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01. Apr. 2006

Grausamkeit oder Zurückhaltung

Wie reguläre Armeen asymmetrische Kriege gewinnen können

Die Wehrmacht scheiterte in Jugoslawien, Frankreich in Algerien, die Sowjetunion in Afghanistan und die USA in Vietnam und vermutlich auch im Irak. Selbst bei Einsatz brutaler Methoden und überlegener Technik erleiden reguläre Armeen gegen Aufständische nur Niederlagen. Es sei denn, sie nähmen sich die Grausamkeit des ehemaligen Präsidenten Syriens, Hafis al-Assad, oder die Zurückhaltung der Briten in Nordirland zum Vorbild.

Der größte Teil der Welt ist gegenwärtig damit beschäftigt, Aufstände niederzukämpfen, sich auf einen solchen Kampf vorzubereiten oder zu analysieren, wie diese Art von Krieg geführt werden soll.1 Aber etwas ist faul im Staate Dänemark, und es ist nicht klar, wann genau das Faulen begann. Ein guter Ausgangspunkt jedoch ist der 6. April 1941, der Tag, an dem die deutsche Wehrmacht Jugoslawien überfiel. Der Feldzug war ein voller Erfolg; in nur zwei Wochen war Jugoslawien besetzt. Das Ende der Hauptkampfhandlungen bedeutete jedoch nicht, dass der Krieg vorbei war. Innerhalb weniger Wochen regte sich Widerstand, der in kürzester Zeit enorme Ausmaße annahm. Auf seinem Höhepunkt waren nicht weniger als 29 Divisionen der Achsenmächte damit beschäftigt, den Partisanenkrieg niederzuschlagen.2 Mit tatkräftiger Unterstützung wenig rücksichtsvoller Organisationen wie der SS, töteten sie etwa 800 000 Jugoslawen – ohne Erfolg. In den Jahren 1944/45 befreite sich Jugoslawien als einziges von den Deutschen besetztes Land ohne Hilfe der Alliierten; so viel zur Möglichkeit der Unterdrückung von Aufstandsbewegungen selbst mit brutalsten Mitteln.

Den Jugoslawen gelang es relativ schnell, einen Partisanenkrieg gegen die Besatzung zu organisieren. Doch Ähnliches wiederholte sich in ganz Europa. Polen, Russen, Griechen, Italiener, Franzosen und sogar die zivilisierten Dänen und Niederländer griffen alle zu den Mitteln des bewaffneten Kampfes. Einige Bewegungen konnten sich schneller organisieren als andere und keiner gelang es, ihr Land wie die Jugoslawen ohne Hilfe zu befreien. Aber alle wurden mit der Zeit immer effektiver.

Stellen wir uns vor, Deutschland hätte den Krieg gewonnen. Dann wären vermutlich 80 Prozent der bewaffneten Truppen demobilisiert und nach Hause geschickt worden. Und selbst, wenn wir annähmen, dass doppelt so viele Männer im aktiven Dienst geblieben wären als der Wehrmacht in Friedenszeiten vor 1939 zur Verfügung standen, hätte ihre Zahl nur bei 1,5 Millionen gelegen. Sie hätten den gesamten Kontinent kontrollieren müssen – ein Gebiet, das von Brest bis zum Ural und von Narvik bis mindestens zum Brenner Pass und dem Peloponnes reichte und eine Bevölkerung von schätzungsweise 200 Millionen Menschen umfasste. Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre das nicht machbar gewesen. Selbst, wenn Millionen von Leben geopfert worden wären und Europa noch mehr zerstört worden wäre, als dies während des Krieges ohnehin geschah, hätte sich Widerstand formiert, der den Kontinent mit umfassenden Terror- und Guerillaaktivitäten unregierbar gemacht hätte.

Die deutsche Erfahrung war ein Vorspiel für die Niederlagen der Zukunft. In Palästina versuchten die Briten mit 100 000 Mann über eine Bevölkerung von 600 000 Juden zu herrschen, von denen nur wenige hundert aktive Terroristen waren. Sie versagten, aber das war nichts im Vergleich mit dem, was folgte. Obwohl sich die Briten unvorstellbar brutaler Methoden bedienten, verloren sie Malaysia, Kenia, Zypern und Jemen. Anderen Mächten erging es ähnlich. Hunderttausende französischer Soldaten brachten in Indochina und Algerien hunderttausende vietnamesischer und arabischer „Eingeborener“ um. Am Ende mussten sie abziehen. Eine Erfahrung, die viele Kolonialmächte teilten.

