Iran von innen
Drei Versuche, ein widersprüchliches Land zu verstehen
Terrorunterstützer und Kriegstreiber oder Stabilitäts-anker und Wirtschaftspartner? Auch ein Jahr nach Inkrafttreten des Atomabkommens scheiden sich die Geister am Iran. Doch je bedeutsamer die Rolle der Islamischen Republik in der Welt und der Region wird, desto nötiger sind differenzierte und sachliche Analysen.
Laut US-Präsident Donald Trump ist es eine „Katastrophe“: Das Atomabkommen mit dem Iran, das Mitte Januar 2016 in Kraft trat, entzweit bis heute die Gemüter. Die einen sehen den Deal als Freibrief für den Iran, seine Machtansprüche mit Gewalt durchzusetzen, in Syrien, im Jemen, im Libanon. Andere verweisen auf die wirtschaftlichen Chancen, betonen den gesellschaftlichen und politischen Wandel unter Präsident Hassan Rohani und halten das Land für einen möglichen konstruktiven Partner in der Region.
Erdöl als Machtfaktor
Mit der politischen, der wirtschaftlichen und der gesellschaftlichen Situation im Iran beschäftigen sich drei neue Bücher. David Jalilvand beleuchtet kenntnis- und faktenreich den Öl- und Gassektor im Iran, Adnan Tabatabai wirft einen persönlichen und oftmals intimen Blick auf die iranische Gesellschaft, und Henner Fürtig analysiert knapp und konzise die politischen und historischen Entwicklungen des Landes.
Der Bedeutung des Energiesektors für die politische Ökonomie des Iran widmet sich David Jalilvand. Dabei konzentriert sich Jalilvand, der im Nah- und Mittelost-Referat der Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet, auf die Zeit nach der Iranischen Revolution 1979. Besonderes Augenmerk legt er auf die strategische Bedeutung, die das Land aufgrund seiner Erdölreserven bis heute hat. Seiner Analyse zufolge hat sich die Ausrichtung des Energiesektors fundamental verändert: Habe der Iran vor der Revolution noch 90 Prozent seiner Erdöl- und Erdgasproduktion exportiert, so sei dieser Wert bis 2013 auf unter 25 Prozent gesunken, da der Inlandskonsum dramatisch angestiegen sei. Das habe auch mit dem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum sowie den gravierenden Umwälzungen des politischen Systems nach 1979 zu tun.
In den vergangenen Jahrzehnten sei der Energiesektor immer stärker in die politische Ökonomie des Landes integriert worden – mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Politik und Wirtschaft des Landes. Vor allem der verheerende Krieg mit dem Irak zwischen 1980 und 1988 habe zu einem Einbruch der Öl- und Gasproduktion und -exporte geführt. Man sei gezwungen gewesen, die Energieressourcen vor allem der eigenen Bevölkerung zugutekommen zu lassen.
Die wirtschaftliche Krise habe sich nach dem Tod des Revolutionsführers Ayatollah Khomeini zugespitzt; mit der Folge, dass der Iran mehr und mehr in die Isolation geriet. Es sei zu einer politischen Kehrtwende gekommen: Anstelle der konfrontativen, antiwestlichen Politik Khomeinis sei ein „Kurswechsel zu einer pragmatischeren Politik“ getreten, der allerdings durch Präsident Machmud Achmadinedschad wieder gebremst worden sei.
Achmadinedschad habe die Energiesubventionen für die eigene Bevölkerung reduziert und damit den „dramatischen Überkonsum“ eingeschränkt. Jedoch ohne Erfolg, da die Kompensationszahlungen ins Unermessliche gestiegen seien. So sei der Iran wieder in die wirtschaftliche Krise und die internationale Isolation geschlittert – obwohl Achmadinedschad höhere Einnahmen aus dem Ölexport zur Verfügung standen als seinen beiden Vorgängern zusammen.
Jalilvands Fazit fällt dennoch nicht vollkommen negativ aus: Je mehr man den Energiesektor in die Wirtschaft integriert habe, desto stärker sei die inländische Wertschöpfung gestiegen. Das habe zu mehr Industrialisierung geführt, neue Infrastrukturmaßnahmen geschaffen und mehr Bildungsinvestitionen ermöglicht.
