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01. Sep 2006

Gebt dem Nationalstaat eine Chance!

Frieden im Nahen Osten: Neue Barrieren eines alten Konflikts

Sicherheit ist unteilbar: So lautete das Credo fast aller Parteien des Nahen Ostens. Liegt Israel mit den Palästinensern im Streit, müssen auch die Golf-Staaten an den Tisch. Doch der Krieg im Libanon, Aufstände im Irak und konfessionell-religiöse Spannungen in der Region zeigen: Nur eine subregionale, an nationalen Interessen ausgerichtete Konferenz bietet Aussicht auf Frieden – auch für den arabisch-israelischen Konflikt.

Der erneute militärische Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sowie der israelisch-libanesische Krieg haben uns daran erinnert, dass ein wie auch immer gearteter „neuer“ Naher Osten ohne eine vorherige umfassende Lösung des arabisch-israelischen Konflikts nicht entstehen wird. Westliche Politiker wären deshalb gut beraten, mit neuen oder zumindest überarbeiteten Plänen für eine international unterstützte Verhandlungsrunde aufzuwarten, die alle Parteien mit unmittelbaren Interessen in dem Konflikt bzw. an seiner Lösung – Israel, die PLO und die Palästinensische Autorität (PA), den Libanon und Syrien – einbezieht und auch andere regionale Staaten in einen multilateralen Prozess einbindet. Dabei müssen sie die gegenwärtigen strukturellen politischen und ideologischen Entwicklungen in der Region beachten, die sich auf jeden Versuch, die Region zu stabilisieren, auswirken werden – diese beinhalten nach Meinung des Autors eine Hinwendung zum Unilateralismus im arabisch-israelischen Verhältnis, eine Welle des Konfessionalismus, die den Nationalstaat in der gesamten Region schwächt, und, was hilfreicher sein könnte, eine Bereitschaft, über Sicherheit im subregionalen Rahmen nachzudenken.

Das unilaterale Paradigma

Um mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu beginnen: Es ist bemerkenswert, in welchem Ausmaß Unilateralismus seit dem Scheitern der Verhandlungen im Jahr 2000 zur vorherrschenden Vorgehensweise geworden ist, oder zum neuen Paradigma der intraregionalen Beziehungen, wie der israelische Wissenschaftler Shai Feldman es genannt hat. „Keinen Partner zu haben“ ist zur Schicksalsideologie geworden: Mit Arafat im Amt, so wurde argumentiert, habe es für Israel keinen Partner auf der palästinensischen Seite gegeben; der „nice guy“ Abu Mazen sei bisher viel zu schwach, um ein Partner zu werden; Hamas könne es nicht werden, solange sie Israel nicht anerkenne. Diese Herangehensweise macht es tatsächlich den Akteuren auf beiden Seiten leicht: Die Israelis brauchen sich nicht zu fragen, ob ihre eigene Politik potenzielle Partner geschwächt hat; und die Radikalen der Hamas können argumentieren, dass Israel mit ihnen sowieso nicht reden wird – warum sollten sie sich also anpassen?

Akademische, politikorientierte For-schung mag daran interessiert sein zu untersuchen, ob eine Reihe von konstruktiven unilateralen Schritten – beispielsweise Israels unilateraler Rückzug aus dem Gaza-Streifen im Jahr 2005 oder die gleichermaßen unilaterale Waffenruhe, die Hamas etwa ein Jahr lang durchhielt – zu einer Stabilisierung führen könnte oder sogar eine De-facto-zwei-Staaten-Lösung erlaubt: ein Staat und ein Quasi-Staat, die Seite an Seite existieren, nicht so friedlich, wie es die internationale Gemeinschaft gerne hätte, aber zumindest ohne gegeneinander Krieg zu führen. Die Realität zeichnete ein anderes Bild und beinhaltet möglicherweise auch Entwicklungen, die weder politische Theorie noch gängige politische Weisheit erwartet hätten: Wir erleben bereits, wie zwei Demokratien – oder zumindest eine etablierte Demokratie und eine demokratisch gewählte Regierung – gegeneinander Krieg führen. Wir sehen möglicherweise den totalen Zusammenbruch der Palästinensischen Autonomiebehörde, den ersten Staatszerfall ohne Staat. Oder, ein anderes mögliches Szenario, wir könnten den ersten arabischen Militärputsch unter der Schirmherrschaft der westlichen Demokratieagenda für den so genannten „Broader Middle East and North Africa“ gewärtigen.

