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01. Febr. 2005

Verhandeln, drohen, belohnen

Wie der Iran vom Atomwaffenkurs abgebracht werden kann

Beschafft sich der Iran Atomwaffen, bedeutet dies das sichere Ende des nuklearen Nichtverbreitungsregimes. Doch solange die USA mit einem gewaltsamen Umsturz im Iran drohen, wird Teheran seine Ambitionen nicht aufgeben. Die Verhandlungen der EU mit dem Iran bieten die beste Chance, um eine Eskalation abzuwenden. Das Ergebnis sollte der UN-Sicherheitsrat durch eine Resolution international absichern.

Ein atomar bewaffneter Iran würde die regionale Sicherheitslage massiv verschlechtern und andere nahöstliche Staaten mit hoher Wahrscheinlichkeit veranlassen, ähnliche Programme zu beginnen, was die Entwicklung im Irak und in Libyen konterkarieren würde. Das Nichtverbreitungsregime würde einen solchen Ausbruch wohl nicht überleben, und der Mittlere Osten würde noch gefährlicher werden. Kurz gesagt, der Iran könnte zum Schlüsselelement für das Umkippen der Proliferation werden.

Die 35 Mitgliedsstaaten des IAEO-Gouverneursrats sind im November 2004 zu dem Schluss gekommen, dass der Iran seine Verpflichtungen des Safeguardsabkommens, das er gemäß des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NPT) abgeschlossen hat, „vielfach gebrochen“ habe. Die Inspektoren waren nicht in der Lage „zu bestätigen, dass es keine undeklarierten nuklearen Materialien oder Aktivitäten im Iran“ gebe. Frankreich, Deutschland und Großbritannien haben im Namen der EU die Führung bei dem Versuch unternommen, Iran von seinem gefährlichen Kurs abzubringen.

Eine effektive Nonproliferations-Strategie muss verhindern, dass der Iran Atomwaffen erwirbt. Aus dem Verhalten des Iran können wir schließen, dass die strategische Entscheidung noch nicht getroffen ist, die Fähigkeit zur Erlangung von Atomwaffen aufzugeben. Offensichtlich versucht Teheran derzeit zu taktieren, um die Balance zu halten zwischen dem Wunsch, kein international geächteter Pariah zu werden, und seiner Sorge, dass Sicherheits- und Statusinteressen eine Beibehaltung der Atomwaffenoption erfordern. Wenn es das zentrale Anliegen des Iran ist, die Erfüllung seines „Rechts“ auf Nuklear-energie sicherzustellen, dann kann dieses „Recht“ durch internationale Kooperation vollständig und kostengünstig gewährt werden.

Die EU-3 (bestehend aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland), Russland und sogar der UN- Sicherheitsrat, die USA eingeschlossen, sollten dem Iran versichern, dass dessen Reaktor-programm ungestört weiterlaufen kann. Wenn sich die iranische Führung jedoch Materialien zur Herstellung von Atomwaffen beschaffen will, dann haben sie nach Artikel II des Nichtverbreitungsvertrags kein Recht dazu, und die EU-3 und der UN-Sicherheitsrat sollten handeln, um Iran vom Erwerb solcher Materialien abzuhalten. Die Herausforderung für die internationale Gemeinschaft besteht heute darin, die Absichten des Iran zu klären und ihm jeden – positiven und negativen – Anreiz zu geben, um seine Energie- und Sicherheitsinteressen zu erfüllen, ohne dabei auf Technologien zurückzugreifen, die zur Gefahr der nuklearen Proliferation beitragen.

Irans klare Verletzung seines Safeguardsabkommens, seine ausufernden Ablenkungsmanöver, die nicht beantworteten Fragen in Bezug auf seine Urananreicherungs-Technologien und seine Experimente mit Polonium werfen unvermeidliche Zweifel an seiner Bereitschaft auf, nukleare Technologien und Materialien nur für friedliche Zwecke einzusetzen, wie in Artikel II des Nichtverbreitungsvertrags festgelegt. Zwar sollte ihm das „Recht“ auf Atomenergie nicht abgesprochen werden, aber Teherans Verhalten hat es für die internationale Gemeinschaft unmöglich gemacht, dem Iran die Produktion von waffenfähigem Uran oder Plutonium zu gestatten. Iran sollte sich zur Erfüllung seines Energiebedarfs auf die garantierte, kostengünstige Lieferung von Brennstoffen stützen.