Gleichzeitig habe sich der Iran vom Ausland unabhängiger gemacht. Das wiederum habe aber auch negative Folgen gehabt: Neue wirtschaftliche Player seien entstanden, die so genannten „Chosoulati-Unternehmen“. Diese halbstaatlichen Firmen seien eng mit der politischen Elite verbandelt, entzögen sich aber der staatlichen Kontrolle. Das Verhältnis von Staat und Unternehmen werde dadurch umgekehrt: Der Staat werde zum Instrument in den Händen der Chosoulati-Unternehmen. Das schwäche den Staat und fördere die Korruption: „Es wurde zur gängigen Praxis, dass Mitglieder der Staatsklasse ihre Positionen zur Selbstbereicherung nutzten.“ So sicherten die Erdöleinnahmen nicht automatisch die Macht des Staates, sondern ermöglichten es gerade den Chosoulati-Unternehmen, ihren Einfluss auf Kosten der staatlichen Gewalt auszubauen.
Beitrag zur Entmystifizierung
Adnan Tabatabai, Geschäftsführer des Bonner Think Tanks CARPO, nimmt den Leser mit auf eine sehr persönliche, aber nicht weniger analytisch fundierte Reise in den Iran. Dabei thematisiert der als Sohn iranischer Eltern in Deutschland aufgewachsene Autor immer wieder seine eigene Herkunft, die ihm tiefe Einblicke in die iranische Gesellschaft ermöglicht: „Nichts davon ist mir fremd“, schreibt er, „die Umstellung vom deutschen in das iranische Umfeld verläuft für mich fließend.“ Häufig lässt Tabatabai seine iranischen Gesprächspartner direkt zu Wort kommen, die viele gesellschaftliche Spektren abdecken: vom hochrangigen Funktionär über die Studentin und den Geistlichen bis hin zum LKW-Fahrer.
Er scheut sich dabei nicht, auch mit Menschen im Gespräch zu bleiben, deren Meinung er nicht teilt. Gerade absurd anmutende Aussagen „zwingen einen aufgrund des gedanklichen Schocks, den sie erzeugen, zum Nachdenken“. Es sind diese persönlichen Eindrücke von Land und Leuten, die Tabatabais Buch ausmachen. Daneben gelingt es ihm aber auch, die Heterogenität des politischen Systems, der Gesellschaft, der Wirtschaftseliten und der Geistlichkeit aufzuzeigen. Der Iran ist keineswegs ein Land der einheitlichen Meinungen, der kontrollierten Diskurse und der Engstirnigkeit. Unterschiedliche Interessengruppen ringen um Einfluss und um Deutungshoheit. „Man entdeckt jede Menge Grautöne, wo ein einfaches Schwarz-Weiß vermutet wurde.“
Um zur „Entmystifizierung“ des Iran beizutragen, prägt Tabatabai den Begriff der „Systemelite“. Diese gehöre nicht zur Regierung, sondern bestehe aus den „etwa 30 bis 40 einflussreichsten Akteuren in Politik, Geistlichkeit und Militär“. Sie konkurriere oftmals mit der Staatsführung.
Den derzeitigen Präsidenten des Landes, Hassan Rohani, sieht Tabatabai anders als viele Betrachter nicht als Reformer. Rohani gehe es schlicht darum, das Regime über wirtschaftliche Erfolge zu stabilisieren. Gelinge ihm das, sei ihm die Wiederwahl bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen sicher, prognostiziert der Autor. Argwöhnisch betrachtet er die Rolle der Revolutionsgarden, die mittlerweile an der Seite Baschar al-Assads in Syrien kämpfen – ein verlustreiches Unterfangen, das dennoch von den meisten Iranern befürwortet werde.
Die wirtschaftliche Entwicklung bewertet Tabatabai vorsichtig positiv. Die Aufhebung der Sanktionen könne einen Aufschwung auslösen und den „schlafenden Riesen“ Iran wecken. Größtes Manko bleibe indes die „fehlende wirtschaftliche Effizienz“, die ausländische Investoren abschrecke.