Die westliche und besonders europäische Politik gegenüber der Palästinensischen Autorität und der Hamas-Regierung war möglicherweise kontraproduktiv im Hinblick auf Europas erklärtes Ziel, die Institutionenbildung in Palästina zu fördern, den politischen Prozess zwischen Israelis und Palästinensern wieder in Gang zu bringen und demokratische Tendenzen in der Region als Ganzes zu stärken. Politiker und politikorientierte Forschung werden nach den langfristigen Konsequenzen des westlichen Umgangs mit der Hamas-Regierung fragen müssen, nicht zuletzt für Europas Legitimität und Überzeugungskraft in der Region. Es fällt auf, dass die arabische öffentliche Meinung die europäische Politik gegenüber der Hamas – insbesondere die Kürzung der finanziellen Unterstützung für die Palästinensische Autonomiebehörde und die Entscheidung, Gespräche mit Repräsentanten der Behörde auszusetzen, bis ihre Führer genau die politischen Erklärungen abgeben, die die internationale Gemeinschaft zu Recht hören will – und die ganz andere EU-Politik gegenüber Iran gleichwohl als Ausdruck einer einheitlichen Politik betrachtet: als grundsätzlich unfreundlichen, wenn nicht sogar feindlichen oder neopaternalistischen Versuch westlicher Staaten, Muslimen und muslimischen Staaten ihre legitimen Interessen zu verweigern. In diesem Zusammenhang gewinnt der iranische Präsident Machmud Achmadinedschad in der arabischen Welt an Popularität, weil er als ein Führer erscheint, der dem Westen die Stirn bietet. Nur der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, jedoch keines der arabischen Regime und keiner der Könige oder Präsidenten der arabischen Welt, vermag es gegenwärtig, die Gefühle der Massen auf dieselbe Art und Weise zu mobilisieren.

Pluralistischer Autoritarismus und Institutionenbildung

Gewiss, der etatistische panarabische Nationalismus ist nach dem Fall des baathistischen Regimes in Bagdad und dem erzwungenen Rückzug Syriens aus dem Libanon schwer angeschlagen. Gleichzeitig haben so gut wie alle Regime der arabischen Welt gemerkt, dass sie sich irgendwie gegenüber ihren Bürgern öffnen müssen. Eine Form von liberalisierter Autokratie oder pluralistischem Autoritarismus könnte sich als mittelfristig haltbares Regierungssystem in vielen Ländern der Region erweisen. Dabei sind Wahlen, auch wenn sie manipuliert werden, mittlerweile ein Teil des politischen Ambientes geworden, auf das sogar die autoritärsten Regime nicht mehr verzichten wollen. Es gibt allerdings ein Paradox, das nicht übersehen werden sollte: Die meisten dieser Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen werden immer noch abgehalten, um jeden substanziellen Wandel, vor allem auf der Ebene der führenden Entscheidungsträger, zu verhindern. In den seltenen Fällen, in denen Wahlen doch politischen Wandel herbeiführen, gehören die Gewinner gewöhnlich zu einer Variante des politischen Islams– wie in den Fällen Iran und Palästina – und riskieren, von westlichen Mächten nicht als Partner akzeptiert zu werden. Dies verleiht der westlichen „Demokratiekampagne“ nicht allzu viel Glaubwürdigkeit und verstärkt den beschriebenen Trend eher.

Obwohl die Siege der Islamisten zumindest teilweise durch das Versagen der so genannten „säkularen“ arabischen Regime erklärt werden können, sollte man mit der Behauptung vorsichtig sein, dass die arabischen Staaten generell ihre Legitimität verloren hätten. Einige der Regime haben sie verloren, aber bei weitem nicht alle: Wahrscheinlich würden nur wenige Einwohner der Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwaits, des Libanon oder Marokkos und nur eine Minderheit der Ägypter und Saudis, um nur einige Staaten zu nennen, ihre jeweilige Regierung illegitim nennen. Das Problem ist vielmehr, dass die meisten Staaten ineffektiv und schwach sind – gleich, ob diese Schwäche ein Resultat ihrer Ineffektivität oder externer Zwangsmaßnahmen und Interventionen ist – und daran scheitern, ihre Bürger mit grundlegenden öffentlichen Gütern wie Sicherheit, Wohlfahrt und einer funktionierenden Infrastruktur zu versorgen. Deshalb sollten sich westliche Politiker und Experten fragen, ob und wie der Westen die Prioritäten seiner Politik gegenüber diesen Staaten neu setzen muss: Wahrscheinlich können externe Akteure durch die Konzentration auf den Aufbau effektiver Institutionen, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte viel mehr für die Menschen der Region und für regionale Stabilität tun als durch lautstarke Rufe nach Freiheit und schnellen Wahlen. Bessere Regierungsführung und stabile Institutionen werden dabei helfen, eine Umwelt zu schaffen, in der jene Mittelklasse entstehen und wachsen kann, die als soziale Basis für Pluralismus und Demokratie benötigt wird.

