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01. Nov. 2010

Eine Frage der Außenpolitik

Wie wir unsere Rohstoffversorgung sichern

Fehlende Substitutionsmöglichkeiten, finanzstarke Konkurrenz und Ausfuhrbeschränkungen in vielen Staaten – die deutsche Importabhängigkeit bei nichtenergetischen Rohstoffen könnte eine Gefahr für die Wirtschaftsentwicklung darstellen. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt acht Denkanstöße.

Deutschland ist auf den Import von Rohstoffen angewiesen – bei den für die industrielle Produktion unverzichtbaren metallischen Primärrohstoffen sogar zu 100 Prozent. Gleichzeitig steigt durch die weltweite Wirtschaftsentwicklung der Bedarf. Lithium beispielsweise, das für alle Produkte mit aufladbaren Batterien vom Handy über das Notebook bis zum Elektroauto gebraucht wird, wird schon als das „weiße Gold“ bezeichnet. Prognosen schätzen den Bedarf an Gallium – unverzichtbar für Dünnschicht-Photovoltaik und schnelle integrierte Schaltungen – im Jahre 2030 sechs Mal so hoch wie die gesamte heutige Weltproduktionsmenge.

Dabei stellt sich die Frage: Wie können wir unsere Rohstoffversorgung sichern? Dazu hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Juli 2010 ihre Position vorgelegt. „Deutschlands und Europas Rohstoffversorgung sichern“1 steht nun in der Reihe von außenpolitischen Grundsatzdokumenten der Unionsfraktion wie der Lateinamerika-Strategie und der Sicherheitsstrategie.

Damit hat das zentrale Politikfeld „Sicherung der Versorgung mit metallischen Rohstoffen“ auch im politischen Raum endlich die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt. Während Fragen der Energiesicherheit ganz oben auf der politischen Agenda stehen und medial auch so wahrgenommen werden, war die ausreichende Versorgung mit nichtenergetischen Rohstoffen in der Vergangenheit zwar Thema der industriepolitischen, aber kaum der außenpolitischen Debatte.

Es geht um eine wesentliche Herausforderung für die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts. Unternehmen in Deutschland und Europa brauchen eine sichere Rohstoffversorgung. Hochtechnologische Industriezweige wie die Energie- und Materialforschung sind zwingend auf strategische Rohstoffe angewiesen. Arbeitsplätze hängen davon ab, ob es gelingt, den Zugang und die Versorgung langfristig zu sichern. Bleibt unser Land angesichts dieser Herausforderung Industrieland?

Die wachsenden Ansprüche von über neun Milliarden Menschen – so die Prognose für 2050 – können gravierende Folgen haben. Laut Negativszenarien werden sie zu Verteilungskämpfen führen. Das Schlagwort vom „race for ressources“ macht die Runde. Gefragt ist aber eine nüchterne Analyse.

Wettbewerbsverzerrung

Deutschland ist kein rohstoffarmes Land. Doch die Bundesrepublik hat nicht die notwendigen Rohstoffvorkommen, um die verarbeitende Industrie zu versorgen, die vor allem im Hochtechnologiesektor steigenden Bedarf an metallischen Rohstoffen hat. Die Firmen sind auf Importe angewiesen. Schon heute sehen sich deutsche Unternehmen mit einem stetig steigenden Ressourcenbedarf der dynamischen Schwellenländer konfrontiert. Dieser Konkurrenz müssen sie sich stellen. Häufig operieren Mitbewerber mit milliardenschweren Staatsfonds, die staatseigene oder gelenkte Rohstoffunternehmen stützen – manche sprechen von „Rohstoff-Nationalismus“. Bereits jetzt ist auch zu beobachten, wie Rohstoff-Lieferländer – WTO-Regeln hin oder her – mit Exportbeschränkungen arbeiten, um heimischen Unternehmen einen exklusiven Zugang zu Rohstoffen zu sichern. So listet die EU-Kommission mehr als 450 Exportbeschränkungen für etwa 400 verschiedene Rohstoffe weltweit auf. Wenige Tage, nachdem die CDU/CSU-Fraktion ihr Grundsatzpapier zur Rohstoffversorgung präsentiert hatte, kürzte China die Exportquote für Indium um 33 Prozent – ein Metall, das deutsche Unternehmen nutzen, um Flachbildschirme effizienter zu machen.