Den Nutzen verdeutlichen

Nach dem Abkommen vom November 2004 haben die EU und der Iran Verhandlungen über die Gegenleistungen begonnen, die der Iran im Austausch für „objektive Garantien, dass Irans Nuklearprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient“ erhalten soll. Der Iran wird sich auf die Argumentation verlegen, dass die dauerhafte internationale Überwachung seiner deklarierten Maßnahmen zur Urananreicherung (und der angestrebten zukünftigen Schwerwasser- und Plutonium-Produktionsanlagen) die zivilen Zwecke dieser Aktivitäten objektiv garantieren wird. Die EU, unterstützt vom Rest der Welt, muss dem Iran deutlich machen, dass der einzige Weg, um nichtwaffenbezogene Anwendungen durch den Iran überprüfbar zu garantieren, in der Aufgabe der Technologien zur Urananreicherung und zur Plutoniumabtrennung liegt.

Die EU-Unterhändler erkennen an, dass der Iran positive Anreize bekommen muss, um diese Auslegung von „objektiven Garantien“ zu akzeptieren. Daher beinhalten die EU-Iran-Verhandlungen Arbeitsgruppen über „politische und Sicherheitsfragen, Technologie und Kooperation und Nuklearfragen“. Die EU hat außerdem zugesagt, mit dem Iran über ein Handels- und Kooperationsabkommen zu reden und die Aufnahme von WTO-Beitrittsverhandlungen des Iran zu unterstützen. Die EU-Iran-Vereinbarung vom November 2004 verpflichtet beide Seiten außerdem, den Terrorismus zu bekämpfen und den politischen Prozess im Irak zu unterstützen, der „dazu dient, eine verfassungsgemäß gewählte Regierung einzurichten“. Diese Verhandlungen haben das Potenzial, den Iran von dessen nuklearen Ambitionen abzubringen, aber sie werden unbeständig und krisenanfällig sein.

Die USA und alle anderen Staaten sollten diese Verhandlungen aktiv unterstützen, indem sie die positiven und negativen Anreize für den Iran verstärken, seine Anstrengungen zur Erlangung der Fähigkeit zur Beschaffung von atomwaffenfähigem Material einzustellen. Während es für das langjährige Interesse des Iran an der atomaren Option zahlreiche Motive gibt – nicht zuletzt sein regionaler Status und die Bedrohung durch Saddam Husseins Irak – sollten die Vereinigten Staaten zumindest anerkennen, dass der Iran sich durch die USA bedroht fühlt, und der derzeitigen iranischen Regierung signalisieren, dass sie keinen Regimewechsel durch militärische Maßnahmen anstreben – sofern Teheran ernsthaft seine Anstrengungen zur Erlangung nuklearer Fähigkeiten aufgibt und seine Unterstützung terroristischer Gruppen beendet. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die USA oder das iranische Volk die derzeitige Regierung absetzen können, bevor sie Zeit zum Erwerb von Atomwaffen hat. Deshalb werden sich die USA mit der gegenwärtigen Regierung auseinander setzen müssen, von der wiederum nicht zu erwarten ist, dass sie ihre entstehenden Atomwaffen-Fähigkeiten aufgibt, solange sie mit der Drohung eines gewaltsamen Regierungswechsels durch die USA konfrontiert wird. Die USA sollten ihre Unterstützung für die demokratischen Reformer im Iran nicht aufgeben. Stattdessen sollten sie – wie im Fall der Sowjetunion – Atomverhandlungen führen und gleichzeitig Reformen fördern.

Obwohl sich einige in Washington gegen eine Strategie des positiven Engagements mit dem Iran aussprechen, konnten sie bisher keine Alternative zur EU-Strategie vorlegen, die den iranischen Entscheidungsprozess ändern oder seine nuklearen Fähigkeiten für einen ausreichend langen Zeitraum zerstören würde. Und scheitert die EU-Strategie mit aktiver Unterstützung der USA, stünde Wa-shington auch nicht schlechter da als heute.

