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04. Jan. 2013

Deutschland und die Diktatoren

Berlins Politik gegenüber der arabischen Welt ist korrekturbedürftig

In den arabischen Umbruchstaaten geht die deutsche Außenpolitik vorsichtig auf die Islamisten zu, gegenüber den verbliebenen Diktatoren in Saudi-Arabien, am Golf und anderswo steuert sie weiter einen Kurs, als hätte es den Arabischen Frühling nicht gegeben. Das ist nicht nur widersprüchlich, sondern kontraproduktiv.

Die arabischen Revolutionen bedeuten nicht nur eine Zeitenwende in Nord­afrika und dem Nahen Osten, sondern markieren auch einen wichtigen Einschnitt für die deutsche Nahost-Politik. Für die nächsten Jahre dürfte diese von der unübersehbaren Zweiteilung der Region geprägt sein – auf der einen Seite die armen Republiken, auf der anderen die reichen Monarchien. Schon jetzt spiegelt sich dies in der deutschen Politik wider, die in Ägypten, Tunesien und Libyen pragmatisch auf die neuen Herrscher zugegangen ist, auch wenn es meist islamistische Kräfte waren, die in freien Wahlen triumphiert haben. Gegenüber Saudi-Arabien und seinen Verbündeten am Golf sowie Algerien, Marokko und Jordanien setzt die Bundesregierung hingegen weiter auf enge Beziehungen zu Diktatoren, ohne Lehren aus den Umbrüchen zu ziehen.

Dabei haben die Revolutionen zuallererst gezeigt, dass die autoritär regierten Staaten mitnichten stabil sind und dass sich eine längerfristig angelegte Nahost-Politik folglich auf anhaltende Instabilität einschließlich den Zusammenbruch weiterer Regime einstellen sollte. Dies gilt auch und gerade für die wohlhabenden Öl- und Gasstaaten am Persischen Golf. Schon die Ereignisse der vergangenen beiden Jahre in ökonomisch eher unbedeutenden Staaten haben in der Weltpolitik Schockwellen ausgelöst. Sollten sich die Unruhen auf die Golf-Region ausweiten, hätte dies noch weitaus dramatischere Folgen für die Weltwirtschaft und damit auch für die internationale Politik. Zwar zeichnet sich noch keine größere Krise am Golf ab, aber auch Saudi-Arabien und seine Nachbarn sind gegen die Veränderungen in der arabischen Welt nicht immun und bemühen sich, diesen mit allen Mitteln entgegenzuwirken.

Dies sollte für die deutsche Politik Anlass sein, die bisherige Vorgehens­weise zu überdenken. Nichts spricht gegen eine Zusammenarbeit mit Partnern wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Katar. Doch genügt es nicht, die dort herrschenden Autokraten zu Stabilitätsgaranten zu erklären, darauf zu hoffen, dass sie auch in einigen Jahren noch an der Regierung sein werden, und auf diese Weise teils marode Diktaturen zu stützen. Vielmehr stehen gerade die westlichen Partner der Golf-Staaten in der Pflicht, darauf hinzuwirken, dass innenpolitische Spannungen in diesen Ländern abgebaut werden, indem die Herrscher mehr als nur kosmetische politische Reformen zulassen.

Eine zweigeteilte Region

Die arabische Welt teilt sich seit 2011 in zwei Lager, deren Konturen immer deutlicher hervortreten. Auf der einen Seite stehen die Republiken, deren Bevölkerungen, wie in Ägypten und Tunesien, die seit Jahrzehnten herrschenden Regime stürzten oder, wie in Libyen und Syrien, blutige Bürgerkriege begannen. Diesen ist gemein, dass sie erst vor wenigen Jahrzehnten durch Staatsstreiche nationalistisch gesinnter Offiziere begründet wurden; es gelang ihnen aber nie, ausreichend Legitimität zu gewinnen, um eine größere Krise wie die von 2011 zu meistern. Zudem sind diese Länder verhältnismäßig arm; den Herrschern fehlten die Mittel, um größere Teile der Bevölkerung durch großzügige finanzielle Zuwendungen zu kooptieren. Die einzige Ausnahme war Libyen, das zwar über hohe Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport verfügte, wo der Staat aber außerstande oder nicht bereit war, breite Teile der Bevölkerung an dem Reichtum teilhaben zu lassen.

