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01. Jan. 2009

Kampf der Giganten

Die Krise in Thailand ist vor allem eine Auseinandersetzung der Eliten

Was wird aus der thailändischen Demokratie? Die staatlichen Institutionen sind instabil, die Politiker korrupt, die Gesellschaft ist gespalten. Nur ein Kompromiss zwischen den Eliten könnte diese Probleme bewältigen. Sonst bleibt der Großteil der Bevölkerung weiter vom politischen System ausgeschlossen – schlimmstenfalls droht ein Bürgerkrieg.

Der Machtkampf in Thailand ist eigentlich ein Stellvertreterkampf zwischen den zwei reichsten Männern des Landes. Auf der einen Seite steht der amtierende König Bhumibol Adulyadey, dessen Reichtum kürzlich von Forbes auf 35 Milliarden Dollar geschätzt wurde. Der 81-jährige Monarch regiert das Land seit nunmehr 52 Jahren und wird wie ein Gott verehrt. Er steht zwar über der Politik und fungiert nur als Retter in Krisenzeiten, wie 1973, 1976 und 1992, als er mit einem Machtwort wieder stabile Verhältnisse herstellte. Sein Eingreifen war 1973 und 1992 prodemokratisch und ein Rückschlag für die regierenden Militärs, 1976 beendete er jedoch durch sein Eingreifen die kurze Phase demokratischer Politik, indem er einen Militär wieder an die Macht setzte.

Tatsächlich kommt ihm jedoch noch weitaus mehr Macht zu. Er regiert vor allem informell, mit Hilfe eines Netzwerks aus 3000 Personen aus dem Kronrat, der Bürokratie und dem Bildungsbürgertum. Das Gesetz zur Majestätsbeleidigung macht ihn unangreifbar. Dem König zur Seite stehen vor allem die Mitglieder der Demokratischen Partei (DP). Die 1946 gegründete, älteste Partei Thailands hat ihre Hochburg im Süden des Landes und in der Hauptstadt Bangkok. Darüber hinaus kämpfen eine ganze Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen (vorwiegend aus Bangkok) für die Sache des Königs: Gewerkschaften, lokale NGOs und Demokratiegruppen. Diese außerparlamentarische „Volksallianz für Demokratie“ (PAD) hatte sich bereits im Jahre 2006 im Kampf gegen Thaksins autoritäres Vorgehen und seine Politik der Privatisierung zusammengefunden.

Thaksin Shinawatra, ehemaliger Telekommunikationsunternehmer und mit einem geschätzten Privatvermögen von 1,4 Milliarden Dollar einer der reichsten Männer des Landes, ist der Gegenspieler des Königs. Zwar wurde Thaksin 2001 in freien und fairen Wahlen zum Premierminister gewählt. Doch im so genannten Krieg gegen Drogen im Sommer 2003, als Hunderte von Drogenkurieren außergerichtlich hingerichtet wurden, oder im harten Vorgehen gegen die Separatisten im Süden des Landes gingen auch erhebliche Verstöße gegen die Menschenrechte auf sein Konto. Darüber hinaus beschnitt er die Pressefreiheit des Landes. Sämtliche demokratischen Institutionen, wie die Korruptionsbekämpfungsbehörde oder das Verfassungsgericht hatte er mit seinen Leuten besetzt. Erst der Militärputsch 2006 und die Auflösung der demokratischen Institutionen sowie der Thaksin-Partei TRT änderte die Machtverhältnisse. Seitdem überwiegen in den meisten staatlichen Institutionen die Gegner Thaksins, etwa im Verfassungsgericht oder der Wahlkommission.

Thaksins Unterstützer könnten heterogener kaum sein: Nach der Asienkrise schaffte er es, die wirtschaftlichen Eliten des Königreichs auf seine Seite zu ziehen. Durch populistische Politik gelang es ihm jedoch auch, die ländliche Bevölkerung hinter sich zu bringen – mit 70 Prozent noch immer der Großteil der thailändischen Wähler. Thaksin war der erste, der sich systematisch um ihre Belange kümmerte. Mit Hilfe einer kostenlosen Gesundheitsfürsorge, Dorfentwicklungsprogrammen und Krediten für ländliche Räume verschrieb sich der Milliardär aus Bangkok der Sache der Armen.