Dann war Amerika an der Reihe. Über einen Zeitraum von zehn Jahren dienten etwa zwei Millionen amerikanische Soldaten in Südostasien, allein 1968/69 kämpfte eine halbe Million in Vietnam. Von schweren Bombern über ferngesteuerte Fahrzeuge bis zu Napalm benutzen sie jede verfügbare Technik. Doch nachdem sie sechs Millionen Tonnen Bomben über dem Land abgeworfen hatten – mehr als doppelt so viel wie im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland und Japan zusammen – 1500 Hubschrauber verloren hatten, über 55 000 Soldaten getötet und 125 Milliarden Dollar ausgegeben waren, mussten auch sie ihre Niederlage eingestehen. 1975 sah eine staunende Weltöffentlichkeit zu, wie Amerikaner sich an den Kufen ihrer Helikopter festklammerten, um in letzter Sekunde aus Saigon ausgeflogen zu werden.

Dass westliche Mächte solche Niederlagen erlitten, erklärte man weitgehend damit, sie seien eben von moralischen Skrupeln heimgesucht gewesen. Dabei war von solchen Skrupeln weder in Algerien noch in Vietnam etwas zu spüren. Ganz gewiss keinerlei Skrupel aber konnte oder wollte man der Roten Armee anlasten. 1988 marschierten acht Panzerdivisionen, ausgerüstet mit allem, was der bis dahin größte militärisch-industrielle Komplex hergab, über den Salang-Pass in Richtung Kabul. Acht Jahre lang versuchten sie das Land gegen den Widerstand der Mudschaheddin zu „befrieden“, wobei etwa eine Million Afghanen getötet wurden und fünf Millionen flüchteten – und mussten am Ende doch eine Niederlage einstecken.

Es wäre ermüdend, alle Länder aufzuzählen, die versuchten, Aufstände zu ersticken und dabei versagten. Sogar auf einer recht rudimentären Auswahlliste stünden Vietnam (in Kambodscha), Indien (in Sri Lanka und Kaschmir), Südafrika (in Namibia), Indonesien (in Ost-Timor), die Philippinen (im Süden) und Russland (in Tschetschenien). Manche dieser Kriege gegen Aufständische wurden mit ungeheurer Unbarmherzigkeit geführt, zum Beispiel in Ost-Timor, wo indonesische Truppen ungefähr eine halbe Million Menschen töteten. Israel wiederum setzte im Libanon und in den besetzten Gebieten die besten Truppen und modernsten Waffen ein, nur, um am Ende doch das Handtuch zu werfen und sich zurückzuziehen. Drei Jahre nach dem Sieg über den Irak versuchen die Amerikaner immer noch, Kontrolle über dieses Land zu gewinnen. Ihre Chancen stehen nicht besonders gut.

Jedes Mal, wenn ein Krieg gegen Aufständische verloren ging, versuchten Experten, post-mortem zu analysieren, was denn schief gelaufen sei. Im Fall des Vietnam-Krieges wurden folgende Gründe angeführt: Die politische Führung hätte keine adäquate Richtung vorgegeben, die bewaffneten Truppen nie über deren Mission unterrichtet3 und deren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt, indem sie versuchte, den Krieg bis ins Kleinste vom Weißen Haus aus zu befehligen.4 Die Öffentlichkeit, fehlgeleitet durch vaterlandslose Gesellen in den Medien, verstand die Bedeutung dieses Krieges nicht und entzog ihm ihre Unterstützung.5 Die Anzahl der an diesem Krieg beteiligten Behörden war zu groß, die Koordination zwischen ihnen unzulänglich oder nicht existent. Es standen nicht genügend Ressourcen an Soldaten, Finanzen und Ausrüstung zur Verfügung. Die Strategie der Zermürbung war falsch. Die Taktik des „Search and Destroy“ war falsch. Der Krieg war nicht unbarmherzig genug, oder im Gegenteil, zu unbarmherzig geführt worden. Die Offiziere waren schuld. Die Soldaten waren schuld. Die Südvietnamesen waren schuld. Die Demonstranten, die ihre Landesflagge verbrannten, waren schuld. Alle waren schuld. Niemand war schuld.