Auf der anderen Seite stehen die Monarchien der reichen Öl- und Gasstaaten, die es bislang verstanden haben, ihre Macht zu bewahren. Ein Grund hierfür war, dass die in den vergangenen Jahren besonders hohen Exporterlöse es den herrschenden Regimen erlaubten, die Bevölkerung durch Geldgeschenke ruhig zu halten. Die meisten Regime dieser zweiten Staatengruppe verfügen darüber hinaus auch über historische und religiöse Legitimität. So herrschen die Dynastien in Saudi-Arabien, Bahrain, Kuwait, Oman und Marokko seit Jahrhunderten. Der marokkanische König beansprucht den historisch und religiös enorm aufgeladenen Titel eines „Beherrschers der Gläubigen“ und der von Saudi-Arabien den eines „Hüters der Heiligen Stätten von Mekka und Medina“.

Diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass die genannten Autokraten bisher relativ sicher waren, wenngleich die Revolten in den Nachbarländern nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen sind. Besonders dramatisch waren die Ereignisse in Bahrain, wo es den Sicherheitskräften im März 2011 zwar gelang, Proteste der schiitischen Bevölkerungsmehrheit zu unterdrücken. Doch setzten sie hierzu brutale Gewalt ein, was dazu führte, dass sich die Proteste seitdem auf niedrigem Niveau fortsetzen und es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen kommt. Saudi-Arabien ist in diesem konservativen Lager zur unbestrittenen Führungsmacht aufgestiegen und versucht, die innenpolitische Lage in den Partnerländern zu stabilisieren. Zuletzt stützte es gemeinsam mit den anderen Golf-Staaten die Regime in Marokko, Jordanien, Bahrain und Jemen mit Geldzahlungen. Im Mai 2011 bot das Königshaus Rabat und Amman zudem die Aufnahme in den Golf-Kooperationsrat an. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass es dazu kommt, doch war die Botschaft eindeutig. Riad will ein Übergreifen der Umbrüche auf die Monarchien vermeiden, koste es, was es wolle.

Dabei profitieren Saudi-Arabien und seine Verbündeten von der fortgesetzten Hilfe durch die USA. Diese unterstützten zwar, nach anfänglichem Zögern, die Freiheitsbewegungen in Nordafrika und der Levante, nicht aber die am Persischen Golf. Vielmehr garantieren die Vereinigten Staaten weiterhin die Sicherheit der Golf-Staaten, die im Gegenzug Öl und Gas zu akzeptablen Preisen liefern und vor dem Hintergrund des seit Jahren schwelenden Konflikts zwischen den USA und dem Iran ein noch wichtigerer Partner geworden sind. Die Konsequenzen zeigten sich 2011 und 2012 in Bahrain, wo die USA die repressive Politik der Regierung nur sehr zögerlich kritisierten und immer noch vage von Reformen sprachen, als längst offensichtlich war, dass die Führung in Manama kein Interesse an einer Verständigung mit der Opposition hatte.

Deutsche Politik gegenüber den Revolutionen

Wie die meisten Beobachter wurde auch die Bundesregierung von den Ereignissen in Nordafrika und im Nahen Osten überrascht, und sie passte ihre Politik nur zögerlich den neuen Realitäten an. Der wichtigste Kurswechsel bestand in der erklärten Bereitschaft, mit der Muslimbruderschaft zusammenzuarbeiten. Berlin ging dabei allerdings sehr vorsichtig vor. Zurückhaltung und Zögerlichkeit zeigte sich auch und gerade im Fall Libyen, als sich Deutschland bei der Verabschiedung der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats der Stimme enthielt; nicht nur bei den NATO-Partnern, sondern auch in der arabischen Welt stieß die offensichtlich zutage tretende Diskrepanz zwischen deutscher Rhetorik und deutscher Politik auf Kritik.

