IP Special

28. Apr. 2025

Das Ringen um Demokratie

Endlich Schluss mit Korruption und Misswirtschaft: Viele Menschen kämpfen für Veränderung und wählen Regierungsparteien ab. Können sie sich gegen herrschende Eliten durchsetzen, die sich mit Gewalt an der Macht halten wollen? 

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Bild: Proteste gegen Staatliche Gewalt in Kenia
Anhaltende Proteste in Kenia: Vor allem junge Menschen demonstrieren gegen staatliche Gewalt, Machtmissbrauch, Korruption und Präsident Ruto, wie hier am 30. Dezember 2024 in Nairobi.
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Anfang März 2025 hat der kenianische Präsident William Ruto am Gottesdienst einer evangelikalen Kirche in Roysambu teilgenommen, einem Viertel der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Wie durch ein Brennglas geben die Szenen rund um diesen Gottesdienst einen Eindruck von den Kräften, die derzeit in vielen Ländern des afrikanischen Kontinents um Vor­herrschaft ringen. 

In diesem Ringen geht es in Kenia und andern­orts um die Frage, in welche Richtung sich die Staaten entwickeln: Werden sich die überwiegend jungen, gut gebildeten und technikaffinen jüngeren Menschen durchsetzen, die von den Regierenden eine bessere Regierungsführung, das Ende der grassierenden Korruption und mehr demokratische Teilhabe fordern? Oder werden die herrschenden Eliten die Oberhand behalten, die auf die Proteste und Forderungen mit immer härterer Repression reagieren? Wobei natürlich festzuhalten ist, dass der obige Absatz eine gewagte Grundannahme enthält: dass es möglich wäre, über die politischen Entwicklungen in 54 Staaten mit rund 1,5 Milliarden Einwohnern eine verallgemeinernde Aussage zu treffen. Das geht selbstverständlich nicht, aber vielleicht sind ein paar skizzenhafte Pinselstriche möglich, die in den unterschiedlichen Ländern jeweils anders auszumalen wären. 

Zurück also zu dem Gottesdienst in der Jesus Winner Church in Nairobi. Am 2. März beehrte ­Präsident William Ruto die Gemeinde mit seiner Anwesenheit. Ruto, der sich selbst als evangelikalen Christen bezeichnet, lässt sich regelmäßig in ­immer anderen Kirchen sehen und verbreitet bisweilen selbst von den Kanzeln herab seine politischen Ideen. Viele Menschen auf dem Kontinent sind tief religiös, unabhängig davon, welcher Glaubensrichtung sie anhängen. Sie im Rahmen eines Gottesdiensts für die eigenen politischen Ziele gewinnen zu wollen, ist vermutlich eine sehr erfolg­versprechende Methode. 

Während des Gottesdiensts schenkte der Präsident der evangelikalen Gemeinde 20 Millionen kenianische Schilling, mehr als 141 000 Euro. Eine Woche später spendete er die gleiche Summe einer anderen Gemeinde in Eldoret, einer Stadt im Afrikanischen Grabenbruch im Westen Kenias. Wenn jemand innerhalb zweier Wochen 280 000 Euro an zwei Kirchen verschenken kann, liegt der Verdacht zumindest nahe, dass er (oder sie) dabei Geld aus fragwürdigen oder korrupten Quellen nutzt, um sich durch die großzügigen Spenden an eine religiöse Gemeinschaft politische Unterstützung zu erkaufen. 

Und das ausgerechnet in Kenia, dem Land, in dem die GenZ seit Sommer 2024 gegen Machtmissbrauch, Korruption und Präsident Ruto protestiert. Ein umstrittenes Steuergesetz hatte die Proteste gegen die Regierung im vergangenen Juni ausgelöst. Sogar Brot oder Damenbinden waren noch viel teurer geworden; dabei weiß die Bevölkerungsmehrheit sowieso kaum noch, wie sie über die Runden kommen soll. Währenddessen füllt sich die politische Elite weiter die Taschen, stellt ihren Reichtum schamlos zur Schau. 

Im vergangenen Sommer verkündete Ruto etliche Sparmaßnahmen, um die ­Nation zu beruhigen. Unter anderem hieß es, Großspenden von Vertretern des Staates an Kirchen seien künftig verboten. Was den Präsidenten aber nicht daran hindert, weiter Geld in großem Stil und möglichst öffentlich an Glaubensgemeinschaften  zu verschenken. 