Diese Erklärungen waren alt bekannt, als der Vietnam-Krieg sein unrühmliches Ende fand – und selbst, als er begann. Da eine amerikanische Niederlage im Irak so gut wie sicher ist, werden wir zweifelsohne noch mehr davon zu hören bekommen. Dass alte Erklärungen immer nur wiederholt werden und sich die Niederlagen dennoch häufen, bringt uns nicht weiter. Stattdessen schlage ich vor, neue Wege zu beschreiben, indem man zwei moderne Kriege gegen Aufständische betrachtet, die erfolgreich waren: die Niederschlagung islamistischer Rebellen 1982 in Hama durch Syriens Präsident Hafis al-Assad und der Konflikt in Nordirland.

Massenmord in Hama

Anfang 1982 war Präsident Hafis al-Assad seit zwölf Jahren an der Macht und sein Regime wurde von einer wachsenden Opposition bedroht.6 Ein Teil dieser Opposition hatte ethnische Hintergründe, schließlich gehörte Assad zur kleinen Minderheit der Alawiten. Ein Teil rekrutierte sich aus dem islamischen Klerus oder den Ulama, denn der säkulare, baathistische Staat verkörperte alles, was in totalem Widerspruch zu deren Glauben stand. Gegen diesen Staat musste ein heiliger Krieg geführt werden. Hinzu kam, dass ein Großteil seiner Armee schon seit einigen Jahren im Libanon involviert war. Ursprünglich hatte Syrien den 1976 ausgebrochenen libanesischen Bürgerkrieg mit einer Invasion beenden wollen, was sich als äußerst schwierig erwies.  Deshalb fanden sich die Syrer in der unerwarteten Situation wieder, das Land regieren zu müssen: ein Unterfangen, das 1982 wiederum durch die bevorstehende israelische Invasion in Gefahr geriet.

Als die Muslim-Bruderschaft, die faktisch in jedem arabischen Land vertreten ist, eine gut organisierte und effektive terroristische Kampagne gegen ihn begann, reagierte Assad mit ähnlich oder gar noch brutaleren Maßnahmen wie unzählige Herrscher vor (und auch nach) ihm. Zunächst schränkte er die wenigen Bürgerrechte wieder ein, die sein anfänglich noch recht moderates Regime zugestanden hatte. Dann ließ er Armee und Geheimdienste Tausende verfolgen, festnehmen und foltern. Zuweilen befahl er sogar, sämtliche Insassen eines Gefängnisses an die Wand zu stellen. Nichts wirkte. Es folgten immer weitere Bombenattentate, bei denen Hunderte ihr Leben verloren.

Als Assads Regime auseinander zu brechen begann und sein eigenes Leben bedroht war, griff der syrische Führer auf verzweifelte Maßnahmen zurück. Man wusste, dass sich das Zentrum der Rebellion in der Stadt Hama befand. Noch während seiner Unterdrückungskampagne postierten sich 12 000 Soldaten unter dem Kommando von Assads Bruder Rifat rund um die Stadt. Nach späteren Berichten syrischer Zeitungen begannen sie mit systematischen Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Etwa 500 Mudschaheddin reagierten mit einem Gegenangriff. Vielleicht waren sie ganz bewusst von Rifat al-Assads Truppen provoziert worden. Vielleicht hofften sie, dass die sunnitischen Truppen der Armee desertieren und möglicherweise an ihrem Aufstand teilnehmen würden. Jedenfalls wagten sie sich aus ihren Verstecken, griffen zu den Waffen und gingen zum offenen Angriff über.

Das war das Signal zum Losschlagen, auf das Rifat und Hafis nur gewartet hatten. Als sie das Feuer eröffneten, kam hauptsächlich deren mächtigste Waffe, die schwere Artillerie, zum Einsatz. Zwischen 10 000 und 30 000 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, wurden getötet. Was folgte, war noch entscheidender als das Morden selbst: Rifat entschuldigte sich nicht etwa, sondern übertrieb im Gegenteil bewusst die Anzahl der Todesopfer. Als Belohnung wurde er zum Vizepräsidenten für Nationale Sicherheit ernannt; viele seiner mörderischen Kollegen wurden ebenfalls befördert oder ausgezeichnet.7 Überlebende berichteten später, dass viele Bewohner Hamas unter ihren Wohnhäusern begraben wurden und sich in den Straßen Leichenberge türmten.8 Hamas große Moschee, eine der bekanntesten in Syrien, wurde dem Erdboden gleich gemacht und an ihrer Stelle ein Parkplatz planiert. Noch Jahre später erschauderten Passanten bei diesem Anblick. Assads Biograph Mosche Maoz9 zufolge „brach die schreckliche Niederschlagung der Hama-Revolte nicht nur das militärische Rückgrat der Muslimbruderschaft, sondern diente als klares Exempel für sie und andere oppositionelle Gruppen, (...) fortan auf weiteren Widerstand zu verzichten. Die Mudschaheddin stellten für Assad zunächst keine Bedrohung mehr dar.“ Als Rifat sich mit seinem Bruder entzweite, musste er ins Ausland fliehen. Hafis dagegen regierte Syrien weiterhin mit eiserner Hand. In seine Fußstapfen trat Sohn Bashar.

