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01. Febr. 2009

Investieren – nicht regulieren

Wie die USA wieder eine führende Rolle in der Klimapolitik einnehmen können

Die Welt atmet auf: Unter Präsident Barack Obama werden die USA sicher eine Führungsrolle im Umweltschutz übernehmen – nur nicht im Rahmen des Kyoto-Protokolls. Denn eine Umweltpolitik, die Wirtschaftswachstum und Klimaschutz nicht vereinbaren kann, bleibt für die USA und die meisten Schwellenländer inakzeptabel.

In Washington und Europa glaubt man nur zu gern, dass die Bemühungen um eine Reduzierung der globalen CO2-Emissionen unter neuer amerikanischer Führung bald wieder auf den richtigen Weg kämen. Sicherlich würde der Kongress nun Gesetze zum Emissionsrechtehandel vorlegen, die US-Präsident Barack Obama ohne Zaudern unterzeichnet. Selbstverständlich geht man davon aus, dass Obama nun über das notwendige moralische Ansehen verfügt, um einen Post-Kyoto-Vertrag zu verhandeln, der die reichen Länder zu Emissionsminderungen von nicht nur fünf, sondern von 80 Prozent während der nächsten 50 Jahre verpflichtet. Haben die USA erst wieder eine Führungsrolle auf dem Gebiet des Klimaschutzes übernommen, dann würden sich auch China und Indien zu weitreichenden Reduzierungen verpflichten und schon wären wir auf einem guten Weg, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.

Diese Auffassung ist übertrieben optimistisch – und völlig unrealistisch. Denn das Rahmenwerk zur Minderung von Kohlendioxidemissionen – ja, sogar das gesamte, bislang konzipierte globale Rahmenwerk zur Bekämpfung des Klimawandels – kann man nur als Fehlschlag bezeichnen. Es beruht auf überholten Paradigmen der Verschmutzungskontrolle, welche die Klimaerwärmung nicht aufhalten werden.

Effiziente Klimapolitik sollte sich nicht auf die Regulierung von Umweltverschmutzung konzentrieren, sondern auf die Entwicklung von Energietechnologien. Wie groß die Herausforderung im Gegensatz zu früheren Jahren ist, zeigt sich allein an dieser Tatsache: Weltweit wird sich der Energieverbrauch bis zum Jahr 2050 verdoppeln, während wir gleichzeitig versuchen müssen, die Emission von Treibhausgasen um 50 Prozent zu verringern. Diese Herkules-Aufgabe können wir nicht mit Rußfiltern für Fabrikschlote und Katalysatoren für unsere Autos bewältigen. Das waren Lösungen, die auf bereits bekannte Technologien aufbauten. Um den Motor der Weltwirtschaft nicht ins Stottern zu bringen, sind revolutionär neue Energietechnologien und -quellen nötig.

Der enorme Nachteil der Kyoto-Protokolle wie aller Ansätze, die auf einem Regulierungsregime beruhen, ist die Tatsache, dass sie sich auf das Problem der Verschmutzung konzentrieren und nicht auf die Frage der Energieversorgung. Sie zielen darauf ab, die notwendigen Veränderungen der globalen Energieökonomie durch den indirekten Mechanismus einer Verschmutzungsregulierung und des Emissionsrechtehandels für Kohlenstoffe herbeizuführen. Viel effizienter wäre es, den direkten Weg zu gehen und neue Technologien für saubere Energien zu entwickeln.

In den nächsten 30 Jahren werden sehr viele Schwellenländer eine Energieinfrastruktur errichten, die im Wesentlichen auf fossilen Brennstoffen basiert. Im Jahr 2007 wuchs Chinas Wirtschaft um neun, 2008 um etwa acht Prozent; die Emissionen des Landes erhöhten sich sogar um 14 Prozent. Im Vergleich dazu erhöhten sich die Emissionen der USA um ein halbes, die Europas um ein Prozent. In Anbetracht des rasanten Wirtschaftswachstums in Asien warnten Wissenschaftler bereits im Frühling 2008, dass das UN Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) das Ausmaß zukünftiger Emissionen völlig unterschätzt habe. Nach Auffassung der Wissenschaftler müssen wir mit einer zweieinhalb Mal größeren Menge rechnen, als die UN ihren eigenen Schätzungen zugrunde gelegt hatten. Damit beschleunigen wir auch den Klimawandel wesentlich dramatischer, als wir bislang angenommen haben. Die schnelle Umstellung auf saubere Energien wird also wesentlich dringender. Bis vor kurzem nahmen wir an, dass noch bis zum Ende dieses Jahrhunderts Zeit bliebe, um unsere Ökonomien auf saubere Energiequellen umzustellen. Das ist ein Irrtum.

