Comeback à la Corleone
Buchkritik
Seit der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten hat die amerikanische Seelenforschung auch publizistisch wieder Hochkonjunktur – von der nüchternen Analyse über Programmschriften bis zur Wiederaneignung einer zwischenzeitlich abgekühlten Liebe. Drei Neuerscheinungen zeugen davon, wie schwer es ist, den Neuanfang zu gestalten.
Sie haben es derzeit nicht leicht in Amerika, die gemäßigten Konservativen. Waren sie bereits unter George W. Bush von Einfluss und Fleischtöpfen abgeschnitten, stehen sie nun vor mindestens vier weiteren Jahren des Ausharrens an den Seitenlinien der großen Politik. Und auch im innerparteilichen Neuaufstellungs- und Deutungskrieg mit den Neokonservativen zeichnet sich kein Triumphzug der klassischen Republikaner ab.
Als Dokument dieses Kampfes um die Zukunft des Konservatismus in den USA kann das kleine, aber höchst originelle Buch von John Hulsman und Wess Mitchell gelesen werden, das unter dem Titel „The Godfather Doctrine“ eine Rehabilitierung der realistischen Denkschule in der amerikanischen Außenpolitik anstrebt. Besorgt, dass die nüchterne, an Macht, Interesse und Fähigkeiten ausgerichtete außenpolitische Analyse vom linksliberalen Idealismus und vom aggressiv-missionarischen Neokonservatismus zur Seite gedrängt wurde und dass diese verhängnisvolle Liebe zu weltverbesserischen Großtheorien Amerika und seinen Verbündeten nur schaden kann, entwerfen sie ein Gegenprogramm. Ausgehend von der These, dass die amerikanische Dominanz Geschichte ist und eine multipolare Welt entsteht, mahnen sie flexible Strategien, den pfleglichen Umgang mit Alliierten und das Eingeständnis amerikanischen Machtverlusts an.
Hulsman und Mitchell reicht es aber nicht, auf den diesseitig-praktischen Common Sense des Realismus hinzuweisen. Mit einem cleveren pä-dagogischen Schachzug wollen sie nachweisen, dass diese, ob ihres angeblichen Zynismus und ihrer Kälte oft geschmähte Denkschule in Wirklichkeit tief im amerikanischen Wesen angelegt ist: „Als vordringlichste Aufgabe den Schutz Amerikas und seiner Bürger anzusehen (...); in der Überzeugung zu handeln, dass die Konzentration von zuviel Macht in einer Hand (oder bei einem Staat) zu Missbrauch verführt und deshalb eines Gegen-gewichts bedarf; anzuerkennen, dass keine Regierung der Welt allein (...) über die Lösungen für globale Probleme verfügt – all dies sind sowohl originär amerikanische Überzeugungen als auch Leitprinzipien des politischen Realismus.“ (S. 12 f.).
Als Vehikel für diese Botschaft benutzen die Autoren eine Ikone der amerikanischen Populärkultur, den legendären Mafiafilm „Der Pate“ von Francis F. Coppola. Das Schicksal der Corleone-Familie, deren beherrschende Stellung in der New Yorker Unterwelt nach Attentaten und durch neue Geschäftsmodelle bedroht ist, wird der Rolle Amerikas als geschwächte Weltordnungsmacht gegenübergestellt. Die unterschiedlichen Strategien der drei Corleone-Söhne nutzen Hulsman und Mitchell als Platzhalter für die amerikanische Debatte nach 9/11. Während Tom als Rechtsberater des Clans auf bedingungsloses Verhandeln setzt und damit den „Liberal Institutionalists“ der Demokraten gleicht, steht Sonny, der hitzköpfige und auf Rache drängende Tatmensch, für die Neocons. Beide scheitern, weil sie, wie ihre Pendants in der echten Welt, Illusionen über die Wiederherstellung alter Größe anhängen. Einzig Michael, der Realist, hat Erfolg, indem er den Machtverlust der Familie anerkennt, in einer Mischung aus Härte und Verhandlungsgeschick Manövrierfähigkeit bewahrt, Freunde und Helfer pflegt und die Familiengeschäfte in neue Gefilde lenkt.
Hulsman und Mitchell erkennen an, dass die Parallele zwischen Film und großer Politik nicht beliebig dehnbar ist, aber es ist erstaunlich – und für jeden Kenner des „Paten“ ein feines Vergnügen – zu sehen, wie weit die Analogie trägt. Nicht jeder Prämisse dieses kurzen und daher vereinfachenden Buches muss man zustimmen. Aber so wie wir noch heute Sophokles und Shakespeare als zeitlose Analysen der Condition humaine lesen, so bietet auch Coppolas Meisterwerk archetypische Konfliktkonstellationen, die ganz praktische Relevanz haben. Schade nur, dass die konkreten Politikempfehlungen sehr dünn und allgemein ausfallen. Vielleicht in Teil II?
