»Die Bedrohungsanalyse wird politisiert«
Der US-Rüstungsexperte Joseph Cirincione über Nordkorea, den Iran und die Verbreitung von Atomwaffen
IP: Herr Cirincione, wo sehen Sie derzeit die größte atomare Bedrohung?
Cirincione: Es gibt etwa ein Dutzend Risiken, die in den nächsten paar Jahren katastrophal wirken könnten. Die beiden Hauptgefahren sind: dass eine Terroristengruppe wie Al-Qaida, die auf eine möglichst große Zahl von Opfern abzielt, eine Nuklearwaffe in die Hände bekommt und eine Stadt zerstört. Und dass das ganze Netzwerk von Abkommen und Vereinbarungen, das wir in den letzten 50 Jahren aufgebaut haben, um die Bedrohung durch Nuklearwaffen einzugrenzen, zusammenbricht.
IP: Welchen Folgen hätte dies für die Kontrolle der Atomwaffenarsenale in der Welt?
Cirincione: Es wäre eine globale Katastrophe. Wir müssten wieder, wie Anfang der sechziger Jahre, fürchten, dass Nuklearwaf-fen bald überall sind und die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges dramatisch ansteigt. Im April beginnt in New York die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags. Der Vertrag ist 35 Jahre alt und einer der erfolgreichsten der Geschichte. Aber er ist in eine Krise geraten. Das Vertrauen in ihn könnte schwinden. Entweder, weil Staaten zu der Überzeugung gelangen, dass andere den Vertrag hintergehen, Nukleartechnologie erwerben, um dann den Pakt zu verlassen und Atomwaffenmächte zu werden. Oder weil sich der Eindruck verfestigt, dass die existierenden Atommächte keinerlei Neigung zeigen, ihr Arsenal jemals abzubauen. Beides kann Staaten, die in der Lage wären, Nuklearwaffen zu bauen, dazu bewegen, ihre Optionen zu überprüfen – Südkorea etwa, Japan, Ägypten, Saudi-Arabien oder sogar die Türkei. Dieser Vertrag gleicht einem Investmentprojekt, das so lange funktioniert, wie alle Geld hineinstecken. Die Gefahr ist da, dass alle den Glauben an diesen Pakt verlieren und die ganze Konstruktion zusammenbricht.
IP: Wie realitätstauglich ist die amerikanische Atomwaffen-Politik?
Cirincione: Meine größte Sorge ist die enorme Politisierung der Bedrohungsanalyse. Diese Regierung pickt sich – mehr als jede andere zuvor – die Bedrohungen heraus, die zu ihren bereits beschlossenen politischen Prioritäten passen.
IP: Will sagen: Sie sieht nur, was sich ins Weltbild fügt?
Cirincione: Genau. Damit einher geht eine Manipulation des Angstfaktors für politische Zwecke. Die Republikaner werden von der Öffentlichkeit in Fragen der Sicherheit ja gemeinhin als stärker angesehen. Wenn solche Sicherheitsfragen im Vordergrund stehen, wächst die Partei in den Umfragen. Nun gibt es eine Menge echter Sicherheitsprobleme, die muss man sich nicht ausdenken. Aber diese Regierung neigt dazu, bestimmte Bedrohungen zu übertreiben, um das Volk unter Hochspannung zu halten.
IP: Ist der Terrorismus als Gegner überhaupt greifbar?
Cirincione: Der im letzten Sommer fertig gestellte 9/11-Bericht ist in dieser Hinsicht sehr interessant. Er zeigt, dass der Feind nicht „der Terrorismus“ ist, sondern eine sehr spezifische Gruppe radikaler fundamentalistischer Terroristen. Um die zu besiegen, reicht es nicht, loszuziehen und deren Operationsbasis zu zerschlagen. Der wichtigste Punkt, den diese Regierung übersieht: Wir müssen hier tatsächlich einen ideologischen Kampf führen. Aber der Krieg im Irak hat die Bedingungen dafür verschlimmert, der Al-Qaidaismus verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die arabische und islamische Welt.
IP: Die Atomwaffendebatte konzentriert sich derzeit auf den Iran und Nordkorea. Gibt es in den USA für diese Konflikte neue Lösungsansätze?