Blutiger Sonntag in Londonderry

Die andere erfolgreiche Kampagne zur Bekämpfung eines Aufstands, deren Betrachtung lohnt, ist die britische in Nordirland.10 Nach einer langen Geschichte des Konflikts brachen die „Troubles“ im Januar 1969 wieder aus. Nach Bombenattentaten und gewalttätigen Demonstrationen eskalierte die Situation. In einer einzigen Nacht (Belfast, 14./15. August 1969) wurden vier Polizisten und zehn Zivilisten getötet und 145 Zivilisten verwundet. In der ersten Hälfte des Jahres 1971 gab es 311 Bombenanschläge mit mehr als hundert Verletzten. 1972 stieg die Zahl der Bombenanschläge auf über tausend, und die IRA weitete ihre Aktionen von Irland auf die britische Insel aus. Am 30. Januar 1972 erreichte die Eskalation einen Höhepunkt. Britische Soldaten, die weitere gewalttätige Demonstrationen verhindern sollten, töteten bei Straßenkämpfen in Londonderry 13 Menschen. Das Ereignis blieb als „Bloody Sunday“ in Erinnerung.

Hätte man diesem Konflikt erlaubt, sich unverändert fortzusetzen, wäre eine britische Niederlage gewiss gewesen. Falls wir es zur Abwechslung nicht mit dem normalen Muster zu tun haben, gibt es offensichtlich ein paar Dinge die man von diesen Bemühungen lernen kann. Nun wollen wir hier kaum sämtliche Aktionen der Armee in den 30 Jahren ihrer Anwesenheit in Nordirland einzeln auflisten. Noch weniger können wir den politischen Prozess mit all seinen Wendungen, Fortschritten und Rückschlägen nachzeichnen. Stattdessen möchte ich mich auf Dinge konzentrieren, die die britische Armee nach dem Wendepunkt des Bloody Sunday unterließ:

Nie mehr eröffneten die Briten wahllos das Feuer auf Menschenmengen; auch, wenn die Gewalt bei Demonstrationen eskalierte, bedienten sie sich  weniger brutaler Mittel, was auch weniger Todesopfer kostete. Im deutlichen Gegensatz zu den meisten anderen Armeen griffen sie niemals auf schwere Waffen wie Panzer, Schützenpanzer, Artillerie oder die Luftwaffe zurück. Nicht ein einziges Mal verhängten sie Kollektivstrafen. Man verzichtete auf Ausgangssperren, es wurden keine Häuser gesprengt, Wohnblocks zerstört, um der Armee ein freies Schussfeld zu verschaffen, oder ähnliche Maßnahmen getroffen. Indem die Armee als Beschützer und nicht als Unterdrücker der Bevölkerung auftrat, konnte sie die Ausweitung des Aufstands verhindern. Am wichtigsten war, dass sich die Armee im Großen und Ganzen an die Gesetze hielt. Das war nur möglich, weil sie selbst Zurückhaltung übte, aber auch weil andere, weniger auffällige Organisationen die Drecksarbeit für sie erledigten. In jedem Fall verzichteten sie auf willkürliche Festnahmen, Folter und illegale Tötungen.

Von Zeit zu Zeit verstieß man gegen diese Regeln. Vereinzelt kam es zu klaren Verletzungen der Bürgerrechte durch Folter, und manchmal wurden Menschen unter falschen Anschuldigungen verhaftet, um ihnen Informationen zu entlocken oder sogar, um sie zu verurteilen. Einige bekannte IRA-Führer, die man im Ausland aufspürte, wurden buchstäblich exekutiert. Im Großen und Ganzen jedoch hielten sich die Briten an die Regeln. Sogar, nachdem Terroristen den Onkel der Queen, den 79-jährigen Lord Mountbatten, auf seiner Yacht in die Luft sprengten. Sogar, nachdem sie eine Bombe gelegt hatten, die einen Teil des Brighton Hotels zerstörte, wo Premierministerin Margaret Thatcher einen Vortrag halten sollte; und sogar noch, nachdem sie von einem Lieferwagen aus den Sitz des Premierministers mit Mörsergranaten beschossen, als dort ein Treffen des Kabinetts stattfand.

