Essay

25. Febr. 2022

Inklusive Außenpolitik

Im Koalitionsvertrag steht ein Bekenntnis zu feministischer Außenpolitik. Was bedeutet das konkret? Und ist dieser Ansatz zukunftsweisend? Nein, argumentieren die Autorinnen. Denn er greife zu kurz, weil er nicht die Rechte aller benachteiligten Gruppen in den Blick nimmt.

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Bild: Annalena Baerbock mit ihren skandinavischen Amtskolleginnen
Was die politische Community heute unter feministischer Außenpolitik versteht, wurde in Skandinavien ersonnen: Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock mit ihren Kolleginnen Ann Linde (Schweden, m.) und Anniken Huitfeldt (Norwegen, r.).
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Alle Rechte vorbehalten

Deutschland zählt nun zu denjenigen Staaten, die sich eine feministische Außenpolitik auf die Fahne geschrieben haben. Dieses Konzept aber ist unklar, es ist zugleich zu weit und zu eng.



Was die politische Community heute unter feministischer Außenpolitik versteht, wurde in Schweden ersonnen. Das Land verpflichtete sich schon 2014 zu einer feministischen Außenpolitik, die auf er UN-Resolution 1325 von 2000 beruht und die „Bedeutung der gleichen Beteiligung und vollen Einbindung (von Frauen) in alle Bemühungen, Frieden und Sicherheit zu erhalten und zu stärken“ herausstellt.



Seitdem haben sich auch Kanada, Frankreich und Mexiko eine Form der feministischen Außenpolitik zur Aufgabe gemacht. Im Jahr 2020 rief dann auch das Europäische Parlament alle Mitgliedstaaten dazu auf, eine feministische Außenpolitik zu verfolgen und die Gender-Perspektive „in alle Politikbereiche, sowohl im Innern wie nach außen“ zu integrieren. Die Europäische Kommission veröffentlichte einen „Gender Action Plan“.



Das schwedische Modell der feministischen Außenpolitik konzentriert sich auf drei „R“: Rechte, Repräsentation und Ressourcen. Haben Frauen und Mädchen die gleichen Rechte, die gleiche Repräsentation und die gleichen Ressourcen? Anders gesagt, Frauen sollten nicht nur mit am Tisch sitzen, wenn außenpolitische Entscheidungen getroffen werden. Sondern diese Entscheidungen müssen dann auch die Lebenswirklichkeit von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft – die häufig von besonderen Herausforderungen, insbesondere bei der Verteilung von Ressourcen, geprägt ist – berücksichtigen.



Die bessere Inklusion von Frauen ist ein praxisorientiertes, wertvolles Ziel. Das schwedische Außenministerium hat es so formuliert: „Diese Politik ist eine Antwort auf die Diskriminierung und systematische Unterordnung, die noch immer das tagtägliche Leben zahlloser Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt kennzeichnet.“ Folgt man dem SHEcurity-Index, einer Kampagne der grünen Europaabgeordneten Hannah Neumann, gibt es hier noch eine Menge zu tun. In allen Staaten, deren Daten Eingang in den Index gefunden haben (EU und G20), haben nur diejenigen volle Geschlechterausgewogenheit in ihren Parlamenten erreicht, die Frauenquoten eingeführt haben. In den höchsten Sphären der Di­- plomatie machen Frauen gerade mal 25 Prozent der Botschafterposten der EU- und G7-Staaten aus.



Eine ganze Reihe von Studien zeigt mittlerweile, dass diversere Teams bessere Ergebnisse erzielen und es am Ende allen hilft, wenn Frauen gefördert werden. Gesellschaften, in denen Frauen gleichgestellt sind, sind sicherer. Und dennoch sollte man sich solcher argumentativen Hilfsmittel nicht bedienen müssen, um für Rechte, Repräsentation und Ressourcen zu streiten. Dass in einem demokratischen pluralistischen System die Hälfte der Bevölkerung sowohl in das politische Entscheidungssystem als auch in die Ressourcenverteilung eingebunden werden sollte, müsste als Argument genügen.



Diese erste Dimension des Konzepts Geschlechtergleichstellung kann in verschiedenen Politikbereichen relativ einfach umgesetzt werden. Mechanismen wie Gender Mainstreaming und Gender Budgeting können hier helfen.



