An den Aufgaben gewachsen
Erfolg oder Misserfolg von Bundeswehreinsätzen zu bemessen, ist nicht leicht; weder Politik noch Wissenschaft haben bislang Bemessungskriterien entwickelt. Politisch hält sich die Bilanz die Waage, gesellschaftlich mangelt es an Rückhalt. In militärischer Hinsicht aber haben die Einsätze die deutschen Streitkräfte erst zum vollwertigen Partner gemacht.
Nach 28 Jahren Auslandseinsätze der Bundeswehr eine Bilanz zu ziehen, ist ein schwieriges Unterfangen. Denn zum einen hatten die Auslandseinsätze der Bundeswehr unterschiedlichste Charaktere. Sie reichten von der Entsendung von Sanitätssoldaten nach Kambodscha (1992) bis hin zu Einsätzen wie zum Beispiel in Afghanistan, in denen die Truppe (oder Teile der Truppe) kämpfen und demzufolge auch töten musste. Diese Einsätze über ihr gesamtes Spektrum hinweg zu bilanzieren, ist deshalb nahezu unmöglich.
Fehlende Kriterien
Es ist aber auch deshalb ein schwieriges Unterfangen, weil sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik Kriterien fehlen, nach denen der Erfolg bzw. Misserfolg dieser Einsätze bemessen werden kann. Von offizieller Regierungsseite fehlt es bislang an veröffentlichten „Lessons Learned“-Studien, aus denen sich für die interessierte Öffentlichkeit diese Kriterien entnehmen ließen oder aus denen man Anregungen für die Entwicklung von Kriterien zur Beurteilung deutscher Auslandseinsätze ableiten könnte. Und noch ein Drittes erschwert die Bilanzierung der bisherigen Auslandseinsätze der Bundeswehr, nämlich die Frage nach den unterschiedlichen Kontexten der Bewertung. Denn bereits auf den ersten Blick muss man diese Frage auf mindestens drei Ebenen beantworten: auf der politischen, der gesellschaftlichen und der militärischen.
So fällt die Bilanz deutscher Auslandseinsätze gemischt aus. Während in der Politik viele Illusionen vorherrschten, welche politischen Ziele sich mit der Entsendung der Bundeswehr in diverse Operationen erreichen ließen, und die strategische Kommunikation sowohl in die Gesellschaft als auch in die Truppe lange Zeit mangelhaft war, lehnten breite Teile der Gesellschaft die meisten Einsätze ab. Diese Ablehnung ist aber weniger als Ausdruck eines in der bundesrepublikanischen Gesellschaft tief verankerten Pazifismus zu betrachten, sondern entspringt vielmehr der Tatsache, dass die Sinnhaftigkeit vieler „Out of area“-Einsätze der Bevölkerung durch die Politik nur unzureichend vermittelt wurde. Militärisch hingegen wurde die Bundeswehr durch die diversen Auslandseinsätze „erwachsen“ und ist heute in der Lage, mit den großen NATO-Partnern im gesamten Aufgabenspektrum auf Augenhöhe zu agieren.
Die politische Bilanz
Zieht man politisch Bilanz, so muss zuerst die folgende Frage beantwortet werden: Mit welchen Zielen wurden die Einsätze begonnen – und wurden diese erreicht? Hier muss man festhalten, dass die formulierte Zielsetzung oftmals liberalen Illusionen entsprang; allerdings waren solche Vorstellungen in der westlichen Welt lange Zeit en vogue. So ging es in den großen Einsätzen (Bosnien, Kosovo, Afghanistan) auch stets darum, Staaten zu demokratisieren, weil der irrige Glaube vorherrschte, dass sich nur durch die Einführung von Demokratie, freier Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit eine Wiederholung der barbarischen Ereignisse verhindern ließe, die jeweils zum Einsatz der militärischen Koalitionen – von denen die deutschen Streitkräfte ein Teil waren – geführt hatten.
