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01. Mai 2008

Die Debatte ist eröffnet

… und Streit erwünscht: Warum Deutschland eine Sicherheitsstrategie braucht

Deutschlands sicherheitspolitisches Umfeld hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten fundamental geändert, neue Risiken wie der globale Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder die Folgen des Klimawandels gefährden unsere Sicherheit. Zudem hat sich seit der Wiedervereinigung die Rolle Deutschlands in der inter-nationalen Politik geändert, was am deutlichsten durch die militärische Beteiligung an Friedenseinsätzen in Afghanistan oder auf dem Balkan sichtbar wird. Obwohl die veränderten Anforderungen längst Niederschlag in den sicherheitspolitischen Konzepten und im außenpolitischen Handeln gefunden haben, gibt es bislang kein prägnantes Dokument, das sowohl innere wie äußere, militärische wie nicht-militärische Sicherheitsrisiken umfassend analysiert und darauf politische Antworten gibt.

Doch es genügt nicht, die neue Sicherheitslage und die gewandelte Rolle Deutschlands in der Welt zu erörtern – es muss sich eine strategische Kultur, eine offene sicherheitspolitische Debatte entwickeln, in deren Gefolge klar umrissene Ziele formuliert und daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Nur durch ein besseres Verständnis für die wachsenden globalen Herausforderungen und ihre sicherheitspolitischen Konsequenzen gewinnen wir in der Bevölkerung mehr Akzeptanz und Unterstützung für unsere Politik. Diese strategische Kultur ist notwendig, um drei Aufgaben gerecht zu werden und über deren Ausgestaltung zu streiten:

  • Die Sicherheitsrisiken müssen klar benannt werden können; ohne Hysterie, aber auch ohne die Beschreibung realer Gefahren als Panikmache zu diskreditieren.
  • Die sicherheitspolitischen Interessen müssen präzise formuliert werden, damit sie ein breiter gesellschaftlicher Konsens mit trägt: von der Einbindung Deutschlands in das westliche Bündnis bis hin zur Bereitschaft, mehr außenpolitische Verantwortung zu übernehmen – wenn nötig, auch durch Auslandseinsätze der Bundeswehr
  • Die strategischen Ziele müssen festgelegt und die nötigen Mittel bereitgestellt werden.

Um unsere Sicherheitspolitik zu stärken, ist ein weiterer Schritt notwendig: die Formulierung einer Deutschen Sicherheitsstrategie. Sie führt den Prozess fort, den wir auf EU-Ebene mit der Europäischen Sicherheitsstrategie begonnen haben, und überträgt deren Ziele auf die deutsche Politik. Sie konkretisiert die spezifischen nationalen Herausforderungen, sie gibt vor, wie wir unsere Sicherheitsinstrumente weiterentwickeln müssen, um gemeinsam mit unseren europäischen Partnern die formulierten Ziele zu erreichen; sie bringt nicht zuletzt zum Ausdruck, dass neben gemeinsamen europäischen und transatlantischen Anstrengungen eine eigenständige Sicherheitspolitik der Nationalstaaten wichtig ist und bleiben wird

Eine Deutsche Sicherheitsstrategie muss dazu auf den Kerngedanken bestehender sicherheitspolitischer Dokumente aufbauen – wie den Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Jahr 2003, dem Aktionsplan Zivile Krisenprävention von 2004 oder dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr von 2006 – und sowohl klassisch militärische wie asymmetrische Bedrohungen bis hin zu nicht-militärischen Sicherheitsrisiken abdecken. Die in vielen Fällen überholte Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit gilt es auf diesem Weg zu überwinden.

Ziel ist ein Dokument, das den politisch Handelnden eine Richtschnur für künftige Entscheidungen bietet und den interessierten Bürgern ermöglicht, die konzeptionellen Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik nachzuvollziehen. Nur wenn dies gelingt, können wir die derzeit vorherrschende Spaltung zwischen außenpolitischen Eliten einerseits und weiten Teilen der Bevölkerung andererseits überwinden und die notwendige Entwicklung einer strategischen Debattenkultur vorantreiben.

Deshalb wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in diesen Tagen ihren Entwurf für eine Deutsche Sicherheitsstrategie1 zur Diskussion stellen, um ihn gemeinsam mit allen relevanten Akteuren zu entwickeln und fortzuschreiben. Sie geht dabei von folgenden zentralen Risiken und sicherheitspolitischen Zielen aus: Terrorismus bekämpfen

Terrorismus bekämpfen

Größte Aufgabe bleibt die Bekämpfung des global agierenden Terrorismus. Dieser stellt demokratische Staaten vor ein besonderes Problem, da sie von Akteuren herausgefordert werden, die selber nicht wie Staaten organisiert sind, die Regeln zur Eindämmung staatlicher oder zwischenstaatlicher Konflikte somit nicht mehr greifen.