Das rasante Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern zwingt uns zu einer schnelleren Entwicklung neuer Technologien, die wir überdies konkurrenzfähig vermarkten müssen. Das erfordert weit umfassendere staatliche Investitionen. Selbst mit Hilfe strengerer Auflagen und eines Emissionsrechtehandels kann die Privatwirtschaft diese Aufgabe nicht bewältigen. Weder ist sie in der Lage, die Infrastruktur für den Transport von Energie aus wind- oder sonnenintensiven Regionen in die Großstädte zu leisten. Noch kann sie Milliarden in Projekte mit sehr hohem wirtschaftlichem Risiko investieren, deren Endprodukte womöglich teurer sind als Kohle und Öl. Nur staatliche Investitionen können diese Aufgaben bewältigen. Unter internationalen Experten beginnt sich ein Konsens abzuzeichnen, der genau in diese Richtung weist. Einflussreiche Persönlichkeiten – vom ehemaligen britischen Premier Tony Blair über den Ökonomen Jeffrey Sachs bis hin zu Jim Rogers, Manager von „Duke Energy“ und bislang ein großer Befürworter des Emissionsrechtehandels – sind sich einig: Es reicht nicht aus, Kohlenstoffemissionen mit hohen Kosten zu belegen.

Damit schließen sie sich der Auffassung zahlreicher Experten an, die schon seit Jahren höhere Investitionen in neue Technologien fordern. Wir müssen eine Klimaschutzpolitik durch Emissionsregulierung natürlich nicht völlig aufgeben. Doch eines ist klar: Der Glaube an Kyoto verblasst. Es wird immer offensichtlicher, wie notwendig staatliche Investitionen sind, um saubere Energien entwickeln und vermarkten zu können. Für die so dringend notwendige, weit effizientere Klimapolitik müssen wir die Mechanismen eines reformierten Marktes für den Emissionshandel mit einer intensiven Investitionsstrategie in grüne Technologie kombinieren. Die Frage ist dabei nicht nur, wie wir angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise das notwendige finanzielle Volumen aufbringen wollen. Sondern auch, wie wir unsere jetzigen Denk- und Handlungsstrukturen ändern können, um die „technologische Kluft“ zu schließen.

Kyoto als Warnung

Die Prinzipien des Kyoto-Protokolls gehen auf US-Gesetze aus den neunziger Jahren zur Bekämpfung des sauren Regens zurück. Sie beruhten auf dem Prinzip von „Verschmutzungsquoten“, die jährlich reduziert wurden. Unternehmen, die ihre Quote überschritten, konnten Zertifikate von Unternehmen erwerben, die ihre Quote bereits unterschritten hatten. Auf diese Weise schufen die USA einen nationalen Markt für Schwefeloxide, die Hauptverursacher von saurem Regen.

Leider übersehen die Befürworter eines solchen strikten Regulierungsregimes gerne, dass das Problem des sauren Regens nur deshalb erfolgreich gelöst werden konnte, weil mit Abgasfiltern und Katalysatoren relativ billige technische Möglichkeiten zur Verfügung standen, um den Ausstoß an Schwefeldioxiden effizient zu reduzieren. Überdies konnten die USA mit dem Powder River Becken in Wyoming über ein reiches Reservoir an schwefelarmer Kohle zurückgreifen. So blieben die Kosten insgesamt niedrig und damit auch die Stromrechnungen der Verbraucher. Da auf diesem Markt außerdem nur eine einzige „Ware“ gemessen, überprüft und gehandelt werden musste und nur eine sehr überschaubare Anzahl an Unternehmen beteiligt war, konnte die Environmental Projection Agency ihre Überwachungstätigkeit ohne große Schwierigkeiten ausüben.