Misst man die Einsätze an dieser politischen Zielsetzung, so kommt man zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sie Misserfolge waren. Weder in Bosnien-Herzegowina noch im Kosovo und erst recht nicht in Afghanistan ist es gelungen, stabile Demokratien zu installieren. Zwar gibt es heute weder in Bosnien noch im Kosovo Kampfhandlungen zwischen den ehemaligen Bürgerkriegsparteien, aber als Staatsgebilde funktionieren beide Einheiten eher schlecht als recht und die Spannungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen sind noch immer hoch (weniger im Kosovo, der ethnisch ein fast homogener Staat ist). In Afghanistan ist es nach 17 Jahren militärischer Präsenz der NATO und der USA noch immer nicht gelungen, die Kampfhandlungen zwischen den Taliban und der Zentralregierung zu beenden. Die Zentralregierung besteht aus korrupten Politikern, die mehr in ihre eigene Tasche wirtschaften, als sich um die Entwicklung des Landes zu kümmern. Fragt man also danach, ob die Auslandseinsätze ihr politisches Ziel erreicht haben, so kommt man nicht umhin, dies mit Nein zu beantworten.
Ein anderer Aspekt der politischen Bilanz ist allerdings erstaunlich: CDU und SPD haben bei allen Einsätzen der Bundeswehr stets darauf geachtet und im Parlament auch darauf gedrungen, dass die Mandate des Deutschen Bundestags, die die Einsätze der Bundeswehr überhaupt erst ermöglichen, immer mit den Stimmen dieser beiden Parteien verabschiedet wurden. Damit wurden die Auslandseinsätze in der Regel mit großer Mehrheit vom Parlament gebilligt. Auf diese Weise wurde der Gesellschaft, aber, noch wichtiger, den Soldatinnen und Soldaten signalisiert, dass der Einsatz breite Unterstützung erfährt und demokratisch klar legitimiert ist.
Der oftmals kritisierte Parlamentsvorbehalt, den das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zu Auslandseinsätzen gestärkt hat, hat sich in keinster Weise als Problem für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik erwiesen. Alle Partner und Verbündeten wissen, dass die Bundesrepublik nur in den seltensten Fällen ab Tag eins einer militärischen Operation dabei ist. Damit ist die oftmals von der sicherheitspolitischen Experten-Community geforderte „Modernisierung“ des Parlamentsvorbehalts kein wirkliches politisches Thema. Der Bundestag hat in den vergangenen 20 Jahren weder der Bundeswehr noch Partnern und Verbündeten Anlass gegeben, an der Zuverlässigkeit der durch die Regierung erteilten Zusagen zu zweifeln. Aus dieser Perspektive ist Deutschland im Zusammenhang mit den Bundeswehr-Auslandseinsätzen „erwachsen geworden“. Zwar wurde und wird um die Mandate politisch teils heftig gerungen, bei ihrer Verabschiedung gab es aber nie enge Mehrheiten.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass es nicht zukünftig Reformbedarf beim Parlamentsvorbehalt gibt. Denn je stärker sich die Bundeswehr in multinationalen Einheiten einbringt, desto schwieriger wird es, auf einen Beschluss des Bundestags zu warten, wenn der andere Teil der Verbände bereits seinen Einsatzbefehl in der Tasche hat. Diese Problematik ist von der Bundesregierung in der zurückliegenden Legislaturperiode erkannt worden. Aber die von ihr eingesetzte Kommission unter Leitung des ehemaligen Verteidigungsministers Volker Rühe konnte sich mit den von ihr erarbeiteten Lösungsvorschlägen, zum Beispiel für einen Vorratsbeschluss für den Einsatz von in multinationalen Strukturen eingebundenen Teilen der Bundeswehr, im Parlament nicht durchsetzen. Somit bleibt die Unsicherheit bei zukünftigen Einsätzen deutscher Truppenteile, die in multinationalen Einheiten eingebunden sind, bestehen. Denn weiterhin muss die jeweilige Regierung damit rechnen, dass der Bundestag dem Einsatz auch nicht zustimmen könnte.
