Gegen den Strich

28. Aug. 2023

Gegen den Strich: Auswärtige Kulturpolitik

Es fängt schon mit dem Begriff an: Als Auswärtige Kulturpolitik – offiziell sogar: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik – bezeichnen die Deutschen ein wenig umständlich das, was man im angelsächsischen Sprachraum mit Konzepten wie ­Cultural Diplomacy oder Soft Power umschreibt. Darüber, wie mit Kultur Politik gemacht wird, gibt es wenig Wissen, aber viele Irrtümer. Ein paar klärende Worte.

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Bild: Annalena Baerbock in der Deutschen Internationalen Schule Pretoria.
Auf Augenhöhe: Den Dialog der Kulturen (hier: Annalena Baerbock in der Deutschen Internationalen Schule Pretoria) mögen viele; dass er Geld kostet, gefällt nur wenigen.
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„Es herrscht Krieg in Europa. Wer braucht da ein Nice-to-have wie Außenkulturpolitik?“

Das Gegenteil ist richtig. Und doch kennen diejenigen, die sich professionell mit Friedensförderung oder Kulturdialog befassen, diesen als Frage verkleideten Vorwurf nur zu gut. Wenn die Zeiten härter werden und die Kassen knapper, dann sind es meist die „weichen“ Themen, die auf der Streichliste der Haushaltsexperten ganz oben landen. Themen, die keinen unmittelbaren und messbaren Nutzen versprechen. Die als Luxusgüter für bessere Zeiten gelten. Kultur, das ist dann „der Schuss aus der Sahnepistole“, der „fehlen darf, wenn der Kuchen kleiner wird“, wie der Schriftsteller Paul Ingendaay einmal sarkastisch bemerkt hat.

Nun ließe sich argumentieren, dass eine solche Einstellung kurzfristig nachvollziehbar sein kann. Etwa, wenn es darum geht, einen Aggressor wie Wladimir Putin zu stoppen oder die Bundeswehr wieder verteidigungsbereit zu machen. Doch langfristig halten Konfliktforscher wie Hans-Joachim Gießmann, Mitglied im Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung, diese Haltung für einen strategischen Fehler: Kulturelle Faktoren spielten heute eine so entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung zwischen Mächten mit diametral entgegengesetzten Gesellschaftsvorstellungen, dass man sie in der Konfliktprävention nicht igno­rieren könne.

Vor diesem Hintergrund liefert der Kulturkrieg, den Putin gegen den „dekadenten Westen“, gegen Demokratie, Freiheit und Toleranz ausgerufen hat, ein starkes Argument dafür, die Auslandskulturarbeit weiter auszubauen. Russland nutzt Manipulation, Propaganda und Desinformation, kurz: seine Version von Soft Power, um den Westen und seine Werte zu attackieren. Der Kampf der Narrative, er wird nicht mit Panzerhaubitzen entschieden werden.

In den Verlautbarungen der Bundesregierung liest sich das im Grunde ähnlich. Beim Auswärtigen Amt betont man traditionell, die Außenkulturpolitik schaffe die Grundlage für internationalen Austausch und gegenseitiges Verständnis, „auch wenn es politisch einmal schwierig wird“. Und in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie heißt es, die kommenden geopolitischen Auseinandersetzungen würden „sich nicht nur zwischen Staaten abspielen, sondern zusehends auch auf der gesellschaftlichen Ebene. Wir stärken unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und die Wissenschaftsdiplomatie, die unseren Austausch mit der Welt über Werte und Interessen vorantreiben und damit Deutschlands Chancen zur Vernetzung und Verständigung sicherstellen.“

Doch dafür, den hehren Worten finanzielle Taten folgen zu lassen, bedurfte es im Bundeshaushalt 2023 erst einer Extra­runde. Zunächst hatten teils empfindliche Kürzungen im Raum gestanden. Paul Munzinger wunderte sich in der Süddeutschen Zeitung Anfang September 2022, die weltweite Krise der Demokratie müsste eigentlich Grund genug sein, den Aufwand der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu steigern: „Überraschenderweise ist das Gegenteil der Fall.“ Immerhin, im Zuge der Nachverhandlungen gab es fürs Erste ein Happy End. Die Kürzungen wurden zurückgenommen; der Gesamtetat liegt heute bei 1,072 Milliarden Euro. Er dürfte allerdings nach dem vorliegenden Haushaltsentwurf für 2024 eher sinken als steigen.