Eine weitere oft gehörte These, der Tabatabai widerspricht, ist die, wonach der Iran nicht nur ein aggressiver, sondern auch ein irrationaler außenpolitischer Akteur sei. Diese Auffassung habe viel damit zu tun, dass westliche Beobachter schlichtweg die internen Entscheidungsprozesse nicht kennen würden. Diese wirkten auf Außenstehende oftmals konfus, das sei aber Teil eines Plans: „So konnte man bei den Nuklearverhandlungen eine Art ‚good cop, bad cop‘-Strategie beobachten.“
Ein eigenes Kapitel widmet Tabatabai der iranischen Zivilgesellschaft. Ihre Vertreter verfolgten das Ziel, die Lebensverhältnisse im Land zu verbessern, ohne dass sie beabsichtigten, das politische System zu ändern. Es sei daher ein Trugschluss zu glauben, eine vielfältige Zivilgesellschaft führe automatisch zu mehr Demokratisierung. Solchen Organisationen gehe es eher darum, auf zu hohen Wasserverbrauch, auf Luftverschmutzung oder die Notwendigkeit der Mülltrennung hinzuweisen. Auch die Frauen im Land seien weder Vertreter einer entschleierten Emanzipationsbewegung noch Symbol der Unterdrückung: „Selbstwahrnehmung, Fremdzuschreibung, Erwartungen und Ambitionen variieren gravierend zwischen sozial, ethnisch, konfessionell und geografisch unterschiedlich verorteten Frauen. (…) Eindeutig ist nur, dass nichts eindeutig ist.“
Tabatabais Blick auf den Iran bleibt stets von einer positiven Grundhaltung durchzogen – trotz der gravierenden Menschenrechtsverletzungen, dem häufig kritikwürdigen Umgang mit Minderheiten, der Inhaftierung von Oppositionellen oder der exorbitant hohen Zahl von Todesurteilen. „Denn das Land weist in allen Bereichen das notwendige Potenzial auf, Missstände aus eigener Kraft zu überwinden.“
Dank seines hohen Bildungsniveaus, seiner motivierten Jugend und der günstigen geostrategischen Lage sei der Iran prädestiniert für den notwendigen Wandel. Dennoch: „Es braucht seine Zeit, alle mitzunehmen, zu überzeugen und womöglich erst darüber aufzuklären, dass manche Dinge einfach nötig sind.“ Tabatabai gelingt es, einen frischen, unverbrauchten Blick auf „seinen“ Iran zu werfen. Dabei besteht seine größte Leistung darin, die Heterogenität und Vielgesichtigkeit der iranischen Gesellschaft darzustellen und so dem Leser ein fremdes und unverstandenes Land nahe zu bringen.
Noch lange nicht am Ende
Zeigen Jalilvand die ökonomische Dimension und Tabatabai die Innenperspektive des Iran auf, so ist Henner Fürtigs Buch eine klassische Länderanalyse. Fürtig, der als Professor an der Universität Hamburg lehrt und Direktor des GIGA-Instituts für Nahost-Studien ist, versucht, folgende Fragen zu beantworten: Wie verändert sich der Iran nach dem Atomabkommen? Wie entwickelt sich das Verhältnis zum Westen? Welche Rolle nimmt das Land in der Region ein?
Vor allem Fürtigs Ausführungen zur regionalen Bedeutung der Islamischen Republik sind lesenswert. Er führt den Erfolg des Überlebenskünstlers Iran auf eine „Wagenburgmentalität“ zurück, die in Zeiten der externen Bedrohung dazu geführt habe, sich hinter dem Regime zu vereinen. Das zeige sich vor allem beim Verhältnis zum „Großen Satan“ USA, denn: „Ohne Übertreibung lässt sich feststellen, dass der Antagonismus zu den USA zum konstitutiven Element der Islamischen Republik Iran geworden ist.“ Die Historie dieser Beziehung sei „eine Geschichte verpasster Chancen und sogar mutwillig ausgeschlagener Gelegenheiten.“
Daneben widmet sich der Autor dem spannungsreichen Verhältnis zu Israel, kritisiert die Holocaust-Leugnung Achmadinedschads und glaubt eher an ein „Tauwetter“ mit den USA als an eine Annäherung an Israel. Besonders interessant lesen sich die kurzen Kapitel zu weiteren Partnern des Iran, wie Russland, Syrien, Venezuela, Armenien oder Afghanistan, da Fürtig hier komplizierte Beziehungsgeflechte erörtert, mit denen sich wenige beschäftigen. Sein Stil ist aussagekräftig und präzise, und er behandelt alle relevanten Themen mit der notwendigen Sorgfalt.
Für Fürtig ist die Islamische Republik auch nach dem Ableben des Obersten Religionsführers nicht am Ende: „Mit einer erstarkten und selbstbewussten Islamischen Republik Iran wird die Welt noch eine Weile zu leben haben.“
David Jalilvand: Transformation des Rentierstaats Iran. Zur Rolle des Energiesektors in der politischen Ökonomie. Berlin: Springer- Verlag 2017, 291 S., 39,99 €
Adnan Tabatabai: Morgen in Iran: Die Islamische Republik im Aufbruch. Hamburg: Edition Körber-Stiftung 2016. 304 Seiten, 17,00 €
Henner Fürtig: Großmacht Iran. Der Gottesstaat wird Global Player. Köln: Quadriga Verlag Jahr 2016. 288 Seiten, 24,00 €
Sebastian Sons ist Associate Fellow im Programm Naher Osten und Nordafrika bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Internationale Politik 2, März/April 2017, S. 132-135