Schlusspunkt

01. März 2016

Huch!

Schlusspunkt

Von deutscher Furcht in flüchtiger Situation.

„German angst“ war gestern. Der neue Megatrend heißt: „German hysteria“! Die Angst vor der Angst selbst greift um sich. Schwarz zu sehen, ist heute ­Nationalsport.

Die Stimmung in Berlin ist derart düster, dass eines ziemlich aus der Mode gekommen ist: innezuhalten und einmal die außerordentlichen Erfolge des vergangenen, erschöpfenden Jahres aufzuzählen.

Angela Merkel hat Deutschland und Europa durch die Höhen und Tiefen des griechischen Dramas gesteuert und ihr Volk nach einem schrecklichen Flugzeugunglück zusammengehalten. Sie hat einen Krieg in Europa über die Ukraine vermieden und deutsche Streitkräfte für die Anti-IS-Koalition in Syrien bereitgestellt, trotz der verbreiteten Furcht, die islamistischen Terroranschläge in Frankreich könnten über die Grenze schwappen. Und in ihrer Freizeit hat sie Deutschland regiert.

Ihre größte Herausforderung wächst aber gerade noch: 1,1 Millionen Asylbewerber waren es 2015; wer weiß, wie viele es dieses Jahr werden. In einer so flüchtigen Situation zu planen, ist fast unmöglich, aber Deutsche ohne Plan sind nervöse Deutsche. Schlimmer noch: Merkels „Wir schaffen das“-Maxime hat einen blanken Nerv in der deutschen Psyche berührt, eine Psyche, die die vergangenen Jahrzehnte konditioniert war zu glauben, dass man, jawohl, Maschinen bauen könne, es aber besser sei, keine riskanten Herausforderungen anzunehmen.

Doch wie Angela Merkel selbst herausgestrichen hat: Defätismus ist verlockend, aber nicht die Einstellung, mit der man Deutschland zweimal, nach 1945 und nach 1989, neu aufgebaut hat.

Die protestantische Pastorentochter hat die hysterischen Bedenkenträger links liegen lassen und einen großen Schritt ins Ungewisse getan. Allerdings hängt ihr Migrationskrisenplan von Maßnahmen ab, die jenseits ihrer Kon­trolle liegen, von einer schwierigen Allianz mit der Türkei hin zur erfolgreichen Einrichtung von Hotspots zur Registrierung und Verteilung von Flüchtlingen in Griechenland und an Italiens Außengrenzen.

Während Merkel darauf wartet, dass sich das Blatt zum Besseren wendet, sind ihre Umfragewerte von einer Zweidrittel-Zustimmung auf unter 50 Prozent gesunken, und 64 Prozent der Deutschen sorgen sich um die Zukunft.

Die Bundeskanzlerin ist in einen Zwei-Fronten-Kampf gefangen – zwischen Ethnochauvinisten, die glauben, sie wüssten alles besser, und Ethnomasochisten, die darauf bestehen, niemals gut genug zu sein. Gemeinsam ist ihnen ihr Groll auf Merkel – und ihre Anfälligkeit für „German hysteria“.

Derek Scally ist Deutschland-Korrespondent der Irish Times.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2016, S. 144

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