Kyoto beruht dagegen auf dem Prinzip eines globalen Marktes, auf dem nicht nur ein einziger Schadstoff gehandelt wird, sondern sechs Treibhausgase, und an dem nicht ein paar Dutzend Firmen beteiligt sind, sondern Hunderttausende Unternehmen und Milliarden Konsumenten. Wie soll man effiziente Kontrollen durchführen, wenn ein großer Teil der Energieproduktion in vielen Schwellenländern schon jetzt ohne offizielle Genehmigung, effizienten Kontrollmechanismus oder sogar außerhalb der Legalität stattfindet? Korruption ist weit verbreitet. Und in den meisten Ländern sind die Prioritäten klar und der Druck auf die Politiker ist dementsprechend groß: Das Wirtschaftswachstum darf nicht durch eine Umweltpolitik gebremst werden, die die Energiepreise in die Höhe treibt.

Unter genau diesen Schwächen – Korruption, ein Mangel an Überprüfbarkeit und der Präferenz für Wirtschaftswachstum vor Umweltschutz – leidet das wichtigste Element des Kyoto-Protokolls: Der Clean Development Mechanism (CDM) nämlich erlaubt Industrieländern, Maßnahmen zur CO2-Reduktion in einem Entwicklungsland durchzuführen und sich die dort eingesparten Emissionen auf das eigene Emissionsbudget anrechnen zu lassen – was beispielsweise zu einem erhöhten Ausstoß von Trifluormethan (HFC- 23) führte. HFC-23 fällt bei der Produktion von Kühlschränken an und ist ein 15 000 Mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid. Hersteller in Schwellenländern, vor allem China, erhielten 4,7 Milliarden Euro, zwei Drittel aller für den CDM bis zum Jahr 2012 vorgesehenen Zahlungen, um den Ausstoß von HFC-23 schrittweise zu reduzieren. Dabei würde es nur 100 Millionen Euro kosten, Kühlschränke ohne dieses Treibhausgas herzustellen. Der Clean Development Mechanismus verleitete die chinesischen Unternehmer überhaupt erst dazu, HFC-23 herzustellen – nur damit sie von den Minderungsquoten profitieren konnten.

Die Kombination aus zu wenig ehrgeizigen Zielen und einem unüberschaubaren Regelwerk führte dazu, dass sich die Weltgemeinschaft zehn Jahre lang einbilden konnte, es seien ja sinnvolle Maßnahmen gegen den Klimawandel getroffen worden. Doch genau in dieser Zeitspanne sanken die CO2-Emissionen nicht etwa – sie sind zwischen 1990 und 2007 weltweit um 26,5 Prozent gestiegen. Wir befinden uns zwar noch am Anfang der „ersten Verpflichtungsperiode“ zwischen 2008 und 2012. Doch schon jetzt ist offensichtlich, dass die reichen Vertragsstaaten die Ziele, auf die sie sich verpflichtet hatten, entweder gar nicht erreichen; oder nur, weil sie sich mittels Emissionszertifikaten dubioser Herkunft freigekauft haben – wie das Beispiel der absichtlichen HFC-23-Produktion in China zeigt.

Reduzierungsziele für die Zukunft zu setzen und das Prinzip des Emissionsrechtehandels verschieben den Tag der Abrechnung auf „irgendwann“; diese Form des Klimaschutzes fordert von keinem Land, heute ein Kohlekraftwerk stillzulegen oder sofort eine Windfarm zu bauen. Und trotzdem gelingt es den überzeugten Befürwortern des Kyoto-Protokolls, den Unterschied zwischen den Verhandlungszielen und tatsächlichen Handlungen zu verwischen. Die deutsche Regierung beispielsweise setzt sich für reichlich ehrgeizige Minderungsziele ein. Gleichzeitig bewahrt sie ihre heimische Autoindustrie vor genau diesen strengen Regulierungen. Kyoto erlaubt den Vertragsstaaten, sich fröhlich ambitionierte Ziele zu stecken, während sie hier und jetzt fossile Brennstoffe subventionieren und ihre schützende Hand über die heimische Industrie halten.

