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01. Nov. 2015

Handelshemmnisse

Die politischen Spannungen zwischen Indien und seinen Nachbarstaaten, vor allem der Konflikt mit Pakistan, haben einen Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen verhindert. Aber auch zahlreiche Handelsbarrieren und fehlende grenzüberschreitende Infrastruktur stehen bislang einer verstärkten regionalen Integration entgegen.

Die Mitgliedstaaten der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) – Indien, Pakistan, Afghanistan, Sri Lanka, Nepal, Bangladesch, Bhutan und die Malediven – bilden die wohl am wenigsten wirtschaftlich integrierte Region der Welt. Dies ist vor allem an den geringen intraregionalen Handelsströmen und der kaum vorhandenen grenzüberschreitenden Infrastruktur zu erkennen.

Nur etwa 5 Prozent des gesamten Handels der südasiatischen Staaten finden in der Region statt – deutlich weniger als etwa im benachbarten Südostasien, wo 25 Prozent des Handels zwischen den Mitgliedstaaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) erfolgen. Obwohl die Staaten Südasiens im Jahr 2006 ein Abkommen für eine regionale Freihandelszone (South Asian Free Trade Area – SAFTA) unterzeichneten und Indien unilateral den am wenigsten entwickelten Ländern Südasiens zollfreien Zugang zu seinem Markt gewährte (zuerst Bangladesch, Nepal, Bhutan, seit 2011 auch Afghanistan), führte dies nicht zu einer substanziellen Intensivierung des Handels in der Region. Das liegt zum Teil an der begrenzten Komplementarität der Wirtschaften der Region. Dennoch betonen Experten, dass ein enormes Potenzial für eine engere Zusammenarbeit besteht: zum Beispiel der weitere Ausbau der Wasserkraft als alternativer Energiequelle in den Himalaya-Staaten Nepal und Bhutan und der Export in das energiehungrige Indien.
 

Barrieren über Barrieren

Zu den größten Handelshemmnissen zählen lange Listen mit bestimmten Produktgruppen, die vom Freihandelsabkommen ausgeschlossen sind, um lokale Produzenten zu schützen. Trotz sukzessiver Kürzungen bestehen die meisten Länder Südasiens jeweils noch auf mehreren hundert Ausnahmen. So importiert Sri Lanka beispielsweise keinen Tee und keine Gewürze; Bangladesch umgeht die Tarifbestimmungen von SAFTA durch so genannte „Para-Tarife“, zusätzliche Zölle, die 38 Prozent der Handelshemmnisse ausmachen.

Hinzu kommen zahlreiche nichttarifäre Handelshemmnisse, unter anderem technische Normen und Standards, Hygienevorgaben, Antidumpingregeln und Importlizenzen. Darüber hinaus wird der Handel durch exzessive Bürokratie, veraltete Zollverfahren sowie mangelnde Transparenz der Ein- und Ausfuhrbestimmungen erschwert. Was den Handel mit Dienstleistungen angeht, unterzeichneten die SAARC-Staaten nach langjährigen Verhandlungen 2010 ein entsprechendes Abkommen zur Liberalisierung, aber die Umsetzung lässt auf sich warten. Auch im Bereich der ausländischen Direktinvestitionen hat es trotz einer Öffnung der meisten südasiatischen Wirtschaften seit den neunziger Jahren kaum Fortschritte gegeben. In den vergangenen drei Jahrzehnten lag der Anteil der intraregionalen Direkt-investitionen an den gesamten Investitionszuflüssen bei 5 Prozent.

Ein weiteres Problem ist die fehlende grenzüberschreitende Infrastruktur. Zwischen Indien und Nepal gibt es zwar eine offene Grenze und Bewegungsfreiheit, aber in den meisten anderen Fällen ist das Visaregime so strikt, dass selbst Geschäftsreisen extrem schwierig sind. Trotzdem verhindern diese -formalen Hemmnisse natürlich keine illegalen Aktivitäten von Schmugglern oder Terroristen, vor allem im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan.

Direkte Verkehrsverbindungen zwischen den Staaten Südasiens sind die Ausnahme. So gibt es erst seit 2008 wieder eine direkte Zugverbindung zwischen der indischen Stadt Kolkata in Westbengalen und der Hauptstadt Bangladeschs, Dhaka. Der Nordosten Indiens, den nur ein schmaler Landkorridor mit dem Rest des Landes verbindet, ist auch vom benachbarten Bhutan und Bangladesch sowie von dem ebenfalls angrenzenden Myanmar weitgehend abgeschottet. Erst vor Kurzem wurde von den Regierungen Indiens und Bangladeschs eine Machbarkeitsstudie für eine Eisenbahnverbindung zwischen dem indischen Unionsstaat Tripura im Nordosten und der Hafenstadt Chittagong in Bangladesch in Auftrag gegeben. Auch die Straßenverbindungen zwischen den Nachbarländern sind unzureichend. Massive Defizite und Verspätungen in der Abwicklung von Zollformalitäten und fehlende adäquate Lagerhallen erschweren den Handel erheblich, unter anderem an der Grenze zwischen Indien und Bangladesch. Eine Folge dieser Probleme ist, dass die meisten Waren verschifft werden. Aber dadurch dauert der Transport von Delhi nach Dhaka 35 Tage, anstatt nur wenige Tage auf dem Landweg. Der wegen der politischen Auseinandersetzungen ohnehin eingeschränkte Handel zwischen Indien und Pakistan findet hauptsächlich über Dubai oder Singapur statt.