Cirincione: Im Fall des Iran gibt es derzeit zwei Denkschulen hier in Washington. Die eine glaubt, die Bush-Administration habe bereits beschlossen, den Iran militärisch anzugreifen, und nichts könne sie mehr stoppen. Dafür gibt es eine Menge Belege. Die andere sagt: So dumm kann sie nicht sein. Und auch dafür gibt es viele Belege. Ich glaube, die Regierung hat sich noch nicht entschieden, die inneren Spannungen sind groß. Aber die Neokonservativen haben seit den Wahlen noch an Einfluss gewonnen, sie konsolidieren ihren Zugriff auf die Außenpolitik. Der Trend geht zu einer noch härteren Haltung. Wenn Condoleezza Rice nach Europa reist, redet sie von Kompromissen. Und meint doch nur, dass sich die anderen solange wandeln sollen, bis sie mit der US-Position konform gehen.
IP: Nordkorea, die andere notorische nukleare Problemzone, wirkt noch viel unberechenbarer und bedrohlicher als der Iran. Was tun?
Cirincione: Es gibt zwei Modelle, wie man gemeinhin mit einer solchen Bedrohung umgeht: das Modell Irak – man greift das Land an und stürzt das Regime mit Gewalt. Und das Modell Libyen – man verhandelt und verändert das Verhalten des Regimes. Nordkorea scheint das Modell Nummer drei zu sein, das Modell „Kleine Flamme“: Man versucht, die Sache zu ignorieren und Nordkorea von der internationalen Bühne fern zu halten, in der Hoffnung, dass Eindämmung und Sanktionen das Regime zusammenbrechen lassen.
IP: Ist das nicht pures Wunschdenken?
Cirincione: Es ist Wunschdenken. Und ein Resultat der inneren Spannungen in der US-Regierung. Man kann sich nicht einigen, was zu tun ist und fummelt sich so durch. Nur: Nordkorea wird das nicht zulassen. Die sind Experten darin, mit schlechten Karten gut zu spielen.
IP: Just hat sich Nordkorea als Atomwaffenstaat geoutet.
Cirincione: So schaffen sie eine Krisenstimmung in der Region und erregen internationale Aufmerksamkeit – wohl in der Hoffnung, eine bessere Verhandlungsposition zu erreichen.
IP: Wie könnte eine Alternativstrategie aussehen?
Cirincione: An der nordkoreanischen Regierung ist nichts nett. Aber man kann mit ihr ins Geschäft kommen, durch harte Verhandlungen. Die USA aber haben vier Jahre gebraucht, bis sie im Juni 2004 ein Angebot auf den Tisch legten. Obendrein war es ein Alles-oder-nichts-Angebot. Nordkorea hätte zunächst nuklear komplett abrüsten müssen. Danach erst hätten die USA Wirtschaftshilfe von Japan und Südkorea unterstützt. Die Nordkoreaner haben verständlicherweise gesagt: Wir wollen nicht alle Karten aus der Hand geben, bevor ihr euren Teil erfüllt. Sie wollten Zug um Zug vorgehen.
IP: Das heißt, Kim Jong Il hat die Saddam-Hussein-Lektion gelernt?
Cirincione: Ja. Aber die Nordkoreaner schauen vor allem gen Libyen. Libyen bekam die Angebote, bevor etwas geschah. Nun sagen die Nordkoreaner: Den Deal wollen wir auch. Würden die USA nur ein bisschen Flexibilität zeigen und die Sache schrittweise angehen, könnten sie dieses Atomwaffenprogramm verifizierbar stoppen. Offen gesagt wäre es sogar billig. Man könnte dem für ein oder zwei Milliarden Dollar ein Ende machen. Soviel kosten ein, zwei Wochen Militäroperationen im Irak.
IP: Sollten Sie Unrecht haben, könnte hier die unangenehmste Atommacht der Welt heranreifen.
Cirincione: Wenn ich falsch liege, wäre das schlimmste Szenario, dass den Chinesen, Südkoreanern und Japanern klar wird: Im Fall Nordkorea gibt es keine Hoffnung. Sie würden schärferen Maßnahmen zustimmen. Denn natürlich fürchten auch diese Länder eine Nuklearmacht Nordkorea. Noch mehr Sorgen aber bereitet ihnen der Gedanke an eine Nuklearmacht Nordkorea, die kollabiert. Sie wollen eine weiche Landung, kein Chaos in der Region mit Millionen nordkoreanischer Flüchtlinge in China und Südkorea.
IP: Verständlich. Und worin liegt die Logik der aktuellen US-Strategie?