Schließlich muss die internationale Gemeinschaft die Tatsche berücksichtigen, dass der Iran aufgrund seiner Ausdehnung, Ressourcen, Geschichte und Bevölkerungsgröße immer eine wesentliche Macht in der Golf-Region und im weiteren Mittleren Osten bleiben wird. Stabilität im Irak und in der gesamten Region erfordert Zusammenarbeit oder zumindest gemeinsame Verkehrsregeln zwischen Iran, Irak, den Staaten des Golf-Kooperationsrats, weiter entfernten Nachbarn und natürlich den USA. Um die Proliferation von Atomwaffen (ebenso wie Bio- und Chemiewaffen) in der Region zu verhindern, muss intensiv an einem regionalen Sicherheitssystem gearbeitet werden. Der Iran sollte wissen, dass seine kleineren Nachbarn umso intensiver den Schutz der USA suchen werden, je mehr sie Iran fürchten. Ebenso sollten die USA und Irans Nachbarn signalisieren, dass der Iran keinerlei Einmischung in seine eigenen Angelegenheiten fürchten muss, wenn er jene Aktivitäten aufgibt, die andere bedrohen. Ein regionaler Sicherheitsdialog sollte etabliert werden, um diesen Kommunikationsprozess und die Aufstellung regionaler Regeln zu erleichtern.

Die Kosten steigern

Die Aussichten, alle mächtigen Gruppen im Iran davon zu überzeugen, auf den Erwerb von Nuklearwaffen zu verzichten, wären besser, wenn diese Gruppen den Eindruck hätten, dass die internationale Gemeinschaft sie auch gewaltsam daran hindern könnte, Atomwaffen zu erwerben. Verhandlungen könnten durch die Androhung wirtschaftlicher Sanktionen einer Reihe – statt nur einiger weniger – Länder beschleunigt werden.

Leider scheint die iranische Führung es für unwahrscheinlich zu halten, dass die USA oder ein anderes Land alle iranischen Anlagen zerstören könnten. Die militantesten iranischen Fraktionen glauben, dass sich im Falle einer amerikanischen oder israelischen Militäraktion ohne vorherige Autorisierung durch die Vereinten Nationen die gesamte iranische Bevölkerung geschlossen hinter ihre Regierung scharen würde, um den Angriff abzuwehren. Und die Drohung mit umfassend auferlegten Sanktionen ist schwach, solange Iran seine Nonproliferations-Verpflichtungen nicht unbestreitbar bricht und offen die Nuklearbewaffnung anstrebt. Chinas Weigerung, Wirtschaftssanktionen zur Durchsetzung internationaler Regeln zu unterstützen, wird noch bestärkt durch seine wachsende Abhängigkeit von iranischem Öl. Bislang kann sich der Iran darauf verlassen, dass China von den UN mandatierte Sanktionen blockieren wird.

Folglich sind die Möglichkeiten reichlich begrenzt, die Kosten für Irans herausfordernde Haltung in der Atomfrage zu erhöhen. Die beste Methode, diese Optionen zu verbessern, ist der von der EU entwickelte Verhandlungsweg: die Beibehaltung einer kompromisslosen Linie in der Nuklearfrage verbunden mit angemessen generösen Anreizen für den Iran, wenn er das akzeptiert. Sollte der Iran solche Anreize ablehnen, könnte man ihn für die Provokation einer Krise verantwortlich machen, die der internationalen Gemeinschaft keine andere Wahl lässt als zu härteren Maßnahmen zu greifen. Die amerikanische und andere Regierungen sollten weiterhin Geheimdienstinformationen über die iranischen Atomanlagen sammeln, um damit die Effizienz militärischer Maßnahmen zu erhöhen, wenn keine anderen Optionen mehr übrig bleiben. Die Mitglieder der „Proliferation Security Initiative“ (PSI) sollten die iranische Führung zudem inoffiziell wissen lassen, dass sie keine Anstrengung scheuen werden, um den Iran physisch am Erhalt  oder am Export von nuklearer Technologie und nuklearem Material zu hindern.

Garantie des UN-Sicherheitsrats

Der UN-Sicherheitsrat ist das höchste Gremium zur Durchsetzung des Nichtverbreitungsvertrags, und die UN sind die beste Quelle internationaler Legitimität. Die Bedeutung, die Problematik und die globalen Auswirkungen der iranischen Nuklearaktivitäten werden den Sicherheitsrat dazu zwingen, sich mit der Angelegenheit zu befassen, aber nicht in der strafenden Art und Weise, die die USA wünschen und der Iran fürchtet. Es wäre effektiver, wenn der Sicherheitsrat kurz vor Abschluss der EU-Verhandlungen mit dem Iran eine Resolution erörterte, die genau den Bedingungen beipflichtet, auf die sich EU und Iran verständigt haben. Damit wäre objektiv garantiert, dass der Iran keinerlei militärische nukleare Ambitionen mehr verfolgt und dass die sicherheitstechnischen, technischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse des Iran erfüllt werden.