Auch im Umgang mit den Islamisten reagierte die Bundesregierung eher, als dass sie Politik gestaltete. Bereits im Sommer und Herbst 2011 zeichnete sich ab, dass Islamisten – die Muslimbruderschaft in Ägypten und Libyen, die Nahda-Partei in Tunesien – eine wichtige Rolle in den politischen Systemen ihrer Länder spielen würden. Doch erst als an-Nahda die tunesischen Parlamentswahlen im November 2011 mit mehr als 40 Prozent der Stimmen gewann, erarbeiteten Diplomaten im Auswärtigen Amt Leitlinien für den Umgang mit Islamisten in der arabischen Welt. Dabei plädierten sie grundsätzlich dafür, vorsichtig auf „moderate islamistische Parteien“ zuzugehen, formulierten aber auch Vorbehalte, insbesondere mit Blick auf die Positionen dieser Gruppierungen im israelisch-arabischen Konflikt.1

Gleichzeitig begann Außenminister Guido Westerwelle, die neue Strategie der Öffentlichkeit vorzustellen, indem er bestätigte, dass die Bundesregierung Kontakte zur Muslimbruderschaft aufgebaut habe. Er verwies darauf, dass der Wandel der türkischen Islamisten der „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdog˘an ein Modell für die arabische Welt sein könne. Zwar formulierte der Außenminister „rote Linien“, die nicht überschritten werden dürften; so sollten die Islamisten „auf Gewalt verzichten, sich zu Demokratie, Rechtsstaat, Pluralismus sowie zum inneren und äußeren Frieden bekennen“.2  Doch gab es kaum Hinweise, dass weiterhin tatsächlich Vorbehalte geltend gemacht wurden. Im Anschluss an einen Besuch in Tunesien im Januar 2012 ging der Außenminister noch einen Schritt weiter, als er in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht mehr von Islamisten, sondern von „islamisch orientierten Kräften“ und „moderat islamischen Parteien“ sprach; er hoffe, dass sie sich zu „islamisch demokratischen Parteien“ entwickeln würden.3  Die Bundesregierung konzentrierte sich auch danach auf Tunesien, die Zusammenarbeit wurde 2012 beachtlich ausgeweitet. Offensichtlich hatte sich die Ansicht durchgesetzt, dass die Erfolgsaussichten des islamistischen Experiments in diesem Land besonders hoch seien. Dabei handelte es sich um eine deutliche Abkehr von der bisherigen Politik, die bis 2010 fast alle Kontakte zur Muslimbruderschaft und ideologisch verwandten Organisationen ausgeschlossen hatte.

Berlin und die verbliebenen Diktaturen

Schon vor 2011 hatte Deutschland – im Gegenzug für die Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung sowie in Anerkennung ihrer Rolle als verlässliche Energielieferanten, ihrer „prowestlichen“ Orientierung und der gemeinsamen Interessen im israelisch-palästinensischen Konflikt – weitgehend kritiklos auf die Diktatoren der Region gesetzt. Wenn es Anlass zu Kritik gab, zum Beispiel an der Menschenrechtssituation, genügte der Hinweis auf die islamistische Gefahr, um Kritik aus Deutschland und Europa zum Verstummen zu bringen. Bislang knüpft die Bundesrepublik gegenüber Ländern wie Saudi-Arabien und den kleinen Golf-Staaten, Jordanien, Marokko und auch Algerien nahtlos an ihre Politik vor den Umbrüchen in Nahost an.

Besonders problematisch ist das Erbe der Jahre nach 2001, als die Bundesregierung verstärkt die Zusammenarbeit mit den autoritären Regimen der Region suchte. Grund waren die Anschläge des 11. September 2001 und die Einsicht, dass Al-Kaida eine arabische Organisation war. Wer, wie die Amerikaner und die Europäer, den dschihadistischen Terrorismus wirksam bekämpfen wollte, verstärkte die Zusammenarbeit mit arabischen Diktaturen, die sich als Verbündete bei der Terrorismusbekämpfung präsentierten. Dies war tatsächlich notwendig, da die meisten Terrorverdächtigen aus der arabischen Welt stammten und nur die dortigen Sicherheitsbehörden über nun dringend und rasch benötigte Einblicke in terroristische Strukturen verfügten.

Unter der Leitung des Innenministeriums baute die Bundesregierung die Kontakte zu Ländern wie Ägypten, Saudi-Arabien, Algerien, Jordanien, Kuwait und Syrien aus. Dies war allerdings problematisch, weil diese Regime die von westlichen Ländern gelieferten Ausrüstungsgegenstände, Ausbildung und auch Geld nicht nur im Kampf gegen Al-Kaida, sondern auch zur Überwachung oppositioneller Gruppen nutzten. Die USA und ihre Verbündeten müssen sich deshalb heute die Frage gefallen lassen, ob ihre Unterstützung nach 2001 nicht dazu beitrug, dass Regime wie das von Hosni Mubarak in Ägypten sich noch bis 2011 halten konnten.

