Jetzt ist die Zeit zu handeln!
Deutschland und USA vor gemeinsamen Aufgaben
Was, fragen Jackson Janes vom American Institute for Contemporary German Studies und
Eberhard Sandschneider vom Forschungsinstitut der DGAP, bedeutet das Ergebnis der amerikanischen
Präsidentschaftswahlen für die transatlantischen Beziehungen, besonders für das
Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten? Sie beschreiben sieben Handlungsfelder,
in denen die gestörten Beziehungen durch eine Politik der kleinen Schritte auf eine
tragfähige Basis gestellt werden können.
Amerika hat gewählt. George W. Bush ist auf der Grundlage konservativer Werte im Amt bestätigt worden. Er hat eine klare Legitimation, seine Politik in den nächsten vier Jahren fortzusetzen. Was aber bedeutet das für die transatlantischen Beziehungen und insbesondere für das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA?
Die Europäer hätten in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht für Bush gestimmt. Aber jetzt müssen sie schlicht anerkennen, dass die amerikanischen Wähler sich anders entschieden haben. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, zurückzuschauen und die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen in den vergangenen vier Jahren zu diskutieren und damit in ausgetretenen und wenig zukunftsfähigen Pfaden zu verharren. Es mag auch verlockend sein zu spekulieren, wie Bush auf der Grundlage seines Wahlsiegs neue Akzente seiner Außenpolitik setzt. Aber das hilft nur wenig, wenn es daran geht, diese Beziehungen gemeinsam zu gestalten.
Transatlantische Beziehungen unterliegen einem Paradox. Sie sind auf der Arbeitsebene einzelner Ministerien weit besser als manche aufgeregte öffentliche Diskussion nahe legt. Aber gleichzeitig wachsen die Diskrepanzen: Sie werden von der Bush-Regierung nicht nur verursacht, sondern vor allem von ihr repräsentiert. Bush steht für eine Teilung Amerikas.
Nach allen Debatten über ein altes und neues Europa müssen wir nüchtern feststellen: Es gibt auch ein altes und neues Amerika! Es gibt noch das alte Amerika, das den Europäern vertraut ist; das Amerika der Neuengland-Staaten und der gesamten Westküste. Das Amerika, das wie die Europäer mehrheitlich Demokraten wählt. Aber es gibt auch das neue, das konservativ-christlich geprägte Amerika der amerikanischen Kernstaaten. Dieses Amerika entwickelt sich in eine andere Richtung und ist von Werten geprägt, die Europäer nicht (mehr) ohne weiteres unterschreiben. Und ins Weiße Haus kommt nur, wer dort eine Mehrheit findet.
Wie gehen Europäer mit diesem Amerika um? Schmollend, kritisierend, kopfschüttelnd oder vielleicht sogar resignierend? Und wie reagieren Amerikaner? Überheblich, desinteressiert oder vielleicht sogar mit Bevormundung? Es ist jetzt an der Zeit gemeinsam auszuloten, wie weit in Anbetracht der konservativen Wende in der amerikanischen Politik transatlantische Gemeinsamkeiten noch tragen. Große Worte über transatlantische Werte und eine nostalgisch verklärte Vergangenheit helfen nicht mehr weiter. Europa wird mit einem Amerika leben müssen, das zunehmend konservativ denkt, wählt und handelt. Transatlantische Beziehungen heute werden anders sein als in der Vergangenheit. Die Gefährdung der transatlantischen Partnerschaft kann nur überwunden werden, wenn es gelingt, verloren gegangenes Vertrauen schnell zurückzugewinnen.
Wir sind trotz allem fest davon überzeugt, dass die zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nur gemeistert werden können, wenn Europa und Amerika eng zusammenarbeiten. Was immer unsere Unterschiede sein mögen: Jetzt ist die Zeit zu handeln!