Dazu wird wahrscheinlich eine Verpflichtung der EU und der internationalen Gemeinschaft, insbesondere Russlands, gehören, mit der dem Iran eine permanente und kostengünstige Lieferung von Nuklearbrennstoff ebenso garantiert wird wie die Rücknahme abgebrannter Brennstäbe. Die Unterstützung durch den Sicherheitsrat kann dazu beitragen, dem Iran zu versichern, dass weder die USA noch andere Staaten dessen Brennstoffversorgung unterbrechen könnten. Kurz gesagt: Eine positive UN-Sicherheitsratsresolution würde die Dauerhaftigkeit eines Abkommens zwischen Iran und der internationalen Gemeinschaft erheblich steigern.

Universelle Standards stärken

Zur Unterstützung iranspezifischer Initativen sollte eine effektive Nonproliferations-Strategie weitere Schritte beinhalten: Staaten sollten durch die IAEO und den Überprüfungsprozess des Nichtverbreitungsvertrags deutlich machen, dass die nukleare Zusammenarbeit mit jedem Staat ausgesetzt werden sollte, für den die IAEO keine ausreichende Bestätigung über die friedliche Nutzung seines Nuklearprogramms abgeben kann. Der IAEO-Gouverneursrat sollte zu solch einer Aussetzung auffordern, wenn der IAEO-Generaldirektor bestätigt, dass ein Staat sich des „ernsthaften Bruchs“ oder der „Nichterfüllung“ schuldig macht, dass ein „inakzeptables Ablenkungsmanöver“ vorliegt oder die IAEO ihre Kontrollen nicht durchführen kann.

Der UN-Sicherheitsrat sollte eine neue Regel einführen, nach der ein Staat, der den Nichtverbreitungsvertrag verlässt, trotzdem für Vertragsverletzungen verantwortlich bleibt, die während seiner Mitgliedschaft begangen worden sind. Der Sicherheitsrat sollte zudem festlegen, dass ein Staat, der den Nichtverbreitungsvertrag verlässt – gleichgültig ob er ihn verletzt hat oder nicht – Nuklearmaterialien, Anlagen, Ausrüstung oder Technologie, die er vor seinem Austritt von anderen Ländern erworben hat, nicht länger nutzen darf. Solche Anlagen, Ausrüstung und Nuklearmaterialien sollten dem Lieferstaat zurückgegeben, eingemottet oder unter internationaler Aufsicht abgebaut werden. Falls ein Staat diese Auflagen nicht erfüllt, würde dies die Legitimation militärischer Aktionen stärken, um die relevanten Anlagen und Ausrüstungen abzubauen. Außerdem könnte die „Nuclear Suppliers Group“ (NSG) festlegen, dass alle Lieferanten von Atomtechnologie Verträge verlangen, wonach ein Staat, der solche Technologien erhält und aus dem Nichtverbreitungsvertrag austritt, die gelieferten Nuklearmaterialien weder benutzen noch weiterverkaufen darf. Die Nuclear Suppliers Group sollte sich auch um eine von internationalen Organisationen erarbeitete Regelung bemühen, nach der keine neuen Urananreicherungs- und Plutoniumabspaltungs-Anlagen auf nationaler Basis in Nicht-Atomwaffenstaaten errichtet werden dürfen. Diese Regel muss in bezug auf Iran sofort formuliert und angewandt werden – gleichzeitig aber als universeller Standard dienen.

Schließlich müssen die USA, die EU und andere Länder die geographische Lage des Iran in einer Region berücksichtigen, in der Israel als einer der Gegner des Iran Atomwaffen besitzt. Das befreit den Iran nicht von seiner Verpflichtung, seinen Nachbarn und der Welt zu versichern, dass er nicht nach Atomwaffen strebt. Aber es erlegt den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats die Pflicht auf, ihre Bemühungen wieder aufzunehmen, um im Nahen und Mittleren Osten eine atom-, bio- und chemiewaffenfreie Zone zu schaffen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2005, S. 65 - 69.

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