Solche politischen Wortbrüche und Verdachtsmomente für Korruption lässt die kenianische GenZ nicht mehr ohne ­Widerstand durchgehen: Unter dem Hashtag #OccupyJesusWinner mobilisierten Aktivisten für den 9. März – also den Sonntag nach dem Gottesdienst mit Ruto – für eine Protestaktion vor und in der Jesus Winner Church. 


Verschlechterung der Menschenrechte

Der kenianische Staat reagierte auf die für ihn typisch gewordene Weise: Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Demonstrierenden zu vertreiben. Während der Zusammenstöße wurden laut lokalen Medien mindestens 38 Menschen festgenommen, die später ohne Anklage wieder freigelassen wurden. Ruto verteidigte die Spenden und sagte, es sei ein Versuch, den moralischen Verfall des Landes zu bekämpfen.

Gemessen an den Verhältnissen der vergangenen Monate reagierten die kenianischen Sicherheitskräfte auf die Proteste vor der Jesus Winner Church sogar vergleichsweise zurückhaltend. Seit dem Sommer 2024 berichtet die Nationale Kenianische Menschenrechtskommission (KNCHR) regelmäßig mit Sorge über den Zustand der Menschenrechte im Land. In ihrem Bericht vom 20. November 2024 beschreibt die unabhängige Aufsichtsbehörde eine Zunahme mutmaßlich staatlich sanktionierter Entführungen, willkürlicher Verhaftungen und Folter. Die Menschenrechtslage habe sich in einem gefährlichen Ausmaß verschlechtert – und das trotz zahlreicher Versprechen von Präsident Ruto, dass es unter seiner Präsidentschaft derartige Methoden der staatlichen Sicherheit nicht geben werde. Die KNCHR hat in ihrem Bericht allein zwischen dem 18. Juni und dem November 2024 über 60 Todesfälle, 610 Verletzte und mehr als 1300 willkürliche Verhaftungen dokumentiert. Unter den Opfern seien vor allem Kritikerinnen und Kritiker der Regierung sowie Menschenrechtsaktivisten. 


Proteste weiten sich aus

Korruption und Misswirtschaft sind auch in anderen afrikanischen Ländern ein Dauerthema. Die junge Generation will nicht mehr hinnehmen, dass Politiker sich auf ihre Kosten bereichern. Eine Stiftung mit Sitz im südafrikanischen Johannesburg führt regelmäßig eine Studie zur Stimmung in der jüngeren Bevölkerung auf dem Kontinent durch. 

Im vergangenen Jahr hat die „Ichikowitz Family Foundation“ mehr als 5600 Männer und Frauen zwischen 18 und 24 Jahren befragt. Sie kamen aus 16 afrikanischen Ländern, darunter Kenia, Südafrika und Kongo-Brazzaville. Das Ergebnis: Die Mehrheit habe das Gefühl, dass unfaire Kräfte, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, sie an der Entwicklung hindern. Vier von fünf jungen Menschen äußerten sich demnach besorgt über die Korrup­tion in ihrem Land, die sich innerhalb der Regierungen, im Geschäftsbereich und bei der Polizei immer weiter verbreite. 

Afrika hat die weltweit jüngste Bevölkerung. 70 Prozent sind noch keine 30 Jahre alt, viele sind gut ausgebildet – und entschlossen, sich am Kampf für einen Wandel der Verhältnisse zu beteiligen. So sprang der Funke des Protests im Sommer 2024 von Kenia schnell auf andere Länder über: Im Juli gingen auch in Uganda, in Nigeria und in Tansania Tausende überwiegend junge Menschen auf die Straße, forderten Reformen und mehr echte Teilhabe der Bevölkerung. Die Regierungen aller drei Länder reagierten mit massivem Polizeiaufgebot und Verhaftungen. 

Allerdings führt der Unmut der Bevölkerungsmehrheit nicht nur zu volleren Gefängnissen und einer steigenden Zahl von verschwundenen Regierungskritikern, sondern tatsächlich auch zu Ver­änderungen. Im vergangenen Jahr kam es auf dem afrikanischen Kontinent zu mehr demokratischen Machtwechseln als jemals zuvor. Auch, weil die Opposition in einigen Ländern dazugelernt habe, meint der britische Politologe Nicholas Cheeseman. Im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung sagte er, ein sogenannter „Wind of Change“ mache es amtierenden Parteien sehr schwer, an der Macht zu bleiben. 


