Der Preis der Stabilität
Ägyptens Medien üben sich in Selbstzensur oder sind Sprachrohr des Regimes
Ägyptens Journalisten hatten unter dem Regime von Hosni Mubarak viel Übung darin, ihre Kritik so zu verpacken, dass sie möglichst keinen Ärger mit der Staatssicherheit bekamen. So machen sie es jetzt auch unter dem neuen Präsidenten, Abd al-Fattah al-Sisi. Die Zeitung Al-Masry al-Youm (Der Ägypter heute), eine der meistgelesenen in Ägypten, titelte nach dem Beginn der Präsidentenwahl: „Das Land sucht nach Stimmen.“ Auch die Zeitung Al-Schuruq (Der Sonnenaufgang) machte mit einer ähnlichen Schlagzeile auf: „Die Wahllokale suchen nach Wählern.“
Der ehemalige Armeechef al-Sisi hatte zuvor in mehreren Interviews die Höhe der Wahlbeteiligung zum Maßstab für seinen Sieg gemacht. Pausenlos liefen TV-Werbespots, die zum Wählen aufforderten. „Geh’ raus und beteilige dich!“, blendete das Staatsfernsehen tagelang in der linken oberen Ecke ein. Der Präsident der Wahlbehörde ver-sicherte in einem Interview mit dem Privatsender „Sada al-Balad“ (Echo des Landes) kurz vor der Wahl, die Stimmzettel seien auch gültig, wenn jemand „ich liebe dich“ oder ein Herz um den Namen des Kandidaten malte.
Die offiziellen Angaben zur Wahlbeteiligung (44,4 Prozent) sind angesichts der Livebilder im Fernsehen, die durchgängig verwaiste Wahllokale zeigten, durchaus fragwürdig. Die meisten Kommentatoren griffen das mangelnde Interesse an den Wahlen auf und fragten sich, wie es dazu kommen konnte. Imad al-Din Husain schrieb in einem Leitartikel für die Tageszeitung Al-Schuruq (29. Mai): „Wir stellen fest, dass das Image von al-Sisi großen Schaden erlitten hat, als die Wahllokale öffneten. Der Schaden wird auch bleiben, denn für eine politische Schlacht gilt, dass zuerst der Krieg der Bilder gewonnen werden muss, bevor man den Krieg selbst gewinnt. Im politischen wie im militärischen Krieg gilt, dass es eine Seite geben muss, die den Preis der Niederlage bezahlt.“ Bei der Wahl habe es einen Verlierer gegeben, schreibt der Kommentator und meint damit die Wahlbeteiligung. „Der Feldmarschall wird nach demjenigen suchen müssen, nach dessen Informationen er sich verleitet fühlte zu sagen, dass die Zahl seiner Wähler 30 bis 40 Millionen betragen werde.“
Die meisten Berichte und Analysen jedoch waren Lobeshymnen auf al-Sisi. Kritische Texte sind rar, seit das Militär den damaligen Präsidenten Mohammed Mursi am 3. Juli 2013 stürzte. Die ägyptischen Medien sind seitdem nicht mehr wiederzuerkennen. Die Eigentümer vieler Zeitungen und Fernsehsender haben sich auf die Seite der Generäle geschlagen, weshalb es auch schwierig geworden ist, sie einzuordnen. Bekannte Journalisten wurden entlassen oder beurlaubt, wie Rim Magid, deren Sendung „Baladna bi al-Masry“ (Unser Land auf Ägyptisch) zu den beliebtesten des Landes zählte. Sie hat die Armeeführung regelmäßig kritisiert und ist seit dem Umsturz nicht mehr auf Sendung gegangen. Auf Twitter sagte Magid später, dass „das Schweigen manchmal die glaubwürdigste Nachricht“ sei. Der beliebteste Komiker des Landes, Bassim Yusif, hat Anfang Juni 2014 seinen endgültigen Rückzug aus Angst um seine persönliche Sicherheit bekannt gegeben. Der katarische Sender Al-Dschasira hat kein Büro mehr in Kairo und erlebt eine regelrechte Hexenjagd auf seine Mitarbeiter, weil Katar die Muslimbruderschaft unterstützt – vier Journalisten sind seit Monaten im Gefängnis.
