Unterm Radar

26. Juni 2023

Digitaler Kolonialismus

Zur Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften kommt heute insbesondere in den Ländern des Globalen Südens auch die missbräuchliche Nutzung von Datenmaterial hinzu. Am Beispiel Afrikas wird dies besonders deutlich.

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Bild: Drei junge Afrikanerinnen mit Smartphones
Datenextraktion, Monopolisierung und Monetarisierung sind laut Nima Elmi (heute CEO von Africa House) die Grundpfeiler von neuerlicher Ausnutzung des Globalen Südens: Frauen mit Handy in einem Dorf im kenianischen Masai-Mara-Schutzgebiet.
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Die fünf größten Tech-­Unternehmen – Meta, Alphabet, Microsoft, Amazon und Apple – beschreiben in schönen Worten hehre ­Ziele: „Brücken bauen zu digitaler Gleichberechtigung“, „Inklusion als Innova­tion“ oder „KI zur Verwirklichung der UN-Nachhaltigkeitsziele“. Doch diese progressiv klingende Rhetorik steht in krassem Widerspruch zur Arbeitsweise der Big-Tech-Firmen, die koloniale Machtdynamiken im digitalen Raum widerspiegelt.



Digitaler Kolonialismus beschreibt die Dominanz und Kontrolle, die multinationale Unternehmen aus dem Globalen Norden über das digitale Öko­system und die Wirtschaft von Ländern des Globalen Südens ausüben. Besonders stark sind davon die Länder auf dem afrikanischen Kontinent betroffen. Wie vormals die Kolonialstaaten sich die Ressourcen der kolonialisierten Gebiete aneigneten, beuten heute Technologieunternehmen die Daten, Märkte, Rohstoffe und Arbeitskraft bestimmter Länder aus. Sie bauen Monopolstellungen auf und kontrollieren Datenströme, Online-Plattformen und digitale Infrastruktur. Diese Unternehmen vermarkten dies oft als inklusive Entwicklungsprojekte in Richtung digitaler Gleichberechtigung – dabei schlagen vor allem sie selbst Profit aus den Ressourcen der Länder des Globalen Südens.



Billiges Kobalt, teure iPhones

Technologieunternehmen aus dem Globalen Norden kontrollieren den Markt für Rohstoffe, die für die Produktion elektronischer Geräte wie Smartphones oder Laptops benötigt werden, und fahren so hohe wirtschaftliche Gewinne ein.



Ein konkretes Beispiel: Kobalt ist ein essenzieller Rohstoff für wiederaufladbare Lithium-­Ionen-Batterien in elektronischen Ge­räten. Die Demokratische Republik Kongo verfügt über mehr als die Hälfte des weltweiten Kobaltvorkommens und ist größter Lieferant dieses Rohstoffs. 2021 wurde das Volumen des weltweiten Kobaltmarkts auf 8,6 Milliarden Dollar geschätzt. Einen weltweiten Umsatz von rund 51,3 Milliarden Dollar erreichte Apple allein im zweiten Geschäftsquartal jenes Jahres mit dem iPhone, das Lithi­um-Ionen-Batterien enthält.



Von diesem Geld kommt jedoch nur wenig in der Demokratischen Republik Kongo an. Laut Weltbank gehört sie zu den fünf am stärksten von Armut betroffenen Ländern der Welt: 2022 lebten 62 Prozent der Bevölkerung, das heißt 60 Millionen Menschen, unterhalb der Armutsgrenze von 2,15 Dollar pro Tag.



Auslagerung prekärer Arbeit

Die Big-Tech-Unternehmen bedienen sich der Rohstoffe des Globalen Südens nicht nur bei der Produktion ihrer Hardware, sondern sie nutzen die dort zur Verfügung stehenden billigen Arbeitskräfte auch für ihre Software-Produktion. Denn Firmen wie Scale AI oder Amazons Mechanical Turk (amerikanische Unternehmen, die unter anderem für Google, Microsoft oder Facebook arbeiten) lagern gering bezahlte Arbeit immer häufiger in Länder des Globalen Südens aus.



Der Arbeitsmarkt in diesen Weltregionen kennzeichnet sich oftmals durch niedrige Löhne, prekäre Arbeitsbedingungen und geringe Arbeitsplatzsicherheit. Das US-Nachrichtenmagazin Time berichtete Anfang dieses Jahres, dass OpenAI (das Unternehmen hinter ChatGPT) kenianischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern weniger als zwei Dollar pro Stunde bezahlte, um Textzeilen zu beurteilen und so den Chatbot sicherer zu machen. Die Angestellten hatten die Aufgabe, toxische Daten aus dem Trainingsdatensatz von ChatGPT herauszufiltern, und mussten dafür fortlaufend Inhalte über Kindesmissbrauch, Mord, Selbstmord oder Folter lesen. Den Beschäftigten wird dabei oft nicht gesagt, was der Zweck ihrer Arbeit ist. Von ihrer Arbeit, von dem Produkt selbst sowie von dem abgeschöpften Gewinn profitiert vor allem der Globale Norden.