Cirincione: Die meisten Neokonservativen glauben, Ronald Reagan habe den Kalten Krieg durch Härte und einen immer stärker steigenden Verteidigungsetat gewonnen. So wollen sie auch die kleineren Staaten angehen, die sie als Bedrohung sehen: den Iran, Nordkorea und Syrien. Das Problem dabei: Diese Deutung der Geschichte ist falsch. Die USA zeigten Stärke gegen die Sowjets. Aber sie verhandelten auch mit ihnen, zeigten ihnen immer auch einen Ausweg. Als die ökonomische Krise die Sowjetunion traf, konnte Gorbatschow Reformen durchführen, die zu einem friedlichen Übergang führten. Wenn man Nordkorea oder dem Iran keinen Ausweg zeigt, wird das Anziehen der Schrauben eher zu wachsendem Widerstand und Krieg führen als zum Zusammenbruch des Regimes.
IP: Warum ist die Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen wieder so akut?
Cirincione: Die Bush-Regierung hatte von Anbeginn den Plan, die US-Nichtverbreitungspolitik radikal zu ändern. Sie stand auf dem Standpunkt, dass man internationalen Verträgen nicht trauen kann und das Problem nicht die Waffen sind, sondern bestimmte Leute, die sie besitzen. Nach dem Motto: Nicht Nuklearwaffen bringen Leute um, Regierungen tun dies.
IP: In Anlehnung an den alten Slogan der Waffenlobbyisten von der National Rifle Association: „Guns don‘t kill people; people kill people“?
Cirincione: So ist es. Ein halbes Jahrhundert lang lautete die Analyse: Die Massenvernichtungswaffen selbst sind das Problem, wir müssen sie eliminieren, bevor jemand sie benutzt. Kennedy, Johnson, Nixon, Ford, Carter, Reagan und Bush I. haben sich an diese Politik gehalten. Alle, Konservative und Liberale, haben zusammengearbeitet, um solche Waffen zu beseitigen. Nixon hat die Biowaffenkonvention unterzeichnet, Bush das Verbot der Chemiewaffen. Kennedy, Johnson und Nixon haben den Atomwaffensperrvertrag erarbeitet. Die Regierung des George W. Bush aber schuf die „Achse des Bösen“, suchte sich neue Freunde und Feinde. Sie sagt: Indien kann Atomwaffen haben, das kann sogar hilfreich sein im langfristigen Kampf gegen China, der Iran aber nicht. Pakistan darf auch welche haben, der Irak aber nicht. Die Lösung ist dann eine militärische: Man zieht nicht mehr aus, um die Waffen, sondern um die Regierungen zu beseitigen. Die strategische Frage lautet nicht mehr: was, sondern wer?
IP: Deshalb bekämpfte sie im Irak Waffen, die es gar nicht gab?
Cirincione: Der Irak-Krieg ist eine direkte Anwendung der Theorie, ein Präventivkrieg könne das Prolifera-tionsproblem lösen. Die Hauptbegründung war ja, man müsse einer unmittelbaren Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen begegnen, direkt durch Saddam oder durch Weitergabe solcher Waffen an Al-Qaida. Nun stellt sich heraus, dass wir gerade den einen Schurkenstaat angegriffen haben, der keine solchen Waffen hat, und dass dieser Krieg auch nicht billig, schnell und einfach war, sondern unglaublich kostspielig, was Menschenleben, Geld, Allianzen und die Weltgeltung der USA betrifft.
IP: Die UN-Inspektoren waren im Fall Irak enorm erfolgreich. Warum hat man ihnen nicht geglaubt?
Cirincione: Die Regierung Bush gewichtet ihre Politik hier neu. Sie begann mit echtem Abscheu gegenüber den Vereinten Nationen, traute weder den UN-Institutionen noch ihren Inspektoren. Ich glaube, sie hat die Leistung der Inspektionen im Irak zwischen 1991 und1998 nie wirklich verstanden. Diese Inspektionen hatten fast alle Vorräte an Massenvernichtungswaffen zerstört – plus die Fähigkeit des Irak, weitere herzustellen. Es blieben noch ein paar Probleme, es fehlten in der Bilanz einige Tonnen Chemikalien. Aber wir reden von einem Land, dass an die 200 000 Tonnen Chemiewaffen produziert hatte.
