Titelthema

24. Febr. 2025

Die Lage ist ernst, 
nehmen Sie sie auch ernst!

Die Friedensordnung der Nachkriegszeit mitsamt ihren normativen Grundlagen wird derzeit aktiv revidiert – auch von ihrer ­historischen Schutzmacht. Deutschland gilt Trumps Amerika  als Europas Sollbruchstelle. 

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Bild: Donald Trump bei einer Rede
Angriff auf Europa: US-Präsident Donald Trump will die Ordnung des Kontinents umpflügen, und er hat sich offenbar die angeschlagene Führungsmacht Deutschland als Hebel dafür ausgesucht.
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Liebe künftige Bundesregierung,

viele Reaktionen in Berlin auf die Wiederwahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA folgten dem Muster „Kennen wir doch schon, und nach vier Jahren ist es wieder vorbei.“ Das ist eine hoch riskante Fehleinschätzung.

In kürzester Zeit ist klar geworden, was Trump 2.0 von der ersten Amtszeit unterscheidet. Er ist vorbereitet, aggressiv, strategisch. Er hat mächtige Unterstützer. Und er will nichts weniger als eine brachiale Revision der inneren Verfassung Amerikas, seiner Feind- und Freundschaften. Das hat er seinen Verbündeten, seinen Geldgebern und seinen Wählern versprochen. Das Mandat dazu folgert Trump aus seiner dreifachen Mehrheit (Wählerstimmen, Senat, Abgeordnetenhaus), aber vor allem aus zwei Attentaten, denen er knapp entronnen ist. „I was saved by God to make America great again.“ Mehr messianische Berufung geht nicht.

Die Erwartungen sind himmelhoch, noch nie ist so vielen so viel verkündet worden. Aber die Zeit ist knapp. In 22 Monaten werden der ganze Kongress und ein Drittel des Senats neu gewählt; in der Regel wählen Amerikaner dann die Opposition. Selbst wenn die Republikaner gewännen: Da beginnt auch der nächste Präsidentschaftswahlkampf, und die Verfassung erlaubt es Trump nicht, erneut anzutreten. Daher die gewaltige Druckwelle.

Der Ansturm begann schon nach der Verkündung des Wahlergebnisses: Das Repräsentantenhaus, forderte Trump, solle die Schuldenober­grenze für den Bundeshaushalt aufheben; der Senat auf sein verfassungsmäßiges Recht verzichten, über die Kabinettsnominierungen des Präsidenten abzustimmen. Seit der Amtseinführung geht es in schwindelerregendem Tempo weiter: Deportationen, Entkernung der Bundesbehörden, sofortiger Stopp von Bundesmitteln und -krediten, Kappung von Fördermaßnahmen für benach­teiligte Gruppen, ein Ende des verfassungsmäßigen Geburtsrechts auf Staatsbürgerschaft.

Die Bilanz bisher: durchwachsen. Die Shock-and-Awe-Wirkung ist unverkennbar, besonders in Washington. Aber nach Widerstand in der eigenen Republikanischen Partei, im Kongress und von den Gerichten wurde ein Kandidat still zurückgezogen, die eine oder andere Order suspendiert. Ausnahmen, aber immerhin. Die Trump-treue Meinungsseite des Wall Street Journal bezeichnete die Begnadigung sämtlicher Beteiligter am Umsturzversuch des 6. Januar 2021 als „mieses Signal“. Eine Umfrage derselben Tageszeitung ergab, dass die Wähler „MAGA-lite“ statt „Ultra-MAGA“ wollen, mit Mehrheiten zwischen 60 und 75 Prozent gegen Säuberungen des Beamtenapparats oder ­Deportationen.

Dem Durchregieren steht aber noch etwas anderes im Weg. In Trumps MAGA-Lager hat sich ein gewaltiger ideologischer Abgrund aufgetan zwischen Ultra-Libertären (allen voran Elon Musk) und Nationalkonservativen (etwa Stephen Miller). Beide halten wenig von der repräsentativen Demokratie und viel von europäischen Rechtsradikalen. Aber Erstere wollen wenig Staat, viel Zuwanderung und Peking umarmen. Letztere kämpfen für einen starken Gemeinwohlstaat, dichte Grenzen und einen harten China-Kurs. Der Krach wird bereits laut ausgetragen. Das Potenzial für Chaos, Frustration und Ablenkung ist gewaltig. Es kann von Feinden der Demokratie ausgenutzt werden. Und wehe ­denen, die zwischen die Fronten geraten.

Trumps geopolitische Überzeugungen wurzeln bekanntlich in der „Great Game“-Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts. Daher stammt seine Ablehnung internationaler Institutionen und Verträge; die Affinität zu Autokraten wie Wladimir Putin oder Xi Jinping, die wie er in Einflusssphären und Nullsummenspielen denken; und seine Aversion gegen Verbündete. Folgerichtig also der sofortige Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Klimaabkommen, das Einfrieren aller Entwicklungshilfe. 

Mit scharfem Gespür für die Verheerungen, welche die Kriege der vergangenen 20 Jahre in der amerikanischen Psyche angerichtet haben, will der „Peacemaker“-Präsident den Krieg in der Ukraine baldmöglichst beenden und dafür Putin mit „Steuern, Strafzöllen und Sanktionen“ an den Verhandlungstisch treiben. China indes wird von Trump mit Samthandschuhen angefasst: keine ­Erwähnung von Taiwan; stattdessen Kapitulation gegenüber Tiktok.

