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01. Juli 2009

Keine Diskussion, bitte!

Israels Umgang mit dem Krieg

Haben die israelischen Streitkräfte in Gaza Kriegsverbrechen begangen? Die bislang vorliegenden Berichte ergeben kein klares Bild, deshalb fordern Menschenrechtsorganisationen eine unabhängige Untersuchung. Eine Expertenkommission der Vereinten Nationen führt derzeit Befragungen vor Ort durch, doch Israel verweigert die Kooperation.

Harte Fragen wurden außerhalb Israels bereits gestellt, bevor der Krieg im Gaza-Streifen zu Ende war: Wie halten es die israelischen Streitkräfte (IDF) mit den Menschenrechten, wenn die Kampfjets über dem Küstenstreifen ihre Bombenlast abwerfen, Panzereinheiten ins dicht besiedelte Gebiet vorrücken und Bodentruppen von Häusern und Hütten vorübergehend Besitz ergreifen?

In Israel selbst ist eine intensive, öffentliche Debatte über diese Fragen bis heute nicht ins Rollen gekommen. Nur während ein paar Tagen diskutierten Medien das Verhalten der IDF. Ausgelöst wurde die Kontroverse durch einen Bericht israelischer Soldaten, die sich wenige Wochen nach dem Krieg zu Wort gemeldet hatten. Sie beriefen sich dabei auf Aussagen von Kollegen – und sorgten für Schlagzeilen. Was sie nämlich über das Verhalten der Truppen berichteten, widersprach klar dem Anspruch der Armee, die „moralischste der Welt“ zu sein. Soldaten und Offiziere bestätigten, was zuvor Palästinenser und Menschenrechtsorganisationen in Interviews behauptet hatten: Die Armee habe palästinensische Zivilisten leichtfertig getötet und sich am Eigentum der Palästinenser vergriffen. Protokolliert hatte die Aussagen Mitte Februar Dani Zamir, der Leiter des Militärinstituts „Oranim Academic College“ in der Nähe von Haifa. Er brachte die Eindrücke und Erinnerungen anonymisiert zu Papier und ließ sie dem Generalstabschef zukommen. Als dieser nicht reagierte, leitete Zamir den Bericht an die Medien weiter.

Die Armee stellte den Wahrheitsgehalt mit dem Argument in Frage, dass der Bericht lediglich Aussagen aus zweiter Hand enthalte. Im April publizierte sie dann das Resultat eigener Untersuchungen, die von Offizieren durchgeführt worden waren. Die IDF hätten in Übereinstimmung mit den Prinzipien internationaler Gesetze gehandelt und dabei einen „hohen professionellen und ethischen Standard eingehalten“, heißt es dort. Nur in Einzelfällen sei es zu Fehlern bei der Informationsbeschaffung oder beim Vorgehen während der Kämpfe gekommen. Doch, so liest man im IDF-Untersuchungsbericht, habe die Hamas die Bevölkerung absichtlich in Kampfhandlungen hineingezogen, statt zu ihrem Schutz beizutragen.

Israelische Menschenrechtsorganisationen hegen den Verdacht, dass mit dem schnell verfassten Bericht die Wahrheit vertuscht werden sollte. Sie fordern eine unabhängige externe Untersuchung zu der Frage, ob die IDF in Gaza Kriegsverbrechen begangen habe. Generalstaatsanwalt Menachem Mazuz winkte ab. Die interne Untersuchung der Armee sei glaubwürdig und durchaus genügend, befand er. Damit war die Diskussion beendet. Doch im Sommer könnte die Gaza-Debatte in Israel neu aufflammen. Dann nämlich will die Gruppe „Breaking the Silence“ ihren Bericht publizieren, der auf Gesprächen mit rund 30 Soldaten und Offizieren beruht, die während des Gaza-Kriegs aktiv waren. („Breaking the Silence“, gegründet von ehemaligen israelischen Soldatinnen und Soldaten, die in den besetzten Gebieten ihren Dienst leisteten, will mit Zeugenaussagen der Uniformierten das Verhalten der IDF in den besetzten Gebieten dokumentieren.) Der Bericht ist zwar noch unter Verschluss – „aber was die Soldaten im Militärcollege gesagt haben, können wir bestätigen“, heißt es vorab.

Während sich Israel der Diskussion nicht stellen will, werden im Ausland weiterhin harte Fragen zum Gaza-Krieg laut. Bereits elf Tage nach dem Einstellen der Kampfhandlungen reisten fünf medizinische Experten im Auftrag des Evangelischen Entwicklungsdiensts und von medico international sowie israelischer und palästinensischer Menschenrechtsorganisationen in den Gaza-Streifen. Sie dokumentierten 44 Zeugenaussagen. Ihre Folgerung: „Neutrale, unabhängige Ermittlungen“ seien notwendig. Im Auftrag der UN klärt derzeit ein Expertenteam unter der Leitung des südafrikanischen Richters und ehemaligen UN-Chefanklägers Richard Goldstone mögliche Kriegsverbrechen ab. Das Mandat bemüht sich um Ausgewogenheit, es soll Menschenrechtsverletzungen von israelischer wie palästinensischer Seite abklären.

Die Hamas arbeitet mit den Experten zusammen und hat dadurch Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Aber Israel verweigert die Kooperation mit der Begründung, das UN-Team sei nicht objektiv. Die ablehnende Haltung, sagen Diplomaten in Jerusalem, habe auch mit der schlechten Erfahrung zu tun, die Israel mit einer ersten Untersuchungskommission unter Leitung des ehemaligen Generalsekretärs von Amnesty International Ian Martin gemacht habe. Diese war zu dem Schluss gekommen, Israel habe mit voller Absicht UN-Gebäude unter Beschuss genommen.

PIERRE HEUMANN ist Korrespondent des führenden Schweizer Wochenmagazins Weltwoche in Tel Aviv.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2009, S. 64 - 65.

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