Die strikt feministische Sicht auf die Dinge greift hier jedoch zu kurz. Der heutige Feminismus, dem es um Rechte und Repräsentation geht, hat schon lange verstanden, dass es einem auf die vollständige Gleichstellung zielenden Ansatz feministischer Außenpolitik nicht nur um Frauen und Mädchen gehen kann. Hier muss eine weitere, intersektionale Perspektive zum Einsatz kommen. Im SHEcurity-Report von 2021 heißt es beispielsweise, der Repräsentationsgedanke müsse „über Frauen hinaus“ gehen. Juliane Schmidt, Beraterin der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, fordert eine feministische Außenpolitik, die „in der Intersektionalität verwurzelt“ sein müsse. Auch das Centre for Feminist ­Foreign Policy in Deutschland, das viel dazu beigetragen hat, Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken, wirbt für eine intersektionale feministische Außenpolitik. Intersektional bedeutet in diesem Sinne, mehr Repräsentation und Ressourcen nicht nur für Frauen und Mädchen, sondern ebenso für andere marginalisierte und verwundbare Gruppen einzufordern. Dazu gehören insbesondere die ­LGBTQI+-Community und ethnische Minderheiten.



Dieser Feminismus-plus-Ansatz ist wichtig und – zumindest konzeptionell – eine Erweiterung der klassischen feministischen Außenpolitik. Tatsächlich ist er unvermeidlich, will man Gleichstellung ernstnehmen, nicht nur als eine Frage der Ethik, sondern auch als bessere Politik in der Praxis. Denn wäre es wirklich besser, wenn 50 Prozent aller Entscheidungsträger in der Außenpolitik Frauen wären, dabei aber noch immer Kinder reicher Anwälte und Ärzte ohne Migrationshintergrund dominieren würden? Würde ein solcher Entscheidungsprozess eine ganzheitliche Perspektive einnehmen?



Eine Politik gegenüber Myanmar beispielsweise, die zwar Frauen und Mädchen in den Blick nimmt, aber die Belange der Minderheit der Rohingya ignoriert, wäre bestimmt nicht repräsentativ genug. Selbst Themen, bei denen die Geschlechterdimension offensichtlich zu sein scheint, sind auf den zweiten Blick häufig komplizierter. Ein Beispiel: In Ägypten wurden vergangenes Jahr zahlreiche Frauen wegen „provokativer“ Tiktok-­Videos eingesperrt. Natürlich handelt es sich hierbei um eine ungerechte Behandlung von Frauen und Mädchen (schließlich würde sich niemand über ähnliche Videos tanzender und singender Männer beschweren). Es geht hier aber auch um soziale Zugehörigkeit. Denn die verhafteten Frauen und Mädchen gehörten der Mittelschicht an – die Töchter reicher und prominenter Familien hingegen können solche Videos ganz unbehelligt teilen. Auch viele Mitglieder der LGBTQI+-Community werden aus denselben fadenscheinigen Gründen festgenommen. Deshalb greift eine feministische Außenpolitik, die nicht die Rechte (und Repräsentation und Ressourcen) aller benachteiligten Gruppen in den Blick nimmt, zu kurz – auch wenn es darum geht, die Lebensrealität in einem Partnerstaat einzuschätzen.



So klar dieser weiter gefasste Ansatz auch ist, er macht es deutlich schwerer, zu messen und zu quantifizieren. Ein Blick auf eine Ministeriumswebsite zeigt, wie viele Männer und Frauen in hohen Positionen arbeiten. Wie viele von ihnen homosexuell sind, einer Minderheit angehören oder aus der Arbeiterschicht kommen, ist wesentlich schwerer herauszufinden.



Die Grünen haben den intersektionalen Ansatz in ihr Wahlprogramm von 2021 aufgenommen. Es sieht die „Achtung der Rechte marginalisierter Gruppen“ vor und macht klar, dass sich die Politik der Partei „postkolonial und antirassistisch ausrichten“ müsse. Im Koalitionsvertrag findet sich eine ähnliche Botschaft. Allerdings wird hier eher auf Frauen und Mädchen sowie auf die UN-Resolution 1325 Bezug genommen. Die Koalitionspartner wollen „im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern“.



Diese Formulierung verdeutlicht die Entwicklung hin zu einem Feminismus-plus-Ansatz. Man mag sich jetzt fragen, warum man eine antirassistische und antikoloniale Außenpolitik überhaupt als feministisch bezeichnen muss. Warum sollte gerade Deutschland im Lichte seiner Geschichte nicht eine offen „antirassistische“ oder gar „dekolonialisierte“ Außenpolitik betreiben, die selbstverständlich auch die Gleichstellung der Geschlechter umfassen würde? Die Antwort liegt wohl darin, dass der Begriff feministische Außenpolitik in den vergangenen zehn Jahren seinen Weg in den Mainstream gefunden hat, antirassistische und postkoloniale Ansätze jedoch noch immer am vermeintlich radikalen Rand des Debattenspektrums verortet werden.