Ohne näher auf die Details einzugehen, scheint das wirkliche Geheimnis hinter dem Erfolg der Briten deren extreme Selbstkontrolle gewesen zu sein. Was auch immer passierte, sie ließen sich nicht provozieren. Wie mir ein britischer Offizier erklärte: Schauen Sie sich fast jede der mindestens hundert Kampagnen gegen Aufständische an, die seit 1945 (oder seit 1941) in der Welt stattfanden. Eines haben sie bei allen Unterschieden gemeinsam: Immer töteten die „Ordnungskräfte“ weit mehr Menschen als sie selbst verloren. Oft in einer Größenordnung wie in Vietnam; und oft in einer solch willkürlichen Art, dass das Ergebnis einem Völkermord gleicht. Im Gegensatz dazu kostete der Kampf in Nordirland dem Vereinigten Königreich bis 1996 schon 3000 Tote. Von diesen 3000 waren 1700 Zivilisten, die meisten von ihnen Passanten, die durch eine Bombe getötet wurden, nur weil sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten. Von den verbliebenen 1300 waren 1000 Soldaten und nicht mehr als 300 Terroristen; ein Verhältnis von eins zu drei. Und das sei der Grund, versicherte mein Gesprächspartner, warum die Briten noch immer in Nordirland sind.

Lehrmeister Machiavelli

Der Erfolg hat viele Väter, das Versagen ist ein Waisenkind, heißt es. Das mag sehr wohl für jeden anderen Aspekt des Lebens gelten. Für die Bekämpfung von Aufständen dagegen triff es jedenfalls nicht zu. Ganze Bibliotheken wurden über gescheiterte Kampagnen verfasst, aber nur wenig über erfolgreiche Beispiele geschrieben. Das mag daran liegen, dass die Anzahl solcher Erfolge seit 1941 so gering war, dass sich kaum jemand an sie erinnert. Und dass die angewandten Methoden vielleicht so abstoßend sind, dass es angeblich ja so zivilisierten Personen schwer fällt, darüber zu schreiben. Folglich sucht man dieses Thema in der modernen Literatur fast vergebens.

Wer aber statt schwacher Ausreden echte Antworten sucht, dem steht eine exzellente kurze Analyse zur Verfügung. In den Kapiteln acht und 17 seines Werkes „Der Fürst“ erklärt Niccolo Machiavelli, auf welche Art ein Herrscher Grausamkeit einsetzen sollte, wenn es denn nötig ist. Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich feststellen: Es gibt solche Umstände und niemand, der dies nicht erkennt, sollte die Herrschaft über irgendein Land außer Disneyland anstreben.

Machiavellis Empfehlungen laufen auf vier Punkte hinaus:

  1. Bleibt keine andere Wahl außer Grausamkeit, sollte der Schlag unerwartet ausgeführt werden. Je mehr er wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommt, desto größer ist der Effekt; deshalb sollte sich der Herrscher milde geben, während er heimlich schon die Vorbereitungen trifft.
  2. Der Schlag kann nicht hart genug sein. Es ist besser, zu viele als zu wenige Menschen zu töten. Man muss so hart zuschlagen, dass ein zweiter Schlag sich erübrigt, denn die bloße Wiederholung schwächt die Wirkung des ersten Schlages. Auch sollte sorgfältig erwogen werden, welche Wirkung eine Wiederholung auf die Truppen hätte. Gleich, wie gut ausgebildet und abgebrüht sie sein mögen – sind sie gezwungen, eine Gräueltat nach der anderen zu begehen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie demoralisiert werden. Steht man einer Organisation gegenüber, deren Operationen meist heimlich ausgeführt werden, wäre es illusorisch zu glauben, man könne alle oder die meisten auf einen Schlag treffen. Selbst im Fall eines Erfolges bestünde noch immer die Möglichkeit, dass sich die fragliche Organisation erholt. Um dies zu verhindern, sollte es sich der Herrscher nicht nur zum Ziel setzen, die Rebellen zu töten, sondern auch die Bevölkerung zu demoralisieren, aus der sie ihre Unterstützung rekrutieren und ohne die sie nicht überleben können. In anderen Worten: Das eigentliche Ziel deines Schlages ist weniger, Menschen zu töten, als Schonungslosigkeit unter Beweis zu stellen und die Bereitschaft, das gesetzte Ziel mit allen Mitteln erreichen zu wollen. Also sind genaue Überlegungen bezüglich der Mittel angebracht. Bei Assads Niederschlagung des Aufstands in Hama war die Waffe der Wahl die Artillerie. Schwere Geschütze sind ausreichend genau, um auf individuelle Ziele gerichtet zu werden, vor allem wenn sie aus geringer Entfernung abgefeuert werden können; gleichzeitig sind sie auch ausreichend kraftvoll, um den erwünschten Schaden anzurichten. Sie können stunden- und sogar tagelang nonstop abgefeuert werden. Aber ihr größter Vorzug ist, dass die Opfer direkt mit dieser Waffe konfrontiert sind.
  3. Was zu tun ist, muss ganz offen ausgeführt werden. Man sollte um jeden Preis verhindern, dass die Medien dazwischen funken können, solange die Operation noch nicht zu Ende geführt ist. Danach sollte man sie nicht zu verbergen versuchen, sondern genau das Gegenteil tun – auf jegliches Jammer über Kollateralschäden, auf bedauerliche Weise getötete Zivilisten, „Exzesse“, die untersucht und vor Gericht gebracht werden sollen, und andere Zeichen der Schwäche verzichten. Stattdessen sollte man sicherstellen, dass so viele wie möglich die Ergebnisse sehen, hören, riechen und anfassen können.
  4. Man sollte die Operation nicht selbst befehligen, sondern jemand anderes damit betrauen, und das möglichst ohne schriftlichen Befehl. Sollte der Kommandeur der Aktion erfolgreich gewesen sein, lassen sich dessen Lorbeeren einheimsen. Vor der Öffentlichkeit sollte man keine Reue zeigen, sondern erklären, warum diese Aktion nötig war, und dass man sogar bereit wäre, notfalls wieder so brutal zu handeln. Sollte eine solche Operation fehlschlagen und die Rebellion nicht gebrochen worden sein, sondern sogar noch an Stärke gewinnen, so lässt sich die Verantwortung auf den Kommandeur abwälzen. In diesem Fall könnte man ihn verleugnen und neue Wege wie Verhandlungen einschlagen.

Natürlich muss man Hafis al-Assads Aktionen schrecklich, barbarisch, grausam, unmenschlich und was noch alles nennen. Trotzdem starb er nicht nur friedlich in seinem Bett, sondern rettete Syrien wahrscheinlich vor einem Bürgerkrieg; mehr als 20 Jahre später sprechen die Ergebnisse immer noch für sich. Wenn er schon als grausamer Diktator gilt, so gehört sein größtes Verbrechen wenigstens der Vergangenheit an und es brauchte keine endlose Serie von kleinen Verbrechen mehr wie bei denen, die einen eher graduellen Ansatz wählen. Er galt als effektiver Herrscher, der effektive Truppen befehligte und mit dem man verhandeln konnte. Wenn man über die notwendigen Voraussetzungen verfügt, zeitigt die Assad-Methode bessere und sicherlich schnellere Ergebnisse als jede andere.

Tapferkeit und Stolz

Sollte Assad nicht das richtige Vorbild sein, wäre der Ansatz der Briten der richtige. Diese Methode allerdings erfordert einige Anstrengung  und könnte sich mit den Truppen einiger Nationen, die nicht die nötigen Voraussetzungen besitzen, als undurchführbar erweisen. Die Amerikaner beispielsweise kombinieren Aggressivität mit Ungeduld. Mit blindem Vertrauen in die Technologie benutzen sie weit mehr Feuerkraft als nötig und bringen damit regelmäßig die jeweiligen Bevölkerungen gegen sich auf – so war es in Vietnam, in Somalia und jetzt im Irak. Ein anderes Beispiel wären die Israelis. Sie sind das am wenigsten disziplinierte Volk der Welt; in einer Auseinandersetzung, in der Selbstbeherrschung alles bedeutet, ist das fatal. Ein weit zurückreichendes historisches Erbe der politischen Verfolgung, die im Holocaust gipfelte, führt bei den Israelis zu einer Mischung aus Selbstmitleid und falschem Mitleid.11 Von Golda Meir stammt angeblich der Ausspruch: „Wir nehmen den Palästinensern übel, dass sie uns zwingen, sie zu erschießen.“ Wer so empfindet, wird kaum den Kampf gegen den Terrorismus gewinnen.