IP: Die Inspektoren kehrten vor dem Irak-Krieg zurück. Sie konnten nichts finden …
Cirincione: … und lagen völlig richtig. Sie fanden, was zu finden war und dokumentierten, was zu dokumentieren war. Sie haben keine Mikrobe, kein Molekül, kein Isotop gefunden, das als Beweis getaugt hätte und daher festgestellt, dass es keine Produktionsanlagen für chemische, biologische oder nukleare Waffen gibt. Ihr Problem war, dass sie damit dieser Regierung die falsche Antwort gaben.
IP: Aber der Irak ist groß, die Zeit war kurz. Wie konnten sich die Inspektoren da auch nur halbwegs sicher sein?
Cirincione: Massenvernichtungswaffen sind eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Sie stehen für die Industrialisierung der Massenschlächterei, die seit Jahrtausenden vor sich geht. Es sind kompakte Maschinen, die große Mengen von Menschen über weite Distanzen sehr effektiv töten können. Auch ihre Herstellung ist ein industrielles Unterfangen, man braucht Fabriken dafür. Nur bestimmte Biokampfstoffe kann man auch in einem kleinen Labor brauen. Doch um sie in Waffen zu verwandeln, muss man sie in Maschinen füllen, die sie über weite Flächen verteilen, ansonsten hat man keine Massenvernichtungswaffe. Alle Industrieanlagen, die dafür in Frage kamen, wurden kontrolliert: Da war nichts, gar nichts.
IP: Warum hat der Erfolg der Waffeninspektoren die US-Regierung so wenig beeindruckt?
Cirincione: Sie wollte ihn nicht, weil sie in den Krieg ziehen wollte. Für die Neokonservativen war dies Teil eines viel größeren Planes, den amerikanischen Einfluss im Na-hen Osten zu vergrößern, dort schnell und radikal alle Regierungen zu verändern, Freund wie Feind, und auch das Israel-Palästina-Problem zu lösen. Für sie ging der Weg nach Jerusalem durch Bagdad und Damaskus. Amerikanische Interessen in dieser Region sollten für Generationen gesichert werden, um für den in ihren Augen größeren Konflikt des 21. Jahrhunderts bereit zu sein: China.
IP: Wie konnten die Neokonservativen solchen Einfluss entwickeln?
Cirincione: Amerika hatte lange eine nationale Ideologie des Antikommunismus, an die eine breite Mehrheit der politischen Kräfte glaubte. Hier aber haben wir es mit etwas völ- lig anderem zu tun, mit einer Politik, die den Bolschewiki sehr viel näher kommt. Hier hat sich eine engagierte Gruppe von Intellektuellen mit einer extremen Ideologie und Agenda nach oben gearbeitet. Es ist eine Verschwörung vor aller Augen, denn die Akteure sind ziemlich offen, sie haben die neunziger Jahre damit verbracht, ihren Plan in Denkfabriken auszuarbeiten, sich zu organisieren und ihre Linie festzuklopfen. Und sind dann, mit harter Arbeit und ein bisschen Glück, in eine Position gekommen, in der sie die neue Präsidentschaft formen und Gleichgesinnte in Schlüsselpositionen holen können. Anfangs hatten sie noch Probleme. Doch der 11. September änderte alles. Sie sahen ihre Chance und ergriffen sie. Das war genau das, worauf sie sich vorbreitet hatten: eine nationale Katastrophe, die alle in ihren Augen wahren Gefahren sichtbar macht und das amerikanische Volk mobilisiert. Sie hatten einen Plan – und niemand sonst.
IP: Aber ist das ganze Denkmodell nicht schon im Irak zusammengebrochen?
Cirincione: Man sollte meinen, dass sie sich nach allem, was dort vorgeht, beschämt zurückziehen. Aber das ist nicht ihr Stil. Jetzt wollen sie uns alle dazu bewegen, auf ewig gegen den Terrorismus zu kämpfen.
IP: Wie soll das gelingen?
Cirincione: Sie befeuern die Angst. Das ist ihre Methode: Jeder, der dagegen ist, ist ein naiver Beschwichtiger oder ein Verräter – weil wir ja in einer immer gefährlicheren Welt leben und alles tun müssen, um uns zu schützen. Wirklich alles. Das bedeutet in ihrer Logik: neue Nuklearwaffen aufzustellen. Und auf Basis von Indizien zuschlagen, enorme Kollateralschäden in Kauf nehmend, um die Bösen zu töten, die sonst uns töten würden. Das ist eine Furcht erregende Weltsicht. Denn einige dieser Leute würden, wenn sie könnten, die bürgerlichen Freiheiten binnen einer Minute abschaffen und ein sehr grausames Regime errichten, um ihre Ziele zu erreichen.