Mark Graham, Professor für Internet Geography am Oxford Internet Institute, und Mohammad Amir Anwar, Dozent an der University of Edinburgh, befragten in einer Studie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in fünf afrikanischen Ländern, die Trainingsbilder für Künstliche Intelligenz digital kennzeichneten. Die Autoren zogen dabei diese Schlussfolgerung: „Wenn wir anerkennen, dass viele moderne digitale Technologien auf menschliche Arbeit angewiesen sind, [...] können wir beginnen, die neue globale Arbeitsteilung für digitale Arbeit zu verstehen und eine größere gesellschaftspolitische Reaktion (sowohl auf globaler als auch auf lokaler Ebene) zu entwickeln, um einige dieser Wertschöpfungsketten transparenter und ethischer [...] zu machen.“



Ungleichheiten werden ­zementiert

„Datenextraktion, Monopolisierung und Monetarisierung sind die Grundpfeiler des Datenkolonialismus“, schrieb Nima Elmi, damals Leiterin der Abteilung für Regierungsangelegenheiten beim Weltwirtschaftsforum, im November 2020 in der Zeitschrift Foreign Policy. Big Tech eignet sich nicht nur Rohstoffe und Arbeitskraft, sondern auch Daten an. Zwar geschieht dies sowohl in Ländern des Globalen Südens wie auch im Globalen Norden. Aber es gibt große Unterschiede im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit darüber, wie und auf welche Weise Daten genutzt werden, beim Mitspracherecht von Nutzerinnen und Nutzern, bei der Rechenschaftspflicht von Unternehmen und vorhandenen Kontrollmechanismen.



Einen Großteil des Profits der Unternehmen generiert die Nutzung von Daten zu Werbezwecken: So erwirtschaftete Alphabet im Jahr 2020 über 80 Prozent seines Umsatzes von fast 183 Milliarden Dollar aus dem Anzeigengeschäft von Google, und sogar ganze 98 Prozent der Einnahmen von Facebook resultierten 2020 aus Werbeeinnahmen.



Auf dem afrikanischen Kontinent können Unternehmen wegen oft mangelnder Schutz­regulierungen Daten zu besonders profitablen Bedingungen abgreifen. Denn hier verfügen nur 61 Prozent der Länder über Datenschutzgesetze. Zum Vergleich: Weltweit liegt dieser Prozentsatz bei 70.

Die im Globalen Norden ansässigen Unternehmen akkumulieren durch Datenextrak­tion und -analyse kontinuierlich mehr Macht, was die Tech-Abhängigkeit von Staaten vergrößert. Der Datenkolonialismus stellt insbesondere afrikanische Länder vor erhebliche Schwierigkeiten, nachhaltige digitale Strukturen zu entwickeln und zu stärken – und zwar auf der Grundlage ihrer eigenen Datensätze.



Häufig wurden Regierungsverträge mit Unternehmen aus dem Globalen Norden abgeschlossen, bevor lokale Lösungen entwickelt werden konnten. So besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Datensätze bereits von Big-Tech-Unternehmen genutzt wurden, um Innovationen zu entwickeln und sie anschließend wieder zu verkaufen.



Wer über die besten und neuesten Daten verfügt, hat auch die beste Ausgangsbasis, um bestehende Produkte weiterzuentwickeln oder neue zu schaffen. Der digitale Kolonialismus vertieft also bestehende Ungleichheiten und setzt koloniale Machtstrukturen fort.



Steuerschlupflöcher schließen

Zusätzlich zur Ausbeutung von Daten, Arbeitskräften und Rohstoffen profitieren Tech-Unternehmen aus dem Globalen Norden auch noch von Lücken im Besteuerungssystem. Die Ergebnisse einer Studie von ­ActionAid erscheinen vor diesem Hintergrund ganz besonders bitter: Denn Facebook, Google und Microsoft nutzen Steuerschlupf­löcher in den am stärksten von Armut betroffenen Ländern aus und sparen so jedes Jahr bis zu 2,8 Milliarden Dollar.

Um digitalem Kolonialismus entgegenzuwirken, müssen Big-Tech-Firmen basierend auf dem Wert besteuert werden, den die Arbeitskräfte in jedem Land erwirtschaften. Transnationale Unternehmen müssen transnational reguliert werden – und zwar so, dass die Interessen von Einzelpersonen und von ­Nationen gewahrt werden.



Datenschutz verbessern

Länder im Globalen Süden müssen verschärfte Datenschutzverordnungen entwickeln und durchsetzen, wie es unter anderem Ruanda und Kenia bereits tun. Auch globale Akteure wie multilaterale Organisationen müssen zur Gestaltung eines inklusiven digitalen Raumes beitragen, zum Beispiel durch die globale Harmonisierung von Datenschutzvorschriften.



Unabhängig von ihrem geografischen Standort müssen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger eine gemeinsame Vision für einen digitalen Raum entwickeln, der auf folgenden Grundsätzen aufgebaut werden soll: Datensouveränität, Transparenz, Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht. Und auf der Basis dieser Vision soll kooperiert werden. Denn nur so können wir sicherstellen, dass die Vorteile des digitalen Zeit­alters allen Menschen zugutekommen – weltweit.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2023, S. 12-14

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Antonia Baskakov arbeitet zu feministischer Entwicklungspolitik und zur Umsetzung der SDGs bei ONE, einer internationalen NGO zur Bekämpfung extremer Armut.

 

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