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01. Nov. 2008

Die grenzenlose Sojadiktatur

Wie der US-Konzern Monsanto die Nahrungsmittelproduktion kontrolliert

Wer die Saat und Ernte bestimmt, kontrolliert das Nahrungsangebot und schließlich den Menschen. Längst entscheiden nicht mehr die einheimischen Bauern selbst, was gepflanzt wird, sondern multinationale Agrarunternehmen, die ganz Südamerika mit genpatentierten Monokulturen überschwemmen. Mit fatalen Folgen für die lokale Ernährungssicherheit.

Anfang 2004 lancierte der Schweizer Agrarkonzern Syngenta den Werbeslogan „Vereinigte Sojarepublik“. In ganz Südamerika verbreitete der Konkurrent von Monsanto eine Karte, die Bolivien, Paraguay, Brasilien und Argentinien zu einem grünen Umriss in Form einer Sojabohne zusammenfasst. „Soja kennt keine Grenzen“ stand auf dem Papier, in dem die Vorteile eines technischen Kundendienstes geschildert werden, mit dem der Konzern den RR-Sojaerzeugern Dünger und Pflanzenschutzprodukte anbietet.1

„Man kann wirklich von einer ‚Sojafizierung‘ Südamerikas sprechen“, erklärt mir Tomás Palau, ein Soziologe der Universität Asunción mit dem Spezialgebiet Landwirtschaftsprobleme, „denn inzwischen nehmen die gentechnisch veränderten Organismen (GVO) von Monsanto in den vier Ländern 40 Millionen Hektar ein. Aber diese schwindelerregende Ausdehnung, die auf Kosten der Kleinbauern dieses Gebiets geht, ist nicht nur eine landwirtschaftliche Angelegenheit, sondern auch ein Projekt der politischen Hegemonie. In diesem Sinne ist Syngentas Werbeslogan völlig zutreffend, er ist sogar ein Geständnis. Monsanto kontrolliert inzwischen die Ernährungs- und Wirtschaftspolitik von Brasilien, Paraguay, Argentinien und bald auch Uruguay; die Macht des Konzerns übersteigt bei Weitem die der nationalen Regierung. Es ist der Konzern, der entscheidet, welches Saatgut und welche chemischen Mittel in diesen Ländern eingesetzt werden, welche Nutzpflanzen verschwinden und letztlich auch, wovon die Menschen sich ernähren und zu welchem Preis. Die Widerspenstigen werden vor Gericht gezerrt, denn die Patente dienen als endgültige Absicherung dieses totalitären Projekts. All das geschieht durch Vermittlung der Erzeugerorganisationen wie (der argentinischen) AAPRESID oder CAPECO in Peru, die enge Beziehungen mit der American Soybean Association in St. Louis unterhalten.“

„Weiß man, wie viele paraguayanische Kleinbauern wegen der Sojamonokultur aufgegeben haben?“, frage ich Tomás Palau. „Nach der letzten Zählung verzeichnen die nationalen Statistiken 100 000 Menschen, die jährlich vom Land in die Stadt ziehen, bei einer Gesamtbevölkerung von sechs Millionen“, erwidert der Soziologe. „Das bedeutet zwischen 16 000 und 18 000 Familien. Man schätzt, dass etwa 70 Prozent der Migranten wegen des verstärkten Sojaanbaus wegziehen. Das ist enorm viel, wenn man bedenkt, dass die Familien sich im Allgemeinen in den Slums niederlassen, wo sie in extremer Armut leben. Aber abgesehen von den sozialen Problemen, die von den GVOs verursacht werden, ist die wichtigste Auswirkung der Verlust der Ernährungssicherheit. Wenn sie ihr Land verlassen, hören die Kleinbauern auf, für ihren eigenen Bedarf zu produzieren, aber auch für den anderer Menschen. Seit 1995 ist die Ernährungsbilanz Paraguays vom Positiven ins Negative gerutscht, d.h. wir importieren inzwischen mehr Nahrungsmittel als wir exportieren. Deshalb sage ich, dass Monsanto und seine Verbündeten – das sind letztlich seine Konkurrenten wie Syngenta und Novartis – eine imperialistische und geradezu diktatorische Strategie verfolgen, die darauf abzielt, die Völker durch Kontrolle der Nahrungsversorgung politisch zu unterwerfen. Man denke nur an das berühmte Santa-Fe-Dokument von 1980, das die Grundlagen der Reagan-Doktrin formulierte und in dem die nationalen Sicherheitsberater die Nahrungsversorgung als politische Waffe darstellten, die man kontrollieren müsse, um feindliche Regierungen auszulöschen. Genau damit ist Monsanto heute beschäftigt.“