In den Redaktionen herrscht Selbstzensur – von höchster staatlicher Stelle verordnet. So bestellte al-Sisi am 8. Mai, drei Wochen vor der Wahl, 20 Chefredakteure zum Rapport und erklärte ihnen, wie er sich Journalismus vorstellt. Ein Teil dieser Rede wurde von mehreren Fernsehsendern übertragen: „Ihr lest auf Facebook, dass es Demonstrationen gibt. Dann schreibt ihr: ,Keine Stimme ist lauter als die Stimme der Freiheit!‘ Was soll das? Wem soll das was bringen? Millionen Väter wissen nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollen, weil es keine Stabilität gibt.“
Al-Sisi stellte klar, was er unter Freiheit versteht: Es brauche ein Gleichgewicht zwischen dem „Ausdruck der Meinungsfreiheit“ und den „Kräften der Polizei“. Das Problem sei, dass viele Ägypter die westlichen Demokratien als Vorbild nähmen, deren Konzepte aber an der ägyptischen Realität scheitern würden. „Ich befürchte, solange wir hier Demokratie betreiben, werden wir nicht zu einer Nation zusammenfinden“, sagte er. Al-Sisi sprach zwar nicht direkt von Zensur, gab den Chefredakteuren aber zu verstehen, dass er keine schlechte Presse wünsche: „Gebt den Regierungsleuten eine Chance. Falls ihr Informationen habt, dann sollt ihr wissen, dass ihr bei den Verantwortlichen ein Ohr habt. Ihr müsst sie nicht veröffentlichen.“
Verlorene Pressefreiheit
Ausländische Journalisten haben in den vergangenen Wochen darüber geklagt, dass sie von Spitzeln der Staatssicherheit festgehalten und eingeschüchtert wurden. Der absurde Vorwurf: Sie hätten mit Anhängern des Präsidentschaftskandidaten Hamdin Sabahi gesprochen und wollten Unruhe stiften. Andere ausländische Journalisten bekamen Anrufe von hohen Stellen mit der Aufforderung, kritische Berichte zu unterlassen.
Von den Medien wird die Sorge um die Pressefreiheit freilich nur selten thematisiert. Ende Mai wurde der Kolumnist Fahmi Huwaidi am Flughafen in Kairo an der Ausreise gehindert. Huwaidi zählt zu den bekanntesten Autoren des Landes und hat sich als moderater Islamist einen Namen in der arabischen Welt gemacht. Der Journalist Karim Abd al-Salam kommentierte das Ausreiseverbot in der Zeitung Al-Youm al-Sabaa (Der siebte Tag): „Ja, wir widersprechen uns und ich unterscheide mich von dem, was Fahmi schreibt. Aber trotzdem sitzen wir jetzt mit ihm in einem Boot und fühlen uns ihm nahe, weil es um das Thema Freiheit geht.“
Auch im Internet werden die neuen Machthaber nur noch selten kritisiert. Es gibt keine nennenswerten Blogger mehr, und auf Facebook reden die Leute über Fußball statt über Politik. Die meisten Meldungen auf Twitter sind Re-Tweets, denn kaum jemand traut sich noch, seine eigene Meinung zu sagen. Einer der bekanntesten Journalisten des Landes, Yusry Foda, der auf Twitter 1,5 Millionen Follower hat, war früher bekannt für seine analytischen Kommentare; heute postet er nur noch Ausschnitte aus Fernsehsendungen.
Brandrede gegen das Schweigen
Einer der wenigen, die sich noch äußern, ist Amr Hamzawy, ein liberaler Politikprofessor, der lange in Holland und Deutschland gelebt hat. In einer Kolumne in Al-Schuruq (8. Mai) schrieb er eine Brandrede gegen das Schweigen: „An die Schriftsteller, Politiker und Journalisten, die sich eine Meinung aufzwingen lassen und mit einer Stimme sprechen. Die zu den Menschenrechtsverletzungen und dem Beschneiden der Freiheit schweigen und das alles rechtfertigen mit der ,Notwendigkeit, Krieg gegen den Terror‘ zu führen oder mit dem ,Chaos, das die Demonstrationen und das Aufbegehren der Jugend verursacht haben‘. Glauben Sie, dass das Blutvergießen und die Menschenrechtsverletzungen stoppen werden, wenn der Kandidat in das Präsidentenamt eingezogen ist?“
Besonders prangerte Hamzawy „das Fehlen jeglicher Diskussion über die Justiz in dieser Übergangszeit“ an. Die Berichte über die fast wöchentlich stattfindenden, fragwürdigen Prozesse, in denen oft Dutzende Mitglieder der Muslimbruderschaft mit drakonischen Strafen abgeurteilt werden, verschwinden in den Randspalten der Zeitungen. Selbst verstörende Richtersprüche – wie jene, durch die mehr als 500 Muslimbrüder die Todesstrafe erhielten – führten zu keinem Aufschrei in den Medien.