Die erste unverzichtbare Voraussetzung für die Anwendung der britischen Methode sind exzellente Truppen und noch bessere Offiziere. Dazu kommen Professionalität, strenge Disziplin und schier unerschöpfliche Geduld. Und selbst das wird ohne eine gewisse Mischung aus Tapferkeit und Stolz nichts nützen. Nur Stolz hält davon ab, gegen Unschuldige vorzugehen, die sich obendrein in einer viel schwächeren Position befinden – und sich damit schneller neue Feinde zu schaffen als man die alten töten kann. So würde man früher oder später jegliche Selbstachtung verlieren. Und nur Tapferkeit wird eine Truppe dazu bringen, Verluste hinzunehmen und, wenn nötig, jahrelang weiter zu machen, bis die andere Seite einsieht, dass sie es niemals schaffen wird, zu provozieren und endlich Bereitschaft zu Verhandlungen zeigt.

Oberflächlich betrachtet widersprechen die syrische und die britische Methode einander grundsätzlich. Dennoch weisen sie eine wichtige Gemeinsamkeit auf. Wie die Demoralisierung und der fortschreitende Verfall so vieler regulärer Armeen im Kampf gegen Aufständische zeigt, ist ihr größtes Problem die Zeit. Ein Rebell gewinnt, solange er nicht verliert; seine pure Präsens beweist schon, dass die regulären Kräfte die Sache nicht im Griff haben.12 Für die Armeen gilt das genaue Gegenteil. Solange sie nicht gewinnen, verlieren sie; und so sicher wie das Amen in der Kirche folgt darauf die Demoralisierung der Truppe. Damit begibt sie sich auf den besten Weg in die Niederlage.

Beide Methoden – die syrische wie die britische, die sich nach vielen Fehlschlägen entwickelte – bieten einen Ansatz zur Auseinandersetzung mit diesem Problem. Erstere verhindert eine Demoralisierung der Truppe durch die Beschränkung der Kampagne auf einen einzigen, scharfen, mächtigen Schlag. Letztere verlangt ein hohes Maß an Selbstkontrolle, das die Truppe davor bewahrt, ihre Selbstachtung zu verlieren. Nur so kann sie ihre Moral lange, wenn nicht unbegrenzt, aufrechterhalten. Beide Ansätze, der zweite vielleicht noch mehr als der erste, verlangen enormen Mut und Stärke. Kein Wunder, dass die große Mehrheit regulärer Armeen, die versuchten, Aufständische zu bekämpfen, erst die eine, dann die andere Strategie anwandten, bis sie schließlich zwischen beiden Stühlen landeten.

Die Amerikaner in Vietnam waren in diesem Punkt das perfekte Beispiel. Zuerst erklärte Präsident Kennedy seine Entschlossenheit, im Namen der Freiheit jede Anstrengung auf sich zu nehmen. Dennoch straften die Ansätze, die er, und nach ihm Johnson, ergriffen, seine Worte Lügen. Keiner der Präsidenten wagte es, bis zu dem Punkt zu gehen, an dem die amerikanische Wirtschaft leiden würde. Teilweise aus diesem Grund, teilweise, weil sie eine chinesische Intervention wie in Korea befürchteten, entschieden sie sich für einen reaktiven, graduellen Ansatz, der sich durch nichts außer durch Schwäche auszeichnete. Zeitweise sah es so aus, als würden die Amerikaner ihre Gegner anbetteln, Verhandlungen zu führen. Als sie in Hanoi auf eisige Ablehnung stießen, versuchten sie, Nordvietnam in die Kapitulation zu bomben; dann wieder erklärten sie einen Waffenstillstand. Einmal kämpften sie kompromisslos, dann wieder riefen sie eine Feuerpause aus. Einmal schlossen sie die Südvietnamesen von den Kampfhandlungen aus, dann wieder „vietnamisierten“ sie den Krieg. Und sie verteidigten beständig ihr Verhalten, während sie versuchten, die von ihnen angerichtete Verwüstung zu verbergen. Was natürlich nicht gelang und die USA dazu zwang, mit allen möglichen Ausreden zu rechtfertigen, warum ihre Armee so viele Zivilisten tötete.