Konstruktionen von Gemeinschaft

Solch eine Unterstützung bei der Staatsbildung ist zudem notwendig, um den Staaten dabei zu helfen, ihr Monopol legitimer Macht zurückzugewinnen und die regionale Politik zurück in die Hände von Nationalstaaten zu bringen. Nichtstaatliche Akteure haben immer eine Rolle in den Konflikten des Nahen und Mittleren Ostens gespielt, hauptsächlich – der prominenteste Fall ist die PLO –, weil sie um die Verwirklichung eigener Staatlichkeit kämpften. Im Gegensatz dazu strebt die Hisbollah nicht danach, einen eigenen Staat zu gründen. Sie ist eine libanesische Partei, die behauptet, für die Schiiten im Libanon, wenn nicht sogar für „die Muslime“ im Ganzen zu sprechen, sie verhält sich, als ob sie ein religiöses Mandat, nicht nur eines von ihren Wählern habe und maßt sich sogar an, einem anderen Staat den Krieg zu erklären. Dies hat zu einer merkwürdigen dreiseitigen Konfrontation geführt, bei der Hisbollah Krieg gegen Israel führt, Israel gegen den Libanon, und der libanesische Staat, repräsentiert durch seine demokratisch gewählte Regierung, internationale Hilfe fordert, um die Kämpfe zu beenden und seine Souveränität wiederherzustellen.

Andere Staaten in der Region könnten sich bald ähnlichen Herausforderungen ausgesetzt sehen. Ethnisch-nationalistische oder konfessionalistische Konstrukte gewinnen an Einfluss in regionalen politischen Diskursen. Politiker, die von einer „schiitischen Achse“, „sunnitischem Widerstand“ oder, im gleichen Kontext, von „schiitischem Öl“ sprechen, verstärken damit konfessionsgebundene Ängste und Ani-mositäten und untergraben die institutionelle Basis ihrer eigenen Macht. In Diskussionen mit Intellektuellen und Politikern in Damaskus oder Amman, Riad oder Teheran stehen konfessionelle Vorurteile hoch im Kurs. Es ist nicht mehr ungewöhnlich, gebildete Jordanier, Syrer oder kuwaitische Sunniten über die „schiitisch-amerikanische“ Allianz oder sogar von einer „schiitisch-amerikanisch-israelischen“ Verschwörung gegen den Libanon, den Irak und die arabische Welt als Ganzes reden zu hören. Die Stimmungslage ist bereits die eines regionalen Bürgerkriegs zwischen Sunniten und Schiiten. „Man kann es riechen“, erklärte mir ein liberaler syrischer Beobachter. „Und man kann nichts dagegen tun“, fügte ein anderer hinzu.

Bürgerkriege sind natürlich keine Naturkatastrophen, sie entstehen innerhalb der „zivilen“ Gesellschaften der Länder, in denen sie stattfinden. Allerdings spielen auch externe Akteure eine Rolle; sie können dazu beitragen, solche Konflikte zu vermeiden oder sie auslösen. Westliche Politiker werden darüber nachdenken müssen, wie ihre natürlicherweise staatszentrierte Außenpolitik mit solchen transnationalen Phänomenen umgehen kann – völlig verkehrt und enorm gefährlich sind Ideen, ethnische Gruppen gegeneinander auszuspielen oder ethno-nationalistische und konfessionelle Differenzen zu verstärken, um unfreundliche Regierungen zu schwächen oder zu bestrafen. Im Gegenteil: Wir brauchen vielleicht sogar ernsthafte Bemühungen zur Rettung des Nationalstaats im Nahen und Mittleren Osten. Europa und die USA haben ein vitales Interesse daran, dass der nahöstliche Nationalstaat der wichtigste Referenzrahmen der Politik bleibt. Konfessionalistische oder ethnische Spannungen lassen sich, wie so viele Libanesen, Iraker oder Sudanesen in Vergangenheit oder Gegenwart erlebt haben, nicht kontrollieren. Sie schwächen Staaten eher als dass sie Regime unter Veränderungsdruck setzen. Mit schwachen oder fragmentierten Staaten ist keine verlässliche wirtschaftliche oder politische Partnerschaft möglich; noch weniger lassen sich mit ihnen regionale Sicherheitsstrukturen aufbauen. Israel kann mit Nationalstaaten Frieden schließen, nicht aber mit transnationalen religiösen oder konfessionellen Bewegungen. Die schwindende Rolle des Nationalstaats mag einigen Europäern oder anderen, die über die Vorzüge einer postwestfälischen, supranationalen Integration und Souveränität nachdenken, als ansprechende Option erscheinen. Allerdings wird im heutigen Mittleren Osten jeder Niedergang des Nationalstaats als primärer Referenzrahmen der Politik nicht zu regionaler Integration, sondern vielmehr zu präwestfälischen Organisations- und Konfliktformen führen.