Die Technologiekluft

Seit zwei Jahrzehnten versichern uns Umweltschützer, es sei nicht allzu schwer oder teuer, den Klimawandel zu bekämpfen. „Wir haben die Technologie“, behauptete der ehemalige US-Vizepräsident und Nobelpreisträger Al Gore im Februar 2007. „Wenn wir nur über die Summen verfügen würden, die der Irak-Krieg pro Woche kostet“, so Gore, „hätten wir das Problem schon so gut wie gelöst.“ Zwei Milliarden Dollar, die der US-Steuerzahler wöchentlich für den Irak-Krieg aufbringen muss, sind jedoch angesichts der Herausforderung Klimawandel nicht mehr als ein Klacks. So viel kostet ein einziges für die Abscheidung und Lagerung von CO2 ausgerüstetes Kohlekraftwerk; weltweit gibt es Tausende, die nicht über diese Technologie verfügen.

Energieexperten und Wissenschaftler beziehen sich bei ihrer Forderung nach einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 50 Prozent bis 2050 auf die Menge, die nach heutigen Erkenntnissen zur Stabilisierung des atmosphärischen CO2- Niveaus notwendig wäre und damit das Abschmelzen der Polkappen verhindern könnte. Ziel ist es, dieses Niveau bei 500 ppm (parts per million) bis zum Jahr 2050 einzupendeln. Um Politikern ein besseres Verständnis zu ermöglichen, wie deutlich der CO2-Ausstoß reduziert werden muss, um ein Niveau von 500 ppm zu erreichen, entwickelt das International Panel on Climate Change (IPCC) Szenarien über den voraussichtlichen Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2050. Im Jahr 2004 betrug der globale Ausstoß etwa sieben Milliarden metrische Tonnen Kohlenstoffe; der höchste Schätzwert für das Jahr 2050 beläuft sich auf das Doppelte. Legen wir den Standard „Business as Usual“ (BAU) zugrunde – eine Grundschätzung der Emissionen ohne jegliche Gegenmaßnahmen – müssten wir die Emissionen bis 2050 um sieben Millionen Tonnen reduzieren, um sie auf jetzigem Niveau zu halten. 

Im Jahr 2004 veröffentlichten die Princeton-Wissenschaftler Rob Socolow und Steven Pacala einen Aufsatz im Science-Magazin, der diese sieben Millionen Tonnen „Mindestmenge“ nach der dreieckigen Form, die sie in der grafischen Darstellung bildeten, in sieben „Keile“ einteilte. Ein einziger dieser sieben Keile von etwa einer Gigatonne Karbonminderung beinhaltet folgende Maßnahmen, die unverzüglich umgesetzt werden müssten: Es darf keine weitere Abholzung von Regenwald stattfinden, wir müssten die Wiederaufforstungsflächen ebenso verdoppeln wie die Anzahl der Atomkraftwerke; 50 Mal mehr Windanlagen und 700 Mal mehr Sonnenkollektoren bauen. Auch nur einen dieser sieben Keile einzuschlagen, wäre eine Aufgabe von übermenschlichem Ausmaß.

Nur wenige Monate, nachdem Al Gore verkündet hatte, dass wir ja nur etwa das „Wochenbudget“ des Irak-Kriegs zur Rettung des Klimas bräuchten, musste das IPCC aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse seine Schätzungen des CO2-Ausstoßes in den nächsten Jahrzehnten drastisch nach oben korrigieren. Die Weltwirtschaft „rekarbonisiert“ sich, befanden die beiden Wissenschaftler: Der Ausstoß an CO2 nimmt zu, nicht ab. Die insgesamt sechs Szenarien des IPCC über den zukünftigen CO2-Ausstoß und das „Keilmodell“ der beiden Princeton-Wissenschaftler beruhen auf viel zu niedrigen Schätzungen. Beide hatten ihren Berechnungen die Tatsache zugrunde gelegt, dass die USA und Europa von Kohle auf Erdgas, Atomstrom oder saubere Energien umgestiegen waren, effizientere Energiesparmaßnahmen eingeführt hatten und der Ausstoß an CO2 damit sank. Schwellenländer wie Indien oder China jedoch, die hauptsächlich auf fossile Energien zurückgreifen, haben diesen Trend umgekehrt. Die technologische Herausforderung ist also wesentlich größer als bislang angenommen. Wir bräuchten nicht nur „sieben Keile“, wie der Physiker Martin Hoffert von der New York University bereits 2006 im Scientific American schrieb, sondern mindestens 18.

