Keine Stabilität durch Instabilität
Die paradoxe Ressourcendiplomatie Chinas
Chinesische Firmen lassen sich derzeit von nichts und niemandem einschüchtern: Sie machen Geschäfte mit instabilen rohstoffreichen Staaten und sorgen sich nicht um das Risiko. Doch lange wird das nicht mehr gut gehen. Denn politische Instabilität schadet der Fördersicherheit, so die einhellige Meinung von Risikoanalysten.
Chinesische Rohstoff- und Energiefirmen nehmen höhere politische Risiken in Kauf, um sich Zugang zu Märkten zu verschaffen, aus denen sich ihre westlichen Konkurrenten zurückgezogen haben. Die China National Petroleum Company (CNPC), die China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) oder Sinopec haben maßgeblich zur Erschließung von Erdölreserven in No-Go-Staaten wie dem Sudan oder Tschad beigetragen. Zurzeit deutet viel darauf hin, dass Peking einen größeren Teil seines Energie- und Rohstoffbedarfs durch Förderabkommen mit instabilen Staaten decken will. Beispiele dafür sind die Ende November 2009 angekündigten Investitionen im Umfang von zehn Milliarden Dollar in Simbabwe oder die Abbaurechte im Wert von rund sieben Milliarden Dollar, die sich der China International Fund knapp eine Woche nach der gewaltsamen Unterdrückung regimekritischer Demonstrationen in Guinea gesichert hat.
International tätige Rohstoff- und Energiefirmen sind unterschiedlichen politischen Risiken ausgesetzt: Neben Unruhen, Aufständen, Bürgerkriegen und Anschlägen drohen Enteignungen, die Neuverhandlung bestehender Verträge, internationale Sanktionen und der periodisch aufflackernde Ressourcennationalismus. Ob sich Unternehmen auf derartige Risiken einlassen, hängt im Westen in der Regel von den Erwartungen der Aktionäre, den Haftungsbedingungen und dem Druck der Öffentlichkeit ab. In China ist das anders: Dort geben in erster Linie die Planungsministerien den Risikoappetit und die Risikotoleranz staatlicher und staatsnaher Unternehmen vor.
Peking scheint sich derzeit kaum Gedanken darüber zu machen, worauf sich Rohstoff- und Energiefirmen einlassen. Der Grundsatz „Je riskanter, desto besser“ mag etwas überspitzt sein. Verhandlungen über Förderrechte in Uganda, Tschad, Somalia, Sudan, Nigeria, Mauretanien, Myanmar, Venezuela, Russland, im Iran und Irak machen aber deutlich, dass sich chinesische Firmen derzeit von nichts und niemandem einschüchtern lassen. Es zählen nur die geologischen Befunde.
Geld spielt bei der Erschließung neuer Energiequellen keine Rolle. 2007 investierte China 25 Milliarden Dollar in verhältnismäßig riskante Staaten und Regionen; 2008 waren es mit 52,2 Milliarden schon mehr als doppelt so viel. Trotz der Finanzkrise deutet derzeit nichts darauf hin, dass sich der Trend 2009 verändert hat. Die anhaltende Dollarschwäche zwingt China fast dazu, einen Teil seiner Währungsreserven in alternative Anlagen zu leiten. Angesichts der langfristig steigenden Nachfrage nach Energie zählen Investitionen in unterbewertete Förderländer zu den attraktivsten Optionen.
Allerdings hat die Sache einen Haken. Instabilität „nützt“ dem kapitalintensiven und technisch komplexen Erdölgeschäft nämlich nur bedingt. Die Sicherung von Förderrechten und die Vertiefung kommerzieller und politischer Beziehungen ermöglichen es China zwar, die Förderländer stärker an sich zu binden. Aber letztlich müssen die Investitionen die Nachfrage nach erschwinglicher Energie decken. Gerade weil die politische Führung ihren Machtanspruch auf wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung und nicht auf demokratischer Legitimation aufbaut, kann sie sich hier keine groben Patzer leisten. Die Verlässlichkeit der Energiezufuhr – nicht die chinesische Präsenz in rohstoffreichen Staaten – wird darüber entscheiden, ob die Kommunistische Partei in der Lage ist, eine moderat wohlhabende und harmonische Gesellschaft zu schaffen.
