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01. Nov. 2006

Die Zukunft des B-Waffen-Verbots

Die EU muss die Vorreiterrolle bei der Stärkung des Biowaffen-Verbots spielen

Obwohl vor allem die Biotechnologie in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht hat und die Herstellung ganz neuer Biowaffen droht, steht die Stärkung des B-Waffen-Verbots nicht vorn auf der Agenda der USA und anderer Vertragsstaaten. Daher muss die Europäische Union die Rolle des Vorreiters übernehmen.

Vom 20. November bis 8. Dezember 2006 treffen sich die Vertragsstaaten des Biologiewaffen-Übereinkommens (BWÜ) in Genf zu ihrer sechsten Überprüfungskonferenz. Sie werden sich darum bemühen, den sehr langsamen Prozess der Stärkung dieses Vertrags wenigstens ein bisschen voranzubringen. Der Europäischen Union und damit auch Deutschland wird dabei eine zentrale Rolle zukommen. Denn einerseits werden die USA keine Führungsrolle einnehmen, andererseits stehen auch die meisten Blockfreien der gesamten, in ihrer Sicht westlich dominierten Debatte über die Nichtverbreitung von ABC-Waffen sehr skeptisch gegenüber.

Anders als der Atomwaffensperrvertrag und das Chemiewaffen-Übereinkommen enthält das BWÜ keine detaillierten Überprüfungsmechanismen. Verhandlungen über ein Zusatzprotokoll, das obligatorische Meldungen und Vor-Ort-Besuche zur Verbesserung der gegenseitigen Transparenz enthalten sollte, sind 2001 vorerst gescheitert. Dies ist umso bedauerlicher, als sich gerade im Zuge der rasanten Entwicklungen in den Biowissenschaften im Allgemeinen und der Biotechnologie im Besonderen künftig neben vielen für den Menschen sehr nützlichen neuen Möglichkeiten auch nichtfriedliche Anwendungsmöglichkeiten dieser Forschungszweige ergeben. Daher könnten mehr Staaten Interesse an Biologischen Waffen zeigen. Auch der Bioterrorismus könnte an Bedeutung zunehmen.

Im Gegensatz zu Kernwaffen sind Biologische Waffen bisher nicht im großen Maßstab eingesetzt worden. Während die Atomwaffeneinsätze von Hiroshima und Nagasaki im kollektiven Gedächtnis der Menschheit fest verankert sind, fehlt entsprechendes für die B-Waffen. Verdeutlicht man sich jedoch, welche Schäden durch natürlich auftretende Epidemien verursacht werden können – die Weltgesundheitsorganisation rechnet etwa mit sechs bis sieben Millionen Toten im Falle einer Grippepandemie – dann wird klar, dass auch dem Einsatz von Krankheitserregern als Waffe eine große Anzahl von Menschen zum Opfer fallen könnte.

Derzeit ist unklar, welche Staaten Biologiewaffen-Programme unterhalten. Die USA gehen davon aus, dass Russland das von der ehemaligen Sowjetunion geerbte gigantische Biologiewaffen-Projekt – wenn auch in viel kleinerem Maßstab – fortführt. Ein Indiz dafür ist, dass Moskau westlichen Besuchern keinen Zugang zu vier ehemaligen Biowaffen-Forschungsstätten erlaubt, die zum Teil dem Verteidigungsministerium unterstehen. Auch Nordkorea soll ein Biowaffen-Programm haben. Iran könnte amerikanischer Einschätzung nach die dortige Forschung an Biowaffen in die legitimen Bemühungen zur fortgesetzten Nutzung der Biotechnologie zu zivilen Zwecken einbetten. Unsicherheiten bestehen bezüglich Kuba. In diesem Fall wird in Washington zugegeben, nicht zu wissen, ob dort an Biowaffen gearbeitet wird. Bei China gehen die USA davon aus, dass dieses Land einige Elemente eines biologischen Offensivprogramms aufrechterhält, es ist aber nicht sicher, ob Peking damit gegen das BWÜ verstößt.1 Die überwiegende Mehrzahl der internationalen Experten geht davon aus, dass Terrororganisationen nicht dazu in der Lage sind, gefährliche Erreger in größerem Umfang zu züchten und sie wirksam zu verbreiten. Für die Zukunft erscheint es aber nicht ausgeschlossen, dass nichtstaatliche Akteure diese Probleme bewältigen.2

Das Biologiewaffen-Übereinkommen

Nachdem die Bemühungen um ein BWÜ-Zusatzprotokoll 2001 zum Erliegen gekommen waren, stellte sich auf der fünften BWÜ-Überprüfungskonferenz 2001/02 die Frage, wie wenigstens ein multilateraler Gesprächsfaden aufrechterhalten werden könnte. Die Vertragsstaaten einigten sich darauf, zwischen 2003 und 2005 jährliche Staatentreffen sowie vorangehende Expertentreffen einzuberufen.