Offensichtliche Diskrepanzen

In Deutschland gab es nur wenige Stimmen, die vor den Folgen dieser Politik warnten und auf die allzu offensichtliche Diskrepanz zwischen den öffentlichen Bekenntnissen deutscher Politiker zu Demokratie und Menschenrechten und der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den arabischen Diktatoren verwiesen. Zahlreiche Gelegenheiten, den Zielkonflikt zwischen Terrorismusbekämpfung und dem Eintreten für politische Reformen in arabischen Ländern zu diskutieren, wurden verpasst. Dem BND-Untersuchungsausschuss gelang es im Winter 2007/08 immerhin, die Sicherheitszusammenarbeit zwischen Deutschland und Syrien in den Jahren 2002/03 zu beleuchten. Die deutsche Seite, vertreten vom Kanzleramt und dem Bundesnachrichtendienst, hatte gehofft, wichtige Informationen für die Terrorismusbekämpfung zu erhalten, während es den Syrern offenkundig um die verbesserte Überwachung islamistischer Oppositioneller im deutschen Exil ging. Die übergeordnete Frage der Zusammenarbeit mit Diktaturen spielte in der folgenden Debatte aber keine Rolle.

Die Zusammenarbeit mit Ägypten, Tunesien, Jordanien oder Marokko wurde derweil erst gar nicht auf den Prüfstand gestellt, weil diese Staaten seit langem als treue Verbündete des Westens galten. Aus deutscher Sicht spielte es keine Rolle, dass es sich auch in ihrem Fall um Diktaturen handelte, in denen die Opposition mehr oder weniger brutal verfolgt wurde. Dass gerade die Unterdrückung der islamistischen Opposition maßgeblich zur Entstehung des islamistischen Terrorismus beigetragen hatte, war eine Einsicht, die sich in der deutschen Politik nicht durchsetzte.

Für Deutschland waren die Folgen dieser Politik nicht so dramatisch, weil es in Nordafrika und im Nahen Osten nur als Juniorpartner der USA auftrat und auch Frankreich und Großbritannien sehr viel aktiver waren. Insgesamt jedoch schadete die Unterstützung der Diktatoren einmal mehr der Glaubwürdigkeit westlicher (und damit auch deutscher) Politik, der von arabischer Seite vorgeworfen wurde, ungeachtet von demokratischen Lippenbekenntnissen in der politischen Praxis auf Stabilität zu jedem Preis gesetzt zu haben.

Im Verhältnis zu Saudi-Arabien und den anderen „stabilen“ Staaten der Region setzt Deutschland diese in Nordafrika und der Levante bereits gescheiterte Politik fort. So intensivierte die Bundesregierung die Zusammen­arbeit bei der Terrorismusbekämpfung mit Saudi-Arabien, Kuwait, Jordanien, Algerien und Marokko und baute die Beziehungen zu den arabischen Staaten am Persischen Golf weiter aus – die womöglich wichtigste Neuentwicklung der deutschen Nahost-Politik seit 2001. Sie ist einerseits folgerichtig, denn aufgrund ihrer Öl-und Gasreserven und ihrer Finanzkraft werden Saudi-Arabien und seine Nachbarn wichtige Akteure der Weltpolitik bleiben. Andererseits sind die negativen politischen und wirtschaftlichen Folgen im Falle eines Scheiterns westlicher Politik am Golf ungleich größer.

Seit 2003 hat die Bundesregierung ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien stetig ausgebaut. Ziel der Bundesrepublik war und ist vor allem die Förderung des Außenhandels, doch hatten einige der neueren Geschäfte eine klare sicherheitspolitische Dimension. Bisheriger Höhepunkt der von mittlerweile drei deutschen Regierungen betriebenen Zusammenarbeit war der geplante Verkauf von 270 Leopard-Kampfpanzern in das Wüstenkönigreich. Vor dem Hintergrund des Arabischen Frühlings war dieses Geschäft jedoch höchst problematisch. Dies betraf zunächst einmal die Ausstattung der bestellten Panzer. Es handelt sich um den Leopard 2A7­+, der für die Aufstandsbekämpfung in bewohntem Gebiet umgerüstet ist und sich damit vor allem für die Niederschlagung von Unruhen im Inland eignet.