Berlin und Washington
Unser Ausgangspunkt ist eine einfache Feststellung: Transatlantische Beziehungen können nur so gut sein, wie deutsch-amerikanische Beziehungen sind. Dafür sprechen vier Gründe:
Erstens: Die Vereinigten Staaten bestimmen – ob es uns gefällt oder nicht – ob Deutschland seine strategischen Ziele erreicht. In sicherheitspolitischen Fragen, in Fragen des Handels, im Umgang mit internationalen Organisationen, insbesondere den Vereinten Nationen, erst recht mit Blick auf Krisenregionen und die Lösung globaler Probleme – es sind die USA, von denen deutsche Politik abhängt.
Zweitens gilt aber auch umgekehrt: Deutschland ist der wichtigste Partner der USA auf dem europäischen Kontinent. Als eigenständiger Akteur, Kritiker, Wettbewerber oder Unterstützer für Ziele, die auf der amerikanischen Agenda oben stehen, ist eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa ohne Deutschland nicht denkbar.
Drittens: Unsere bilateralen Beziehungen werden sich ebenso verändern wie die gesamten transatlantischen Beziehungen. Das wechselseitige Verständnis dieser Veränderungen steckt aber noch in den Kinderschuhen. Deutschland versteht bisher nur begrenzt, was das Trauma des 11. September 2001 in den USA ausgelöst hat. Amerika steckt mitten in einer gesellschaftlichen Debatte um kulturelle Werte, die sich vermischt mit tief sitzender Angst vor islamistischem Terrorismus, gepaart mit wirtschaftlichen Verunsicherungen und den wachsenden Unsicherheiten im Umgang mit kulturellem Pluralismus in einer globalisierten Welt. Europa muss verstehen, dass Religion eine Antwort Amerikas auf den Umgang mit dem Nichtgeheueren ist.
Amerikaner haben nur sehr begrenzt verstanden, welche Veränderungen in Deutschland mit den Folgen der Wiedervereinigung und der europäischen Integration einhergehen und welche Folgen diese Veränderung für unser Verhältnis zu Amerika haben. Und noch weniger verstehen sie die Bedeutung der Europäischen Union als Macht- und Entscheidungszentrum für europäisches Handeln und vor allem für deutsche Außenpolitik. Erwartungen an Zusammenarbeit und Skepsis über mögliche Konkurrenz halten sich die Waage. Europa wird aus amerikanischer Sicht aber nur dann ein ernst zu nehmender Akteur auf der Weltbühne sein können, wenn es seine Kräfte und Kapazitäten bündelt. Hierbei kommt Deutschland eine Schlüsselrolle als Partner der USA und als europäische Führungsmacht zu. Die deutsche Öffentlichkeit muss sich darüber allerdings erst noch klar werden.
Viertens: Wie der amerikanische Präsident in seiner zweiten Amtsperiode auf Europa und Deutschland zugeht, wird entscheidend davon abhängen, welche Ziele er in seiner Außenpolitik verwirklichen will. Zweifellos wird er Hilfe brauchen und diese auch suchen, um seine ambitionierten Ziele zu verwirklichen: Irak, Iran, aber auch Israel werden definitiv Eckpunkte dieser Politik bilden. Wie Europäer ihm begegnen werden, wird entscheidend davon abhängen, ob der Präsident bereit ist, Europa in seinen eigenen Zielen und Interessen als Partner ernst zu nehmen. Nach dem Ende des Wahlkampfs öffnet sich ein Zeitfenster, das genutzt werden muss. Die beiderseitigen Fehler während der ersten Amtszeit von Bush müssen sich nicht zwangsläufig wiederholen. Institutionen und Beziehungen gewinnen aus Krisen neue Kraft. Nach den Entwicklungen der vergangenen beiden Jahre bietet sich jetzt die Chance für einen grundständigen Neubeginn im gemeinsamen Interesse. Aber Deutschland wird immer als Teil Europas reagieren. Die Wiederwahl Bushs wird den Prozess der europäischen Integration beschleunigen. Amerikaner sollten wissen, dass sie schlecht beraten sind, in diesen Prozess störend einzugreifen. Umgekehrt müssen Deutschland und Europa bereit sein, aktiv an der Lösung internationaler Konflikte mitzuwirken. Nur so besteht die Chance, auf amerikanisches Verhalten Einfluss ausüben zu können.
