Kernwaffenfreie Welt
Obamas Abrüstungspläne
Die von Barack Obama angekündigten Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung sind weder neu noch revolutionär. Sie stehen vielmehr in der Kontinuität amerikanischer Sicherheitspolitik seit dem Ende des Kalten Krieges – und Obama wird bei ihrer Umsetzung die gleichen Probleme haben wie seine Vorgänger. Deshalb: keine voreilige Euphorie, bitte.
Es war ein guter Tag für Claus Kleber, der 5. April 2009. Es war der Tag, an dem Barack Obama in Prag die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt ausrief. Kleber strahlte sichtlich an diesem Abend, als er das Heute-Journal anmoderierte. Je mehr in der Sendung über Obamas Rede gesprochen wurde, desto mehr griff jedoch auch Ernüchterung um sich. Was war das Neue an dieser Botschaft? Dass ein US-Präsident sich für die Abschaffung von Kernwaffen aussprach? Das gab es schon bei Reagan und Clinton. Was kündigte er konkret an? Eigentlich wenig Fassbares.
Die Reaktionen der deutschen Politik auf die Rede fielen ähnlich aus: Befürwortung, aber auch Ungewissheit. Die Verunsicherung zeigte sich selbst auf höchster Ebene. Die Bundeskanzlerin fand es lediglich bemerkenswert, dass es eine Konferenz über nukleare Sicherheit geben soll, der Außenminister forderte den Abzug der in Deutschland stationierten amerikanischen Kernwaffen. Worin besteht die Vision Barack Obamas? Und was bedeutet seine Rede für die konkrete Politik? Um seine Vision zu verstehen, sollte man genau prüfen, was er gesagt – und was er nicht gesagt hat.
Zunächst einmal hat Obama auf die Abrüstungsverpflichtungen unter dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) von 1968 hingewiesen. Er hat jedoch nicht die mittlerweile auch in Deutschland verbreitete Behauptung übernommen, es gäbe eine unkonditionierte Pflicht der fünf etablierten Kernwaffenstaaten zur Abschaffung ihres nuklearen Arsenals. Tatsächlich enthält der NVV drei unterschiedliche Abrüstungsverpflichtungen, genauer gesagt Handlungsgebote. Zwei von diesen richten sich an die Kernwaffenstaaten allein. Darin geht es um die Beendigung des Wettrüstens und um Abrüstung – nicht die Abschaffung – von Kernwaffen. Das dritte Gebot zielt auf Verhandlungen über die Abschaffung von Kernwaffen ab und fordert, dass diese in den Kontext weltweiter Abrüstung gestellt werden, dass es also nicht lediglich die Pflicht der Kernwaffenstaaten allein sei, auf die nukleare Abrüstung hinzuarbeiten. Obama bezog sich klar auf diese Konditionalität, als er von den Bedingungen sprach, unter denen Kernwaffenfreiheit erreichbar sei. Konkret meinte er damit, dass die USA ihre Kernwaffen nicht aufgeben werden, solange es Gefährdungen gibt, die diese Waffen notwendig erscheinen lassen. In seinem 2006 erschienenen Buch „The Audacity of Hope“ machte Obama deutlich, wie das zu verstehen sei: Solange es strategische Rivalen, wie China, und Schurkenstaaten – Rogue Nations – wie Nordkorea und Iran gibt, können die USA ihre strategischen Arsenale nicht aufgeben. Er schloss nicht aus, dass sich das ändern könne, aber dafür müssten zunächst die Bedingungen geschaffen werden.
Weiterhin erklärte Obama, dass die Abschaffung nuklearer Waffen Jahrzehnte dauern könne und er selbst eine atomwaffenfreie Welt vermutlich nicht mehr erleben werde. Das zeigt, wie langwierig der Prozess der nuklearen Abrüstung ist. Die USA und Russland rüsten seit fast 20 Jahren Kernwaffen ab. Von den ehemals 65 000 Kernwaffen, die beide Arsenale zusammengenommen umfassten, sind heute etwa 45 000 außer Dienst und mindestens 15 000 auch schon zerlegt. Wenn man optimistisch rechnet, landet man bei Fristen von 40 bis 60 Jahren, die es bedarf, um alle derzeit noch vorhandenen Kernwaffen zu zerlegen. Selbst dann wären die eigentlich gefährlichen Kernwaffenmaterialien noch nicht beseitigt, darunter die etwa 250 bis 270 Tonnen Plutonium aus der Waffenproduktion der Vereinigten Staaten und Russlands sowie die großen Mengen an Plutonium, die aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie stammen.
Letztlich verwies Obama auf die Gefahr, dass Terroristen in den Besitz von Kernwaffen gelangen können. Paradoxerweise steigt diese Gefahr mit den Fortschritten in der nuklearen Abrüstung. So verhielt es sich im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, wo dubiose Käufer sich für ausgemusterte Waffen und vor allem Kernwaffenmaterialien interessierten, und die dortigen Behörden mit diesem Problem schwer fertig wurden. Diese Verhältnisse werden sich nicht überall wiederholen. Generell aber gilt: Je mehr Kernwaffenmaterialien aus dem militärischen Sektor abgezogen werden, umso geringer der Aufwand, der zu ihrem Schutz betrieben wird – und umso größer die Gefahr der Entwendung.