Das Raum-Zeit-Dilemma
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass China zur Sicherung seiner Energieversorgung Instabilität exportiert. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass sich Peking nur mit seiner energiepolitischen Leistungsbilanz befasst und den politischen Konsequenzen seiner Ressourcenpolitik wenig Bedeutung beimisst. Wie viel politisches Kapital die chinesische Führung damit aufs Spiel setzt, verdeutlichen die Kontroversen um chinesische Investitionen in Myanmar, im Iran, in Simbabwe und im Sudan schon heute. Wie viel auf dem Spiel steht, hängt letztlich davon ab, ob sich die politischen Spannungen in anderen Förderländern weiter zuspitzen. Falls Chinas Ressourcendiplomatie in Zentral-, Ost- und Westafrika überfällige Reformen verzögert oder Bestrebungen zur Verbesserung der Regierungsführung unterwandert, könnte es leicht zu einem Reputationsgau kommen.
Sollte sich China deshalb Sorgen machen? Wenn es um die Sicherung seiner Energiebedürfnisse geht, hat der Westen ja auch keine weiße Weste vorzuweisen. Außerdem zwingt der westliche Widerstand gegen eine stärkere Verflechtung chinesischer und westlicher Rohstoff- und Energiekonzerne Unternehmen wie CNOOC oder Chinalco fast dazu, weniger eingetretene Wege zu gehen und riskantere Unterfangen in Angriff zu nehmen. Letztlich kann von der chinesischen Führung kaum erwartet werden, dass sie das Risiko von Lieferengpässen einfach in Kauf nimmt und darauf hofft, dass der Westen den Rohstoff- und Energiemarkt spielen lässt und die Förderländer die Verschiebung der wirtschaftlichen Aktivitäten in den Osten von sich aus mittragen.
China mag viel daran liegen, als verantwortungsbewusstes Mitglied der internationalen Gemeinschaft wahrgenommen zu werden. Ein weitaus wichtigeres Anliegen der chinesischen Führung ist allerdings, den Energiebedarf der eigenen Wirtschaft und Bevölkerung langfristig zu sichern. Angesichts der Vormacht westlicher Rohstoff- und Energiefirmen in etablierten Förderstaaten überrascht der Versuch Pekings nicht, die Versorgungssicherheit durch Förderabkommen mit einer breiten Auswahl instabiler Regime zu verbessern. Erstaunlicher ist vielmehr, dass chinesische Planer zwar evaluieren, welche Kooperationsformen wann und wo erfolgreich sind, der nachhaltigen politischen Entwicklung und Stabilisierung der Förderländer aber keine Priorität einräumen.
Auf den ersten Blick entspricht diese Zurückhaltung Chinas Verständnis der Nichteinmischungsnorm. Sie deutet aber auch darauf hin, dass Peking einen Teil der Förderstaaten als Faustpfand sieht und bereit sein könnte, einzelne Verbindungen zu kappen, falls sich damit globale Spannungen entschärfen und eine Neuaufteilung der energiepolitischen Einflusssphären erreichen lassen. Investitionen in die politische Stabilisierung machen aus chinesischer Sicht kaum Sinn, solange der Westen die Marktdominanz chinesischer Unternehmen in den Förderstaaten nicht anerkennt.
Obwohl China seinen energiepolitischen Handlungsspielraum mit einer räumlich breit gefächerten Absicherungsstrategie erweitern kann, birgt die Bündelung der Investitionen in instabile Staaten auch Gefahren. Um die chinesische Wirtschaft in Schwung zu halten, müssen laufend neue Reserven in die bestehenden Versorgungsnetze eingespeist werden. Politische Instabilität, darüber sind sich Risikoanalysten einig, kann der Fördersicherheit letztlich nur schaden. Chinas Rohstoffdiplomatie führt damit zu einem Instabilitätsparadox: Die politischen Risiken, welche die Expansion chinesischer Rohstoff- und Energiefirmen heute vereinfachen, bedrohen die langfristige Versorgungssicherheit, die mit der Expansion erreicht werden sollte. Die Zeit läuft dabei gegen Peking.
Falls chinesische Planer von einem Wundermittel ausgehen, dank dem Horte der Instabilität genau dann zu Bastionen des Friedens werden, sobald die Ölvorkommen sprudeln, könnten sie enttäuscht werden. Spätestens nachdem Rebellen die ersten Pipelines gekappt haben oder die vertraglich festgelegten Fördermengen aufgrund von Unruhen nicht geliefert werden können, wird sich die chinesische Führung den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass sie Chinas Versorgungssicherheit leichtfertig aufs Spiel gesetzt habe.
Selbst wenn es nicht so weit kommt, könnten Chinas Investitionen in verhältnismäßig riskanten Staaten andere Förderstaaten dazu ermutigen, die Vereinbarungen mit ihren Abnehmern neu zu verhandeln. Dies würde die Spannungen auf den globalen Energie- und Rohstoffmärkten wesentlich verschärfen. Trägt Chinas Präsenz dazu bei, regionale oder geopolitische Konflikte neu zu entzünden, könnten selbst die Fördermengen relativ stabiler Staaten einbrechen. Wie lange Chinas Nichteinmischungspolitik solche Zerwürfnisse überleben würde, ist fragwürdig.
