Ein zweischneidiges Schwert
Die USA und China setzen Exportkontrollen für ihre geopolitischen Ziele ein. Das verursacht nicht nur hohe Kosten – es bedroht den freien Welthandel.
Exportkontrollen sind zu einem zentralen Instrument geopolitischer Strategien in der Außen- und Handelspolitik geworden. Sie sind Teil eines geoökonomischen Instrumentenkastens, mit dem die USA die technologische Entwicklung Chinas verlangsamen wollen, und China revanchiert sich u.a. mit erschwertem Zugang zu strategisch wichtigen Rohstoffen. Strafzölle und die Kontrolle von Investitionen sowohl von ausländischen Unternehmen in den USA (Committee on Foreign Investment in the USA) wie auch Investitionen amerikanischer Unternehmen in China (Outbound Investment Screening) gehören ebenfalls zu diesen Instrumenten.
Mit Exportkontrollen regulieren Staaten den Transfer kritischer Güter, Technologien und Dienstleistungen, um nationale Sicherheitsinteressen zu schützen, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und den Zugang zu strategischen Ressourcen oder Technologien für Wettbewerber einzuschränken. Ihre Auswirkungen auf die internationalen Handelsbeziehungen, globale Lieferketten und den freien Welthandel sind allerdings enorm und spiegeln die wachsende Fragmentierung der Weltwirtschaft wider.
USA: Schlüsseltechnologien schützen
Die Vereinigten Staaten sind führend, wenn es darum geht, Exportkontrollen gezielt als Mittel der nationalen Sicherheit und Sicherung wirtschaftlicher Interessen einzusetzen. Sie kommen zu dem Schluss, dass in einer zunehmend technologisch dominierten Welt der Schutz bestimmter Schlüsseltechnologien wie KI, Halbleiter, Quantencomputing und BioTech entscheidend ist für die nationale Sicherheit und den wirtschaftlichen Erfolg des Landes.
Gleichzeitig versucht die US-Regierung, die Kontrollen zu begrenzen, um Innovationen nicht zu hemmen und die internationale Zusammenarbeit zu bewahren – eine schwierige Gratwanderung. Dabei handelt es sich um grundlegende Entscheidungen, die überparteilich verfolgt werden. Ein Wendepunkt war die Verabschiedung des Export Control Reform Act im Jahr 2018 unter Donald Trump und die darauffolgenden Maßnahmen gegen chinesische Unternehmen wie Huawei und SMIC. Damit haben die USA eine klare Linie gezogen: Technologie und Innovation sind keine rein wirtschaftlichen Themen mehr, sondern zentrale Elemente nationaler Sicherheit. Die Biden-Administration hat die Exportkontrollen in die über mehrere Jahre erarbeitete „Small Yard, High Fence“- Strategie eingebettet, deren zentrale Bedeutung der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan im April 2023 öffentlich erläuterte: Danach soll um einen klar definierten Bereich von Schlüsseltechnologien ein hoher Zaun errichtet werden.
Schon im Oktober 2022 verschärften die USA ihre Exportkontrollen für Halbleiter deutlich. Diese Regelungen untersagten nicht nur den Export von Hochleistungschips, sondern auch die Lieferung bestimmter Halbleiterfertigungstechnologien nach China. Schätzungen zufolge könnte dies Chinas Fortschritt in der Chip-Produktion um Jahre verzögern. Laut einer Analyse der Boston Consulting Group könnten die weltweiten Einnahmen der Halbleiterindustrie durch diese Maßnahmen um bis zu 60 Milliarden US-Dollar sinken, da Unternehmen gezwungen sind, alternative Märkte zu suchen oder ihre Produktionsprozesse umzustellen.
Die Entity List des Bureau of Industry and Security des US-Handelsministeriums ist ein weiteres zentrales Instrument der amerikanischen Exportkontrollpolitik. Unternehmen, die auf dieser Liste stehen, dürfen keine US-Technologien beziehen. Das Lieferverbot gilt nicht nur für Unternehmen aus den USA, sondern auch für Unternehmen in Drittstaaten. Ein prominentes Beispiel ist Huawei, das seit 2019 auf dieser Liste geführt wird. Der Zugang zu US-Chips und -Software wie Android wurde damit drastisch eingeschränkt, was Huaweis Marktanteil im globalen Smartphone-Markt von 15 Prozent (2019) vorübergehend auf unter 5 Prozent im Jahr 2023 sinken ließ.
Vorläufiger Höhepunkt in dieser Entwicklung ist die Entscheidung der US-Regierung vom 2. Dezember 2024, den Export von 24 Halbleiterfertigungstechnologien zu verbieten sowie 140 Unternehmen in chinesischem Eigentum aus der Halbleiter- und Chipbranche in mehreren asiatischen Staaten auf die Entity List zu setzen. Die damalige Handelsministerin Gina Raimondo unterstrich, dass es sich bei dem Maßnahmenpaket um den Höhepunkt der Anstrengungen der Biden-Administration handele, China von Spitzentechnologien abzukoppeln, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen könnten. Wörtlich sagte sie: „Das sind die strengsten Kontrollen, die jemals von den USA beschlossen wurden, um die Fähigkeit der Volksrepublik China zu verringern, hochleistungsfähige Chips herzustellen.“
Durchsetzung der Interessen Chinas
China hat seinerseits begonnen, Exportkontrollen sowohl als Verteidigungs- als auch als Vergeltungsinstrument zu nutzen. Seit der Einführung des Export Control Law im Jahr 2020 hat Peking seine Maßnahmen deutlich ausgeweitet.
Das zentrale Element seiner Strategie ist die Kontrolle über Seltene Erden und Rohstoffe, die in Hightech-Anwendungen unverzichtbar sind. China kontrolliert etwa 70 Prozent der weltweiten Produktion dieser Rohstoffe und nutzte diesen Hebel zum Beispiel 2023, als es zunächst den Export von Gallium und Germanium einschränkte – zwei Materialien, die in der Halbleiterfertigung unerlässlich sind. Laut dem World Semiconductor Council könnten diese Exportkontrollen die globale Halbleiterproduktion um bis zu 10 Prozent verlangsamen, zumal sich die Preise für Gallium seit 2020 verdreifacht und für Germanium verdoppelt haben.
Peking signalisiert den USA, dass man sie jederzeit von kritischen Rohstoffen abschneiden könnte
Als Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen hat China noch am gleichen Tag seine Exportkontrollen dahingehend verschärft, dass Gallium und Germanium, aber auch Antimon nicht mehr in die USA ausgeführt werden dürfen. Antimon ist essenziell für die Herstellung von Lasern, Röntgen- und CT-Scannern, Batterien, optoelektronischen Geräten, Solarzellen, Smartphones, Laptops und Satelliten. Die militärische Nutzung reicht von Wärmebildkameras über Infrarotsensoren bis hin zu Zielverfolgungssystemen. In der Folge stieg der Preis von ca. 6000 auf 25 000 Dollar pro Tonne. Hinzu kommt eine weitere Einschränkung der ohnehin schon geltenden Restriktionen für Grafit, von dem als Anodenmaterial in Lithium-Ionen-Batterien in jedem Elektrofahrzeug je nach Größe 40 bis 120 Kilogramm enthalten sind. China produziert fast 80 Prozent des natürlichen Grafits, 95 Prozent des synthetischen Grafits und stellt 99 Prozent der Veredelungskapazitäten. Grafit gibt es zwar auch in Mosambik, Madagaskar und Tansania, aber die Förderung bewegt sich noch nicht auf dem chinesischen Niveau.
Recycling von Rohstoffen wird in Zukunft auch in den USA eine größere Rolle spielen, aber diese Lieferketten neu aufzubauen, kostet Zeit und Geld. Peking sendet ein klares Signal an Washington, dass man jederzeit reagieren kann und bereit ist, die USA von dringend benötigten kritischen Rohstoffen für strategisch bedeutsame Industrien abzuschneiden.
Gleichzeitig investiert China massiv in die Entwicklung einer eigenständigen Halbleiterindustrie, um die Abhängigkeit von ausländischen Technologien zu reduzieren. Bis 2023 stieg der Anteil chinesischer Chips am heimischen Markt auf 16 Prozent, mit einem Ziel von über 70 Prozent bis Ende 2025. Diese Strategie zeigt erste Erfolge: Unternehmen wie SMIC konnten, trotz Entity-Liste, Fortschritte in der Produktion von 7-Nanometer-Chips erzielen.
Doch die Abkopplung vom globalen Technologiemarkt hat auch ihren Preis. Laut einer Studie von Bloomberg könnten die zusätzlichen Investitionen Chinas zur Erreichung technologischer Eigenständigkeit jährliche Kosten von bis zu einer Billion Dollar verursachen, da lokale Alternativen oft ineffizienter und teurer sind.
Politische Maßnahmen der EU
Die Europäische Union nimmt in dieser geopolitischen Dynamik eine Zwischenposition ein. Sie verfolgt einen multilateralen und regelbasierten Ansatz, der wirtschaftliche Offenheit mit sicherheitspolitischen Zielen zu verbinden sucht. Ein zentraler Mechanismus ist die Dual-Use-Verordnung der EU, die 2021 aktualisiert wurde, um neue Technologien wie KI und Cybersicherheit besser zu regulieren.
Die EU hat zudem auf die russische Invasion in der Ukraine mit umfassenden Exportkontrollen reagiert. Bis 2023 sank der Handel zwischen der EU und Russland um 60 Prozent, da Exporte von Technologien, Maschinen und Software nahezu vollständig gestoppt wurden. Deutschland allein, das vor der Krise der größte Exporteur von Maschinenbauprodukten nach Russland war, verzeichnete einen Rückgang der Ausfuhren um über 70 Prozent.
Die EU ist jedoch nicht immun gegen die wirtschaftlichen Folgen von Exportkontrollen im Halbleitermarkt. Der European Chips Act soll die europäische Halbleiterproduktion stärken, indem bis 2030 statt aktuell unter 9 Prozent etwa 20 Prozent der weltweiten Chip-Produktion in Europa angesiedelt werden sollen. Doch die Abhängigkeit von Rohstoffen wie Lithium und Kobalt, die größtenteils ebenfalls aus China importiert werden, bleibt ein erhebliches Risiko. Laut der European Raw Materials Alliance könnten Engpässe bei diesen Rohstoffen die europäische Batterie- und Elektrofahrzeugproduktion in den kommenden Jahren um bis zu 15 Prozent verlangsamen.
Wohin führt das?
Exportkontrollen haben tiefgreifende Auswirkungen auf globale Lieferketten. Die Halbleiterindustrie, die auf komplexe und globale Netzwerke angewiesen ist, steht im Zentrum dieser Dynamik. Unternehmen wie ASML, der niederländische Hersteller von Lithografie-Maschinen, wurden durch den Druck der USA gezwungen, den Export bestimmter Technologien nach China einzustellen. Die Niederlande und Japan haben im Zuge dessen ihre Exportkontrollen erheblich verschärft. Dies hat nicht nur – wie politisch gewünscht – Chinas Halbleiterindustrie geschwächt, sondern auch die Position von ASML im asiatischen Markt beeinträchtigt. Laut einer Analyse von McKinsey könnten solche Maßnahmen bis 2030 zu einem jährlichen Verlust von 100 Milliarden Dollar in der globalen Halbleiterindustrie führen.
Dies unterstreicht, dass Exportkontrollen nicht nur geopolitische Ziele verfolgen, sondern auch erhebliche wirtschaftliche Kosten verursachen können – sowohl für betroffene Länder als auch für die Unternehmen der kontrollierenden Staaten. Die Halbleiterbranche ist jedenfalls alarmiert. NXP-CEO Kurt Sievers warnte kürzlich: „Kein Land auf dieser Welt wird bei Halbleitern jemals unabhängig sein.“
Die Fragmentierung der Weltwirtschaft, die durch Exportkontrollen beschleunigt wird, stellt eine direkte Herausforderung für die Globalisierung dar. Während in den vergangenen Jahrzehnten eine zunehmende Integration der Märkte die Kosten senkte und die Effizienz steigerte, führt die aktuelle Politik zum gegenteiligen Effekt. Unternehmen sehen sich gezwungen, regionale Lieferketten aufzubauen, um Exportkontrollen auszuweichen. Dies erhöht nicht nur die Produktionskosten, sondern verringert auch die Innovationsgeschwindigkeit, da der Zugang zu globalem Know-how eingeschränkt wird.
Exportkontrollen gestalten die Beziehungen zwischen den Großmächten und prägen zugleich die Zukunft der Globalisierung und der technologischen Innovation
Die Rückkehr zu einer stärker fragmentierten Weltwirtschaft zeigt sich auch in den Handelsströmen. China hat seine Exporte in den Globalen Süden erheblich ausgeweitet, insbesondere nach Afrika und Lateinamerika, während die Handelsbeziehungen mit westlichen Ländern stagnieren oder zurückgehen. Laut UNCTAD stieg der Handel zwischen China und Afrika allein im Jahr 2023 um 12 Prozent, während der Handel mit der EU um 3 Prozent zurückging. Dies zeigt, wie Exportkontrollen nicht nur direkte wirtschaftliche, sondern auch geopolitische Verschiebungen bewirken.
Peter E. Harrell, ein ehemaliger Mitarbeiter des National Economic Council unter Joe Biden, schlägt in Foreign Affairs eine dauerhaft enge Verknüpfung von Handelsfragen mit Fragen der nationalen Sicherheit vor, so wie es im Kalten Krieg Aufgabe des COCOM (Coordinating Committee on Multilateral Export Controls) gewesen sei. Er regt zudem eine einseitige Vorgehensweise der USA an, der andere Wirtschaftsnationen zwangsläufig folgen müssten, gegebenenfalls im Austausch für Handelserleichterungen.
Seit einigen Jahren ist eine „Weaponization of Trade“ zu beobachten, wie Rebecca und Jack Harding es 2017 in ihrem gleichnamigen Buch beschrieben haben. Es ist zu vermuten, dass diese Entwicklung in der kommenden Dekade noch nicht abgeschlossen sein wird. China ist nicht die Sowjetunion, und offen bleibt, ob das Ziel, den politischen Gegner China in seiner technologischen Entwicklung abzubremsen, nur ein kurzfristiger Pyrrhussieg sein wird. Denn es ist zu erwarten, dass China schon mittelfristig alle technologischen Fähigkeiten selbst entwickeln wird, mit zeitlicher Verzögerung und zu höheren Kosten, dann aber auf den Import solcher Technologien dauerhaft wird verzichten können. Was werden dann die Auswirkungen auf den Welthandel sein? Dürfen die internationalen Wirtschaftsbeziehungen ein Spielball der systemischen Rivalität zweier Großmächte werden?
Exportkontrollen sind ein mächtiges Werkzeug in der Außen- und Handelspolitik, die weit über ihre ursprüngliche Funktion hinausgehen. Sie gestalten nicht nur die Beziehungen zwischen den Großmächten, sondern prägen auch die Zukunft der Globalisierung und der technologischen Innovation insgesamt. Die Balance zwischen Sicherheit, wirtschaftlicher Offenheit und internationaler Zusammenarbeit bleibt dabei die größte Herausforderung.
In einer Welt, die von Rivalitäten geprägt ist, sind Exportkontrollen nicht nur ein Mittel zur Sicherung nationaler Interessen, sondern auch ein Belastungstest für die Widerstandsfähigkeit des globalen Wirtschaftssystems.
Internationale Politik 2, März/April 2025, S. 101-105