Wer bezweifelt, dass dieses Geld gut angelegt ist, dem sei ein Blick nach Peking empfohlen. Würde ein Land wie China, das vergleichsweise unverdächtig ist, „L’art pour l’art“ zu betreiben, weltweit rund 550 Konfuzius-Institute finanzieren und Jahr für Jahr mehrere Milliarden in seine Soft Power investieren, wenn es sich davon nicht handfeste Vorteile verspräche?



„Eine Milliarde Euro für Außenkulturpolitik ist dennoch zu viel“

Definiere: zu viel. Die 1,072 Milliarden Euro, die derzeit für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ausgegeben werden, entsprechen rund einem Siebtel der 7,475 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt 2023 insgesamt für das Auswärtige Amt vorgesehen sind.

Bedenkt man, dass die Auslandskulturarbeit nach einem Wort Willy Brandts als „dritte Säule“ der Außenpolitik gilt, dann erscheint das schon rein mathematisch nicht übertrieben. Und es relativiert sich weiter, wenn man in Rechnung stellt, dass die Auswärtige Kulturpolitik gerade mal einen Anteil von rund 0,23 Prozent am gesamten Bundeshaushalt ausmacht.

Von diesen 1,072 Milliarden werden gefördert, die Liste ist lang, aber nicht vollständig: das Goethe-Institut in München mit 158 Instituten in 98 Ländern, das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart und Berlin, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die ­Alexander von Humboldt-Stiftung, die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen mit ihren rund 140 Deutschen Auslandsschulen, der Pädagogische Austauschdienst und die Deutsche ­UNESCO-Kommission (alle in Bonn), außerdem das Haus der Kulturen der Welt in Berlin, das Deutsche Archäologische Institut in Berlin mit Außenstellen u. a. in Athen, Madrid, Rom und Peking sowie die Deutsche Welle mit Sitz in Bonn und Berlin und Studios in Brüssel, Riga und ­Washington.

Zum Vergleich: Alternativ ließen sich von den Ausgaben für die Auslandskulturarbeit um die 60 Panzerhaubitzen finanzieren, etwas mehr als ein Siebtel des Berliner Flughafens BER oder der Spielerkader des aktuellen Champions-­League-Siegers Manchester City. Fußball-Fans, die das für einen guten Deal halten, sollten ihre Euphorie allerdings zügeln. Nicht nur, weil der Marktwert des City-Kaders seit dem Titelgewinn im Juni weiter gestiegen ist, sondern auch, weil Club-Besitzer Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan, Mitglied der königlichen Familie von Abu Dhabi, seit 2008 sogar geschätzte zwei Milliarden Euro investiert hat, um sich den Traum vom Henkelpott zu erfüllen. Und das ist immer noch ein Schnäppchen im Vergleich zu dem, was der Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, dem Vernehmen nach für die Ausrichtung der Fußball-WM 2022 auf den Tisch legen musste – bis zu 220 Milliarden US-Dollar.

 

„Abu Dhabi hat die Champions League. Wie viele Pokale hat Deutschlands Außenkulturpolitik?“

Keinen. Und das ist auch nicht ihr Job. Nicht einmal für Abu Dhabis Herrscherfamilie selbst sind die Titelgewinne der „Citizens“ mehr als ein Mittel zum Zweck. Wie der Nahost-Experte Sebastian Sons im Vorfeld der Katar-WM in dieser Zeitschrift schrieb, nutzten kleine Emirate am Golf den Sport, „um das eigene Geschäftsmodell attraktiver zu gestalten, ausländische Investoren anzulocken und den Sport als Schutzschirm vor ausländischen Aggressionen zu nutzen“. Bis jetzt hat sich das Engagement Abu Dhabis bei Manchester City in dieser Hinsicht gelohnt; ob es dauerhaft Früchte tragen wird, muss sich noch erweisen.

Eine verlässlichere empirische Basis haben wir für sportliche Großereignisse. In der Regel halte der Zugewinn an Prestige durch ein solches Event weniger als ein Jahr vor, schrieb der britische Politikberater Simon Anholt schon vor Jahren, ebenfalls in dieser Zeitschrift. Das Ansehen von Staaten kann sich Anholt zufolge bestenfalls über Jahrzehnte oder Generationen wandeln, aber fast nie infolge gezielter Manipulationsversuche. Nur wenn es einem Land gelinge, seine Soft Power zu mehren, indem es die „Menge, Qualität und Relevanz seiner kulturellen, kommerziellen, sozialen und politischen Beziehungen zum Rest der Menschheit erhöht, dann wird sich sein Ansehen auf Dauer verbessern“.