Selbst wenn wir jedoch noch nicht über die notwendigen Technologien zur Eindämmung des Klimawandels verfügen, bedeutet das nicht, dass wir auf die Technologien verzichten sollten, die wir bereits besitzen. Allerdings müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass diese meist noch nicht ausgereift und weit teurer als fossile Energien sind. Einige Technologien wie Solar- oder Windenergie sind von der Wetterlage abhängig, werden weit entfernt von Städten und Industriezentren gewonnen und müssen deshalb mit hohem Kostenaufwand gelagert und transportiert werden. Andere, wie die Abscheidung und Lagerung von CO2, sind äußerst vielversprechend, bedürfen aber noch einer weiteren Verbreitung.

Befürworter des Kyoto-Protokolls beharren gerne darauf, dass die Industrie die notwendigen Technologien schon entwickelt, wenn durch Regulierungsmaßnahmen erst einmal ein gewisser Druck entstanden ist. Nachdem entsprechende Gesetze erlassen waren, wurden ja auch sehr schnell Rußfilter für Fabrikschlote oder Katalysatoren und Sicherheitsgurte für unsere Autos eingeführt. Energie zu sparen und einige andere Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen bringen der Industrie ohne Zweifel auch finanzielle Vorteile. Doch so wichtig das ist: Sie reichen bei weitem nicht aus, um eine Reduzierung in dem Ausmaß zu erreichen, das Wissenschaftler für notwendig erachten.

Wenn wir eine entscheidende Reduzierung des globalen CO2-Ausstoßes erreichen wollen, dann muss ein Regulierungsregime wie das Kyoto-Protokoll den Preis schmutziger Energien wie Kohle nicht ein wenig, sondern um ein Vielfaches erhöhen. Angesichts des Energiemixes in vielen Ländern zöge dieser Ansatz – sollte er konsequent verwirklicht werden – eine weltweite, empfindliche Steigerung der Energiepreise nach sich. Das ist der Gordische Knoten, der durch das Kyoto-Protokoll erst entstanden ist. Erhöhen wir die Energiepreise, riskieren wir damit enormen politischen Widerstand von den Verbrauchern oder ganzen Industriezweigen, der in den Schwellenländern ungeahnte soziale Unruhen nach sich ziehen könnte: Denn höhere Energiepreise sind für die Industrie hoch problematisch. Steigert man die Preise für schmutzige Energie jedoch zu wenig, erzielen wir bei der Reduzierung unserer Emissionen kaum nennenswerte Erfolge. Genau deshalb sind auch die Bemühungen der EU gescheitert.

Trotzdem halten Politiker mit aller Macht am alten System der Regulierung fest. Der US-Senat entwirft gerade einige Gesetze zur Reduzierung des Ausstoßes von Kohlendioxid. Ob solche Gesetze durchgebracht werden können, ist fraglich. US-amerikanische Politiker beider Parteien zeigen keine allzu große Neigung, sich offen für eine Erhöhung der Energiepreise einzusetzen. Es ist schon paradox, dass selbst Kongressabgeordnete, die zu den größten Unterstützern einer Reduzierung von Treibhausgasen in den USA gehören, gleichzeitig mit aller Macht eine Erhöhung von Gas- oder Benzinpreisen verhindern wollen. Dieser Widerspruch lässt sich in wesentlich intensiverer Form weltweit beobachten. Schwellenländer wie China oder Indien lassen seit den neunziger Jahren keinen Zweifel daran, dass sie keinen Vertrag unterzeichnen können und werden, der die Energiepreise in die Höhe schnellen ließe und das Wirtschaftswachstum bremsen würde. Es gibt nicht den geringsten Grund zur Annahme, dass sie einer Reduzierung von CO2-Emissionen zustimmen werden – es sei denn, dies ginge mit einer schnellen wirtschaftlichen Entwicklung einher. So lange aber Ökologie und Ökonomie, die Rettung unserer Umwelt und Wirtschaftswachstum einander ausschließen, werden wir diese Länder kaum zu einer nachhaltigeren Klimapolitik bewegen können.