Aus dem Westen nichts Neues
Vor diesem Hintergrund wird auch der Maßnahmenkatalog verständlich, den Präsident Obama in seiner Rede vorstellte. Nicht ein großer Entwurf ist da zu erkennen, sondern einzelne Schritte, die nicht neu sind. Genau genommen hat er alten Wein in neuen Schläuchen verkauft – aber es ist kein schlechter Wein. Fast alles, was er ankündigte, beruht auf Initiativen seiner drei Amtsvorgänger, und so wie diese wird er Probleme bei der Umsetzung haben.
Obama will die Bedeutung von Kernwaffen in der US-Sicherheitsstrategie und in der Militärdoktrin einschränken. Das ist richtig, ist allerdings auch schon von Bill Clinton begonnen und unter George W. Bush recht weit fortgeführt worden. Obama will mit Russland über eine weitere Verringerung strategischer Kernwaffenarsenale verhandeln. Auch da tritt er in die Fußstapfen seiner Vorgänger; es wird aber neuer Kriterien für strategische Stabilität bedürfen, wenn die Zahl der Nuklearwaffen unter 1700 sinken sollte.
Obama will sich für die Ratifizierung des umfassenden Teststoppvertrags einsetzen. Dieser war in der Amtszeit von Bill Clinton verhandelt worden, wurde jedoch seinerzeit vom Kongress abgelehnt. Die Chancen sind heute zweifellos besser als damals. Dennoch muss beachtet werden, dass es nicht einfach sein wird, zwei Drittel der Senatoren zu überzeugen. Obama will Verhandlungen über einen Vertrag initiieren, der die Produktion spaltbarer Materialien für Waffenzwecke unterbinden soll. Das haben schon seine drei unmittelbaren Vorgänger versucht, sind aber an der Haltung der Chinesen gescheitert. Ob es Obama gelingen wird, hier eine Brücke zu bauen, bleibt offen.
Obama will eine neue Initiative starten, um alle gefährdeten Nuklearmaterialien weltweit unter Kontrolle zu bringen – und zwar innerhalb von vier Jahren. Auch das gibt es schon seit Anfang der neunziger Jahre (Nunn-Lugar-Initiative) und seit 2002 (Globale Partnerschaft). Was er Neues zu bieten hat, wird sich zeigen.
Obama will die Mechanismen stärken, mit denen die Staatenwelt gegen Regierungen vorgeht, die den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag verletzen. „Worte müssen ihre Geltung behalten“, sagte Obama in Prag. Hier stößt er auf die gleichen Probleme, die seine Vorgänger hatten. Wie verhalten sich die USA, wenn der Sicherheitsrat seinen Pflichten unter der UN-Charta nicht gerecht wird? Auch Obama wird sich irgendwann dazu veranlasst sehen, unilateral vorzugehen und ohne Mandate des Sicherheitsrats militärische Operationen vorzunehmen.
Obama will die zivile nukleare Kooperation neu organisieren, d.h. er will eine Regel einführen, wonach leicht angereichertes Uran zum Betrieb von Kernreaktoren nur noch durch multinationale Zentren zur Verfügung gestellt wird und nicht auf nationaler Basis erfolgen darf. Das richtet sich gegen den Iran und ist ebenfalls keine neue Idee. Sie ist aber, gemeinsam mit der Vision einer kernwaffenfreien Welt, gut platziert. Hier lag das Dilemma der vorherigen Bush-Administration. Indem diese sich von der Vision einer kernwaffenfreien Welt abgewandt hatte und dann auch noch gegenüber dem Iran eine militärische Option nicht ausschloss, trieb sie viele Regierungen aus dem Lager der Blockfreien in die Arme Achmadineschads. Mit der Rede von Prag gewinnt Obama Spielraum, um internationalen Druck auf den Iran auszuüben. Damit gibt es – neben dem direkten Gesprächsangebot – eine weitere Chance für eine diplomatische Lösung.
Obama hat das Thema Iran zudem geschickt mit der Stationierung der Raketenabwehr in Ostmitteleuropa verbunden. Hier nimmt er Russland in die Pflicht, denn Moskau kann jetzt durch Druck auf Teheran dazu beitragen, dass die Stationierung dieser Komponenten nicht notwendig wird. Bislang hat die russische Regierung gegenüber dem iranischen Nuklearprogramm eine Politik der kalkulierten Indifferenz und Ambivalenz betrieben, die Washington nicht länger akzeptiert.
Kontinuität statt Wandel
Im Grunde genommen hat Präsident Obama in Prag angekündigt, die Kontinuität der Nuklear- und Nichtverbreitungspolitik seiner Vorgänger fortzusetzen, wobei er mehr an Clinton anschließt als an George W. Bush. In der deutschen Debatte findet diese Kontinuität kaum Beachtung. Im Gegenteil, phantastische Spekulationen und auf den Bundestagswahlkampf gemünzte Schnellschüsse überwiegen. Diese Debatte lässt erneut die Defizite erkennen, die die Wahrnehmung der amerikanischen Außenpolitik der vergangenen 20 Jahre in Politik, Medien und Wissenschaft kennzeichneten. Seit Anfang der neunziger Jahre versuchen die USA mit mehr oder weniger Erfolg, Lösungen für globale Sicherheitsprobleme des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Wir reagieren auf diese Politik mit Konzepten, die aus dem 19. Jahrhundert stammen und nehmen nur einen angeblich imperialen Charakter dieser Politik wahr. Eine differenzierte und problemorientierte Auseinandersetzung mit den Anliegen amerikanischer Sicherheitspolitik ist mehr als überfällig.
Prof. Dr. JOACHIM KRAUSE lehrt Politikwissenschaft und ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Kiel.
Internationale Politik 5, Mai 2009, S. 90 - 93.