Das Internetportal „Wiki Thawra“, das die Daten von Menschenrechtsorganisationen sammelt, berichtete Ende Mai, dass seit dem Militärputsch 41 163 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert worden seien. Auf den Straßen finden kaum noch Proteste statt. Im November 2013 trat das verschärfte Demonstrationsrecht in Kraft; Versammlungen müssen demnach mit zeitlichem Vorlauf angemeldet und genehmigt werden; außerdem darf die Polizei mit aller Härte gegen Demonstranten vorgehen. Die Rechtsanwältin Mahinur al-Masri, eine Ikone der Revolution, wurde im Dezember 2013 vor dem Gebäude des Strafgerichts in Alexandria festgenommen, weil sie an einer unangemeldeten Protestaktion teilnahm. Anfang Mai fand der Prozess statt. Die Aktivistin wurde zu zwei Jahren Haft und einer Geldstrafe in Höhe von 50 000 ägyptischen Pfund (ca. 5100 Euro) verurteilt. Über Facebook wurde danach ein Foto verbreitet, auf dem Mahinur al-Masri und Hosni Mubarak zu sehen sind. Dazu der Kommentar: „Mubarak bekam drei Jahre Gefängnis wegen Korrup-tion. Mahinur zwei Jahre Gefängnis, weil sie auf einer Demonstration war.“
„Bedrohung“ von innen und außen
Neben der Präsidentenwahl beschäftigten sich die Medien vor allem mit der Sicherheitslage im In- und Ausland. Die Staatsmedien feiern Polizisten und Soldaten als Helden. Als Ende Mai im Sinai ein Polizist von maskierten Tätern erschossen wurde, kam der Innenminister medienwirksam zum Begräbnis. Bemerkenswert ist, dass der Polizist ein Mitglied der „Zentralen Sicherheit“ (Amn al-Markazi) war. Diese Einheit wurde zum Symbol des Polizeistaats unter Mubarak, weil sie besonders brutal gegen Demonstranten vorging.
In der staatlichen Zeitung Al-Achbar (Die Nachrichten) erschien am 25. Mai ein langer Kommentar zum Tod des Polizisten, den der Verfasser mit „Im Namen Gottes“ überschrieb: „Ägypten ist dem terroristischen Verrat ausgesetzt, gesteuert von der kriminellen Muslimbruderschaft, die vom Ausland unterstützt wird. Über diese Gruppe herrscht der Satan und sie hat allen Ägyptern den Krieg erklärt. Aber unsere Helden bei der Polizei und dem Militär werden es ihnen nicht gestatten, ihre Pläne auszuführen, und das Volk auch nicht.“
Doch auch die kritische Lage in Libyen bereitet den Ägyptern Sorgen. Der Wahlkämpfer al-Sisi hatte in Interviews wiederholt von einer „terroristischen Gefahr“ gesprochen, die vom Nachbarland ausgehe. Ägypten werde dies nicht dulden und militärisch dagegen vor-gehen, wenn es sein müsse. Am 17. April erschien in der Zeitung Al-Wafd (Die Delegation) ein Bericht mit der Überschrift: „Freie Ägyptische Armee wartet auf die Stunde Null.“ Darin hieß es: „Medien haben kürzlich darüber spekuliert, dass die terroristische Muslimbruderschaft (im Ausland) eine so genannte Freie Ägyptische Armee gründen wolle, um die Muslimbruderschaft (in Ägypten) zu unterstützen.“
Ausländische und arabische Zeitungen hätten angedeutet, dass die Freie Ägyptische Armee längst nicht mehr nur eine Idee in den Köpfen der Führer der Muslimbruderschaft und anderer Extremisten sei. „Sie ist Realität geworden und wartet auf die Stunde Null an der westlichen ägyptischen Grenze, um die Sicherheitskräfte zu attackieren und das Land zu destabilisieren.“
Auch wenn Ägypten jetzt über einen Präsidenten abgestimmt hat und demnächst Parlamentswahlen anstehen – bis zu einer echten Demokratie ist es noch ein langer Weg.
Gerald Drißner begann als Redakteur beim Stern und arbeitet heute als freier Journalist und Buchautor in Tunesien. Davor lebte er in Israel, der Türkei und in Ägypten, wo er fünf Jahre Arabisch studierte.
Internationale Politik 4, Juli/August 2014, S. 126-129