Dass Deutschland heute in verschiedenen Beliebtheitsrankings in der Spitzengruppe liegt, hängt also nur zu einem geringen Teil mit Ereignissen wie dem Sommermärchen 2006 oder der bevorstehenden Fußball-Europameisterschaft 2024 zusammen. Und auch in Katars Soft-­Power-Strategie war die WM 2022 kein Einzelevent, sondern „der vorläufige Höhepunkt in einer Kette von Sportveranstaltungen und anderen kulturellen Großereig­nissen“ (Sebastian Sons).

Bleibt die Frage: Wie misst man den Erfolg von Außenkulturarbeit? Wenn es um die Soft Power geht, zu der die Auswärtige Kulturpolitik ihren Beitrag leistet, dann erscheint die Sache noch einfach. Simon Anholt zufolge gibt es eine ganze Reihe von belastbaren Forschungsergebnissen, die dokumentieren, dass ein positives und starkes nationales Image erhebliche Zugewinne bei Exporten, ausländischen Direktinvestitionen oder in der Tourismusbranche mit sich bringt.

Schon schwieriger ist es, Fortschritte in der Krisenprävention zu quantifizieren. „There’s no glory in prevention“, hieß es in der Debatte um die Eindämmung der Corona-Pandemie oft: Mit Katastrophen, die nicht stattfinden, erwirbt man keinen Ruhm. Der Erfolg von Prävention lasse sich zudem selten auf spezifische Maßnahmen einzelner Protagonisten zurückführen, sagt der Konfliktforscher Gerrit Kurtz – „auch weil sensible Verhandlungen meist im Vertraulichen stattfinden“.

Hinzu komme, dass die Auslandskulturarbeit an der Krisenvorsorge einen wichtigen, aber vorwiegend indirekten Anteil habe, etwa durch die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts oder durch die Schaffung von Gelegenheiten für freie Meinungsäußerung im „vorpolitischen Raum“.

Auch die Suche nach messbaren Erträgen von Sprachkursen, Austauschprogrammen, Ausstellungen oder Medienbeiträgen wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet. Sind die Teilnehmer- und Besucherzahlen das maßgebliche Kriterium, sind es die Online-Klicks, oder sind es die erreichten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren? Zudem findet ein Großteil der Aktivitäten im Ausland statt, wird in Deutschland also kaum wahrgenommen. Und wie erfolgreich das alles unterm Strich ist, erweist sich ohnehin erst über Generationen.

Am Ende ist es die Summe aus unzähligen kleinen Erfolgen, die das Gelingen von Außenkulturpolitik ausmacht. Da ist etwa der peruanische Übersetzer Juan José del Solar, von dem Paul Ingendaay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet. Del Solar, der sein Deutsch im ­Goethe-Institut Lima gelernt hatte, brachte Goethe, Thomas Mann und andere Klassiker ins Spanische; die von ihm übersetzte Werkausgabe der Schriften Elias Canettis gilt unter Kennern als wegweisend.

Oder die Geschichte aus dem Goethe-Institut Lissabon, die Ronald Grätz, Ex-ifa-Generalsekretär und Leiter des Goethe-Instituts Barcelona, im Podcast „Die Kulturmittler:innen“ erzählt. Hier hatte man zu Zeiten der Diktatur in den frühen 1970er Jahren den seinerzeit verbotenen Bertolt Brecht aufgeführt. Zwar mit einem misstrauischen Geheimdienst vor der Tür, aber doch im Wissen, dass die Menschen das Institut in diesem Moment als Hort der Freiheit empfanden: „Das hat man in Portugal nie ­vergessen.“

Und ob der legendäre Sony-Manager und „Vater der CD“ Norio Ohga sich auch deshalb im Jahr 2000 dafür entschied, Berlin als Standort der Europa-Zentrale von Sony zu wählen, weil er einst als DAAD-Stipendiat in Deutschland studiert hatte? Mit letzter Sicherheit wird das ebenso wenig zu beweisen sein wie die Legende um die CD-Spieldauer: Angeblich hatte Ohgas Ehefrau Midori den Wunsch geäußert, auf einer CD möge doch bitte die von ihr besonders geliebte Neunte Symphonie von Beethoven Platz finden – und die seinerzeit längste Version der Symphonie dauerte 74 Minuten.