Folglich befindet sich die Welt in einer Art „Gefangenendilemma“. Die verantwortlichen Politiker können entweder die Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls erfüllen, die Energiepreise in ihrem Land erhöhen, ihren heimischen Industrien im globalen Wettbewerb damit Nachteile verschaffen und das Wirtschaftswachstum verlangsamen, um am Ende womöglich abgewählt oder gar gestürzt zu werden. Oder sie können sich an den Verhandlungsrunden zur Bekämpfung des Klimawandels beteiligen, den Effekt dieser Augenwischerei vor der eigenen Wählerschaft beschönigen und andere Länder bezichtigen, nicht genug zu unternehmen. Die meisten Länder entschieden sich für Letzteres.

Technologie zuerst

Es ist höchste Zeit, uns vom Glauben an das angebliche Allheilmittel Kyoto zu emanzipieren. Anstatt saubere Energie nur indirekt billiger zu machen, indem man CO2 besteuert, sollte ein Post-Kyoto-Abkommen sich darauf konzentrieren, sauberere Energie direkt billiger anbieten zu können, indem wir unsere Investitionen in Technologie und Infrastruktur wesentlich erhöhen. Eine technologie-orientierte Lösung könnte sich an der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und an der Entwicklung Silicon Valleys orientieren. Dieses amerikanische Innovationszentrum entstand in den fünfziger Jahren ebenfalls mit Hilfe einer klugen Investitions- und Förderpolitik. Das US-Verteidigungsministerium sicherte den Markt für Mikrochips ab und konnte damit die Kosten für einen einzelnen Chip innerhalb nur eines Jahrzehnts von 1000 auf 20 Dollar senken. Dieses Verfahren könnte uns als Vorbild für die Produktion billiger Sonnenkollektoren dienen – einer weiteren Technologie, die im Silicon Valley entstand. An Beispielen für erfolgreiche staatliche Investitionen in neue Technologien mangelt es nicht. Der Vorläufer unseres World Wide Web wurde buchstäblich in den Labors des Pentagon entwickelt; die US-Regierung steckte Milliarden in Fakultäten für Informatik – Investitionen, von denen wir alle in einem Ausmaß profitieren, das wir uns vor wenigen Jahren nicht im Traum vorstellen konnten.

Jetzt brauchen wir weitreichende staatliche Investitionen in Forschung, Entwicklung und die Vermarktung neuer Umwelttechnologien. Die G-8-Staaten und andere wohlhabende Staaten sollten – in ihren eigenen Ländern ebenso wie in den Schwellenländern China oder Indien – zwischen 100 Milliarden und 250 Milliarden Dollar jährlich in Forschung und Entwicklung sowie Infrastrukturprojekte stecken. Nach 1945 fungierten die USA als Motor für den Wiederaufbau Europas, indem sie enorme Summen in die Produktion von billiger Kohle und Stahl investierten. Sie ermöglichten damit nicht nur ein europäisches Wirtschaftswunder, sondern profitierten selbst vom Wiedererstehen eines wohlhabenden Mittelstands, der sich teure amerikanische Produkte leisten konnte.