Dem postkolonialen Aspekt sollte jedoch mehr Bedeutung zukommen; allerdings braucht es noch eine Menge Arbeit, um ihn messbar zu machen. Wie Teresa Koloma Beck jüngst in Soziopolis schrieb, wird es darum gehen, Entwicklungshilfe und Interventionen mit dem Blick darauf, „wie koloniale Asymmetrien zum Gegenstand der Erfahrung werden, wie sich eine globale Herrschaftskonstellation in Interaktionen und Organisationsarrangements artikuliert“, zu untersuchen. In diesen Kontext gehört auch, bei der Rückgabe gestohlener Kunstgegenstände voranzukommen und nichteurozentrische Modelle von Gegenwart und Vergangenheit zu festigen.



Feministische Außenpolitik muss also postkolonial sein, sie soll alle marginalisierten und verwundbaren Gruppen einer Gesellschaft einbeziehen – warum sprechen wir dann nicht einfach von „inklusiver“ Außenpolitik? Tatsächlich kommt dieser Begriff im Koalitionsvertrag vor: Im Absatz direkt vor der Erwähnung einer Feminist Foreign Policy geht es um das Bekenntnis, 3 Prozent des Bundeshaushalts für Außenpolitik in einem ganzheitlichen Sinne auszugeben, und die Koalitionspartner sprechen von einem „vernetzten und inklusiven“ Ansatz.



Ein Grund, weshalb inklusiv der bessere Begriff sein könnte, liegt darin, dass es verschiedene Vorstellungen von feministischer Außenpolitik gibt. Einige lassen sich nur schwer mit Deutschlands Rolle in der Welt vereinbaren. Die radikalere Interpretation von feministischer Außenpolitik stützt sich nicht auf die klassische Definition von Feminismus – Frauenrechte basierend auf der Gleichstellung von Männern und Frauen –, sondern auf ­feministische Theorie und die Geschichte der Frauenfriedensbewegungen. Dieser Ansatz geht weit über die Gleichstellung und Interessenvertretung der Frauen (und möglicherweise andere marginalisierte Gruppen) hinaus; er versucht, außenpolitische Strukturen und Konzepte durch die Linse der radikalen Feminismustheorie und Gender-Analyse neu zu denken. Drei Autorinnen der IP (6/2021) nehmen genau diese Posi­tion ein: „Bei feministischer Außenpolitik geht es nicht um Gender­-Themen – sondern um einen Wandel der Außenpolitik weg von patriarchaler Gewalt und Militarismus und hin zur ­Krisenprävention.“



Feministische Theorie ist ein akademisches Feld, das auch im Bereich der Internationalen Beziehungen reich an bedeutenden wissenschaftlichen Werken ist. Und wie alle kritischen Theorien bietet auch die kritische Sicht auf die Disziplin der „traditionellen“ Internationalen Beziehungen interessante Einblicke. Bei der simpelsten Betrachtungsweise kommt es allerdings zu einer Zweiteilung zwischen dem Patriarchalen und Militärischen auf der einen sowie dem ­Femininen und Friedlichen auf der anderen Seite. Diese Zweiteilung wird auch in dem erwähnten IP-Beitrag deutlich: „Eine evidenzbasierte feministische Außen- und Sicherheits­politik lehnt das realpolitische Narrativ von Sicherheit durch Waffen ab [und] setzt auf Demilitarisierung …“.



In ihrer einfachsten Form nimmt die sogenannte Realpolitik – also die Interpretation der Internationalen Beziehungen nach der Realismus-Theorie – an, dass es in der globalen Politik immer und notwendigerweise um Konflikte zwischen Akteuren geht, die nach Macht und Wohlstand streben. Daraus folgt, dass die Sicherheit eines Staates darauf beruht, wie gut er sich gegen potenzielle Aggressoren verteidigen kann (vereinfacht könnte dieser Ansatz als „Sicherheit durch Waffen“ zusammengefasst werden), aber auch auf seiner wirtschaftlichen Stabilität und seinem Wohlstand. Diese Dichotomie zwischen waffengestütztem Realismus und feministischer Demilitarisierung verkennt die viel breitere Debatte in den modernen Internationalen Beziehungen (insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg). Außenpolitik, für die Waffen eine Antwort auf alle Fragen sind, liegt falsch. Deutschlands, Frankreichs, sogar Chinas Außenpolitik sind da nuancierter. Dasselbe gilt für den Mainstream in den Internationalen Beziehungen. Die liberale Schule glaubt beispielsweise an kooperative Ideale, die Institutionen wie die UN überhaupt erst ermöglichen. Mittlerweile gibt es eine breite Palette an Ansätzen, Werkzeugen und Traditionen in der modernen Außenpolitik, die sich von der simplen realistischen Theorie, gegen die die feministische Außenpolitik gerichtet ist, weit entfernt haben. Dazu gehören das System der Vereinten Nationen, Auswärtige Kultur- und Bildungs­politik und Anstrengungen „grüner“ Diplomatie – aber alle diese Ansätze werden den Ansprüchen feministischer Außenpolitik nicht vollständig gerecht.