Die schlechte intraregionale Infrastruktur wirkt sich nicht nur negativ auf den Handel zwischen den Ländern Südasiens aus, sondern könnte längerfristig auch zu einer Marginalisierung der gesamten Region führen. Denn bisher ist Süd-asien kaum in das von China geförderte Seidenstraßen-Projekt integriert und es riskiert bei einem weiteren Ausbau der Ost-West-Handelsrouten vollständig ausgeschlossen zu werden. Eine seit den neunziger Jahren diskutierte Land-anbindung Indiens an China über Bangladesch und Myanmar wird auch dadurch erschwert, dass die indische Seite eine Ausweitung des chinesischen Einflusses in der Region und den Wettbewerb chinesischer Unternehmen fürchtet.

Für ausländische Investoren sind aber nicht nur die logistischen Probleme ausschlaggebend, sondern auch die Vergeudung potenzieller Synergien, die sich im Rahmen ihrer Aktivitäten in der Region ergeben könnten. Das würde bedeuten, dass einer der größten Exportmärkte der Zukunft, der ein Fünftel der Weltbevölkerung beherbergt, nur schwer erschließbar bleibt.
 

Politische Altlasten

Die Ursachen für die geringe wirtschaftliche Integration der Region sind vor allem politischer Natur. SAARC als einzige regionale Organisation ist vollkommen dysfunktional; in ihrem Statut wurde festgelegt, dass „politische oder umstrittene Angelegenheiten“ nicht in ihre Zuständigkeit fallen. Als Begründung nennt man häufig die Befürchtung, dass der Konflikt um Kaschmir zwischen Indien und Pakistan die Aktivitäten von SAARC blockieren könnte. Es ist interessant, dass sich Indien bei der Gründung im Jahr 1985 für diese Formulierung einsetzte. Und Indien bestand auch darauf, dass Entscheidungen einstimmig gefällt werden müssen. Die Regierung in Neu-Delhi fürchtete nämlich, dass ihr Handlungsspielraum als mächtigster Staat der Region durch -SAARC eingeschränkt werden könnte; die Organisation wurde maßgeblich von den kleineren Ländern Südasiens initiiert.

Indiens Politik der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der kleineren Nachbarstaaten in den achtziger Jahren trug dazu bei, das bereits vorhandene Misstrauen weiter zu verschärfen. Nepal, Bangladesch oder Sri Lanka fürchteten ihren dominanten Nachbarn schon allein aufgrund der geo-politischen Konstellation in der Region: Die meisten kleineren Staaten grenzen an Indien an, haben aber – mit Ausnahme von Afghanistan und Pakistan – keine gemeinsamen Grenzen. Hinzu kommt die schiere Größe Indiens, die als Bedrohung wahrgenommen wird: 70 Prozent der Gesamtfläche und Bevölkerung Südasiens gehören zu Indien.

Ein weiterer Faktor, der Misstrauen in den kleineren Ländern Südasiens schürt, ist die große kulturelle Nähe ihrer Bevölkerung oder einzelner -Minderheiten zur Bevölkerung in angrenzenden Bundesstaaten Indiens. So führte die Verbundenheit zwischen den Tamilen im indischen Tamil Nadu und den Tamilen Sri Lankas zu wiederholten Einmischungen Indiens in den ethnischen Konflikt des benachbarten Inselstaats. In Bangladesch wurde lange Zeit befürchtet, Indien könne das Land einnehmen und dadurch Bengalen wieder vereinen. Obwohl mittlerweile deutlich geworden ist, dass Indien keine territoriale Expansion beabsichtigt, bleibt das Misstrauen bei den Anrainern groß.