Bei diesen Gelegenheiten sollten Themen wie verbesserte nationale Gesetzgebungen zur Vermeidung unautorisierten Zugangs zu gefährlichen Krankheitserregern und Toxinen, gestärkte internationale Verfahren für die Untersuchung möglicher Einsätze biologischer Waffen und verdächtigen Krankheitsausbrüchen sowie die Förderung von Verhaltenskodexen für Biowissenschaftler besprochen werden. Die Treffen sollten lediglich Empfehlungen aussprechen. Die BWÜ-Überprüfungskonferenz 2006 sollte dann im Lichte der Ergebnisse der Staatentreffen über das weitere Vorgehen beraten.

Das Handicap dieses Arbeitsprogramms war, dass es eine rein westliche Agenda widerspiegelte. Zwar sind auch viele Staaten der Südhalbkugel an verbesserten Verfahren zum Schutz gegen den unautorisierten Gebrauch gefährlicher Krankheitserreger interessiert. Doch pochen zumindest einige von ihnen darauf, dass das BWÜ neben dem Nichtverbreitungsaspekt auch denjenigen der Zusammenarbeit der Vertragsstaaten bei der zivilen Nutzung der Biologie enthält. Gerade bei diesem Thema fühlen sich einige Länder durch von Industriestaaten ausgehende Exportkontrollen diskriminiert und in ihrer Entwicklung behindert.

Dennoch verliefen alle Experten- und Staatentreffen in einer insgesamt produktiven und konstruktiven Atmosphäre. Daher kann dieser „neue Prozess“ als Erfolg gewertet werden. Es gelang, die zunächst widerstrebenden USA ebenso in multilaterale Gespräche einzubinden wie diejenigen Blockfreien, die dem gesamten Verfahren seit 2001 sehr kritisch gegenüberstanden.

Ein weiterer positiver Faktor war die Beteiligung internationaler Organisationen, der Industrie sowie wissenschaftlicher Experten. So konnten für die Zukunft des Biologiewaffen-Verbots wesentliche Themen intensiv diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht werden. Dies dürfte dem einen oder anderen Vertragsstaat bei der eigenen Umsetzung des BWÜ geholfen haben.3

Die Überprüfungskonferenz 2006

Zwar hat eine von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte internationale Expertengruppe die Forderung nach einer baldigen Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein BWÜ-Zusatzprotokoll erhoben.4 Doch es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass es auf absehbare Zeit kein Zurück zu Verhandlungen über ein BWÜ-Zusatzprotokoll geben wird.

Nicht nur würden die USA dies strikt ablehnen, auch viele andere Vertragsstaaten wie Russland, China oder die Mehrzahl der Blockfreien sind daran nicht wirklich interessiert. Würde man den Versuch machen, ein Protokoll zunächst unter denjenigen Ländern anzustreben, die es nach wie vor für unerlässlich halten, so würde man Gefahr laufen, dass sich dieses Vorhaben auf die EU-Mitgliedstaaten sowie einige engagierte Länder wie Australien, Neuseeland oder Kanada beschränkte. Diejenigen Vertragsstaaten, die sich ohnehin zweifelsfrei an die Bestimmungen des BWÜ halten, würden sich also gegenseitig besuchen, während diejenigen, bei denen erhebliche Zweifel an ihrer Vertragstreue bestehen, außen vor blieben. Damit muss ein BWÜ-Zusatzprotokoll nicht für immer ausgeschlossen bleiben. In einer eher kurz- bis mittelfristigen Perspektive wird es jedoch zunächst darauf ankommen, sich auf die Fortsetzung des 2003 begonnenen Arbeitsprogramms zu konzentrieren.

