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01. Aug. 2004

Kasachstans Weg zum Petro-Staat

Ohne die Entdeckung riesiger Ölfelder vor knapp vier Jahren wäre an Kasachstan vermutlich
wenig Bemerkenswertes. Doch der Ölboom hat die ehemalige Sowjetrepublik in Zentralasien in
den Rang eines weltweit führenden Ölproduzenten katapultiert. Birgit Brauer beschreibt, welche
Auswirkungen der plötzliche Reichtum hat.

Ohne die Entdeckung des riesigen Kaschagan-Ölfelds im kasachischen Sektor des Kaspischen Meeres im Jahr 2000 – dem größten Ölfund der letzten 30 Jahre – wäre an Kasachstan vermutlich wenig Bemerkenswertes. Ein früher von Nomaden bevölkertes Land, das von Moskau als Sowjetrepublik zu einem Weizenproduktions- und Industriestandort aufgebaut wurde und seit seiner Unabhängigkeit sehr erfolgreich marktwirtschaftliche Reformen durchführt, wäre zwar durchaus der Beachtung wert, würde aber außerhalb von Zentralasien kaum jemanden wirklich interessieren.

Seit Kaschagan ist vieles jedoch anders. Kasachstan steht am Anfang eines Ölbooms, der das Land und seine 15 Millionen Einwohner im kommenden Jahrzehnt stark verändern wird. Laut Schätzungen der Ölfirma Shell, die an der Erschließung des Ölfelds beteiligt ist, soll Kaschagan über Reserven von bis zu 13 Milliarden Barrel verfügen, womit selbst die optimistischsten Prognosen von der Realität weit übertroffen wurden. Die seit langem bestehenden Pläne des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, die Ölproduktion des Landes bis 2015 auf mehr als drei Millionen Barrel am Tag bzw. 150 Millionen Tonnen zu verdreifachen und damit Kasachstan in den Rang eines weltweit führenden Ölproduzenten zu katapultieren, erscheinen nicht mehr utopisch. Die großen internationalen Ölkonzerne, die praktisch alle seit Mitte der neunziger Jahre in der Region aktiv sind, bemühen sich seither noch stärker um eine Teilnahme an der weiteren Erforschung des kasachischen Sektors des Kaspischen Meeres.

Obwohl Kasachstans gesamte Ölreserven bei weitem nicht an das Volumen der Staaten des Nahen Ostens heranreichen, sind erste Anzeichen eines Booms bereits erkennbar. Doch die unmittelbare Reaktion auf den Ölfund war zunächst ein selbstbewussteres und forscheres Auftreten der kasachischen Führungsriege gegenüber ausländischen Investoren, die seit 2000 eindeutig einen schwereren Stand haben als zuvor. Das bekam u.a. der amerikanische Ölkonzern ChevronTexaco zu spüren, der zur Hälfte an dem zweitgrößten Ölprojekt, Tengis, beteiligt ist und bislang als der größte Investor des Landes gilt.  Ein monatelang andauernder Streit mit der kasachischen Regierung über die Art der Finanzierung des Projekts wurde Anfang 2003 beigelegt, nachdem ChevronTexaco die Arbeit in Tengis vorübergehend eingestellt hatte. Diese Auseinandersetzung war genauso symptomatisch für das sich verschärfende Investitionsklima wie ursprünglich der Vertragsabschluss über Tengis für die Offenheit des Landes stand, als sich Chevron 1993 als erstes großes ausländisches Unternehmen zu Investitionen in Milliardenhöhe in dem jungen unabhängigen Staat verpflichtete. Mittlerweile ist Nasarbajew auch mit anderen, in der Anfangszeit mit ausländischen Investoren abgeschlossenen Verträgen unzufrieden, weil seiner Ansicht nach die damalige Situation, als Kasachstans Inflationsrate vierstellig und kasachische Politiker in Verhandlungen noch unerfahren waren, nicht mehr den heutigen Konditionen entspricht.

Deshalb ist es aus kasachischer Perspektive auch nur angemessen und gerecht, dass Energieminister Wladimir Schkolnik zurzeit über den Kauf eines Anteils am Kaschagan-Projekt mit den westlichen Konsortiumspartnern verhandelt. Kasachstan war vor fünf Jahren im Sog der Finanzkrise in Russland aus der Not heraus gezwungen gewesen, seinen Anteil an Kaschagan für 500 Millionen Dollar zu verkaufen. Jetzt will es wieder einsteigen und den zum Verkauf stehenden 16,7%-Anteil der Firma British Gas für eine Milliarde Dollar erwerben – wenngleich dies gegen die Regeln verstößt. Die anderen Konsortiumspartner hatten nämlich beabsichtigt, ihr vertraglich geregeltes Vorkaufsrecht wahrzunehmen, aber die kasachische Regierung pocht auf ihr Recht als Gastland.