Doch die Bedrohung durch Terroristen kommt nicht nur von außen, sondern auch von innen – selbst durch deutsche Staatsbürger. Daher hilft die Trennung in innere und äußere Sicherheit heute kaum mehr, ist an mancher Stelle sogar hinderlich. Neben der innenpolitischen gibt es auch eine außenpolitische Dimension: Eine Strategie gegen den Terrorismus erfordert den aktiven Einsatz politischer, diplomatischer, ziviler und entwicklungspolitischer Mittel. Dort, wo es Terroristen gelingt, sichere Rückzugsgebiete zur Planung und Durchführung von Anschlägen zu nutzen, sind auch militärische Instrumente notwendig.

Proliferation verhindern

Bis heute ist es nicht gelungen, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel zu stoppen. Deren Proliferation zu verhindern bleibt eine wichtige Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik.

Angesichts der iranischen Nuklearambitionen besteht im Nahen Osten die Gefahr eines atomaren Wettrüstens. Aufgabe unserer Sicherheitspolitik ist, Systeme kollektiver Sicherheit, die in Europa zu unserer Sicherheit beitragen, auch in anderen Regionen aufzubauen. Nur in einem stabilen regionalen Umfeld können wir andere Staaten davon überzeugen, auf Nuklearwaffen zu verzichten. Unsere Sicherheit in Europa wurde nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht zuletzt durch die kooperative konventionelle Rüstungskontrolle erhöht – es liegt damit nahe, diese fortzusetzen und zu verstärken. Daneben müssen wir uns auf den Ernstfall vorbereiten: Ein Raketenabwehrschild über Europa kann potenzielle Angreifer von der Nutzlosigkeit ihrer Waffen überzeugen. Auf nationaler Ebene müssen ausreichende Kapazitäten zur ABC-Abwehr und eine Versorgungsinfrastruktur für die Bevölkerung bereitstehen, um unsere Verwundbarkeit gegenüber Terroranschlägen mit Massenvernichtungswaffen zu reduzieren.

Energiesicherheit gewährleisten

Unsere Abhängigkeit von Energie und Rohstoffen sowie einer sicheren Versorgungsinfrastruktur birgt ein weiteres Risiko. Angesichts des weltweit wachsenden Energie- und Rohstoffbedarfs sind Engpässe, Preissteigerungen und Ressourcenkonflikte zu erwarten, Krisen, Terrorismus oder gewaltsame Auseinandersetzungen in Lieferländern können unsere Versorgung gefährden und unserer Wirtschaft schaden. Es besteht die Gefahr, dass wir aufgrund unserer Abhängigkeit politisch erpressbar werden. Angesichts dieses doppelten Risikos brauchen wir eine nationale Energie- und Rohstoffstrategie: Sicherheitspolitisches

Ziel ist die Diversifizierung von Energieträgern, Lieferländern und Transportwegen und die Bildung eigener strategischer Reserven; gemeinsam mit der Wirtschaft müssen wir den Dialog und die Kooperation mit Transit- und Lieferländern vertiefen. Ohne eine einheitliche EU-Energieaußenpolitik wird dies nicht möglich sein – nur mit gemeinsamer Verhandlungsmacht können wir die Versorgungssicherheit erhöhen. Was wir anstreben, ist eine europäische Energiesicherheitsunion, die bei Versorgungsproblemen eines Mitglieds solidarisch füreinander einsteht. Hierbei muss die EU stärker als bisher ihre führende Rolle im Bereich von Energieeinsparung, Energieeffizienz sowie erneuerbaren Energien nutzen.

Folgen des Klimawandels bewältigen

Für Deutschlands Sicherheit stellt der Klimawandel vor allem durch seine Folgen in anderen Weltregionen eine Gefahr dar. Erste Auswirkungen sind bereits spürbar: Es drohen Überschwemmungen, Hitzewellen, Dürreperioden, Waldbrände und der weitere Anstieg des Meeresspiegels; die Zahl von Konflikten wird deutlich zunehmen. Neben der Erfüllung unserer international eingegangenen Verpflichtungen sollten wir besonders die Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen.