 

„Letztlich geht es um eine Instrumentalisierung der Kultur zum Zwecke ihres Exports“

Anfänglich ging es in der Tat um nichts anderes. Als Länder wie Großbritannien und Frankreich im 19. Jahrhundert Kultur zum Instrument der Außenpolitik machten, war ihr wichtigstes Ziel, „vor allem in den Kolonien ihre Vormachtstellung abzufedern und die Überlegenheit ihrer eigenen Kultur zu vermitteln“, wie der Außenkulturexperte Kurt-Jürgen Maaß es nennt. Auch Deutschland startete das Unternehmen AKP nach der Jahrhundertwende in einem politischen Klima, das stark von Nationalismus und Sendungsbewusstsein geprägt war.

Nach 1945 wurde die Auswärtige Kulturpolitik in der Bundesrepublik neu und in bewusster Abgrenzung zum „Dritten Reich“ konzipiert. Dem staatlich gesteuerten Missbrauch von Kultur und Bildung durch die Nationalsozialisten setzte man Vielfalt und Pluralismus entgegen. Auslandskulturarbeit sollte fortan nicht direkt von der Regierung betrieben werden, sondern von staatlich finanzierten, aber institutionell unabhängigen Einrichtungen, den sogenannten Mittlerorganisationen.

Galt es zunächst, verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen, so erlangte im Zuge des Kalten Krieges der Wettbewerbsgedanke die Oberhand: Man wollte seine Überlegenheit in Sachen Kultur und Bildung gegenüber dem Klassenfeind aus der DDR demonstrieren.

Deutlich an Schwung gewann die Debatte ab den 1970er Jahren. Im Zuge eines erweiterten Kulturbegriffs und der Forderungen nach allgemeiner gesellschaftlicher Teilhabe an Kunst und Kultur erfuhr die Außenkulturpolitik der Bundesrepublik eine konzeptionelle Runderneuerung. Zum Export deutscher Hochkultur gesellte sich der zivil­gesellschaftliche Austausch „auf Augenhöhe“ über politische, soziale und welt­anschauliche Fragen. Joschka Fischer brachte das später als Außenminister auf den Begriff der „Zweibahnstraße“, und in der unter seiner Ägide entwickelten „Konzeption 2000“ wurde das Aufgabenfeld der Auslandskulturarbeit um Themen wie Friedenssicherung und Konfliktlösung erweitert.

Heute umfassen Deutschlands kulturelle Auslandsaktivitäten ein ausgesprochen breites Spektrum: von Sprachkursen und Kunstausstellungen über Dialog- und Austauschprogramme sowie Medienbeiträge bis hin zur Krisenprävention, zur Entwicklungszusammenarbeit, zur humanitären Hilfe und zu Initiativen für politisch verfolgte Künstlerinnen und Künstler.

Ist diese große Bandbreite ein Trumpf, oder sollte man sich wieder auf seine Kernkompetenzen besinnen? Geht es primär um die Vermittlung eines attraktiven Deutschland-Bildes oder um kulturellen Austausch und Dialog? Ist Kultur ein außenpolitisches Instrument wie viele andere, oder bedarf sie eines besonderen Schutzes?

Wie die Antworten darauf lauten, das hat mit der politischen Couleur der jeweiligen Regierung zu tun, mit den Zeitumständen und mit den Handelnden selbst. So stand unter dem liberalen Außenminister Guido Westerwelle die „Türöffner“-Funktion der Außenkulturpolitik für wirtschaftliche Interessen im Mittelpunkt, während Frank-Walter Steinmeier konzeptionell wieder an die Ideen Joschka Fischers anknüpfte. Allerdings räumte der Sozialdemokrat der Kulturpolitik insgesamt einen weit höheren Stellenwert ein als der Grüne. „Kultur galt ihm nicht viel“, hat Rüdiger Schaper einmal die Amtszeit Fischers im Tagesspiegel zusammengefasst.

Heute sieht sich Joschka Fischers Parteifreundin Annalena Baerbock vor die Aufgabe gestellt, eine Friedenspolitik in unfriedlichen Zeiten zu formulieren. „Unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“, erklärte sie Anfang des Jahres, „findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern auch sie steht vor den globalen Herausforderungen eines Systemwettbewerbs zwischen Autokratien und Demokratien.“

 

„Der Dialog auf Augenhöhe ist ein frommer Wunsch“

Das sollte er aber nicht bleiben. Natürlich stößt ein gleichberechtigter Dialog zwischen materiell und kulturell sehr unterschiedlichen Partnern immer wieder an seine Grenzen. Die „Zweibahnstraße des öffentlich geförderten Kulturaustausches mit der Welt“ hatte laut Goe­the-Generalsekretär Johannes Ebert nach außen stets „den Anspruch, Autobahn zu sein“, in die Gegenrichtung habe sie sich „immerhin zu einer Landstraße“ entwickelt. „Was bedeutet denn Augenhöhe jetzt in ­Afghanistan, in Ägypten, in Mexiko?“, fragt der ehemalige Präsident der Hertie School in Berlin Helmut K. Anheier rhetorisch: In einem dialogischen Kulturverständnis komme man über diese Machtunterschiede doch gar nicht hinweg.