Die politische Ausgangslage am Vorabend der sechsten BWÜ-Überprüfungskonferenz ist alles andere als ermutigend. Von der einzig verbliebenen Weltmacht USA sind kaum positive Impulse zu erwarten. In Washington wird zwar das BWÜ nach wie vor als wichtige Norm gebende Konvention anerkannt. Daraus folgt jedoch keineswegs die Einsicht in die Notwendigkeit einer entschlossenen politischen Stärkung dieses Abkommens. Einer Fortsetzung des Arbeitsprogramms würde sich die Bush-Regierung nicht von vornherein verschließen. Doch dürfte Washington die Behandlung von Themen, die eigenen Interessen widersprechen, konsequent ablehnen. Dazu zählt insbesondere eine Diskussion über Artikel X des BWÜ, der die Kooperation der Vertragspartner zur zivilen Nutzung der Biologie thematisiert. Hier wittern die USA das Interesse mancher Blockfreier, die Exportkontrollen der führenden Industrieländer möglichst zu relativieren oder sogar ganz abzuschaffen.

Viele Entwicklungs- und Schwellenländer sind schon seit einiger Zeit allgemein mit dem Fortgang der multilateralen Rüstungskontrolle unzufrieden. Sie bemängeln die Konzentration auf Themen wie der Verifikation, die im Interesse westlicher Staaten seien, während Gesichtspunkte wie die Kooperation der Vertragsstaaten zu zivilen Zwecken vernachlässigt würden. Im nuklearen Bereich wird die aus der Sicht dieser Blockfreien mangelnde atomare Abrüstung der Kernwaffenstaaten beklagt. Dies war ein wesentlicher Grund für das Scheitern der Überprüfungskonferenz des Atomwaffen-Sperrvertrags im Frühjahr 2005. Die von diesem Ereignis ausgehende negative Stimmung dürfte nicht ohne Einfluss auf die BWÜ-Überprüfungskonferenz bleiben.

Demgegenüber ist die Europäische Union an einem positiven Ausgang der BWÜ-Überprüfungskonferenz 2006 interessiert. In dem im März 2006 verabschiedeten Gemeinsamen Standpunkt der EU5 zur BWÜ-Überprüfungskonferenz heißt es, die Union wolle während der Konferenz zu einer umfassenden Prüfung der Funktionsweise des BWÜ beitragen. Zwar halte man an dem Fernziel verbesserter Verifikationsmöglichkeiten fest, doch wolle man sich anlässlich der Überprüfungskonferenz vor allem auf das Nahziel der Verabschiedung eines neuen Arbeitsprogramms für die Jahre 2007 bis 2011 konzentrieren. Daneben wolle die Union sich u.a. für die Universalisierung des BWÜ, die Stärkung nationaler Implementierungsmaßnahmen, eine erhöhte Transparenz im Zuge vertrauensbildender Maßnahmen so-wie die Erweiterung der Möglichkeiten zur Untersuchung vermuteter Einsätze Biologischer Waffen engagieren.

Bei der Verfolgung dieser Ziele kann die Union im Kreise der BWÜ-Vertragsstaaten auf die Unterstützung durch Länder wie Kanada oder Australien zählen. Sie haben sich  ebenfalls seit langer Zeit die Stärkung des BWÜ auf die Fahnen geschrieben. Ob dies jedoch ausreichend sein wird, bleibt abzuwarten. Setzt man die Fortsetzung des 2003 begonnenen Arbeitsprogramms als wichtigstes Erfolgskriterium der bevorstehenden BWÜ-Überprüfungskonferenz, so dürfte die Hauptlast für den Erfolg dieser Zusammenkunft jedenfalls eindeutig bei der EU liegen.

Das neue Arbeitsprogramm

Die größte Schwierigkeit bei der Etablierung eines neuen Arbeitsprogramms dürfte darin bestehen, die Interessen der USA einerseits und die der Blockfreien andererseits zufriedenzustellen. Während Washington ein erneutes Arbeitsprogramm nur akzeptieren dürfte, wenn dieses sich auf Themen konzentrierte, die im amerikanischen Interesse sind – dazu zählen etwa nationale Implementierungsmaßnahmen – werden die Nichtgebundenen kaum bereit sein, erneut wie schon 2002 einem Themenkatalog zuzustimmen, der eindeutig auf westliche Interessenschwerpunkte orientiert ist. Zumindest einige radikalere Vertreter dieser Staatengruppe wie Iran oder möglicherweise auch Kuba werden vielleicht versuchen, mit Hinweis auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Konvention in ihrer Gesamtheit, Diskussionen über Artikel X und die dort beschriebene internationale Kooperation der Vertragsstaaten zu zivilen Zwecken zu thematisieren. Genau dem werden sich die USA auf jeden Fall widersetzen.