Das genaue Gegenteil des Corleone-Essays stellt das mit großem Medienaufwand lancierte Buch „Mission Amerika“ des Journalisten-Veteranen Dieter Kronzucker und des ehemaligen US-Botschafters in Deutschland, John Kornblum, dar. Sie versprechen eine Analyse der „Weltmacht am Wendepunkt“, liefern jedoch ein betulich erzähltes und argumentativ kaum greifbares Werk ab, das allzu viel auf einmal sein will: kulturhistorische Charakterstudie Amerikas, Biografie Barack Obamas, Abrechnung mit -George W. Bush, Reportage vom Ort des Geschehens, soziologische Großthese und Anekdotenkoffer zweier Weitgereister. Originelles kommt dabei kaum heraus, stattdessen die geradezu mantrahafte Beschwörung der neuen präsidialen Erlöserfigur und das ausgedehnte Heranziehen der Amerikaklassiker von Tocqueville bis hin zu Oprah Winfrey und dem Baedeker von 1893.
Das ist schade, denn in dieser Fülle des Schon-oft-gesagten geht die Kernthese völlig unter – sie kommt auf Seite 153. Kornblum behauptet an dieser Stelle, dass die Wahl Obamas einem tief greifenden Wandel in der amerikanischen Gesellschaft geschuldet sei. Die Ära Bush sei „das tragische letzte Kapitel der Polarisierung als Folge der Kulturkriege, die in den tumultartigen sechziger, siebziger und achtziger Jahren geführt wurden.“ Obamas Wahl markiere „das Ende der Ära der Konfrontation“, er „scheint die weit verbreitete Bereitschaft der amerikanischen Wähler gespürt zu haben, mit der Wut und den Konfrontationen der Nachkriegskonflikte abzuschließen“. An dieser Stelle hätte das Buch relevant werden können, doch die große These bleibt hingeworfene Behauptung. Nicht einmal die vorhersehbaren Einwände werden entkräftet: Wer sich die ersten Monate von Obamas Amtszeit ansieht, stellt fest, dass Politik und Gesellschaft weiter zutiefst gespalten sind, und auch Obamas Wahlsieg war solide, aber kein Erdrutsch. Das alles springt sowohl als Geschichtsbuch als auch als gesellschaftspolitische Pulsmessung zu kurz. Daran können die Lobpreisungen von prominenten Zeitgenossen auf dem Umschlagrücken nichts ändern. Und die bisweilen ziemlich staksige Übersetzung der Kornblum-Anteile leider auch nicht.
Einen intellektuell hochwertigen Debattenbeitrag zur außenpolitischen Runderneuerung Amerikas stellt dagegen die Studie von Alexander T. J. Lennon zur Demokratieförderung dar. Lennon ist Senior Fellow für interna-tionale Sicherheit am renommierten US-Think-Tank CSIS in Washington und Chefredakteur des hauseigenen Journals The Washington Quarterly. Nicht nur legt er ein eigenes Weißbuch mit Vorschlägen für die Demokratieförderung der Zukunft vor, er holt sich auch gleich noch drei angesehene Kritiker, darunter Francis Fukuyama, mit ins Boot, die das Konzept überprüfen und ihrerseits Vorschläge machen. Das zeugt vom ernsthaften Bestreben, die in der Bush-Ära oft als anmaßende Missionstätigkeit verteufelte Demokratieförderung in der Welt auf neue, akzeptable Füße zu stellen. Denn dass Amerika diese Mission fortsetzen wird, macht Lennon gleich zu Beginn klar. Zu sehr sei Demokratie die Idee, die Amerika treibe, und zu sehr bleibe die Verbreitung von Demokratie ein nationales Kerninteresse. Umso wichtiger die Frage nach den Methoden. Als Konsens der Autoren kristallisiert sich dabei die Ablehnung von Militäreinsetzung zur Schaffung (nicht hingegen für die Wiedereinsetzung) von Demokratie heraus, und die Erkenntnis, dass Wahlen noch lange keine Demokratie ausmachen.
Was aber stattdessen tun? Lennon und seine Mitstreiter lenken den Blick vom Irak auf Ägypten als wichtigstem Testfall amerikanischer Demokratieförderung. Nur die eigene Glaubwürdigkeit, die Überzeugungsarbeit, das Schaffen politischer Anreize für die Machthaber vor Ort und das Wissen um die evolutionäre Natur von Demokratisierungsprozessen seien am Ende vielversprechend. Für Europäer und Amerikaner, die in Afghanistan, im Irak und auf dem Balkan Seite an Seite um die Schaffung von Staatlichkeit und Demokratie ringen, kann die Lektüre dieses profunden Buches eine wichtige Anregung für die Entwicklung einer besser abgestimmten Politik sein.
JAN TECHAU leitet das Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen im Forschungsinstitut der DGAP.
Internationale Politik 7/8, Juli/August 2009, S. 132 - 134.