Bei Realpolitik handelt es sich, von realistischen Ansätzen inspiriert, um ein Politiksystem, das Praktisches und Pragmatisches dem Ideologischen vorzieht. Sie muss aber nicht unbedingt auf Waffen fokussiert sein. In Deutschland ist sie das selten. Chinesische Menschenrechtsverletzungen zu tolerieren, um Exportmärkte nicht zu gefährden, ist im Grunde eine demilitarisierte Realpolitik. Genauso ist auch der Export von Waffen an autoritäre Regime, ohne in die Verstrickungen humanitärer Interventionen zu geraten, ein realpolitischer Ansatz. Und es mag zwar pazifistisch anmuten, aber in Wahrheit handelt es sich auch beim Ausschluss militärischer Mittel im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine um klassische Realpolitik. Westliche Regierungen haben ganz einfach eine pragmatische Entscheidung darüber getroffen, wie viel sie zur Verteidigung der Ukraine zu riskieren bereit sind.



Krisenprävention ist äußerst wichtig, sie sollte den Kern jeder Außen- und Sicherheitspolitik bilden und da­rum finanziell angemessen ausgestattet werden. Aber können wir sicher sein, dass Krisen in Europa und darüber hinaus verhindert würden, hätte Deutschland ein schwächeres Militär? Bei Verteidigungsfähigkeit geht es um Waffen, aber auch um Fähigkeiten. Die Fähigkeit beispielsweise, einen Flughafen zu sichern und die eigenen Bürger und Helfer vor Ort inmitten eines Konflikts sicher auszufliegen. Ganz offenkundig war Deutschland dazu in ­Afghanistan nicht fähig.



Feministische Außenpolitik oder ein Konzept, das die Sicherheit einzelner Menschen und ihre Rechte, nicht die Souveränität und Macht von Staaten, in den Mittelpunkt stellt, inspirierte die „Responsibility to Protect“-Verpflichtung der UN, die zu mehr humanitärer Intervention führen kann. Samantha Power beschreibt in ihrem Buch „A Problem from Hell“ (2002) das Versagen geopolitischer Mächte im Angesicht von Gräueltaten überall auf der Welt. Sie zeigt unzählige Situationen auf, in denen ein feministischer Ansatz (der nicht von territorialen Begehrlichkeiten oder Dominanzwünschen geprägt ist, sondern von der Sorge um die Sicherheit schutzbedürftiger Bevölkerungsteile) die Bereitschaft, militärisch einzugreifen, einschließen müsste (Power selbst gebraucht das Wort „feministisch“ nicht, es handelt sich hier um unsere Zuschreibung). Sie analysiert die Reaktion der US-Außenpolitik auf den türkischen Genozid an den Armeniern, die Grausamkeit des Pol-Pot-Regimes in Kambodscha, die Massaker an den irakischen Kurden, die Massenmorde der bosnischen Serben an Muslimen und den Völkermord der Hutu an den Tutsi in Ruanda und kommt zu dem Schluss, dass Intervention ein Kontinuum darstellt: „Anstatt Schritte entlang des Kontinuums der Intervention zu unternehmen – von der Verurteilung der Verbrecher über das Ende US-amerikanischer Unterstützung bis hin zum Zusammentrommeln einer multinationalen Interventionstruppe –, klammert sich die US-Außenpolitik häufig an Nettigkeiten und ‚Neutralität‘ und kümmert sich bloß um humanitäre Hilfe.“



Eine feministische Außenpolitik muss sich des gesamten Kontinuums bewusst sein, solange unsere Welt nicht frei von Aggressoren ist. Diese Realität muss in Deutschland noch Fuß fassen. Es sollte sich mit dieser Realität in einer inklusiven, feministischen Weise auseinandersetzen, die zwischen Realismus und Idealismus die Balance hält. Man kann natürlich darüber streiten, wo die richtige Balance gefunden werden kann; aber es ist ganz klar, dass das ganze Kontinuum bedacht und genutzt werden muss.