Die Größenordnung der Verhandlungen und die Hartnäckigkeit der kasachischen Regierung zeigen, dass sich Kasachstan mittlerweile auf einem anderen Niveau bewegt als noch in den ersten schwierigen Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – und dabei die anderen durchweg weniger erfolgreichen zentralasiatischen Staaten weit zurückgelassen hat. Diese blicken heute mit einer Mischung aus Neid und Resignation auf den schier uneinholbaren Nachbarn. Usbekistan und insbesondere Turkmenistan verfügen selbst über große Gasvorkommen, werden aber beide von autoritären Herrschern regiert, die sich noch nicht dazu entschließen konnten, dem staatlich gelenkten Wirtschaftssystem den Rücken zu kehren. Kirgistan und Tadschikistan besitzen nur geringe Bodenschätze und sind geographisch und demographisch zu klein, um als Absatzmärkte internationale Bedeutung erlangen zu können.

Trügerischer Schein

Besucher aus den Nachbarstaaten, die es nach Almaty, der ehemaligen Hauptstadt und dem Zentrum der Wirtschaft und des Finanzwesens im Süden des Landes zieht, erleben einen Schock. Almaty, die größte Stadt Kasachstans mit 1,2 Millionen Menschen, hat sich in den letzten Jahren zur Metropole Zentralasiens entwickelt. Auch Astana im Norden, seit 1997 die Hauptstadt, erlebt einen Bauboom. Die Städte Atyrau und Aktau am Kaspischen Meer im Westen Kasachstans, wo die Ölindustrie konzentriert ist, profitieren ebenfalls langsam von den sich steigernden Öleinnahmen, die die staatliche Haushaltskasse bereits gut füllen. Doch der Schein trügt. Obwohl die Wirtschaft mit Raten von knapp zehn Prozent pro Jahr wächst, was hauptsächlich auf die zunehmende Ölproduktion zurückgeht, ist außerhalb dieser Städte von Wohlstand noch nicht viel zu spüren. Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt nur bei etwa 140 Dollar, womit Kasachstan allerdings innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), zu der die ehemaligen Sowjetrepubliken ohne das Baltikum gehören, an vorderster Stelle liegt. Der monatliche Durchschnittslohn in Kirgistan beträgt im Vergleich dazu weniger als 30 Dollar. Das Gesundheits- und Bildungswesen sind noch immer unter dem sowjetischen Niveau;   Korruption ist allgegenwärtig.

Im Juni 2004 haben mehrere Nichtregierungsorganisationen, die mangelnde Transparenz bei der Übersicht und Verwendung der Öleinnahmen beklagen, eine Koalition geschlossen, um die kasachische Regierung von der Notwendigkeit zu überzeugen, genaue Rechenschaft abzulegen. Mitte der neunziger Jahre, als die Privatisierung auf Hochtouren lief, wurden einige staatliche Unternehmen von ausländischen Firmen zu überaus günstigen Bedingungen erworben, weshalb inoffiziell von Schmiergeldzahlungen die Rede war. Eine Kapitalamnestie im Sommer 2001 brachte 500 Millionen Dollar ins Land zurück.

Der im August 2000, einen Monat nach der Entdeckung von Kaschagan, gegründete „Nationale Fonds“ dient bereits als Sparanlage für diese Ölgelder und als Schutz vor Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten. Bis Ende des Jahres sollen darin vier Milliarden Dollar akkumuliert sein. Über die Verwendung der Gelder entscheidet jedoch der Präsident.

Präsident Nasarbajew wird aber möglicherweise demnächst nicht mehr die Idealbesetzung für diese Rolle sein. Im Oktober 2004 soll in New York der Prozess gegen einen ehemaligen amerikanischen Berater des Präsidenten, der der Korruption angeklagt ist, beginnen. James Giffen wird vorgeworfen, 78 Millionen Dollar von Ölfirmen erhalten und auf Konten hoher kasachischer Regierungsbeamter in der Schweiz eingezahlt zu haben. Darunter soll auch ein Konto von Nasarbajew sein. Käme es zu einem Schuldspruch im „Kazakhgate“-Prozess, so wäre dies ein schwerer Schlag für das Renommee des Präsidenten und könnte innenpolitisch unabsehbare Folgen haben.

Ein weiterer Minuspunkt für Kasachstan ist die übergroße Konzentration des Landes auf die Förderung seiner Ölvorkommen gegenüber anderen Wirtschaftszweigen. Ungefähr 80 Prozent aller seit 1991 getätigten ausländischen Investitionen, die insgesamt 25 Milliarden Dollar ausmachen, sind in den Öl- und Gassektor geflossen. Obwohl es mittlerweile ein ehrgeiziges Programm für den Aufbau des Industriesektors gibt, ist die Wirtschaft noch nicht ausreichend diversifiziert, um langfristig die berüchtigte „Dutch Disease“ vermeiden zu können.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2004, S. 58‑60

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