Kein Wunder, dass die ganze Welt – vermutlich inklusive des Vietkongs und der nordvietnamesischen Führung – bald begriff, dass die USA keine Ahnung hatten, was sie erreichen wollten.13 In Ermangelung eines konkreten Planes wurden deren Aktionen von den Mitteln diktiert, die zur Verfügung standen. Der Rest der Geschichte und all die glorreichen Taten, die die Amerikaner vollbrachten, bevor sie davonrannten, sind eingemeißelt auf dem Vietnam-Mahnmal in Washington D.C.

Fazit

Die unzähligen Niederlagen regulärer Armeen gegen Aufständische seit 1941 beweisen, dass etwas sehr, sehr falsch läuft. Das trifft auf westliche  Nationen genauso zu wie auf kommunistische, wie die sowjetische Niederlage in Afghanistan zeigt; auf Industrie- wie auf Entwicklungsländer; auf Länder, die wie das Nazi-Regime in Jugoslawien äußerst rücksichtslos vorgingen als auch auf solche, die, wie Israel in den besetzten Gebieten, nur vier oder fünf „Feinde“ für jedes eigene Todesopfer töteten.

Ein Löffel, der in salziges Wasser getaucht wird, rostet. Um das zu verhindern, kann man zwei Dinge tun. Man kann das Wasser ausschöpfen, den Löffel herausnehmen und ihn auf seinen Platz in die Besteckschublade legen. Oder man kann das Wasser sehr vorsichtig umrühren, damit das Salz sich setzen kann. Vorausgesetzt, beide Methoden sind prinzipiell gleichermaßen effektiv, ist die britische aus humanitären Gesichtspunkten zweifellos die überlegene. Und dennoch mögen manche Umstände deren Anwendung nicht erlauben. Entweder, weil der Aufstand schon zu weit fortgeschritten ist, oder weil die verfügbaren Machtinstrumente und die politische Verfasstheit eines Landes es nicht zulassen. Unter diesen Umständen trifft dann Bismarcks Maxime zu: Politik ist die Kunst, zwischen dem Schlechten und dem Schlechteren zu wählen. Wenn man nicht bereit ist, diese Tatsache anzuerkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen, ist es vielleicht das Beste, gleich auf jeden Versuch zu verzichten, Aufstände zu bekämpfen.

MARTIN VAN CREVELD, geb. 1946, ist Professor der Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem. Er ist als militärischer Berater und Referent in der gesamten westlichen Welt tätig. Derzeit ist er Fellow am Zentrum für zeitgeschichtliche Forschung in Potsdam.

  • 1Der im englischen Originaltext gebrauchte Begriff „Counterinsurgency“ wird hier mit „Aufstandsbekämpfung“ übersetzt. Er umfasst dabei generell gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen regulären Armeen und bewaffneten irregulären Verbänden, gleich ob es sich um terroristische Organisationen, Partisanen oder Widerstandskämpfer handelt. (Anm. d. Red.)
  • 2Mark F. Cancian: The Wehrmacht in Yugoslavia: Lessons of the Past? Parameters, Herbst 1993, S. 78.
  • 3Vgl. Harry G. Summers: On Strategy, Navato 1982, S. 133–149.
  • 4Brian M. Jenkins: The Unchangeable War, RAND Paper RM-6278-ARPA, Santa Monica 1972, S. 8–9.
  • 5William Westmoreland: A Soldier Reports, New York 1972, S. 82–83, 89, 553–558.
  • 6Moshe Maoz: Assad: The Sphinx of Damascus, New York 1988, S. 149–163.
  • 7Statement des Syrian Human Rights Committee, 18. Februar 1999, www.shrc.org/English99/reports/18021999html.
  • 8Statement der Lebanese Liberation Party, 2000, www.21a.org/lebanon/ee/terrorsy/html.
  • 9Moshe Maoz: Assad: The Sphinx of Damascus, New York 1988, S. 162–163.
  • 10Vgl. Michael Dewar: The British Army in Northern Ireland, London 1985.
  • 11Martin van Creveld: The Sword and the Olive: A Critical History of the Israel Defense Force, New York 2002, S. 344–345.
  • 12Eine exzellente Analyse dazu: Menachem Begin: The Revolt, New York 1977 [1950], S. 92.
  • 13Siehe beispielsweise Moshe Dayan: Vietnam Diary (hebräisch), Tel Aviv 1977.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2006, S. 86 - 94

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