Um amerikanischen Interessen entgegenzukommen, sollte das neue Arbeitsprogramm zunächst mit einer erneuten Debatte über nationale Im-plementierungsmaßnahmen beginnen. Solche Aktivitäten konzentrieren sich einmal auf die Verabschiedung und Durchsetzung gesetzlicher Maßnahmen, die es Personen unter Androhung von Strafe verbieten, mit Pathogenen oder Toxinen zu anderen Zwecken zu arbeiten als dies vom BWÜ gestattet ist. Zum anderen geht es um Sicherungsmaßnahmen in Laboratorien und anderen Einrichtungen, in denen mit friedlichen Absichten an Pathogenen und Toxinen geforscht wird. In beiden Bereichen ist somit die Zielrichtung eindeutig: Es geht darum, Terroristen den Zugang zu biologischen Agenzien zu verwehren. Während des Staatentreffens 2003, auf dem diese Themen schon einmal behandelt wurden, einigten sich die Vertragsstaaten darauf, ihre jeweiligen Gesetzesakte und andere Bestimmungen zu überprüfen und, falls notwendig, zu aktualisieren.6

Der wesentliche Schwerpunkt eines neuen Arbeitsprogramms sollte auf einer Erhöhung der Transparenz unter den Vertragsstaaten durch die verbesserte Umsetzung der auf den Überprüfungskonferenzen 1986 und 1991 beschlossenen vertrauensbildenden Maßnahmen liegen. Dabei geht es um jährliche Meldungen etwa über B-Schutzprogramme, Impfstoffproduktionsstätten und ungewöhnliche Krankheitsausbrüche. Bisher lässt die Implementierung dieser Maßnahmen stark zu wünschen übrig.7 Eine Möglichkeit, diese Situation zu verbessern, würde darin bestehen, den derzeitigen Maßnahmenkatalog zu straffen und zugleich besser zu fokussieren. Darüber könnten die BWÜ-Vertragsstaaten im Zuge eines neuen Arbeitsprogramms ausführlich debattieren und der siebten Überprüfungskonferenz 2011 Empfehlungen aussprechen. Ein wesentlicher Aspekt einer solchen Diskussion könnte erstens darin bestehen, die vertrauensbildenden Maßnahmen noch stärker als bisher mit anderen notwendigen Aktivitäten zur Stärkung des Biologiewaffen-Verbots zu verknüpfen. So könnten zusätzlich zu den bereits geforderten Meldungen über Gesetzesakte und andere Bestimmungen auch ausdrücklich Informationen über Sicherheitsregularien für Laboratorien und andere diesbezügliche Auflagen bereitgestellt werden.

Zweitens sollten sich die vertrauensbildenden Maßnahmen noch deutlicher als bislang auf die Transparenz bei B-Schutzprogrammen konzentrieren. Die schon bestehenden Regelungen über entsprechende Meldungen könnten weiter ausdifferenziert werden. Es wäre auch sinnvoll, internationale B-Schutztagungen, wie sie beispielsweise seit Jahren von der Sanitätsakademie der Bundeswehr durchgeführt werden, noch stärker als bislang zu fördern. Solche Kongresse bieten eine sehr gute Gelegenheit, um gegenseitig in offener und transparenter Weise über Programme und Fortschritte im Rahmen des B-Schutzes zu informieren. Um die Umsetzung der vertrauensbildenden Maßnahmen hingegen nicht noch schwieriger zu gestalten – was eine notwendige gestärkte Beteiligung der Vertragsstaaten lediglich behindern würde – erscheint es weiterhin notwendig, über die Beendigung derjenigen Maßnahmen zu sprechen, deren Anwendung in der Vergangenheit keinen oder keinen erheblichen Beitrag zur Steigerung der gegenseitigen Transparenz erbracht haben.