Saudi-Arabien führt zwar eine prowestliche Außenpolitik. An dem autoritären Charakter des Regimes, das darüber hinaus religiöse Minderheiten brutal diskriminiert, hat sich allerdings nichts geändert. Die Unterdrückung betrifft insbesondere die rund zwei Millionen Schiiten des Königreichs, die in allen Lebensbereichen unter massiven Benachteiligungen leiden und wohl jede sich bietende Gelegenheit zum Umsturz nutzen würden. Es war vor allem der Blick auf die eigene schiitische Minderheit, der die Regierung in Riad bewog, im März 2011 im benachbarten Bahrain einzumarschieren, um dem bedrängten sunnitischen Herrscherhaus dort beizustehen. Dass Saudi-Arabien auch im Inland im Fall der Fälle deutsche Waffen einsetzen würde, darf als wahrscheinlich gelten. Kurz: Hier wurde und wird Politik betrieben, als habe es den Arabischen Frühling nicht gegeben.

Neue Strategien

Eine gute und erfolgreiche Politik gegenüber den Staaten der arabischen Welt – und auch darüber hinaus – wäre dagegen eine, die bei aller aus praktischen Gründen notwendigen Zusammenarbeit eine sichtbare Distanz zu den Diktatoren wahrt und sich auf ein Ende ihrer Regime vorbereitet, indem sie breitgefächerte Kontakte zur Opposition pflegt. Die deutsche Politik sollte dazu übergehen, Regime nicht mehr nur nach ihrer außenpolitischen Orientierung, sondern auch nach ihrem Umgang mit oppositionellen Kräften im Innern zu bewerten.

Der Fall Saudi-Arabien könnte zu einem Muster für eine zukunftsorientierte deutsche Politik werden, die pragmatisch den Kontakt zu wichtigen Partnern sucht und gleichzeitig auf politischen Wandel hinarbeitet. Insgesamt ist es wichtig und richtig, die Kontakte zu Riad und den kleinen Golf-Staaten auszuweiten. Eine führende Industriemacht muss gute Beziehungen zu den wichtigsten Öl- und Gasförderstaaten der Welt unterhalten, und da sich der geopolitische Schwerpunkt des Nahen und Mittleren Ostens schon seit den siebziger Jahren zum Persischen Golf hin verschiebt, ist auch die Hinwendung Deutschlands zu dieser Region nur folgerichtig.

Saudi-Arabien hat sich seitdem immer wieder als wichtiger Partner westlicher Politik und als verlässlicher Energielieferant erwiesen. Gleichzeitig schüren Riads innenpolitischer Kurs und die Intervention in Bahrain konfessionelle Gegensätze in der Golf-Region und treiben letzten Endes die schiitische Opposition dort in die Arme des Iran. Deutsche Politiker sollten diese Missstände immer wieder auch öffentlich ansprechen und von Riad ein Ende der Diskriminierung religiöser Minderheiten fordern. Dies würde nicht nur die deutsche und europäische Demokratisierungsrhetorik glaubwürdiger machen, sondern entspräche auch dem deutschen Interesse an langfristiger Stabilität in der Region.

Eine solche Strategie könnte sich auch in den Umbruchstaaten als fruchtbar erweisen. Denn die positive Bewertung der Muslimbruderschaft und anderer nichtmilitanter Islamisten ist deutlich verfrüht. Noch ist nicht abzusehen, ob sich die Muslimbrüder in Ägypten in ein stabiles demokratisches politisches System einbinden lassen oder ob sie vielmehr versuchen, Konkurrenten auszuschalten. Autoritäre Tendenzen sind im Land am Nil ebenso wie in der so oft als Vorbild gerühmten Türkei nicht zu übersehen. Es ist also durchaus möglich, dass deutsche Politik auch hier zukünftig mehr Distanz zu den herrschenden Regimen aufbauen muss, als sie dies seit November 2011 tut.

Dr. Guido Steinberg arbeitet in der  Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und  Politik (SWP).

  • 1Ende der Vorbehalte. Bundesregierung strebt Dialog mit Islamisten in Arabien an, Süddeutsche Zeitung, 15.11.2011.
  • 2 Interview mit Guido Westerwelle: Deutschland hält Kontakte zur Muslimbruderschaft, Financial Times Deutschland, 24.11.2011.
  • 3Guido Westerwelle: Politischer Islam und Demokratie, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.1.2012.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/ Februar 2013, Seite 35-43

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