In 80 Phrasen um die Welt

27. Febr. 2023

„Dies ist ein Stellvertreterkrieg“

In 80 Phrasen um die Welt: Warum in der Ukraine um universelle Werte gekämpft, aber kein proxy war geführt wird.

Bild
Bild: Illustration eines Spruckbandes das die Erde umkreist
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Je länger der Konflikt in der Ukraine andauert, um so häufiger ist die Rede davon, es handele sich um einen Stellvertreterkrieg (englisch proxy war). Beide Seiten der Debatte benutzen das Wort aus Zeiten des Kalten Krieges – mit unterschiedlichen Absichten. Die einen wollen die Unterstützung der Ukraine antreiben, die anderen wollen sie delegitimieren. Beide liegen mit dieser Wortwahl falsch. Der neue Botschafter der Ukraine in Berlin, Oleksii Makeiev, erklärte der dpa zu Beginn des Jahres: „Es gibt dafür einen Begriff im Deutschen: Stellvertreterkrieg. Keiner kämpft sonst gegen Russland. Aber die Ukrainer machen es. Russland führt einen Krieg nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen Europa und die ganze zivilisierte, demokratische Welt. Und in diesem Krieg stehen die Ukrainer an der Front.“



Man erkennt den Sinn: Botschafter Makeiev wirbt dafür, die Ukrainer als Kämpfer für die Werte und Interessen des Westens zu sehen. Sie verteidigen nicht nur sich, sondern Europa, die Zivilisation, die Demokratie. Diese Deutung soll helfen, die aus Kiewer Sicht viel zu zaghaften Waffenlieferungen zu beschleunigen.

Das Problem: Der Botschafter bedient sich hier einer Rahmung, die auch die Gegner westlicher Unterstützung benutzen. Sie verschiebt die Kriegsschuld (mindestens teilweise) auf wdie Ukraine und die Kräfte, in deren vermeintlichem Auftrag die Regierung in Kiew handelt. Darum ist die Phrase bei Kritikern der Waffenlieferungen so beliebt, etwa beim ­Politologen Johannes Varwick oder der Publizistin Alice Schwarzer. Sie suggerieren, der Krieg sei entweder von Anfang an ein proxy war der USA gewesen – oder werde es zwangsläufig, wenn diese oder jene Waffengattung oder andere Unterstützungsleistungen (Training, Geheimdienstinformationen) hinzukämen. Dann würden „wir endgültig Kriegspartei“.

Die fahrlässige Äußerung Annalena Baerbocks schien diese Sicht zu bestätigen: „We are fighting a war against Russia“ hatte die Außenministerin gesagt. Das wurde bereitwillig von den Warnern – und von der russischen Propaganda – aufgegriffen.

Im Kreml wurde der Reiz des Stellvertretermotivs in dem Moment entdeckt, da der ursprüngliche Kriegsplan an Inkompetenz und Korruption zu scheitern begann. So ließ sich erklären, dass die große russische Nation einem Gegner zu unterliegen droht, dem man jegliche Legitimität, nationale Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit abspricht. Wenn der Kreml vom Stellvertreterkrieg spricht, dann ist das auch ein Akt der Schuldabwehr für die wohl folgenreichste Fehl­entscheidung der jüngeren russischen Geschichte.

Die Ukraine – ein Instrument größerer, finsterer Mächte wie der NATO oder „des Westens“? Schon eine schlichte Tatsache spricht dagegen: Warum bloß muss Kiew dann immer wieder um jede Patrone betteln?

Die Unterstützung der Ukraine ist daran geknüpft, dass der Westen nicht Kriegspartei ist (und wird), sondern Hilfe zur Selbstverteidigung der Ukraine gegen den Aggressor Russland leistet. Darum erfolgt sie vorsichtig, abwägend, schrittweise. Es tut nichts zur Sache, dass die Ukraine auch für universelle Werte kämpft: Dies ist kein Stellvertreterkrieg. Russland selbst hat die Ukraine angegriffen, diesmal nicht mit grünen Männchen, sondern mit regulären Truppen.

Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2023, S. 15

Teilen

Themen und Regionen

Jörg Lau ist außenpolitischer Korrespondent für die ZEIT in Berlin und Kolumnist der „80 Phrasen“.

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.