Sieben Handlungsfelder
In vielen Fragen der internationalen Politik besteht nach wie vor die Chance auf konstruktive Zusammenarbeit, um gemeinsame Interessen zu verfolgen. Wir sehen sieben Handlungsfelder, in denen deutsch-amerikanische Beziehungen durch eine Politik der kleinen Schritte auf eine tragfähige Basis gestellt werden können:
1. Afghanistan ist weit von einem Erfolg internationaler Stabilisierungsbemühungen entfernt. Die amerikanische Regierung erkennt Deutschlands Leistungen ohne Einschränkung an. Die Arbeit der Provinz-Aufbau-Teams (PRT) muss durch weitere gemeinsame Anstrengungen verbessert werden. Auf dieser Grundlage kann dann die Zusammenlegung von Operation Enduring Freedom mit dem ISAF-Einsatz der NATO erfolgen. Ein solcher gemeinsamer Schritt könnte nicht nur dem Land selbst helfen, sondern auch untermauern, dass sinnvolle Zusammenarbeit weit über unterschiedliche Fähigkeiten hinaus möglich ist.
2. Die amerikanische Regierung erwartet keine deutschen Truppen in Irak, aber sie erwartet jede mögliche Hilfe beim Aufbau des Landes. Die geplanten Wahlen im nächsten Jahr könnten den Ausgangspunkt für eine strategische Wiederannäherung in dieser Frage bieten. Deutschland muss deutlich machen, dass nicht nur Hilfe angeboten wird, sondern ein strategisches Interesse an einem schnellen Erfolg Amerikas besteht.
3. Die Situation in Kosovo bleibt kritisch und erfordert gemeinsames Handeln, um einen Rückfall in Bürgerkrieg und Massenmord zu verhindern. Wie wir gemeinsam mit „failing states“ umgehen, lässt sich in Kosovo besonders deutlich demonstrieren.
4. Die Entwicklungen um das Atomprogramm Irans drohen zu einem neuen Belastungsfaktor transatlantischer Beziehungen zu werden. Sowohl die USA als auch Europa sind mit ihren Bemühungen, das Atomprogramm Teherans zu stoppen, bisher gescheitert. Nur ein Drehen an der Eskalationsspirale hilft nicht weiter. Dieses Signal muss aus Washington kommen. Für eine Verbesserung der Beziehungen kann Deutschland auch als Ansprechpartner für Kräfte in Iran zur Verfügung stehen, die dem Westen weniger kritisch gegenüberstehen. Arbeitsteilige Zusammenarbeit im Sinne einer Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“ lässt sich gegenüber Iran demonstrieren.
5. Deutschland und die USA haben ein vitales Interesse an einer stabilen und demokratischen Entwicklung in Russland. Die guten Beziehungen des deutschen Kanzlers zum russischen Präsidenten – so kritisch sie zum Teil auch gesehen werden mögen – können Baustein sein für eine Politik des konstruktiven Umgangs mit einem unberechenbaren Partner. Dies gilt um so mehr für den Fall, dass die USA zu einer eher härteren Linie gegenüber Wladimir Putin neigen sollten. Eine ähnliche Vermittlungsposition lässt sich prinzipiell für den Kaukasus und die Ukraine entwickeln. Die Perspektiven für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Berlin und Washington sind in diesen Fragen viel versprechend.
6. Ähnliches gilt für China. Die politische und ökonomische Entwicklung eines strukturell instabilen Landes stellt die USA und Europa vor gemeinsame Herausforderungen, für die längst noch kein Konsens gefunden ist. Während Europa auf Einbindung setzt, wird in den USA Eindämmung nicht ausgeschlossen. Taiwan bleibt ein besonders unkalkulierbarer Risikofaktor. Eine strategische Kooperation im Umgang mit China liegt im beiderseitigen wirtschaftlichen und politischen Interesse. Ein transatlantischer Dialog zu Entwicklungen im asiatisch-pazifischen Raum ist überfällig.