2005 luden die G8-Staaten fünf Schwellenländer zu einem G-8 plus 5-Dialog über Klimawandel und nachhaltige Energien ein. Da weder die Bush-Regierung noch die Europäer ausreichend Geld zur Verfügung stellten, führte dieser Dialog zu keinen nennenswerten Ergebnissen. Mit einem Engagement von einer Billion Dollar für die nächsten zehn Jahre könnte sich das jedoch ändern. Wir sollten aufhören, den G-8 plus 5-Dialog als eine Art „Nebenpfad“ zu Kyoto zu sehen. Er ist eine Hauptstraße.

Regionale Märkte statt globalem Handel

Die Konturen einer auf Technologieinnovation beruhenden Politik sind bereits sichtbar. Anstatt nationale Minderungsquoten zu verhandeln, die auf jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen beruhen und ein gänzlich unterschiedliches Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum widerspiegeln, sollten wir die Pro-Kopf-Emissionen von CO2 während des nächsten Jahrhunderts auf einem Niveau aneinander angleichen, mit dem wir dem Klimawandel Einhalt gebieten können. Gemeinsame Investitionen in die Entwicklung und Verbreitung sauberer Umwelttechnologien sollten zudem allen Beteiligten wirtschaftliche Vorteile bieten. Die westlichen Länder könnten hauptsächlich als Entwickler und Designer sauberer Energietechnologien fungieren, während die Schwellenländer als Produzenten und zunehmend auch Konsumenten profitieren würden.

Die Aussicht auf Milliardeninvestitionen für den Bau von Sonnenkollektoren, Windturbinen oder Anlagen für die Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid dürfte auch Länder wie China und Indien dazu bewegen, einigen Reduktionszielen, einem Cap-and-trade- beziehungsweise einem Cap-and-lease-Programm oder sogar einer Steuer für fossile Energien zuzustimmen. Wenn wir aber das System des Emissionshandels beibehalten wollen, dann sollten wir aus den Nachteilen und Fehlern Kyotos lernen. Die Geschichte zeigt, dass sich Märkte meist von unten nach oben entwickeln und nicht umgekehrt wie beim Kyoto Protokoll. Ließen wir es zu, dass sich ein Markt für den Emissionshandel von unten nach oben entwickelt, schreiben die Energieexperten Steve Rayner und Gwyn Prins in ihrer wegweisenden Kritik des Kyoto-Protokolls „The Wrong Trousers“, „dann könnten wir auch von unterschiedlichen Ansätzen lernen. Letzten Endes werden sich diese fragmentierten Märkte miteinander verknüpfen, bis wir ein weltweites Handelssystem erreicht haben. Die Geschichte zeigt, dass sich funktionierende Märkte immer auf diese Weise entwickelt haben.“

Zunächst also sollten sich funktionierende und klug regulierte nationale und regionale Märkte entwickeln, auf denen nur ein einziges Treibhausgas, nämlich Kohlendioxid, gehandelt wird. Funktionieren sie, kann man sie zu einem globalen Markt vernetzen. Mit diesem Ansatz müssten wir kein Land ausschließen. Nur ist es entscheidend, zunächst einen tragfähigen Vertrag zu verhandeln und uns dann auf einen globalen Markt zu konzentrieren, an dem sich vor allem die Länder mit dem größten CO2-Ausstoß beteiligen und der unter der Aufsicht der Welthandelsorganisation stehen könnte.

Ebenso wichtig ist es, dass auf diesem Markt ein stabiler und nachhaltiger Preis für CO2-Emissionen festgelegt wird. Ein Preis, der zu niedrig ist, um effizient die Förderung neuer Technologien voranzutreiben und hoch genug, um die Energiepreise in die Höhe schnellen zu lassen und sich dadurch nachteilig auf das Wirtschaftswachstum auszuwirken, wäre die schlechteste aller Optionen. Der Preis, der notwendig wäre, um ein rasantes Umstellen auf nachhaltige Energien voranzubringen, ist höher, als die meisten demokratischen Staaten zu zahlen bereit sind. Anstatt aber eine ebenso end- wie sinnlose Debatte über die Erhöhung der Kosten für Emissionen zu führen, sollten wir diese lieber niedriger ansetzen und dafür umfassend in neue Technologien investieren um die Kosten nachhaltiger Energien so schnell wie möglich auf ein wettbewerbsfähiges Niveau herunterzudrücken. Dieser Ansatz erscheint uns umso sinnvoller, als wir nicht nur die Kohlendioxid-Emissionen der Industrieländer, sondern auch der Schwellenländer drastisch senken müssen. Deshalb sollte es das erklärte Ziel jeglicher Umweltpolitik in den Industrieländern sein, nicht nur die eigenen Emissionen zu reduzieren, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Kosten sauberer Energien so schnell wie möglich so weit sinken, dass sie auch für Schwellenländer erschwinglich und attraktiv sind. Nur so werden sie sich aus dem Dilemma „Wachstum versus Umweltschutz“ befreien können.