Irak, Iran und die Tugenden subregionaler Sicherheit

Bisher ist der Irak, wo die möglichen ethno-nationalistischen Kriege Wirkung zeigen, auch die Hauptprojektionsfläche regionaler konfessionalistischer Konflikte. Demokratische Verfahren, zumindest was Wahlen und Abstimmungen angeht, sind hier zwar akzeptiert und genutzt worden, im Ergebnis aber sehen wir ein konfessionsgebundenes Wahlverhalten, die Entwicklung einer konfessionalistischen politischen Szene sowie einen vor sich hin schwelenden Bürgerkrieg unter amerikanischem Protektorat. Einige Beobachter sprechen von einem iranisch-saudischen bzw. schiitisch-sunnitischen Stellvertreterkrieg. Vermutlich wird nur die Ankündigung eines Abzugsdatums für die US-Truppen den Irakis bewusst machen, dass sie sich selbst miteinander in einer Weise auseinander setzen müssen, die ihren Staat entweder rettet oder zerstört. Gleichzeitig scheint es unabdingbar, alle Nachbarstaaten des Irak in Bemühungen um ein multilaterales regionales Sicherheitsarrangement zu involvieren. Was im Irak passiert, hat enorme regionale Auswirkungen. Der Irak wird zur Angelegenheit der nationalen Sicherheitsstrategie und Innenpolitik verschiedener Nachbarländer: In der Türkei befürchtet man vermehrt kurdischen Separatismus; Länder wie Saudi-Arabien und Jordanien müssen mit der wachsenden Kluft zwischen ihrer politischen Allianz mit den USA und dem radikalen Antiamerikanismus in der Bevölkerung klarkommen, wobei dies nicht nur auf Jugendliche, sondern auch auf einen substanziellen Teil der gesellschaftlichen und politischen Elite zutrifft; Syrien muss die Rückkehr eigener Landsleute fürchten, die zum Dschihad im Irak ausgezogen sind.

Kein Nachbarland hat ein Rezept für den Irak. Die iranische Führung wünscht sich zwar den Abzug der Amerikaner, allerdings nicht zu früh. Alle Länder haben Angst vor einer Destabilisierung und wollen, dass die USA wieder herrichten, was sie zerschlagen haben. Gleichzeitig hoffen aber Teile der Eliten dieser Länder, dass die USA für ihren Versuch bestraft werden, den Irak und die Region nach ihren eigenen Vorstellungen neu zu gestalten. Während alle Angst vor dem totalen Kollaps und Zerfall des Irak haben, fürchten manche einen Wiederaufbau unter schiitischer Führung noch mehr.

Regionale Sicherheit gehört auf jeden Fall auf die Tagesordnung. Externe Akteure können Schritte in diese Richtung unternehmen, wie dies ja auch im Rahmen der Verhandlungen der EU-3 mit Iran über dessen Atomprogramm geschehen ist. Der Westen und die internationale Gemeinschaft sind sich über die Gefahren einer ungehinderten Entwicklung des iranischen Atomprogramms einig. Über die Interessen und Ziele Teherans herrscht nicht unbedingt Einigkeit. Dies reflektiert die Wirklichkeit insofern, als Teheran kein einheitlicher Akteur ist: Innerhalb der iranischen politischen Elite gibt es mehrere Strömungen mit unterschiedlichen Zielen, auch in Bezug auf das iranische Atomprogramm. Die Sicherheit des Staates sowie die des Regimes sind aber zweifellos für die gesamte politische Elite von Bedeutung. Daher war es nur richtig, dass Washington sich dem europäischen Angebot an Teheran, das Vorschläge für ein regionales Sicherheitsforum beinhaltet, angeschlossen und im Prinzip auch direkten Gesprächen zugestimmt hat.