7. Deutschland und Europa müssen bereit sein, gemeinsam mit den USA den Kernkonflikt des Nahen Ostens zwischen Israel und Palästina regulieren zu helfen. Hier liegen die Probleme innerhalb der Region ähnlich schwierig wie die Verständigung zwischen Europa und den USA. Aber gerade wegen seiner historischen Verantwortung für Israel kann Deutschland als konstruktiver Partner der USA eine besondere Rolle spielen. Die aktuellen Entwicklungen in Ramallah und der geplante Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen eröffnen die Chance einer Rückkehr zur Road Map.
Nach den üblichen Gratulationen braucht es ein klares Signal aus Berlin. Die Botschaft sollte lauten: Wir sind bereit, unseren Teil an internationaler Verantwortung zu übernehmen. Klare Hilfsangebote bei der Stabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens gehören dazu. Das gilt auch für Aufbauhilfen in Irak. Amerika scheitern zu sehen, kann nicht unser Interesse sein. Und umgekehrt muss Deutschland von den USA mehr erwarten können, als nur als beliebiger Koalitionspartner behandelt zu werden. Um dieses zu erreichen, ist es vor allem nötig, dass Berlin bereit ist, in die offenen Spannungen zwischen Paris und Washington vermittelnd einzugreifen. Das war immer eine besondere Stärke Deutschlands. Darauf kann deutsche Außenpolitik bauen. Die britischen Partner sind für eine solche Rolle Deutschlands offen.
Insgesamt scheint eine Doppelstrategie mehr als notwendig: Zusätzlich zu der Bereitschaft, in allen Fragen gemeinsamen Interesses eine Politik der kleinen Schritte zu verfolgen, sollte aber die Signalwirkung eines symbolischen Aktes kommen.
Die alten Formen und Formeln von Werten, Allianzen und gemeinsamen Bedrohungen tragen nur noch begrenzt. Bevor Europa und die USA getrennte Wege gehen, muss eine neue Basis gefunden werden. Der wichtigste Wert, der in den vergangenen Jahren verloren gegangen ist, heißt Vertrauen. Es besteht auf beiden Seiten nicht mehr. Aber Vertrauen ist Grundvoraussetzung, um in allen anstehenden Problemen der internationalen Politik gemeinsam handeln zu können. Dafür braucht man nicht unbedingt neue Institutionen, wie sie immer wieder einmal gefordert wurden: Dafür braucht man einen Prozess der Verständigung, der gleichzeitig signalisiert, dass die Fundamente transatlantischer Beziehungen noch tragen.
Deutschland und Europa sollten nicht warten, bis die neue Bush-Regierung offiziell im Amt ist. Jetzt ist der Zeitpunkt, ein deutliches und glaubhaftes Signal nach Washington zu senden: Deutschland ist bereit, für Amerika ein starker und verlässlicher Partner zu sein. Auch wenn wir nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen, sollten wir gemeinsame Interessen mit einer gemeinsamen Politik angehen. Nicht in Konfrontation, sondern einer arbeitsteiligen Strategie besteht die einzige Chance, wachsende Herausforderungen zu meistern. Die USA und Europa haben jeweils eigene Sicherheitsstrategien vorgelegt. In dem vermutlich kurzen Zeitfenster des Neubeginns nach der Wahl in Amerika benötigen transatlantische Beziehungen eine überzeugende deutsche Initiative. Wir brauchen eine transatlantische Sicherheitsstrategie für das 21. Jahrhundert. Auf dem Bonner Petersberg könnte sie zwischen Europa und den USA ausgehandelt werden. Berlin sollte handeln. Jetzt ist die Zeit, die Einladung auszusprechen!
Internationale Politik 11-12, November/Dezember 2004, S. 10‑14
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