Innovator USA

Die Umweltpolitik des neuen Präsidenten sollte sich also darauf konzentrieren, die Entwicklung sauberer Energien nicht etwa als Nebenpfad zu betrachten, sondern als Hauptweg für einen effizienten Klimaschutz. Angesichts der äußerst schwierigen Wirtschaftslage und des relativ geringen Interesses der amerikanischen Öffentlichkeit am Thema Klimaschutz sollte US-Präsident Obama den Aspekt „Umweltpolitik“ dabei nicht in den Vordergrund stellen. Wichtiger – und bei amerikanischen Wählern äußerst populär – ist die Tatsache, dass sich die USA mit größeren Investitionen in Umwelttechnologie auch eine größere Energiesicherheit verschaffen könnte. Das bedeutet nicht, dass die USA unter Präsident Obama völlig auf die Option Emissionsrechtehandel verzichten sollten. Selbst in einem geringeren Umfang kann dieser Markt Kapital für die notwendigen Investitionen generieren, zumal, wenn es der amerikanischen Öffentlichkeit nicht als „Regulierungsregime“ nähergebracht wird, sondern als Förderungsprogramm sauberer Energien. Sollte es nicht möglich sein, das not-wendige Kapital von 30 bis 80 Milliarden Dollar jährlich über den Emissionsrechtehandel erwirtschaften zu können, sollte Obama auch andere Möglichkeiten erwägen. Eine bescheidene CO2- oder Elektrizitätssteuer wäre durchaus denkbar und wird von den US-Bürgern akzeptiert, sofern diese Steuer tatsächlich in die Entwicklung sauberer Energien investiert wird. Auch führende Energieunternehmen gaben bereits zu erkennen, dass sie einer Steuer unter dieser Bedingung zustimmen würden.

Die globale Machtbalance hat sich bereits vom Atlantik in Richtung Pazifik verlagert. Welche Art der Klimapolitik in Zukunft auch immer betrieben wird: China, Indien, die USA und Japan werden sie maßgeblich beeinflussen. Sollte Präsident Obama trotz der derzeitigen angespannten Wirtschaftslage tatsächlich in der Lage sein, Milliarden in die Entwicklung nachhaltiger Energietechnologien zu investieren, so wäre damit eine Chance für eine neue Form globaler Klimaschutzpolitik geschaffen: Die USA könnten eine führende Rolle bei den Verhandlungen über ein neues Klimaabkommen spielen – einem Abkommen, das auf dem Fundament der Entwicklung revolutionärer Technologien und der dafür notwendigen umfassenden Investitionsprogramme steht.

Barack Obama steht vor der Wahl: die nicht sehr viel versprechende Strategie der letzten 15 Jahre fortzusetzen, die bestenfalls minimale Fortschritte aufweist. Oder einen kühnen Neuansatz zu wagen, der die wirtschaftlichen und ökologischen Interessen der USA miteinander verbindet; eine Politik zu wagen, die nicht mehr davon ausgeht, dass mit Hilfe eines schecht gestrickten Regulierungsnetzwerks als Nebenprodukt auch neue Technologien anfallen. Sondern die gezielt die Entwicklung der nachhaltigen Technologien fördert, die wir so dringend brauchen.

Die Entscheidung sollte nicht schwer fallen.

TED NORDHAUS und MICHAEL SHELLENBERGER sind die Gründer des kalifornischen Thinktanks „Breakthrough Institute“ in Oakland.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2009, S. 10 - 22.

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