Militärische Fähigkeiten müssen nicht immer aggressive Dominanz bedeuten. Manchmal braucht es Waffen und militärische Fähigkeiten, um die Schwachen und Verwundbaren zu schützen. Ein Beispiel liefern die „Ezîdxan Fraueneinheiten“ – jesidische Milizen, die nur aus Frauen bestehen und in Syrien gegen das Assad-Regime kämpfen. Feministische Theorie liefert als Kritik an der „traditionellen“ Disziplin der Internationalen Beziehungen wichtige Einsichten, indem sie sich auf die häufig ignorierten Belange menschlicher Sicherheit fokussiert. Es ist wichtig, nicht nur den Einsatz militärischer Einheiten und technischer Kapazitäten zu diskutieren, sondern auch die Erfahrungen der Menschen vor Ort, speziell von Frauen, wenn es beispielsweise um sexuelle Gewalt in Konflikten geht. Feministische Außenpolitik muss in der Praxis alles leisten.



Will man die Sicherheitslage der ukrainischen Bevölkerung derzeit richtig einschätzen, kann man den bewaffneten Konflikt im Donbass oder Russlands bedrohlichen Militäraufmarsch an den Grenzen nicht ignorieren. Rein militärische Antworten können keine Lösung sein, das schlägt auch niemand ernsthaft vor. Während wir diese Zeilen schreiben, arbeiten Scharen von Diplomaten daran, eine weitere Eskalation zu verhindern. Wir können nicht wissen, ob die Menschen in der Ukraine besser geschützt wären, hätte die NATO eine militärische Antwort auf eine potenzielle russische Invasion in Aussicht gestellt oder zumindest robustere militärische Unterstützung – aber in der Ukraine scheinen Parlament und Regierung der Auffassung zu sein, der militärische Schutz der NATO würde ihre Sicherheit erhöhen. Taiwan ist ein ähnlich gelagerter Fall. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass die Freiheiten der Bevölkerung Taiwans besser durch eine US-Regierung geschützt wären, die sich militärisch von einer schwächeren Seite zeigt. Ist es für die Uiguren oder Menschenrechtsaktivisten in China wirklich besser, dass Deutschlands Außenpolitik einen solch verständnisvollen Ton anschlägt?



Es sind harte Entscheidungen, die vor Deutschland liegen, will es eine feministische Außenpolitik betreiben, die das schwedische Modell weiterentwickelt. Erstens gehört dazu ein inklusiver oder Feminismus-plus-Ansatz. Geschlechterdiversität ist wichtig, aber nur das halbe Bild. Volle Diversität in Repräsentanz und der Verteilung von Ressourcen zu verwirklichen, ist ein deutlich schwierigeres Unterfangen, aber eine notwendige Erweiterung des Konzepts.



Zweitens spielt Deutschland in der Welt eine andere Rolle als Schweden. Berlin muss zeigen, dass seine Außenpolitik inklusiv und idealistisch sein kann, aber dennoch robust. Die 3-Prozent-Verpflichtung im Koalitionsvertrag zeigt hier einen Weg auf. Deutschland kann und sollte seine finanzielle und militärische Verantwortung innerhalb der NATO wahrnehmen und gleichzeitig substanziell in alle anderen Aspekte der Außenpolitik – von der Auswärtigen Kultur­politik bis hin zur Entwicklungshilfe – investieren. Eine smarte feministische Außenpolitik versteht den Wert und das gewaltige Potenzial diverserer außenpolitischer Anstrengungen, die sich auf eine Diplomatie zwischen Völkern und Gesellschaften (Ralf Dahrendorf) und kulturellen und künstlerischen Austausch (mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik als dritter Säule der Außenpolitik) fokussieren und währenddessen dennoch sicherstellen, dass Deutschland sich selbst, seine Verbündeten und schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen in anderen Teilen der Welt verteidigen kann – heute wie morgen.

Aus dem Amerikanischen von John-William Boer



Caroline Assad arbeitet als wissenschaftliche Koordinatorin beim Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung und ist Beirätin der zivilgesellschaftlichen Organisation WIR MACHEN DAS.



Rachel Tausendfreund ist Editorial Director beim German Marshall Fund of the United States und Co-Vorsitzende von Women in International Security Deutschland (WIIS.de).

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2022, S. 98-103

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