Machtwechsel versus Wahlbetrug

2024 wurden im südlichen Afrika mehrere ehemalige Befreiungsorganisationen abgewählt oder verloren deutlich an Einfluss bei der Bevölkerung. In Südafrika verlor der African National Congress (ANC) erstmals seit drei Jahrzehnten die absolute Mehrheit und braucht nun Koalitionspartner. In Botswana wurde die bisherige Staatspartei bei der Wahl Ende Oktober von der Opposition überraschend vernichtend geschlagen. Auch in Mauri­tius holte erstmals seit der Unabhängigkeit eine ­Oppositionspartei den Sieg. Bei der Wahl in Namibia konnte die seit 1990 ­regierende SWAPO zwar ihre absolute Mehrheit verteidigen, büßte aber an Stärke ein. 

In den genannten Ländern haben sich die bis dahin Regierenden oder allein Regierenden dem Willen der Wählerinnen und Wähler gebeugt. In Mosambik dagegen löste das offizielle Ergebnis der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom 9. Oktober 2024 wochenlange Unruhen und Proteste aus. Anlass der Protestwelle war mutmaßlicher Wahlbetrug: Die Wahlkommission verkündete einen überwältigenden Sieg für die ehemalige Befreiungsbewegung Frelimo und ihren Kandidaten Daniel Chapo; angeblich erhielt er rund 70 Prozent der Stimmen. 

Der mehr oder weniger offene Betrug bei Wahlen hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass viele Wählerinnen und Wähler von der real existierenden Demokratie zutiefst enttäuscht sind. Etliche haben den Glauben an die Demokratie trotzdem nicht verloren, das zeigen die Demonstrationen in Ländern wie ­Mosambik, Kenia, Nigeria und anderswo: Zehntausende gehen auf die Straße und setzen sich der oft brutalen Gewalt der Sicherheitskräfte aus, wohl wissend, dass sie mit ihrem ­Widerstand im Zweifelsfall sogar ihr eigenes Leben riskieren. 

Das bestätigen auch die jüngsten Umfragen des Afrobarometer: Zwei Drittel der Menschen in Afrika sehen Demokratie als einzig legitime Regierungsform. Zugleich steigt die Frustration vor allem bei jungen Menschen  – sie haben weniger Vertrauen in Parteien, ihre Wahlbeteiligung nimmt ab. Sie sind ungeduldiger als frühere Generationen und weniger bereit, eine Faust in der Tasche zu machen und zu schweigen. Wird die demokratische Rechenschaft von Regierenden nicht erbracht, werden radikale Alternativen beliebter. Die Zustimmung zu einem Eingreifen des Militärs bei Machtmissbrauch hat den Umfragen zufolge in ganz Afrika zugenommen, auch das besonders unter jungen Menschen. 

Je lauter deren Forderungen nach einer glaubwürdigen Demokratie, desto autoritärer und brutaler reagieren die regierenden, mehr oder weniger fassadendemokratischen Staatschefs. Am Ende werden Militärputsche von vielen Menschen als Weg gesehen, den Boden für die Errichtung einer wirklichen Demokratie zu ebnen. Das gilt auch für viele Menschen im sogenannten „Putschgürtel“ in Afrika: In Mali, Burkina Faso und Niger bejubelte eine Bevölkerungsmehrheit die Militärs, die dort seit 2020 gewaltsam die Macht übernahmen. 

Der Jubel sollte nicht missverstanden werden: Die Massen wollen auch dort nicht autoritär regiert werden. Sie hoffen stattdessen, dass die Militärs gegen die bis dahin herrschenden Eliten durchgreifen, die Staat und Staatshaushalt als ihren Privatbesitz missverstanden hatten. Irgendwann, so der Traum der Mehrheit, werde die Staatsgewalt dann tatsächlich wieder vom Volk ausgehen.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 2, Mai 2025, S. 19-23

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Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin und arbeitet schwerpunktmäßig zu Afrika. Seit 2011 lebt sie in Nairobi, seit 2022 auch wieder in Köln.

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