Gegen diese Wettbewerbsverzerrungen hilft die reine Lehre der Ordnungspolitik wenig. Wenn sich Deutschland dieser Wettbewerbssituation erfolgreich stellen will, müssen wir bereit sein, Paradigmen zu hinterfragen. Wo die Gefahr droht, dass Unternehmen durch die Unterstützung, die ihre Wettbewerber von Staatsfonds bekommen, vom Markt gedrückt werden, hilft es nicht, „unfair!“ und „Wettbewerbsverzerrung!“ zu rufen und internationale Streitschlichtungsmechanismen zu bemühen.2

In Zukunft ist es nicht nur eine Frage der Wirtschafts-, sondern auch der Außenpolitik, ob wir im globalen Wettbewerb um Bodenschätze bestehen. Staaten wie China investieren in afrikanischen oder südamerikanischen Ländern, um sich den Zugang, oft auch den direkten Zugriff, auf Bodenschätze aller Art zu sichern. Deutschland droht, ins Hintertreffen zu geraten und wichtige Handelswege dauerhaft zu verlieren.

Das Versorgungsrisiko ist bei den Metallen – und vor allem bei den Hochtechnologiemetallen – aufgrund der geografischen Lage der Vorkommen in politisch instabilen Regionen häufig höher als bei energetischen Rohstoffen wie Öl und Gas. Über die Hälfte der Länder, in denen Vorkommen an metallischen Rohstoffen nachgewiesen sind, werden in einer Studie der Weltbank als politisch instabil oder gar extrem instabil eingestuft.

Fehlende Substitutionsmöglichkeiten steigern das Risiko noch. Ohne Chrom lassen sich keine rostfreien Stähle und ohne Kobalt keine verschleißfesten Negierungen produzieren. Auch Platin, Neodyn oder Indium kann die Hochtechnologieindustrie nicht durch andere Rohstoffe ersetzen.

Die deutsche und europäische Industrie versucht verstärkt, Materialien wiederzuverwerten – denn Hightech-Schrott ist Teil der Rohstoffbasis. Das so genannte „urban mining“ wird aber wegen der Konkurrenz ein immer schwierigeres Geschäft. Auf dem europäischen Markt sind – so Expertenstimmen aus der Industrie – Händler aktiv, die nicht vor unlauteren Mitteln zurückschrecken: Der Schrott wird fälschlicherweise als „zum weiteren Gebrauch“ deklariert, um die zoll- und abfallrechtlichen Bestimmungen zu umgehen, die verhindern sollen, dass wertvolle Sekundärrohstoffe dem europäischen Markt verloren gehen.

Von 2003 bis zur Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 schnellten die Preise rasant in die Höhe. Preistreibend wirkten nicht allein die verstärkte Nachfrage in Kombination mit Versorgungsrisiken. Preisanstiege waren auch Folge von Rohstoffspekulation. Das ist die einzig plausible Erklärung, wenn in Märkten, in denen keine Knappheit herrschte, die Preise plötzlich explodieren. Denn unter idealen Bedingungen ist davon auszugehen, dass die vorhandenen weltweiten Rohstoffressourcen die Nachfrage auf internationalen Märkten langfristig decken. So gilt diese Prognose bei Chrom für etwa 600 Jahre, bei Platinmetallen für etwa 190 Jahre.

Gemeinsam handeln

Die Bestandsaufnahme darf nicht in globalisierungskritischen Alarmismus oder in Schwarze-Peter-Spiele münden. Es geht darum, eine Herausforderung zu bewältigen: Mit welchen Maßnahmen können Deutschland und die EU sicherstellen, dass der Zugang zu Rohstoffen garantiert ist?