Auf dem Rückweg denke ich wieder an das Gespräch, das ich zwei Jahre zuvor mit Walter Pengue, dem argentinischen Agronomen, geführt habe, einem der weltbesten Spezialisten für die Auswirkungen des transgenen Sojaanbaus. „Das transgene Anbaumodell ist die neueste Erscheinungsform der industrialisierten Landwirtschaft“, hatte er mir erklärt. „Es ist die letzte Ausprägung eines Intensivproduktionskonzepts, das auf ein ‚Technologiepaket‘ gegründet ist, das nicht nur Saatgut und Herbizide umfasst, sondern auch eine ganze Palette von Zusatzleistungen wie Dünger und Insektiziden, ohne die man keine Erträge erzielt und die von den Konzernen des Nordens in den Ländern des Südens verkauft werden. Daher kann man hier von einer zweiten landwirtschaftlichen Revolution sprechen: Die erste fand in den Nachkriegsjahren statt und wurde von nationalen landwirtschaftlichen Organisationen durchgeführt. Sie sollte die Entwicklung der landwirtschaftlichen Kapazitäten des Landes fördern und stützte sich dabei auf die Bauernschaft.

Die zweite Revolution geht von supranationalen Interessen aus und führt zu einer exportorientierten Landwirtschaft, die sich auf ein einziges Produkt spezialisiert und kaum noch Feldarbeiter braucht. Dieses Modell zielt einzig auf die Erzeugung von Futtermitteln für die großen industriellen Viehzuchtbetriebe der Länder des Nordens. Es zieht die Entstehung von Monokulturen nach sich, die die Ernährungssicherheit der Länder des Südens gefährden. Die argentinische Wirtschaft ist in zehn Jahren um ein Jahrhundert zurückgeworfen worden, indem sie vom Export von wenigen Rohstoffen abhängig wurde, deren Kurs auf dem Weltmarkt festgelegt wird, wo die Macht der multinationalen Konzerne entscheidet. Wenn der Sojakurs jemals abstürzt, müssen wir hier das Schlimmste befürchten.“

„Welche Folgen hat der RR-Sojaanbau für den konventionellen und biologischen Sojaanbau?“, fragte ich. „Das ist ein anderer wichtiger Punkt der transgenen Landwirtschaft, die zur Biouniformität führt, einer weiteren Gefahr für die Ernährungssicherheit. Durch GVO-Soja verschwindet der konventionelle und biologische Sojaanbau, weil diese Sorten kontaminiert werden und daher einen drastischen Preisverfall erleben werden. Aber was noch schlimmer ist: Wenn die Hälfte eines Landes mit einer einzigen Varietät bepflanzt ist, stellt das eine regelrechte Einladung für Seuchen dar, die die gesamte Produktion eines Landes auslöschen können. Zurzeit wird die Ölpflanze durch eine Seuche bedroht, gegen die es noch kein Pflanzenschutzmittel gibt, nämlich den Sojarost. Er hat in Brasilien angefangen und erst auf Paraguay, dann auf Argentinien übergegriffen. Weil wir keine pflanzliche Diversität mehr haben, können wir den Pflanzenkrankheiten nichts entgegensetzen. Vergessen wir nicht, was im 19. Jahrhundert mit der Kartoffel in Irland passiert ist: Die große Hungersnot, die zwischen 1845 und 1849 einen großen Teil der Bevölkerung auslöschte und Zehntausende zur Auswanderung zwang, ging hauptsächlich auf fehlende Biodiversität zurück. Dadurch wurde die Ausbreitung des Mehltaus begünstigt, den kein natürliches Hindernis mehr aufhielt.“

„Welches Ziel möchte Monsanto erreichen?“ Dazu Walter Pengue: „Ich glaube, dass dieses Unternehmen versucht, weltweit die Lebensmittelerzeugung zu kontrollieren. Zu diesem Zweck muss es das Saatgut da kontrollieren, wo es eingesetzt wird, d.h. bei den Bauern. Zuerst eignet es sich das Saatgut an, dann die Verarbeitung der Ernte, dann die Supermärkte und schließlich die Kontrolle der gesamten Nahrungskette. Das Saatgut ist das erste Glied in der Nahrungskette: Wer es kontrolliert, kontrolliert das Nahrungsangebot, und daher die Menschen.“

MARIE-MONIQUE ROBIN ist Autorin und Filmemacherin. Demnächst erscheint ihr Buch „Mit Gift  und Genen. Wie der Biotech-Konzern Monsanto unsere Welt verändert“ (DVA).

  • 1Round-up Ready (RR) Sojabohnen sind genmanipulierte Bohnen, die gegen Monsantos Herbizid Round-up Ready resistent sind.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2008, S. 40 - 43

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