Darüber hinaus müssen die Vereinten Nationen die Risiken des Klimawandels effizienter, vor allem präventiv in Angriff nehmen – in Weiterentwicklung des Völkerrechts sollte der Sicherheitsrat bei schwerwiegenden Verletzungen des Umweltrechts handlungsberechtigt sein. Angesichts zunehmender Umweltkatastrophen ist auch auf europäischer Ebene eine engere Zusammenarbeit der Zivil- und Katastrophenschutzkräfte wie der Streitkräfte der Mitgliedsstaaten erforderlich. Konflikte beilegen

Schwache Staaten oder Räume mit begrenzter Staatlichkeit sind Opfer von Sicherheitsrisiken, aber genauso Quellen für die Bedrohung anderer Staaten. Sie dienen transnational operierenden terroristischen Gruppen als ideales Rückzugsgebiet, können die Versorgung unserer Wirtschaft mit wichtigen Rohstoffen verhindern, die Nachfrage nach Massenvernichtungswaffen schüren oder Flüchtlingsbewegungen, Menschenhandel und Schleuserkriminalität auslösen. Globale Normen wie die Achtung der Menschenwürde oder das Gewaltmonopol des Staates werden dadurch konterkariert. Ziel deutscher Sicherheitspolitik ist es, Staaten zu stärken und dazu beizutragen, dass sich neue Strukturen ausbilden können. Um Konflikten und Krisen vorzubeugen, müssen wir unsere Fähigkeiten zur Prävention stärken. Für ein erfolgreiches zivil-militärisches Krisenmanagement im Ausland kommt es zudem darauf an, den Dialog und die Koordination der Partner von EU, NATO, UN, regionalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen effektiver zu gestalten. Wird ein Einsatz notwendig, muss das ressortübergreifende Zusammenspiel bereits im Vorfeld optimiert, unser Krisenmanagement folglich in seiner Gesamtheit bewertet werden. Angesichts der steigenden Anzahl gewaltsamer Konflikte muss sich Deutschland auf weitere, länger andauernde Einsätze der Bundeswehr vorbereiten – von der Friedensstabilisierung bis zur Friedenserzwingung.

Nationaler Sicherheitsrat

Die Verfolgung unserer nationalen Interessen und strategischen Ziele erfordert ein frühzeitiges, kohärentes und, wenn nötig, robustes Handeln. Das gilt für alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente der Krisenbewältigung und Konfliktverhütung.

Zur Bewältigung von Großschadensereignissen wie Terroranschlägen, Natur- oder ABC-Katastrophen müssen Bund und Länder optimal zusammenwirken; dazu müssen die Organe, Instrumente und Fähigkeiten der inneren und äußeren Sicherheit besser verzahnt und eine adäquate Koordination zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und den nichtstaatlichen Organisationen sichergestellt werden. Neben der Vernetzung im Heimatschutz müssen wir unsere zivil-militärischen Kapazitäten zur Krisenbewältigung im Ausland bereits bei der Einsatzplanung besser aufeinander abstimmen. Ziviles Personal und Polizisten für Stabilisierungseinsätze werden mehr und mehr benötigt – um dem Bedarf und Deutschlands internationaler Verantwortung gerecht zu werden, plädieren wir, analog zur Bundeswehr, für eine Transformation bei Personal, Ausbildung und Ausrüstung.

Die Debatte über eine Deutsche Sicherheitsstrategie sollte nicht zuletzt zum Nachdenken über die erforderlichen institutionellen Anpassungen führen. Ein sinnvoller Schritt ist die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats, was der Erkenntnis folgen würde, dass die uns bedrohenden Risiken längst die Grenzen zwischen den Ressorts wie die zwischen Bund und Ländern überschreiten. Hierfür ist der Bundessicherheitsrat aufzuwerten und mit einem eigenen handlungsfähigen Stab auszustatten.

Als politisches Analyse- und Entscheidungszentrum hätte der Nationale Sicherheitsrat zweierlei Aufgaben: Erstens die umfassende, ressort-übergreifende Analyse möglicher Bedrohungen für die innere und äußere Sicherheit zu optimieren, zweitens, die Einleitung geeigneter Abwehrmaßnahmen sowie den Einsatz aller Katastrophenkräfte im Inland möglichst wirksam zu koordinieren. Diese Funktion soll – unter Berücksichtigung der föderalen Kompetenzordnung und der Ressortzuständigkeiten der Bundesregierung und ihrer nachgeordneten Behörden – ein einheitliches politisches Krisenmanagement im In- und Ausland gewährleisten.

Die Vermittlung und Begründung von Sicherheitspolitik wird angesichts mannigfaltiger globaler Gefahren zunehmend wichtiger, eine strategische Kultur notwendiger. Mit dem Entwurf einer Deutschen Sicherheitsstrategie will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihren Beitrag leisten, die erforderliche Debatte anzustoßen.

Dr. ANDREAS SCHOCKENHOFF, geb. 1957, ist stellv. Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

  • 1Auf der CDU/CSU-Konferenz „Eine Sicherheitsstrategie für Deutschland“ am 7. Mai in Berlin.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, May 2008, S. 89 - 93

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