Ein drittes wichtiges Thema für ein neues Arbeitsprogramm wären die Fortschritte in den Biowissenschaften im Allgemeinen und der Biotechnologie im Besonderen. Sie führen auch zu neuen Möglichkeiten des militärischen Missbrauchs. Die sich daraus für den Bestand und die Weiterentwicklung des BWÜ ableitenden Fragen und Probleme lediglich alle fünf Jahre anlässlich der Überprüfungskonferenzen zu besprechen, ist für die Vertragsstaaten sicherlich zu wenig. Daher sollte das Arbeitsprogramm genutzt werden, um während der jährlichen Zusammenkünfte entsprechende Erkenntnisse und Erfahrungen auszutauschen. Dieser Wissensaustausch könnte den Nichtgebundenen als Maßnahme gemäß Artikel X des BWÜ offeriert werden. Denn schließlich ginge es hier auch um Wissenstransfer zum friedlichen Nutzen. Gerade diese mögliche Verknüpfung mit Artikel X des BWÜ dürfte ein wichtiger Grund sein, warum die USA die Behandlung dieses Themas im Rahmen eines neuen Arbeitsprogramms wohl nicht befürworten werden. Hier wird es erheblicher Überzeugungskunst bedürfen, um Washington die Vorteile eines wenigstens einigermaßen ausgewogenen neuen Arbeitsprogramms nahe zu bringen.

Von einigen der das BWÜ begleitenden Nichtregierungsorganisationen wird die Erwartung genährt, die bevorstehende sechste BWÜ-Überprüfungskonferenz würde über die Etablierung eines neuen Arbeitsprogramms hinausgehen und auch Fortschritte im Hinblick auf die institutionelle Weiterentwicklung des BWÜ bewerkstelligen.8 Solcherlei Hoffnungen werden sich jedoch wohl nicht erfüllen. Die USA dürften entsprechende Ansinnen rigoros ablehnen. Aus der Sicht Washingtons käme dies einem Einstieg in eine erneute Verifikationsdebatte gleich, die auf jeden Fall vermieden werden soll. Viele nichtgebundene Staaten stehen einer institutionellen Stärkung des BWÜ ebenfalls kritisch gegenüber, da sie dahinter eine westliche Agenda vermuten, die ihren Schwerpunkt auf die Verifikation legt.

Trotzdem sollte die Schaffung einer BWÜ-Vertragsorganisation als ein zumindest langfristiges Ziel verfolgt werden. Bis es so weit ist, wäre zunächst schrittweise ein Technisches Sekretariat aufzubauen. Es würde bei der Abrüstungsabteilung der Vereinten Nationen anzusiedeln sein. Damit könnte grundsätzlich sichergestellt werden, dass die Vertragsstaaten der Erfüllung ihrer Vertragserfordernisse mehr Aufmerksamkeit schenkten. Denn ein Technisches Sekretariat könnte entsprechende Unterstützungsnahmen etwa bei der Erstellung von Meldungen im Rahmen der vertrauensbildenden Maßnahmen oder der Abfassung nationaler Gesetzgebungen bereitstellen. Das Technische Sekretariat könnte zugleich jährliche Statistiken veröffentlichen, in denen dargestellt würde, welche Staaten sich an den vertrauensbildenden Maßnahmen beteiligt oder nationale Gesetzgebungsakte erlassen hätten. Dies würde den Druck auf die Vertragsstaaten erhöhen. Darüber hinaus könnte das Technische Sekretariat im Rahmen der vertrauensbildenden Maßnahmen eingereichte Meldungen übersetzen (sie können derzeit in allen sechs UN-Sprachen abgegeben werden) und auch inhaltlich auswerten.

Schließlich könnte ein Technisches Sekretariat einen Beitrag zur angestrebten Universalisierung des BWÜ leisten. Derzeit hinkt das BWÜ mit seinen 155 Vertragsstaaten sowohl weit hinter dem Chemiewaffen-Übereinkommen (derzeit 178 Vertragsstaaten) als auch dem Atomwaffen-Sperrvertrag (188 Vertragsstaaten) hinterher. Das Technische Sekretariat könnte einen Aktionsplan implementieren, in dessen Rahmen Staaten, die dem BWÜ noch nicht beigetreten sind, direkt angesprochen würden. Die Finanzierung einer solchen Initiative könnte beispielsweise über die Europäische Union erfolgen. Die Union hat im Februar 2006 einen Aktionsplan zur Universalisierung des BWÜ verabschiedet, der etwa die Durchführung entsprechender Workshops vorsieht.9

Ausblick

Von der anstehenden BWÜ-Überprüfungskonferenz sind lediglich kleine Schritte auf dem langen Weg hin zu einem wirklich gestärkten Biologiewaffen-Verbot zu erwarten. Es wäre schon ein großer Erfolg, wenn für die Zeit bis 2011 ein neues Arbeitsprogramm verabschiedet werden könnte. Angesichts der schnellen Entwicklungen in den Biowissenschaften und der Biotechnologie wird es darüber hinaus auf die einzelnen BWÜ-Mitgliedstaaten ankommen, missbräuchliche Anwendungen dieser Forschungszweige zu verhindern.

