Keine Rettung aus der Retorte
Auch Biotreibstoffe der 2. Generation lösen nicht unser Klimaproblem
Der anfängliche „Hype“ um die Biotreibstoffe ist aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Gründen verflogen. Das Interesse verschiebt sich in Richtung Biotreibstoffe „der zweiten Generation“. Damit sind vor allem zwei Ansätze gemeint:
Erstens die Züchtung von Algen, die man möglichst mit CO2-Abgasen „düngt“ und nachher zu Treibstoff verarbeitet. Man hofft auf das „CO2-freie Kraftwerk“, das am Ende auch noch Sprit erzeugt – wobei dessen Verbrennung im Auto den Schadstoff natürlich doch freisetzt.
Zweitens eine neue Technik auf der Basis von zellulosehaltiger Biomasse, vor allem Holz oder Schilfgras. Man kann mit Zellulose pro Hektar wohl viermal so viel Sprit erzeugen wie mit Mais, Raps oder Zuckerrohr und hat eine geringere Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung. Nun ist aber Zellulose nicht leicht zu knacken, weshalb an der Züchtung von Mikroorganismen gearbeitet wird. Gentechnisch konstruierte Einzeller scheiden Treibstoffe gasförmig oder flüssig aus. Die Firma BP hat eine halbe Milliarde Dollar in ein wissenschaftliches Großprojekt für die zweite Biotreibstoff-Strategie gesteckt, das von Berkeley aus koordiniert wird (www.energybiosciencesinstitute.org).
Die ökologische Seite ist dabei jedoch alles andere als unbedenklich. Schwachholz und Holzabfälle sind, nachhaltig betrachtet, ein akzeptabler, aber quantitativ begrenzter Rohstoff. Gentechnikbäume sind hochgradig problematisch, weil sie auf raschestes Wachstum getrimmt sind. Was bedeutet das für waldreiche Ökosysteme? Die Umweltauswirkungen von freigesetzten gentechnisch veränderten zellulosefressenden Mikroben sind vorläufig unbekannt und möglicherweise noch bedrohlicher. Man stelle sich vor, dass Gentechnik-Bakterien in der Retorte den biochemischen Prozess des Holzabbaus hunderttausendmal schneller bewältigen als Pilze und Mikroorganismen im Wald – und dass diese Effizienzbestien in unsere Wälder ausschwärmen.
Die Vorstellung, mit Biotreibstoffen der zweiten Generation das Klimaproblem wesentlich zu entschärfen, erscheint für die nächsten zehn Jahre unrealistisch, vielleicht auch für die nächsten 30 Jahre. Es ist also unwahrscheinlich, dass sie für die Nachfolgeregelungen zum Kyoto-Protokoll eine quantitativ nennenswerte Rolle spielen. Agrotreibstoffe sind nicht grundsätzlich abzulehnen. Gegen ihren Einsatz im niedrigen Prozentbereich des heutigen Energieverbrauchs ist nichts einzuwenden. Doch bleibt ihr Beitrag zum Klimaschutz und zur Schonung der Ölvorräte sehr bescheiden. Es sei denn, die Menschheit lernt, ihren Energieverbrauch drastisch zu senken.
ERNST ULRICH VON WEIZÄCKER ist Dekan der Bren School of Environmental Science and Management, University of California
Internationale Politik 11, November 2008, S. 68 - 70