Entwicklungen in Bereichen wie Elektromobilität mit Hybridantrieb, Lithium-Ionen-Batterien, Brennstoffzellen, effiziente Elektromotoren oder Energieerzeugung durch Dünnschicht-Photovoltaik hängen davon ab, wie wir mit der Herausforderung Rohstoffsicherheit umgehen. Unternehmer, Diplomaten und Politiker in Deutschland und auf EU-Ebene müssen gemeinsam handeln, damit deutsche und europäische Unternehmen mit ihren hochqualifizierten Fachleuten weiterhin führend auf Zukunftsmärkten sind. Dazu Denkanstöße in acht Punkten.

1. Bedarf definieren

Mittels Zukunftsszenarien können Unternehmen den Bedarf an strategischen Bodenschätzen mittel- und langfristig absehen. Deutschland kann besondere Expertise beisteuern: Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, die sich als „zentrale wissenschaftlich-technische Institution zur Beratung der Bundesregierung in allen georelevanten Fragestellungen“ versteht, verfügt dafür über einen wahren Schatz an Daten.3

2. Strategie umsetzen

Die Bedarfsprognose wird Grundlage für eine abgestimmte Strategie für Deutschland. 2007 hat das Bundeswirtschaftsministerium Elemente einer Rohstoffstrategie der Bundesregierung vorgelegt. Mit der Kommissionsmitteilung „Rohstoffinitiative – Sicherung der Versorgung Europas mit den für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gütern“, die der Europäische Rat am 28. Mai 2009  annahm, hat die Europäische Union ein deutliches Signal für eine aktive Politik zur Sicherung der Rohstoffversorgung gesetzt. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an: Nur wenn es schnell gelingt, den Strategieprozess in Deutschland voranzutreiben, kann Deutschland seine Erfahrungen und Interessen besser auch auf europäischer Ebene einbringen. Die Zeit drängt, gehen doch Experten davon aus, dass innerhalb der kommenden drei bis vier Jahre alle lohnenden Lizenzen für die Exploration von Rohstoffvorkommen in Afrika vergeben sein werden.

3. Wettbewerbsbedingungen für rohstoffverarbeitende Industrie 
in Deutschland verbessern

Mit Blick auf den globalen Wettbewerb, in dem die Unternehmen stehen, gehört es zwingend zu den Aufgaben der Politik, die Energiekosten für die rohstoffverarbeitende Industrie langfristig kalkulierbar zu machen und auf einem wettbewerbsfähigen Niveau zu halten.

4. Gesetze strikt anwenden

Zoll- und abfallrechtliche Regelungen, die verhindern sollen, dass wertvolle Rohstoffe dem europäischen und deutschen Markt entzogen werden, müssen konsequent angewandt werden.

5. Wettbewerbsverzerrungen 
weltweit bekämpfen

Die zuständige EU-Kommission muss mit aller Konsequenz auf den Abbau wettbewerbsverzerrender Maßnahmen hinwirken. Dazu gehört auch, dass in formellen WTO-Verfahren gegen sie vorgegangen wird. Solche Verfahren wirken aber nur ex post und dauern Jahre. Darum muss der umfassende Abbau solcher Beschränkungen Bedingung sein für den Abschluss von WTO-Beitrittsverhandlungen. Und möglicherweise ist es sinnvoll, in alle handels- und entwicklungspolitischen Abkommen eine „Rohstoffklausel“ einzubauen.

6. Strukturen schaffen

Deutschland muss seine Institutionen für den weltweiten Wettbewerb aufstellen.

a) Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat am 4. Oktober 2010 den Startschuss für die Gründung einer deutschen Rohstoffagentur gegeben.4 Ein Rohstoffbeauftragter der Bundesregierung könnte mit einem solchen kleinen und effizienten Unterbau den Strategieprozess moderieren, Ansprechpartner für die Wirtschaft sein und die notwendige Kohärenz von Wirtschafts-, Außen- und Entwicklungspolitik herstellen.

b) Wir können sogar noch mehr tun: Warum führen wir nicht eine ernsthafte Diskussion über die Gründung einer deutschen Rohstoffholding? Derzeit unterstützt der Bund förderungswürdige oder im besonderen staatlichen Interesse liegende Vorhaben mit Garantien für Ungebundene Finanzkredite. Als förderungswürdig erachtet werden insbesondere Vorhaben, die der Erhöhung der Versorgungssicherheit Deutschlands mit Rohstoffen dienen – unter der Voraussetzung, dass mit langfristigen Lieferverträgen mit inländischen Abnehmern Rohstoffe nach Deutschland verbracht werden, an deren Bezug ein gesamtwirtschaftliches Interesse besteht. Die Analyse der Wettbewerbssituation lässt es aber sinnvoll erscheinen, darüber nachzudenken, wie dieses Instrument ergänzt werden könnte. Eine Holding, in die Banken und Unternehmen sich bei einer staatlichen Minderheitsbeteiligung einbringen, könnte Kapital für Investitionen im Rohstoffbereich bereitstellen, deren Risikostruktur üblicherweise zur Zurückhaltung bei privaten Kapitalgebern führt. Gleichzeitig stellt sich Deutschland – und die EU, wenn die Holding Vorreiter für eine europäische Rohstoffholding würde – besser als bisher auf die Rolle der Staatsfonds im Wettbewerb ein. Renditen für den Haushalt wären ein willkommener Nebeneffekt.

7. Deutschland – der bessere 
Partner

Die deutsche Diplomatie kann damit werben, dass Deutschlands Ansehen als vertrauenswürdiger und fairer Partner eines der besten in der Welt ist. Unsere Entwicklungszusammenarbeit ist in vielen Ländern die Grundlage für diese Wertschätzung. Die Bundesrepublik unterstützt internationale Transparenzinitiativen aus Überzeugung und mit dem Ziel, „zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung der weltweiten natürlichen Ressourcen beizutragen, um eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen“ (Art. 21 EU-Vertrag). Dieses Ziel gilt auch für den Rohstoffbereich. Deutschland könnte durch technische Zusammenarbeit Hilfe leisten für den Aufbau nationaler Rohstofffonds zur Verwaltung von Erträgen aus der Bewirtschaftung von Rohstoffvorkommen. Durch unabhängiges Management und die wirksame öffentliche Kontrolle durch Transparenz von Einnahmen und Ausgaben kommen Erträge solcher Fonds, wie sie Chile oder Norwegen eingerichtet haben, der nachhaltigen Entwicklung zugute.

8. Interessen der Partner 
respektieren

Wenn Deutschland aber im Sinne dieses Zieles werben und wirken will, müssen wir erst einmal Zugang zum Rohstoffsektor gewinnen. Das gelingt nur, wenn wir die Interessenlage der Länder, die über Rohstoffvorkommen verfügen, respektieren. Sie erwarten von der Kooperation im Rohstoffbereich regelmäßig auch Investitionen in Infrastruktur. China bietet bereits beides. Wenn deutsche Entwicklungshilfe auf diese Interessen noch nicht eingeht, ist das eine politische Entscheidung. Es wäre an der Zeit, sie zu überdenken.

Ulrich Grillo, Vorsitzender des Ausschusses Rohstoffpolitik des Bundes der Deutschen Industrie, hat prägnant formuliert, worum es geht: „Eine sichere Rohstoffversorgung Deutschlands und Europas zu wettbewerbsfähigen Bedingungen ist die Voraussetzung für Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand – heute und in Zukunft. Rohstoffe sind die Problemlöser der globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen – von der Bekämpfung der Kindersterblichkeit, des Hungers und der Armut bis zum Umwelt- und Klimaschutz.“5

PHILIPP MISSFELDER, MdB, ist Mitglied im Präsidium der CDU und außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2010, S. 102-107

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