Dr. OLIVER THRÄNERT, geb. 1959, leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

SASCHA LANGE, geb. 1970, Zell- und Molekularbiologe, ist seit 2002 bei der SWP tätig.

Bakterien, selbstgebastelt

Die synthetische Biologie könnte bald neue Organismen im Reagenzglas kreieren

Ein wichtiges Beispiel für Forschungstendenzen, die zu nützlichen wie auch nicht-friedlichen Anwendungen führen können, ist die so genannte synthetische Biologie. Sie basiert auf den Ergebnissen der modernen molekularen Zellbiologie. Diese sucht nach der Struktur und Funktion von Zellbestandteilen. Die entsprechende Forschung erzeugt im Zuge der Untersuchung von Gensequenzen zunächst sehr große Mengen an Datenfragmenten. Zur angemessenen Darstellung und Analyse nutzt die Bioinformatik die elektronische Datenverarbeitung. Mit ihrer Hilfe werden Genome vieler Organismen ermittelt und in umfassenden Datenbanken gespeichert.

Dieser Weg der Gewinnung und Speicherung von Informationen kann durch die moderne Biotechnologie auch umgekehrt werden. Aus elektronisch gespeicherten Gensequenzen können mittels chemischer Synthese biologisch aktive Substanzen generiert werden. Der erste Durchbruch auf diesem Gebiet wurde von dem Virologen Eckard Wimmer im Jahre 2002 publiziert. Seinem Forscherteam gelang es, mit Hilfe von Genkarten aus dem Internet und chemisch erzeugten Gen-Fragmenten einen biologisch voll funktionsfähigen Poliovirus herzustellen.In dem Umfang, wie es leichter wird, Viren oder künftig gar Bakterien am Computer herzustellen, würde auch das Risiko der nicht-friedlichen Verwendung steigen. Besonders problematisch ist der mögliche elektronische Zugang zu Gensequenzinformationen von solchen Krankheitserregern, die als biologische Kampfstoffe genutzt werden könnten.

  • 1Vgl. Adherence to and Compliance with Arms Control, Nonproliferation and Disarmament Agreements and Commitments, Prepared by the U.S. Department of State, Washington, D.C., August 2005.
  • 2Einen geschichtlichen Überblick über bisherige terroristische Biowaffen-Aktivitäten bietet Jonathan B. Tucker (Hrsg.): Toxic Terror. Assessing the Use of Chemical and Biological Weapons, Cambridge, Mass./London 2000.
  • 3Vgl. Oliver Thränert: Die Bemühungen um die Stärkung des B-Waffen-Übereinkommens, in: Dorothee de Neve, Petra Dobner, Stefan Göhlert und Reinhard Wolf (Hrsg.): Terror, Krieg und die Folgen, Frankfurt a.M. u.a. 2002, S. 171–184.
  • 4Vgl. Report of the Secretary-General’s High-level Panel on Threats, Challenges and Change: A more secure world: Our shared responsibility, United Nations 2004, S. 41.
  • 5Vgl. Gemeinsamer Standpunkt 2006/242/GASP des Rates vom 20. März 2006, Amtsblatt der Europäischen Union vom 25. März 2006, L 88/65-L 88/67.
  • 6Der Text der Schlusserklärung ist abgedruckt in: Joachim Krause und Christiane Magiera-Krause (Hrsg.): Dokumentation zur Abrüstung und Sicherheit, Band XXX: 2003/2004, Berlin 2005, S. 216–217.
  • 7Vgl. Iris Hunger: Biowaffenkontrolle in einer multipolaren Welt, Frankfurt a. M. 2005.
  • 8So etwa Trevor Findlay und Angela Woodward: Enhancing BWC Implementation: A Modular Approach, The Weapons of Mass Destruction Commission, Stockholm, Oktober 2004.
  • 9Vgl. Valentin Schröder: Die EU und die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen – eine Bestandsaufnahme, Stiftung Wissenschaft und Politik, Diskussionspapier Nr. 3/2006 der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik, S. 8.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2006, S.100‑107

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