So richtig der Hinweis auf strukturelle Hindernisse ist – etliche Probleme im Kulturdialog sind hausgemachter Natur. Wie etwa soll das notwendige Vertrauen entstehen, wenn die Menschen im Globalen Süden immer wieder Anlass haben, an der Glaubwürdigkeit ihrer Partner im Norden zu zweifeln? Als Korrektiv für eine Politik, die es mit den Werten nicht so genau nimmt, ist die Außenkultur­arbeit überfordert. Die USA, lange der Inbegriff einer Soft-Power-Nation, mussten nach dem Desaster im Irak vor 20 Jahren feststellen, dass auch die beste Kulturdiplomatie „kein Blei in Gold verwandeln“ könne, wie der amerikanische Journalist Ramesh Ponnuru damals notierte.

Und Europa? Im Globalen Süden nimmt man irritiert zur Kenntnis, dass dem Norden ein Mangel an Werten bei seinen Partnern durchaus tolerabel erscheint, solange er einhergeht mit einem Überfluss an Bodenschätzen. Und man erinnert sich noch gut daran, wie die Industriestaaten während der Corona-Pandemie lange Zeit die Impfstoffe horteten, statt sie solidarisch mit den Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu teilen. Ähnliches gilt für eine europäische Abschottungspolitik, die alles andere signalisiert als den Wunsch zum Dialog. Die Erfolge nationalistischer und rassistischer Bewegungen in Europa tun ein Übriges, um die Glaubwürdigkeit von europäischen Diskursen zu Demokratie und Menschenrechten zu schwächen.

Wie man dem Anspruch auf partnerschaftliche Zusammenarbeit zumindest in der konkreten Projektarbeit näherkommen kann, hat die Kulturwissenschaftlerin Annika Hampel in Indien untersucht. Ihr Befund: Das Haupthindernis für eine Kooperation auf Augenhöhe liegt hier in der Kurzfristigkeit. Zwischen Ankunft und Abreise der Projektverantwortlichen aus Deutschland bleibe kaum Zeit, einander kennenzulernen, geschweige denn sich wirklich auszutauschen. Wenn dann eine Künstlerin wie Pina Bausch mit ihrem Tanztheater für einen einzigen Auftritt eingeflogen werde, komme das dem Kulturexport alter Prägung schon wieder ziemlich nahe.

Und so lautet eine der zentralen Botschaften Hampels: Weg von der kurzfristigen Projekt­orientierung, hin zur Prozessfinanzierung. Notfalls auch um den Preis, sich auf weniger Projekte beschränken zu müssen.

Dass sich das Prinzip der Einbahnstraße auch rein ökonomisch als Sackgasse erweisen kann, erleben derzeit die Chinesen im Globalen Süden. Die Projekte ihrer Seidenstraßen-Initiative werden überwiegend von chinesischen Firmen und Arbeitern aufgebaut. Transparente Ausschreibungen gibt es nicht, ein Know-how-Transfer findet kaum statt. Lange ging das gut, doch mittlerweile wächst die Unzufriedenheit, vor allem in Afrika und Lateinamerika. Und das hat neben Umweltzerstörung, Korrup­tion und hohen Finanzierungszinsen viel mit der mangelnden Einbindung der Zivilgesellschaften zu tun.

Wer davon profitieren könnte, wenn Chinas Seidenstraße schwächelt? „Die Europäer“, heißt es an dieser Stelle oft (zumeist aus Europa), „die Europäer! Mit ihrer Wirtschaftskraft, ihrer Soft Power und ihrem Markenzeichen, dem zivilgesellschaftlichen Austausch!“

Doch vor Selbstzufriedenheit sei gewarnt. Eine Soft Power, der es nicht gelingt, dauerhaft Vertrauen zu stiften, taugt auch ansonsten nicht viel: Diese Regel gilt nicht exklusiv für Autokratien. An einem entschlossenen Ausbau der Zweibahnstraße Richtung Süden wird auch für Europa kein Weg vorbeiführen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2023, S. 100-105

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Dr. Joachim Staron ist Redakteur der Internationalen Politik. Zuvor war er u. a. Pressesprecher des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart.