Energisch und mit einer Stimme
Warum wir eine marktorientierte europäische Energiepolitik brauchen
Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit: Will Europa seine energiepolitischen Ziele erreichen, bedarf es eines koordinierten Vorgehens und eines integrierten Binnenmarkts. Gelingt es nicht, eine gemeinsame Energieaußenpolitik zu betreiben, wird sich das international auf unsere Durchsetzungskraft auswirken.
Es gibt eine Reihe von Gründen, die dafür sprechen, die Schaffung eines europäischen Energiebinnenmarkts energisch voranzutreiben. In erster Linie kann ein solcher Energiebinnenmarkt maßgeblich dazu beitragen, die Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung zu gewährleisten. Entsprechende Spielregeln für freien Wettbewerb in Europa können den Handel mit Strom oder Gas befördern.
Nach dem idealtypischen Verständnis von Ökonomie führt dies zu mehr Anbietern in einem Binnenmarkt, mit freiem Handel, verbesserten Dienstleistungen und marktbasierten Preisen. Europa hätte das Potenzial, mit nahezu 500 Millionen Verbrauchern der weltgrößte Binnenmarkt für Strom und Gas zu werden.
Die europäische Energiepolitik befindet sich allerdings in einem Spannungsfeld zwischen nationalen Energiestrategien und internationalen Entwicklungen. In den vergangenen Jahren ist einiges in Richtung eines Binnenmarkts unternommen worden. Der Binnenmarkt für Strom und Gas war Gegenstand mehrfacher Novellierungen des europäischen Ordnungsrahmens. Eigentlich sollte das im Jahre 2009 verabschiedete „3. Europäische Energiebinnenmarktpaket“ der letzte große Schritt sein. Doch in der Praxis zeigt sich, dass der Energiebinnenmarkt fragmentiert bleibt. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben zwar im Februar 2011 nochmals bekundet, der Binnenmarkt solle bis 2014 vollendet sein. Doch zum Teil haben die Mitgliedstaaten die Brüsseler Vorgaben noch immer nicht umgesetzt, zum Teil erfolgt diese Umsetzung derart halbherzig, dass nationale Märkte für Strom und Gas für Marktteilnehmer verschlossen bleiben.
Hinzu kommt, dass sich die Umsetzung der Regeln des 3. Binnenmarktpakets nicht so ganz einfach gestaltet. Derzeit laufen noch Konsultationen über technische Einzelheiten der Strom- und Gasnetze zwischen den Marktteilnehmern, ihren Verbänden sowie den nationalen und europäischen Regulierungsbehörden und der Europäischen Kommission. Und die Erstellung von Netzentwicklungsplänen für das Strom- und Gasnetz zeigt, dass der Ordnungsrahmen für den Europäischen Energiebinnenmarkt auf den ersten Blick mehr an Staatswirtschaft erinnert. Dabei gilt in Europa nach den Verträgen noch immer der Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb.
Sauberer Wettbewerb
Nicht nur beim Energiebinnenmarkt kommt es auf Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb an, auch die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung kann nur marktbasiert und mit Anreizen zur technischen Innovation erhöht werden. Die Ziele Klimaschutz und CO2-Reduktion können die EU-Mitgliedstaaten nur gemeinsam schultern. Dabei darf sich Umweltverträglichkeit aber nicht allein auf das Thema CO2-Reduktion beschränken. Wenn der Ordnungsrahmen Europas zu dirigistisch wird, führt dies sowohl bei Unternehmen als auch Verbrauchern zu einem Akzeptanzproblem.
Handlungsbedarf besteht bei einer ganzen Reihe von Themen, beispielsweise beim EU-Emissionshandelssystem EU-ETS: Eigentlich soll dieses System ein marktwirtschaftliches Instrument sein, mit dem sich CO2-Emissionen kostengünstig senken lassen. Hiermit will die EU das im Kyoto-Protokoll festgelegte Klimaschutzziel einer Reduktion der CO2-Emissionen erreichen (um 8 Prozent von 2008–2012 im Vergleich zu 1990).
Das EU-ETS zeigt allerdings keine Marktanreize für klimaschützende Maßnahmen, und das hat etliche Gründe, von denen nur drei genannt werden sollen: die europaweite Rezession, der Ausbau Erneuerbarer Energien und die Diskussion um eine Begrenzung des Energieverbrauchs (Energieeffizienz).
Allein durch den Ausbau Erneuerbarer Energien in Deutschland wird sich der Umfang vermiedener CO2-Emissionen von 79 Millionen Tonnen im Jahr 2008 auf rund 202 Millionen Tonnen pro Jahr im Jahr 2020 erhöhen. Bei einem unterstellten linearen Anstieg der Vermeidung führt das zu insgesamt 1,8 Milliarden Tonnen CO2-Vermeidungsleistung in der 3. Phase des EU-ETS 2013–2020, das entspricht in etwa der vielerorts diskutierten „Überausstattung“ des EU-ETS (Differenz zwischen Zuteilung und echten Emissionen). Die Konsequenz aus diesen Effekten kann nur sein, das EU-ETS grundlegend zu erneuern und systematisch zu stärken.
Langfristig müssen Erneuerbare Energien – insbesondere bei einem funktionierenden EU-ETS – wettbewerbsfähig werden. Große Effizienzgewinne verspräche ein marktorientierter Ansatz, wenn EU-weit koordiniert bzw. harmonisiert würde. Ein wichtiger Wegbereiter hierfür ist die Öffnung der nationalen Systeme für so genannte „Joint Projects“: Projekte, die in Mitgliedstaaten mit günstigen Potenzialen für Erneuerbare Energien umgesetzt, aber von einem anderen Mitgliedstaat finanziert werden. Dieser kann dann auch die Gutschrift Erneuerbarer Energien auf die nationale Zielerreichung anrechnen. So können Staaten mit weniger günstigen Potenzialen bei der Erfüllung ihrer Ausbauziele Kosten sparen. Obwohl dieses Instrument seit 2009 in der EU-Erneuerbaren-Richtlinie vorgesehen ist, wurde es bisher nicht angewendet.
Und dann ist da noch das Thema Energieeffizienz, eines der wichtigsten Gebiete, will man der globalen Erwärmung kosteneffizient begegnen. Hier bietet sich ein erhebliches Potenzial für neue kundenorientierte Dienstleistungen – und damit für Unternehmen und Verbraucher. Im Grundsatz ist das auch das Ziel der Europäischen Energieeffizienz-Richtlinie, auf die sich Kommission, Europäisches Parlament und Rat im Sommer 2012 geeinigt haben. Allerdings tendiert diese Richtlinie zu einer Überregulierung, was die Flexibilität bei der Schaffung neuer Energieeffizienzinstrumente behindern könnte und bei den Unternehmen und den Mitgliedstaaten allein wegen entsprechender Berichtspflichten zu erhöhten Verwaltungskosten führen wird.
Sicher versorgt?
In Deutschland wird Versorgungssicherheit zumeist als Selbstverständlichkeit angesehen. Das hat auch damit zu tun, dass große Blackouts bei der Stromversorgung wie in anderen Ländern hier bislang ausgeblieben sind. Auch bei der Erdgasversorgung konnte der Verbraucher auf kontinuierliche Belieferung setzen; Ereignisse wie der Konflikt beim Erdgas zwischen Russland und der Ukraine Anfang 2009 führten zumindest in Deutschland nicht zu Versorgungsengpässen.
Für die Unternehmen in Deutschland war die Sicherstellung der Strom- und Gasversorgung seit jeher Teil ihres Selbstverständnisses, das allerdings vor dem Hintergrund des europäischen Ordnungsrahmens nur noch eingeschränkt aufrechterhalten werden kann. So ist in Europa aufgrund der Regeln zur Entflechtung des Energiehandels- und Netzgeschäfts im genannten 3. Europäischen Energiebinnenmarktpaket eine Integration verschiedener Aktivitäten der so genannten Wertschöpfungskette wie früher nicht mehr möglich. Da es verschiedene Akteure gibt, auf der einen Seite Energiehändler und auf der anderen Seite Netzbetreiber, liegt die unternehmerische Verantwortung zur Sicherstellung der Strom- und Gasversorgung nicht mehr in einer Hand.
Diese politisch gewünschte Trennung der Rollen – die nach Vorstellung der Kommission mehr Wettbewerb und sinkende Preise ermöglichen soll – führt in der Praxis zwangsläufig zu Synergieverlusten bei der Versorgungssicherheit. So wird etwa Erdgas nur in wenigen Staaten gewonnen. Wichtige Produzentenstaaten sind Russland und Algerien, in Westeuropa Norwegen, die Niederlande, Dänemark und Großbritannien; erhebliche Erdgasreserven finden sich außerdem im kaspischen Raum und in Zentralasien. In Westeuropa sind die nachgewiesenen Erdgasreserven seit einigen Jahren rückläufig.
Kurz gesagt ist Europa beim Erdgas mit einem Produzentenoligopol konfrontiert, und die Trennung von Energiehandels- und Netzgeschäft schwächt die Verhandlungsposition der europäischen Erdgasgroßhändler gegenüber den Produzenten, die wie Russland einer solchen Trennung kritisch gegenüberstehen.
Das zeigt die strategische Komponente der Versorgungssicherheit für Europa. Das Thema kann sich nicht nur in Krisenvorsorge und Notfallplanung erschöpfen. Es geht im Kern um die mittel- und langfristige Verfügbarkeit von Energie in Europa. So erließ die EU-Kommission im Jahre 2010 eine „Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung“, in der sie die Erkenntnisse des Erdgaskonflikts zwischen Russland und der Ukraine Anfang 2009 verarbeitete. Dabei stehen allerdings Maßnahmen des Krisenmanagements etwa in Form von Präventiv- und Notfallplänen im Vordergrund. Doch Versorgungssicherheit beginnt nicht erst im Krisenfall. Die Fragen der Energieinteressen Europas sind bei perspektivisch knapperen Rohstoffen auch eine Frage der europäischen Energieaußenpolitik. Eine Konsequenz hieraus könnte sein, Versorgungssicherheit durch aktive Ressourcenpolitik zu flankieren.
Mit der Energy Roadmap 2050 hat die EU-Kommission ein wichtiges Strategiedokument für die zukünftige europäische Energieversorgung vorgelegt. Ein wesentlicher Punkt darin ist das Thema Dekarbonisierung, also die Reduzierung fossiler Energieträger, ohne dabei Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit zu vernachlässigen. Nun ist es natürlich heute schwer vorherzusagen, wie der Energiesektor im Jahre 2050 aussehen wird. Realistisch ist es, Schritt für Schritt vorzugehen, d.h. zunächst die EU-Energiestrategie für 2020 im Blick zu behalten und die mittelfristigen Bedingungen und Ziele für 2030 zu definieren. Auch wenn der Energiemix der Zukunft grüner wird, muss die Politik bei dieser Entwicklung technologieoffen sein und die drei Ziele Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit im Blick behalten. Das kann nur gelingen, wenn nationale Energiestrategien einbezogen werden – vorausgesetzt, diese sind mit den übergeordneten europäischen Zielen in Einklang zu bringen.
Umfassendes Energiepaket
Der Umbau der Energieversorgung wird in der Bundesrepublik auf allen Ebenen diskutiert, das Thema betrifft die ganze Gesellschaft. Als Lebensader der Volkswirtschaft ist eine kosteneffiziente, umweltverträgliche und sichere Energieversorgung unverzichtbar, gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland. Wenn wir ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bleiben wollen, muss auch die Energiepolitik eine Grundlage für Wachstum und Wohlstand bilden. Über die Instrumente hierfür wird heftig debattiert, und der energiepolitische Ordnungsrahmen ist in den beiden vergangenen Jahren derart dynamisch verändert worden, dass die Übersicht verloren zu gehen droht.
Im September 2010 stellte die Bundesregierung zunächst ein Energiekonzept vor, das eine sichere und bezahlbare Energieversorgung zum Ziel hatte. Das Konzept beschreibt einen Entwicklungspfad bis 2050 mit folgenden Einzelzielen: Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 und bis 2050 um mindestens 80 Prozent; Ausbau der Erneuerbaren Energien als tragende Säule der Energieversorgung (Anteil von 80 Prozent bis 2050); Senkung des Primärenergieverbrauchs bis 2050 um 50 Prozent und des Stromverbrauchs um 25 Prozent gegenüber 2008; Senkung des Endenergieverbrauchs im Verkehrssektor bis 2050 um 40 Prozent gegenüber 2005; Verdoppelung der Sanierungsrate für Gebäude von 1 Prozent 2010 auf 2 Prozent des gesamten Gebäudebestands.
Dass es nicht beim Energiekonzept 2010 blieb, hatte mit der Katastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 zu tun – auch wenn es irreführend wäre, die Energiewende auf den Ausstieg Deutschlands aus der Kernkraft bis 2022 zu reduzieren. Bis heute in Europa höchst umstritten sind die sofortige Einstellung des Betriebs von acht der 17 Kernkraftwerke sowie die schrittweise Abschaltung von neun verbleibenden Anlagen bis 2022. Dieser überraschende Kurswechsel mit einer Sofortabschaltung eines Drittels der Kernenergiekapazität hatte Auswirkungen auf die Stabilität der deutschen Netze, aber auch auf die der europäischen Nachbarstaaten. So wird häufiger die Netzstabilität in Polen und Tschechien gefährdet, wenn Windstrom mangels eigener Leitungen über die Gebiete dieser Nachbarstaaten von Nord- nach Süddeutschland transportiert werden muss.
Im Zuge der Änderungen des deutschen Atomgesetzes beschloss der Gesetzgeber im Sommer 2011 ein umfassendes Energiepaket mit etlichen Gesetzen und einer Verordnung: das 13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes; das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien und EEG-Erfahrungsbericht 2011; das Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften (im Kern die deutsche Umsetzung des 3. Europäischen-Energiebinnenmarktpakets); das Netzausbaubeschleunigungsgesetz; das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“; das Gesetz zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden; und schließlich die 4. Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Darüber hinaus verabschiedete das Kabinett ein Eckpunktepapier zur Energieeffizienz sowie den Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden, der auf den Widerstand der Bundesländer traf.
Allein dieser knappe Überblick zeigt, wie viele Handlungsfelder und zum Teil miteinander im Widerstreit stehende Einzelinteressen im Rahmen der deutschen Energiewende berücksichtigt werden müssen, um eine Akzeptanz bei Wirtschaft und Verbrauchern zu erreichen. Die Wirtschaft braucht verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen, die Verbraucher erwarten bezahlbare Energiepreise.
Die Energiewende wird ihre Ziele nur dann erreichen, wenn das Projekt besser koordiniert wird. Viele Beobachter beklagen, dass trotz der Änderung des Ordnungsrahmens im Jahre 2011 eine klare Projektorganisation der Energiewende fehle. Natürlich braucht der Umbau der Energieversorgung Zeit. Es ist unrealistisch, Investitionen in neue Kraftwerke, den Aufbau der notwendigen Netze, den Aufbau von Speichertechnologien sowie die energetische Gebäudesanierung von heute auf morgen zu erwarten.
So erklärt die Bundesregierung in ihren Dokumenten zur Energiewende selbst, dass sich einzelbetriebliche Investitionsentscheidungen in einer Marktwirtschaft nicht politisch bestimmen lassen. Aber die mit dem Energiepaket beschlossenen gravierenden Änderungen des Ordnungsrahmens haben zum Teil schon getroffene Investitionsentscheidungen obsolet gemacht, und sie bieten den Unternehmen bislang zu wenige Anreize, um in die Energiewende zu investieren. Unternehmen und Verbraucher werden mitmachen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Dazu aber erfordert die Umsetzung der Energiewende mehr als das vorgesehene Monitoring. Ein dauerhaftes Projekt dieser Größe bedarf einer dauerhaften ressortübergreifenden Koordinierung. Das gilt auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Es ist wenig hilfreich, wenn sich einzelne Bundesländer oder gar einzelne Kommunen eigene Energie- oder Klimakonzepte geben, die nicht mit denen der Bundesebene kompatibel sind. In einer Zeit, in der Europa auf allen anderen relevanten Gebieten zusammenrückt, müssen Autarkiebestrebungen in der Energiepolitik der Vergangenheit angehören.
Die Wende als Chance für Europa
Deutschlands Energiewende kann ein nützlicher Beitrag für die europäische Energiepolitik sein, wenn sie Zukunftsthemen wie Erneuerbare Energien und Energieeffizienz voranbringt. Der Ordnungsrahmen muss aber Innovationen Raum geben, und diese entstehen nur im Wettbewerb. Das wird gelingen, wenn Deutschland sich von dem Ansatz löst, die Energiewende staatswirtschaftlich organisieren zu wollen, wie etwa über Subventionen für die Solartechnik oder über das nationale EEG-Fördersystem mit seinen ständigen Anpassungen.
Ein marktorientierter Ordnungsrahmen braucht konkrete, messbare Ziele, auch für den Erhalt wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze, die soziale Tragbarkeit der Kosten und die Versorgungssicherheit. Ein Exportschlager wird die deutsche Energiewende nur dann, wenn sie europäisch gedacht und umgesetzt wird. Ohne Europa ist die deutsche Energiewende gar nicht möglich. Auch der Ausbau Erneuerbarer Energien bedarf europäischer Regeln. Deutschland kann viel dazu beitragen, aber nur in Kooperation mit seinen europäischen Partnern. Hierzu muss nationales Denken in allen Mitgliedstaaten überwunden werden.
Ein Problem dabei ist, dass der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon zwar eine Norm für Energie enthält, diese aber keine schrankenlose originäre Energiepolitik der Union begründet. Es bleibt das Spannungsfeld zwischen gemeinsamen Regeln für die Union und Subsidiarität. Aber die Norm ist offen genug, um eine gemeinsame europäische Energiepolitik zu gestalten. Sie nennt die wichtigsten Ziele der Verwirklichung des Binnenmarkts, die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit, aber auch die Förderung von Energieeffizienz und Energieeinsparungen sowie die Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen. Auch die zukünftigen Herausforderungen in der Welt wird die Union nur mit einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik meistern können.
Die Weltenergiemärkte sind derart dynamisch, dass Europa seine Energieinteressen auch gegenüber Drittstaaten klarer definieren muss. So hat China einen enormen Bedarf an Energie und verfolgt seine Interessen zur Erlangung der entsprechenden Ressourcen sehr aktiv, bis hin nach Afrika und Südamerika. Weitere Treiber geostrategischer Entwicklungen etwa für die USA sind im Energiesektor das „Unconventional Gas“ und das Liquid Natural Gas („LNG“). Die „Unconventional Gas“-Entwicklung hat die Energieversorgung der USA langfristig zu geringen Kosten gesichert und einen beschäftigungspolitischen Effekt ausgelöst, der den jüngsten wirtschaftlichen Aufschwung der USA maßgeblich beflügelt.
Es ist daher nicht überraschend, dass sich Industrie und Politik intensiv darum bemühen, dieser Art der Energiegewinnung in der internationalen Arena zum Erfolg zu verhelfen. Wenn die USA bis zum Jahr 2020 – und das ist realistisch – zum Exporteur von LNG aufsteigen, hätte dies im Zweifel spürbare Auswirkungen auf ihren Importbedarf an Öl und LNG aus dem Mittleren Osten, womit sich die eine oder andere außenpolitische Frage neu stellen könnte. Eines ist jedenfalls gewiss: Die mittlerweile großen Preisunterschiede bei Gas zwischen den USA, Europa und Asien haben schon heute Konsequenzen für den europäischen Gasmarkt.
In der EU sind sich Industrie und Politik daher einig, dass Europa in der Energiepolitik mit „einer Stimme“ sprechen muss. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem Gipfel im Februar 2011 beschlossen, eine Strategie zu einer europaweiten Energieaußenpolitik zu erarbeiten. Die Europäische Kommission hat das in einer Mitteilung im September 2011 bekräftigt. Das Thema muss aber noch stärker in den Fokus praktischen Handelns rücken.
Europa muss vermeiden, seinen Energiemarkt intern überzuregulieren, während sich andere Staaten in der Welt Energiequellen und Ressourcen in dynamischen Märkten sichern. Vor dem Hintergrund dieser globalen Wirtschafts- und Rohstofftrends ist ein gesamteuropäischer Ansatz in der Energieaußenpolitik unverzichtbar. Die europäischen Kompetenzen in Sachen Energiesysteme, Technologie und Erneuerbare Energien haben hohen Wert für Drittstaaten. Mit diesen Staaten lassen sich im Gegenzug Lieferbeziehungen auf- und ausbauen. Die Politik sollte angemessene Rahmenbedingungen setzen, die Industrie kann ihrerseits ihre Lieferbeziehungen mit Energieproduzenten und Investitionsentscheidungen eigenverantwortlich umsetzen.
Der weltweite Wettbewerb um Energieressourcen darf nicht durch unflexible Vorgaben eingeschränkt werden. Kapitalintensive Projekte wie die Erschließung von Erdgasfeldern, der Bau von Pipelines oder auch der Bau von Offshore-Windparks erfordern einen Ordnungsrahmen, der Anreize für wirtschaftlich vernünftiges Verhalten schafft oder bewahrt. Marktwirtschaftlichen Instrumenten ist der Vorzug vor staatlicher Lenkung zu geben. Eine maßvolle Ordnungspolitik bleibt für die Zukunftsfähigkeit der europäischen Energieversorgung unverzichtbar.
Dr. Joachim Lang leitet die Berliner Repräsentanz der EON AG.
Peter Hohaus verantwortet dort die Gasthemen und Internationale Angelegenheiten.
Die Autoren geben ihre persönliche Meinung wieder.
Internationale Politik 6, November/ Dezember 2012, S. 36-43