Die gesellschaftliche Bilanz
Was die gesellschaftliche Bilanz deutscher Auslandseinsätze anbelangt, so hat sich die Annahme, dass ein mit breiter parlamentarischer Mehrheit verabschiedeter Mandatsbeschluss quasi automatisch einen großen gesellschaftlichen Rückhalt für den Einsatz der Bundeswehr bedeutet, als falsch erwiesen. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden von einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung abgelehnt.
Dabei gilt die Regel: Je weiter ein Einsatz von Deutschland entfernt stattfindet, desto größer ist seine Ablehnung durch breite Teile der Gesellschaft. Und je intensiver die Bundeswehr an Kampfhandlungen beteiligt ist, desto schwieriger ist es für die Politik, diese Einsätze gesellschaftlich zu vermitteln. Dies liegt aber weniger daran, dass die deutsche Gesellschaft strukturell pazifistisch eingestellt wäre oder dass wir in Deutschland in einer „postheroischen Gesellschaft“ (Herfried Münkler) lebten, sondern vielmehr daran, dass breite Teile der deutschen Bevölkerung sich von Konflikten in von Deutschland weit entlegenen Gebieten nicht direkt in ihrer Sicherheit bedroht fühlen. Wenn dies aber der Fall ist, wie angesichts einer halben Million bosnischer Flüchtlinge in den Jahren 1992 bis 1994, dann besteht sehr wohl die Bereitschaft, einen Einsatz der Bundeswehr in diesen Konfliktgebieten zu unterstützen.
Um gesellschaftliche Unterstützung zu gewinnen, hat sich die deutsche Politik oftmals stärkster Schwarz-Weiß-Argumentationen bedient. Derjenige, gegen den die Bundeswehr ins Feld ziehen sollte, war das absolut Böse – eine Hitler-ähnliche Gestalt (zum Beispiel der „Balkan-Hitler“ Slobodan Milosevic), der mit naziähnlichen Methoden operierte („Die Rampe von Pristina“). Mit dieser Argumentationskette, die sich auch in der Begründung des Afghanistan-Einsatzes in ähnlicher Form finden lässt, beging man jedoch den Fehler, einen Verhandlungsfrieden von vornherein unmöglich zu machen. Denn mit dem absolut Bösen kann man nicht verhandeln, man kann es nur vernichten. Hinzu kommt, dass die Realität im Krisengebiet dieser Schwarz-Weiß-Malerei nicht entspricht; dies wird der deutschen Gesellschaft auch recht bald klar. Denn selten kämpft Gut gegen Böse; meistens besteht vielmehr die Wahl zwischen Schlecht und noch Schlechter.
Ein weiterer kommunikativer Fehler der deutschen Politik bestand darin, (fast) alle Auslandseinsätze der Bundeswehr mit rein humanitären Argumentationsmustern zu begründen. So entstand bei großen Teilen der Bevölkerung der Eindruck, dass deutsche Soldaten – zugespitzt formuliert – im Grunde Brunnenbauer seien, deren Sturmgewehr über der Schulter eher als Staffage diente. Als die Situation in Afghanistan aber eskalierte und deutsche Truppenteile immer öfter in Kampfhandlungen verwickelt wurden, bei denen deutsche Soldaten auch ihr Leben verloren (zum Beispiel im „Karfreitagsgefecht“ 2010 in der Provinz Kundus), war das Entsetzen in der deutschen Bevölkerung groß.
Der Politik gelang es nur bedingt, ihre Rhetorik der Realität anzupassen. Anstelle einer klaren, den Verhältnissen vor Ort angemessenen Sprache bediente sich der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg einer semantischen Verrenkung und sprach von „kriegsähnlichen Zuständen“. Dies mag zwar völkerrechtlich angemessen gewesen sein, entsprach aber nicht länger der Wahrnehmung der deutschen Gesellschaft und vor allem nicht der Soldaten im Einsatz.
