalepolitik.de (Dokumentation Oktober 2007) und die Rede von Morin. Für weitere Einschätzungen vgl. das Interview mit Jean-Pierre Maulny: Grandes manœuvres pour la défense, Sud Ouest, 24.9.2007.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2007, S. 110 - 115.

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