Darüber hinaus belasten die konfliktreichen Beziehungen zwischen Indien und Pakistan die Region. Nach dem Trauma der „Partition“, der Teilung Britisch-Indiens in ein säkulares Indien und ein muslimisches Pakistan im Jahr 1947, bekämpften sich beide Staaten in drei Kriegen (1947/48, 1965, 1971) und 1999 im Kargil-Konflikt. Hauptstreitpunkt zwischen den beiden Atommächten ist der Status von Kaschmir, einer seit 1947 geteilten Region, die von beiden Ländern als Ganzes beansprucht wird. Aus indischer Sicht ist seit einigen Jahren jedoch der von Pakistan aus-gehende und vom dortigen Geheimdienst unterstützte Terrorismus die größte Belastung für die bilateralen Beziehungen. Die Anschläge von Mumbai im Jahr 2008, die von pakistanischen Terroristen verübt wurden, offenbarten Indiens Verwundbarkeit und führten zu einer Unterbrechung des Dialogs zwischen beiden Ländern.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich die indischen Regierungen zwar weiterhin in die politischen Vorgänge der Nachbarstaaten eingemischt, dies jedoch zurückhaltender als zuvor. Indien unternahm aber kaum etwas, um die wirtschaftliche Integration der Region voranzutreiben. Die kleinteiligen regionalen Spannungen verhinderten, dass Indien zum Wachstumsmotor der gesamten Region wurde und neue Absatzmärkte für indische Güter in den Nachbarstaaten geschaffen wurden. Zur Skepsis der kleineren Länder kam die mangelnde Bereitschaft Neu-Delhis, Zugeständnisse zu machen.
 

Anzeichen für einen Wandel

Die Außenpolitik von Narendra Modi zeigt jedoch ein weitsichtigeres Handeln in der Region. Die meisten Beobachter waren überrascht von seiner Geste, die Staats- und Regierungschefs aller Länder Südasiens zu seiner Vereidigung als Premierminister einzuladen. Sein erster Staatsbesuch führte ihn nach Bhutan, danach ging es nach Nepal (der erste Besuch eines indischen Regierungschefs seit 17 Jahren), es folgten Reisen nach Sri Lanka und Bangladesch. Ein wahrer Durchbruch war im Juni 2015 die Unterzeichnung eines Grenzvertrags mit Bangladesch, durch den jahrzehntelange Grenzstreitigkeiten beigelegt wurden. Für die Zukunft gibt es zahlreiche Pläne zur grenzüberschreitenden Kooperation, zum Beispiel zwischen Indien und Bangladesch sowie im Rahmen der SAARC im Energiesektor.

Modis Charmeoffensive scheint auf einem neuen Bewusstsein für das Potenzial wirtschaftlicher Kooperation in Südasien zu beruhen. Gleichzeitig ist der indischen Regierung nicht entgangen, dass die kleineren Nachbarstaaten verstärkt mit China kooperieren, zum Beispiel wenn es um Infrastrukturprojekte wie den Bau von Häfen geht. Eine Verbesserung der regionalen Außenbeziehungen hat somit auch eine strategische Bedeutung, da Indien eine mög-liche „Einkreisung“ durch China befürchtet und die Aktivitäten dieses Rivalen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft mit Argwohn beobachtet.

Das weiterhin größte Hindernis für die wirtschaftliche Integration Süd-asiens bleibt allerdings die Beziehung Indiens zu Pakistan. In diesem Konflikt war Modis Politik bisher zwiespältig, er schwankt zwischen Dialog-angeboten und Drohungen. So brach Indien trotz verschiedener Versöhnungsgesten bereits zweimal den bilateralen Dialog ab, weil der pakistanische Botschafter in Indien sich mit Separatistenführern aus Kaschmir traf, obwohl solche Treffen in der Vergangenheit kein Grund für eine Unterbrechung der Gespräche waren. Infolgedessen kam es 2014 zu zahlreichen Verletzungen des Waffenstillstands an der Line of Control, dem Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan, und die bilateralen Beziehungen erreichten einen Tiefpunkt. Premierminister Modi war bisher nicht bereit oder in der Lage, seine politische Macht zu nutzen, um ein großzügiges Dialogangebot an Pakistan zu machen und einen Beitrag zur Entspannung zu leisten.

Trotz aller Bemühungen der Regierung Modi im Umgang mit den kleineren Nachbarstaaten bleiben große Hindernisse für bedeutsamere Formen der regionalen Kooperation bestehen. Das Potenzial einer weitergehenden Integration liegt auf der Hand: Mit durchschnittlichen Wachstumsraten von 6,9 Prozent in den Jahren 2000 bis 2010 und von 7,1 Prozent im Jahr 2014 ist Südasien eine der dynamischsten Regionen der Welt, die von einer besseren wirtschaftlichen Integration enorm profitieren würde. Wenn Indien wirklich, wie Modi in seiner Rede auf dem SAARC-Gipfel 2014 erklärte, eine Führungs-rolle in der regionalen Kooperation spielen will, muss die Regierung großzügigere Zugeständnisse machen und den Nachbarstaaten glaubhaft vermitteln, dass sie von der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens profitieren werden. Nur so kann das jahrzehntelange, tiefsitzende Misstrauen gegenüber Indien überwunden werden.

Dr. Sandra Destradi ist Senior Research Fellow am GIGA Institut für Asien-Studien und Professurvertreterin an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt 3, November 2015-Februar 2016, S.50-55

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