Hinter dem Elitenkonflikt stehen folglich auch unterschiedliche Entwicklungsphilosophien: Der König mit seinem Weg zur „self-sufficient economy“, die auf Genügsamkeit, buddhistische Werte und Tradition setzt und eine Abkehr von der Globalisierung bedeutet, gegen den selbsternannten CEO Thailands, der für eine beschleunigte Globalisierung und Weltmarktöffnung und für die kapitalistische Entwicklung der ländlichen Regionen und Förderung der Bauern steht. Wie lässt sich dieser Konflikt lösen?

Fragile Allianzen

Ein Weg, die Krise in Thailand zu entschärfen, wäre sicherlich die Rückkehr Thaksins. Dies erscheint momentan jedoch die am wenigsten wahrscheinliche Option. Thaksin ist in Thailand rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Darüber hinaus wurde ein Teil seines Vermögens konfisziert. Nur eine Amnestie des Königs könnte seine Rückkehr ermöglichen. Der König hat daran jedoch kein Interesse. Schließlich könnte unter Thaksin sogar über die Errichtung einer Republik in Thailand diskutiert werden. Hinter den Kulissen versuchten die Stellvertreterregierungen von Samak Sundaravej und von Thaksins Schwager Somchai Wongsawat bereits die Verfassung zu ändern und Thaksins Rückkehr vorzubereiten. Die PAD ging jedoch auf die Straße und besetzte mehrere Tage lang den Flughafen des Landes. Jetzt hat sie angekündigt, erneut in Aktion zu treten, sollte die Regierung Thaksins Rückkehr ermöglichen. Eine erneute „Marionettenregierung“ wäre mit ihr also nicht zu machen. Durch die Besetzung strategisch wichtiger Positionen kann sie dem Tourismus- und Wirtschaftssektor zu großen Schaden zufügen.

Nach der Auflösung der Regierungspartei PPP könnte die königstreue DP mit Hilfe von Überläufern aus dem Regierungslager an die Macht kommen. Ihr Chef Abhisit Vejjajiva schlägt momentan diesen Weg ein und ließ sich zum neuen Premierminister wählen. Diese Allianz der Mittelklasse in Bangkok mit den Armen des Nordostens wäre jedoch sehr fragil. Da die thailändischen Parteien chronisch instabil sind und das Überlaufen von verschiedenen Faktionen an der Tagesordnung ist, stünde auch die neue Parteienkoalition vor der Gefahr, schnell wieder auseinander zu brechen. Eine Rückkehr zur unsicheren Politik der neunziger Jahre wäre die Folge, als sich die Regierungen im Durchschnitt nur etwa 100 Tage im Amt hielten.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche institutionellen Veränderungen die Regierenden vornehmen würden, um ihre Macht abzusichern. Folgt man dem Programm der PAD, die die gleichen Ziele verfolgt wie die Demokratische Partei, könnte der Weg zu Verfassungsänderungen führen, die die Demokratie langsam aushöhlen. Die PAD hat vorgeschlagen, nur noch 30 Prozent des Parlaments wählen und 70 Prozent ernennen zu lassen. Sie folgt damit einem eher integralistischen System, das verschiedene Berufsgruppen im Parlament vertreten sehen will. Hintergrund des Vorschlags ist die Meinung, dass das ganze parlamentarische System Thailands korrupt ist und dass die Parteien und Thaksin die Stimmen der ländlichen Bevölkerung kaufen. Die Mittelschicht Bangkoks und Teile der Zivilgesellschaft liebäugeln schon länger mit einem ernannten Premierminister. Damit würde die ländliche Bevölkerung, die bislang nur über Patron-Klient-Beziehungen ins politische System eingebunden ist, weiter ausgeschlossen. Die alten Eliten könnten ihre Macht dauerhaft konsolidieren. Thaksin müsste im Exil bleiben.