IP: Seit den Reagan-Jahren arbeitet man an einem Raketenschutzschild für Amerika. Wie weit ist dieser gediehen?
Cirincione: Die erste Abfangrakete steckt jetzt in einem Silo in Alaska. Sie wird nicht funktionieren, aber sie ist schon mal da. Das war Teil ihrer Wahlkampagne. Für die Führer der Republikaner ist „missile defense“ der Prüfstein der Reagan-Revolution. Seitdem die Republikaner wieder an der Macht sind, stiegen die Mittel für das Raketenabwehrprogramm von vier auf zehn Milliarden Dollar im Jahr. Es ist das größte Waffenentwicklungsprogramm des Landes. Und was haben wir? Nichts. Nur die immergleiche Ansammlung von Spielzeugen und Absichten, die wir schon vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren hatten. Nichts davon funktioniert. Dies ist eine technologisch sehr schwierige Mission.
(Anm. d. Red.: Am 14. Februar 2005 scheiterte der dritte Test des Systems. Die auf einer Startrampe auf den Marshall-Inseln stationierte Abfangrakete hob erst gar nicht vom Boden ab.)
IP: Die USA, sagt diese Regierung, müsse eine neue Art von Weltkrieg führen – gegen den Terror. Dafür muss sie doch auch gerüstet sein?
Cirincione: Die meisten Waffensysteme, die jetzt in Produktion gehen, stammen noch aus den Zeiten des Kalten Krieges und sind dafür konstruiert, einen globalen Krieg mit dem großen Konkurrenten Sowjetunion zu führen. Nur gibt es die nicht mehr. Unsere Waffen sind längst die besten Waffensysteme. Die einzige Bedrohung kommt aus Ländern, die unsere Waffensysteme gekauft haben. Und nicht einmal die sind eine Bedrohung, weil sie viel zu klein sind. Es gibt keine Rechtfertigung mehr für ganz neue Kampfflugzeuge, für eine neue Generation von U-Booten oder Zerstörern. Denn es gibt einfach keine Verbindung zwischen einer F-22 und Al-Qaida. Eine F-22 macht keinerlei Sinn im Kampf gegen den Terrorismus.
IP: Eine Krieg führende Supermacht braucht gleichwohl die beste Ausrüstung.
Cirincione: Natürlich wollen die Piloten und Generäle das allerbeste Flugzeug. Doch in einer kontrollierten Regierung gibt es Gegenkräfte, die aufs Budget achten. Jetzt aber geht es zu wie in den Anfängen der Reagan-Ära: Sie öffnen die Schatzkammer und rufen: Jungs, greift zu, nehmt euch, was ihr wollt.
IP: War das unter Clinton anders?
Cirincione: Dieses Geld ist immer da. Auch die Clinton-Regierung hat keines der großen Waffensysteme aus dem Kalten Krieg gestoppt. Wir reden hier von einem 450-Milliarden-Dollar-Budget. Das ist ein gewaltiger Trog. Es gibt nichts Vergleichbares.
IP: Verspüren Sie in der zweiten Amtszeit von Präsident Bush eine Veränderung der Grundhaltung?
Cirincione: Die Bush-Regierung begreift die Wiederwahl als Ratifizierung ihrer Politik. Die Offiziellen sehen sich als Agenten der Geschichte, als ein Werkzeug in einem einzig-artigen historischen Augenblick, gesandt von Gott oder dem Schicksal. Und sie begreifen, dass ihre Zeit jetzt abläuft. Und wollen deshalb so schnell wie möglich voran kommen, vor allem im Nahen Osten. Dazu kommt ein tiefer Glaube, den nationalen Interessen zu diesen. Ich glaube, dass ein Mann wie Paul Wolfowitz ein wirklicher Patriot ist. Er und die Seinen sehen sich als Churchills, die eine gleichgültige Öffentlichkeit vor den kommenden Gefahren warnen müssen. Alle, die ihnen entgegentreten, sind für sie Chamberlains – naive Wirrköpfe, Beschwichtiger. Sie sagen: Wir nutzen militärische Macht, um die Welt zu ändern. Warum sollten wir es nicht tun?
Das Gespräch führte Tom Schimmeck.
Internationale Politik 3, März 2005, S. 98 - 103.