Über einen angemessenen Rahmen, auch über die Teilnehmer und Themen eines solchen Forums, wird auf politischer und Thinktank-Ebene nachgedacht werden müssen. Wichtiger jedoch ist, dass ein subregionaler Sicherheitsansatz – einer, der sich auf die Sicherheit in der Golf-Region konzentriert – möglich erscheint. In den neunziger Jahren war das nicht der Fall, da fast alle Parteien in der Region darauf bestanden, dass die Sicherheit des Nahen und Mittleren Ostens unteilbar sei und dass jeder Versuch, Sicherheitsfragen der Golf-Region vom arabisch-israelischen Konflikt zu trennen, fehlschlagen müsse. Vertreter der Arabischen Liga sind immer noch dieser Meinung. Doch die geopolitische Wahrnehmung der lokalen Akteure hat sich geändert. Der Iran betrachtet Israel als Gegenspieler und Gefahr, denkt aber sehr viel intensiver über Sicherheitspolitik am Persischen Golf nach. Da die arabischen Golf-Monarchien den Iran und seinen Einfluss auf den Irak als größte Herausforderung betrachten, wollen sie den arabisch-israelischen Konflikt überhaupt nicht auf der Agenda haben. Ein jüngerer Vorschlag des saudischen Außenministers, eine massenvernichtungswaffenfreie Zone am Golf zu etablieren, hat dies unterstrichen. Er brachte damit indirekt zum Ausdruck, dass Bemühungen um Entspannung in diesem Teil der Region nicht mit dem arabisch-israelischen Konflikt oder mit Israels Atomwaffen verknüpft werden sollten. Auch wenn der Weg zu einer massenvernichtungswaffenfreien Zone lang sein dürfte, wird man sich in einem solchen Forum leichter über vertrauensbildende Maßnahmen einigen können als in einem, das alle Staaten in der Region vom Maschrek bis zum Persischen Golf umfasst.

Eine neue Madrider Konferenz?

Auch für den Nahen Osten gilt, dass ein subregionaler, an nationalen Interessen ausgerichteter Ansatz Erfolg versprechen könnte. Die Hoffnung, dass ein weiterer Waffenstillstand bzw. der Einsatz internationaler Truppen – so nötig sie sein mögen – zu lang anhaltender Stabilisierung führen werde, ist dagegen kaum realistisch. Möglicherweise müssen wir auf ein Konfliktlösungsmodell zurückgreifen, das in den neunziger Jahren schon einmal Erfolg zu versprechen schien: eine internationale Konferenz des Typs Madrid, die alle Akteure mit legitimen Interessen – in erster Linie also Israel, die PLO und die Palästinensische Autorität, Syrien sowie Libanon – zusammenbringt, um die ungelösten Probleme anzugehen. Die Hauptinteressen der Beteiligten unterscheiden sich, sie widersprechen sich aber nicht: Etwas vereinfacht dargestellt will Israel Sicherheit, die Palästinenser wollen einen Staat, Libanon will seine Souveränität wiederherstellen, und Syrien will die von Israel besetzten Golanhöhen zurückerhalten.

Interessanterweise stößt das Modell subregionaler Konfliktlösung auch bei einigen der direkt involvierten Konfliktparteien auf Interesse. Nicht nur die Palästinenser wehren sich dagegen, dass Iran die palästinensische Sache gewissermaßen hijackt und sich in die Auseinandersetzungen mit Israel einmischt. Auch Syrien will nicht, dass seine Agenda Israel gegenüber und Bemühungen um eine Beilegung des arabisch-israelischen Konflikts von Iran bestimmt werden. Syrien würde seine bilateralen Beziehungen zu Iran nicht einfach aufgeben, wenn es ernsthafte Chancen sähe, die Golanhöhen durch einen neuen Friedensprozess zurückzugewinnen. Aber es würde Iran sicher nicht als Teilnehmer einer nahöstlichen Friedenskonferenz sehen wollen: „Wir wollen einen Friedensprozess; sie haben eine andere Agenda“, lautet in etwa die Antwort, die man von hohen syrischen Vertretern hören würde.

Eine nahöstliche Friedenskonferenz nach Madrider Vorbild müsste die rationalen, nationalen Interessen der teilnehmenden bestehenden und Staaten im Aufbau thematisieren. Damit würde auch die regionale Debatte wieder auf jene Fragen konzentriert, die von Staaten bearbeitet und durch Abkommen geregelt werden können – Fragen von Land und Frieden, von Souveränität und Sicherheit. Friedensschaffung in diesem Sinne würde die Nationalstaaten des Nahen Ostens stärken und ihnen eine neue Chance geben. Sie könnte auch dazu beitragen, einige der zerstörerischen transnationalen Trends wieder einzuhegen.

Dr. VOLKER PERTHES, geb.1958, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sein jüngstes Buch „Orientalische Promenaden. Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch“ erschien 2006.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2006, S. 62‑67

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