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01. Juni 2007

Globaler Wunschzettel

Buchkritik

In den etablierten westlichen Ländern wird die Globalisierung noch vorwiegend als Drohkulisse wahrgenommen. Die Spiegel-Redakteure Stefan Aust und Matthias Ziemann sowie Claus Richter (ZDF) beleuchten die Folgen der Globalisierung nicht allein aus einer eurozentrischen Sicht, sondern auch aus der Warte der außereuropäischen Welt.

Gerade die Deutschen dürften eigentlich keine Angst vor der Globalisierung haben. Denn das, was ihnen Angst macht, den Hunger nach Wohlstand von Millionen Menschen in Indien, China, Malaysia und Indonesien, kennen die Deutschen aus ihrer eigenen Geschichte. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs wollten sie in der jungen Bundesrepublik vor allem eines: den sozialen Aufstieg.

Sie wollten ersthalbwegs regelmäßige tägliche Nahrung, dann ein Bett für sich, dann ein Zimmer, das sie nur noch mit einem statt mit zehn Schlafgenossen teilen mussten, dann vielleicht den Luxus einer Innentoilette oder den einer eigenen Dusche. Eine Wunschliste, die sich nun in einem kurzweiligen und zugleich informativen Band über aktuelle Phänomene der Globalisierung findet, genauso gut aber in einer Darstellung über die deutsche und europäische Nachkriegsgeschichte enthalten sein könnte.

Doch die nach den Kriterien des Westens unabdingbaren Voraussetzungen für eine halbwegs würdige Existenz sind der westlichen Aufmerksamkeit mittlerweile oft schon so fern, dass viele Deutsche Probleme haben, die Motive der Arbeiterheere in den aufstrebenden Ländern Asiens zu begreifen. Hinzu kommt, dass nach Aussage von Klaus Schwab, dem Initiator des Weltwirtschaftsforums in Davos, nur rund 300 000 Menschen als wirklich globalisiert gelten können, „die man auf den Flughäfen in Heathrow, in Frankfurt und in Tokio trifft, die die Financial Times lesen und so weiter“.

Wann, so fragen Aust, Richter und Ziemann, werden die Männer und Frauen, die derzeit für einen, zwei oder auch einmal fünf Euro am Tag in Doppelschicht die Maschinen einer Strickfabrik überwachen, die Sohlen auf Laufschuhe kleben oder Stecker in Laptops pfropfen, wann wird diese Milliarde Menschen in den asiatischen Boom-Regionen beginnen, über dieselben Dinge nachzudenken wie die verunsicherten Mittelklassen im Westen? So muss dem Arbeitnehmer in Europa daran gelegen sein, dass auch der Arbeiter in den aufsteigenden Ländern ordentliche Löhne erhält und vernünftig existieren kann, und zwar nicht nur aus moralischen Motiven, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse.

In einer globalisierten Weltgemeinschaft können, so die Autoren, nur aufgeklärte Zeitgenossen den Anspruch auf Mitwirkung fordern und auch tatsächlich durchsetzen. Dieser Mahnung scheinen die Deutschen bereits Gehör zu schenken. Denn ihre bleierne Zukunftsangst der letzten Jahre weicht derzeit einem rationaleren Diskurs und einer positiven Zukunftsgewissheit. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski. Seine neueste Studie sieht die Deutschen im Stimmungshoch und verkündet das Ende der „German Angst“. Wer hätte das noch vor einem Jahr gewagt?

Stefan Aust, Claus Richter, Matthias Ziemann: Wettlauf um die Welt. Die Globalisierung und wir. München: Piper Verlag 2007. 304 Seiten, 19,90 €

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2007, S. 150 - 151.

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