Es ist allerdings unklar, ob er das einfach akzeptieren würde. Er verfügt über die finanziellen Mittel, um diesen in seinen Augen faulen Elitenkompromiss durch die Finanzierung von Anschlägen zu sabotieren. Auch innerhalb der Landbevölkerung könnten sich Organisationen bilden, die gegen ihren Ausschluss aus dem politischen System protestieren. Damit wäre der Weg für eine weitere Radikalisierung der Thailand-Krise offen. Angesichts eines kranken und alternden Königs, der bislang in Krisenzeiten die Stabilität wiederhergestellt hat, bleibt fraglich, ob das Land dann in den Bürgerkrieg abgleiten würde.

Der designierte Thronfolger, Kronprinz Maha Vajiralongkorn, hat innerhalb der Streitkräfte und der Bevölkerung nicht den Rückhalt, um Thailand dauerhaft zu stabilisieren. Er verfügt aufgrund seiner militärischen Ausbildung und seines wechselhaften Privatlebens – er ist mehrfach geschieden –nicht über das Ansehen des alten Königs. Das Volk würde Prinzessin Sirindhorn, die sich in zahlreichen Stiftungen des Königs für das Volk einsetzt, viel lieber auf dem Thron sehen.

Das Militär als die zweitstärkste Institution des Landes nach der Monarchie könnte ebenso wieder ins Zentrum treten. Zwar hat es sich in der bisherigen Krise zurückgehalten. Dies liegt aber auch daran, dass der Putsch 2006 nicht zu einer Beruhigung der politischen Fronten geführt hatte. Das Militär war damals angetreten mit dem Ziel, die Polarisierung des Landes aufzuheben – was misslang. Die Ergebnisse der Wahlen 2007 haben gezeigt, dass sich die Fronten verhärtet haben.

Der perfekte Politiker

Die Forderung nach einer „neuen Politik“ hat man in Thailand schon häufiger gehört. Zuletzt war damit die Umsetzung der Reformen der demokratischen Verfassung von 1997 gemeint. Um zu einem Kompromiss zwischen den Eliten zu gelangen, benötigt das Land jedoch einen neuen Politikertypus: einen Vertrauten des Königs, der gleichzeitig bei den ländlichen Massen ankommt; einen Parteiführer, der zahlreiche Abgeordnete hinter sich versammeln kann; eine Persönlichkeit, die eventuell auch Thaksins Gegner beschwichtigen kann. Korruptionsfrei, aber mit Rückhalt in der ländlichen Bevölkerung.

Angesichts der Unterschiede zwischen Stadt und Land und der Polarisierung der thailändischen Gesellschaft wird es unmöglich sein, solch eine Figur zu finden. Thailands Politiker gelten als chronisch korrupt, sie machen Politik zur Befriedigung von Eigeninteressen. Die politischen Probleme des Landes hingegen sind gewaltig: der baldige Thronwechsel, die Finanzkrise, die Modernisierung des Bildungswesens, die Überwindung der Stadt-Land-Spaltung. Um diese Aufgaben zu bewältigen, bedarf es einer stabilen Politik, die auf dem Fundament eines Kompromisses zwischen den Eliten des Landes ruht.

Die thailändische Zivilgesellschaft hat sich bislang aus dem Konflikt herausgehalten oder Partei für die Seite des Königs ergriffen. Ähnlich wie Mitte der neunziger Jahre sollte sich die Zivilgesellschaft für eine neue Politik einsetzen und neue Spielregeln schaffen, die die Demokratisierung des Landes vorantreiben können. Die zahlreichen städtischen und ländlichen NGOs müssen jedoch auch ihre eigenen Spaltungen überwinden, um der Demokratie ein sicheres Fundament zu geben. Ihre Schwerpunkte reichen von der Rückkehr zur Dorfgemeinschaft über marxistische Philosophien bis hin zu radikaldemokratischen Vorstellungen. Auch müssten sie die Landbevölkerung einbeziehen. Ein Impuls der Zivilgesellschaft könnte jedoch helfen, einen Kompromiss zu schließen, der mehr ist als ein Elitenpakt.

Dr. MARCO BÜNTE arbeitet am German Institute of Global and Area Studies (GIGA), Institut für Asienstudien, in Hamburg.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2009, S. 96 - 100.

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