Und Europa? Trump hat zwar den Abzug von 20 000 US-Truppen aus Polen angekündigt und europäische Verteidigungsausgaben von 5 Prozent verlangt – doch er bricht vorerst weder die Ukraine-Hilfe ab noch tritt er aus der NATO aus. (Warum auch? Er verlöre damit zwei Druckmittel auf Russland und Europa.)

Ein schwacher Trost. Denn die neoimperialen Ambitionen dieses Präsidenten, mit denen Nachbarn und Verbündete nun in der amerikanischen Hemisphäre brutal konfrontiert werden, erzielen eine zerstörerische Wirkung, die weit über ihre anvisierten Opfer hinausgeht. Mexiko und Kolumbien werden drangsaliert, Migranten zurückzunehmen; Panama, Kanada und die autonome dänische Insel Grönland sollen sich den USA anschließen oder sich auf Repressalien gefasst machen. 


Trumps Welt als Wille und Vorstellung

Ausgerechnet von der Supermacht wird die Axt an das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen gelegt und so die Empörung des Westens über die russische Invasion der Ukraine delegitimiert. In letzter Konsequenz – Kanada und Dänemark sind NATO-Mitglieder – wird die transatlantische Sicherheitspartnerschaft endgültig zur Schutz­gelderpressung.

Darin offenbart sich ein gefährliches Muster: Dezisionismus, Dominanzgehabe, Drohungen. In der Fantasie des Auserwählten reichen Wille und Vorstellung, um die Welt neu zu erschaffen. ­Allerdings hat Trump eine entschiedene Abneigung gegen das militärische Instrument; sein Vizepräsident und sein Verteidigungsminister sind beide zornige Veteranen der „endless wars“ im Irak und in Afghanistan. Aber er hat, so glaubt er jedenfalls, eine viel bessere Superwaffe: den wirtschaftlichen Zwang.

Dass der 47. US-Präsident ein überzeugter Globalisierungsgegner und Hasser von Handelsüberschüssen ist, war bekannt. Neu ist, dass Trump nun wirtschaftliche Zwangsmittel großflächig einsetzen will: nicht nur gegenüber Rivalen, sondern auch gegenüber Verbündeten wie uns Europäern. Er scheint überzeugt, dass er mit Steuern oder Strafzöllen – oder sogar mit deren bloßer Androhung – nicht nur bilaterale Handelsbeziehungen brachial umgestalten, sondern auch politische ­Ergebnisse erzwingen kann. Der Präsident hat eine Welle von Sanktionen gegen Kanada, Mexiko und China angekündigt; weitere werden folgen. Der deutsche Handelsüberschuss war schon vor acht Jahren im Fadenkreuz, er wird es wieder sein.

Und anders als in seiner ersten Amtszeit sind die großen Technologieunternehmen mit fliegenden Fahnen zu ihm übergelaufen. Noch nie hat ein Präsident in der jüngeren Geschichte eine so ungeheure Konzentration von digitaler Macht in Form von Medienplattformen, Kommunikationsinfrastruktur und digitalen Währungen hinter sich gewusst; noch nie haben die Broligarchen so viel politische Macht gehabt.

Möglich, dass Trump die Durchschlagskraft amerikanischer Macht in einer vernetzten Welt völlig überschätzt. Kann sein, dass er die Widerstandskraft kleiner Länder und die Solidarität der Demokratien unterschätzt. Aber Europa ist uneinig und schwach; Deutschland ist im zweiten Rezessionsjahr, seine politische Statur als europäische Führungsmacht schwer angeschlagen.

Das alles ist schon eine epochale Herausforderung – nicht nur für Sie als Bundesregierung, sondern für das ganze Land, für ganz Europa. Es kommt aber noch eine zutiefst schockierende Neuerung hinzu: gezielte Attacken auf unsere eigene Demokratie von der Macht, die vor 80 Jahren geholfen hat, sie aus Ruinen zu erschaffen. Musks wiederholte Wahlkampfhilfe für die AfD, die Einladung von AfD-Anführern zur Amtseinführung: Das sind Signale, die ich Ihnen nicht deuten muss.

Kurz: Wir befinden uns in einem Moment, in dem die globale Friedensordnung der Nachkriegszeit mitsamt ihren normativen Grundlagen aktiv revidiert wird – und das nicht nur von den Rivalen oder Feinden des Westens, sondern auch von ihrer historischen Schutzmacht. Deutschland, das sich 80 Jahre lang auf Amerika verlassen hat, gilt ihm nun als Europas Sollbruchstelle. Dort muss der Hebel angesetzt werden, wenn die Ordnung des Kontinents umgepflügt werden soll. Um eine Ihrer Vorgängerinnen zu zitieren: „Die Lage ist ernst, nehmen Sie sie auch ernst.“

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2025, S. 61-63

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Dr. Constanze Stelzenmüller ist Direktorin des Center on the ­United States and Europe und Fritz Stern Chair an der Brookings Institution, Washington D.C.