Die militärische Bilanz
Im Gegensatz zu der eher gemischten politischen und eindeutig negativen gesellschaftlichen Bilanz bietet sich auf der militärischen Ebene ein gänzlich anderes Bild. Militärisch wurde die Bundesrepublik durch ihre vielfältigen Auslandseinsätze „erwachsen“ und entwickelte sich zu einem bei Verbündeten hochgeschätzten Partner. Gewiss, der Weg dorthin war steinig und beschwerlich; ihn detailliert nachzuzeichnen ist hier nicht der richtige Platz. Aber insgesamt betrachtet muss man konstatieren, dass die Bundeswehr heute aufgrund der Erfahrung der Auslandseinsätze in der Lage ist, das gesamte Fähigkeitsspektrum zu bedienen.
Dass dies vorher nicht der Fall war, lag weniger an der mangelnden Bereitschaft der Soldaten und der militärischen Führung, sondern war das Ergebnis von 20 Jahren Fehlentwicklung, was die Ausrüstung der Truppe betrifft. Rüstungsbeschaffungsprozesse, die einem System organisierter Verantwortungslosigkeit glichen, überbürokratisierte Abläufe im Ministerium und bei den Teilstreitkräften, die es nahezu unmöglich machten, schnell und effektiv auf die Bedürfnisse der Soldaten im Einsatz zu reagieren, sind nur zwei der vielen Hindernisse, die den Eindruck erweckten, dass die Bundeswehr nicht in der Lage sei, auf Augenhöhe mit Partnern und Verbündeten im Einsatz zu agieren.
Dennoch wurde die Bundeswehr in den vergangenen 30 Jahren bei fast jedem Einsatz als Partner angefragt. Die Auslandseinsätze haben die Bundeswehr auch professioneller gemacht. Die in den Einsatzgebieten gewonnenen Erfahrungen flossen in die Ausbildung der Soldaten ein (zum Beispiel in das Schießkonzept), um die Truppe noch besser auf mögliche Einsätze vorzubereiten. Festzuhalten ist, dass die Bundeswehr mit einem politisch unrealistischen Mandat in die eher anspruchsvollen Missionen entsandt wurde und trotz teils mangelhafter Ausrüstung in hohem Maße professionell agierte. Die militärische Bilanz fällt also deutlich positiver aus als die politische und gesellschaftliche.
Bessere sicherheitspolitische Kommunikation
Der Weg des militärischen „Erwachsenwerdens“ war von manchen Fehlentwicklungen und auch Fehlentscheidungen geprägt. Trotz aller Mängel, die bis heute bestehen (insbesondere bei der Ausrüstung), kann man aber rückblickend feststellen, dass die Bundeswehr an ihren Aufgaben gewachsen ist und diese – trotz teils widriger Umstände – gemeistert hat. Dies ist vor allem den jeweiligen Bundesregierungen und dem Bundestag zu verdanken; letzterer gab der Bundeswehr den notwendigen Rückhalt und bemühte sich, die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Bundeswehr im Einsatz ihre Aufgaben auch erfüllen konnte. Vor allem aber ist es den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz zu verdanken, die trotz teils erschwerter Bedingungen ihren Auftrag erfüllt haben. Problematisch bleiben jedoch die gesellschaftliche Zustimmung und ein breiter, in der deutschen Gesellschaft verankerter Rückhalt für die Armee im Einsatz. Hier ist es an der Politik, für bessere sicherheitspolitische Kommunikation zu sorgen. Das ist keine leichte Aufgabe, aber man darf sich ihr nicht entziehen.
Prof. Dr. Carlo Masala lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München.
Internationale Politik 5, September-Oktober, 2018, S. 24 - 29