Eine Frage der Alternativen
Selbstverständlich hat China mehr als nur ein Ass im Ärmel. Welche Alternativen entscheidend sind, lässt sich allerdings nur schwer abschätzen. Chinas Zehn-Milliarden-Dollar-Beteiligung an der Erschließung der Tiefwasser-Ölreserven vor Brasiliens Küste wird sich beispielsweise nur dann auszahlen, wenn Petrobras die immensen technischen und finanziellen Herausforderungen des 174-Milliarden-Dollar-Projekts tatsächlich meistert.
Pekings Bestrebungen zur Verbesserung der Beziehungen mit verlässlichen Förderstaaten wie Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten federn Chinas Abhängigkeit von Nischenanbietern nur dann ab, wenn die Golf-Staaten ihrem Ruf nachkommen und die vertraglich vereinbarten Verpflichtungen auch erfüllen. Ob sie dazu noch bereit sind, falls China sich weigert oder nicht in der Lage ist, Teheran von seinem Weg an den nuklearen Abgrund abzubringen, steht in den Sternen. Solange sich ein Großteil der globalen Ölreserven in der Golf-Region befindet, können es sich arabische Staaten jedenfalls erlauben, ihren politischen Interessen mit Nachdruck Geltung zu verschaffen.
Die Schaffung von Joint Ventures unter lokaler Führung kann politische und Reputationsrisiken zwar abfedern. Ob Unternehmen wie Sonangol aber wirklich in der Lage sind, die Machthaber in Conakry oder Harare zu mehr Stabilität zu bewegen, hängt letztlich davon ab, ob sich Peking hinter die Forderungen stellt. Stellvertreterstrategien könnten regionale Spannungen sogar verschärfen, wenn sie die bilateralen Beziehungen stärker ins Rampenlicht rücken und damit etablierte Regionalmächte, wie Nigeria oder Südafrika, in den Schatten von Außenseitern, wie Angola, stellen.
Der gemeinsame Weg als Ausweg
Es ist nicht unser Ziel, Pekings Ressourcendiplomatie anzuprangern. Wir wollen aufzeigen, dass sich China seine politische Zurückhaltung nicht mehr lange leisten kann. Mit einem größeren energiepolitischen Fußabdruck wächst auch die geopolitische Verantwortung – nicht als Verpflichtung, sondern aus Interesse. Chinesische Planer müssen lokalen und regionalen Spannungen mehr Aufmerksamkeit schenken und sich der geostrategischen Folgen der Präsenz chinesischer Rohstoff- und Energiefirmen in instabilen Regionen wie Zentralafrika und dem Golf von Guinea bewusst sein.
Der Westen wiederum kann es nicht dabei belassen, die chinesische Führung unter dem Vorwand eines Beitrags zur Sicherung der internationalen Ordnung zu mehr politischer Verantwortung aufzufordern. Das wäre angesichts der westlichen Dominanz in den meisten sicheren Förderstaaten heuchlerisch. Vielmehr sollte der Westen hervorheben, dass ein Richtungswechsel im eigenen Interesse Chinas steht. Chinas Präsenz in instabilen, aber rohstoffreichen Staaten mag kurzfristige politische Gewinne einbringen. Die chinesische Führung kann die Kosten einer Destabilisierung von Förderstaaten aber nicht mehr lange ignorieren. Letztlich nützen niemandem Rohstoffe, die wegen Konflikten nicht gefördert werden können.
Ob die chinesische Führung das Spannungsfeld zwischen Raum und Zeit auflösen kann und den Spagat zwischen der Einbindung instabiler Staaten ins chinesische Versorgungsnetz und der für die Einspeisung bestehender Reserven in dieses Netz unabdingbaren Stabilisierungsmaßnahmen meistert, hängt primär davon ab, wie lange sie das Instabilitätsparadox verdrängt. Lokale und regionale Konflikte, in denen sich die Abgründe der globalen Rohstoffpolitik offenbaren, könnten den Prozess beschleunigen. Damit Chinas Aufstieg nicht zu einem Nullsummenspiel mit immensen Kollateralschäden verkommt, sollte der Westen Chinas Anspruch auf eine sichere Rohstoff- und Energieversorgung anerkennen. Im Gegenzug sollte China aber auch zu mehr Voraussicht und Vorsicht drängen.
Dr. CHRISTIAN BRÜTSCH ist Oberassistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich, MATTHEW HULBERT ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Security Studies der ETH Zürich.
Internationale Politik 2, März/April 2011, S. 79 - 83