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01. Jan. 2005

Clintons Minister kennt die Deutschen

Buchkritik

Politik im Roman kann immer dann erhellende Lektüre für Politik und Wissenschaft sein, wenn der Autor selbst aus dem Kreis der politischen Insider stammt. Dann gilt es, auf die Zwischentöne zu achten, die Anspielungen auszudeuten und die mehr oder minder verborgenen Rechnungen zu prüfen, die der Verfasser seinen Gegnern und Mitstreitern, Parteifreunden oder Widersachern aufmacht. Im fiktionalen Gewand lässt sich „Wahrheit“ und deren Interpretation zudem schneller vermitteln als auf dem Weg der Autobiographie, die erst dann wirklich interessant werden kann, wenn der Biograph selbst nichts mehr zu verlieren hat im unbarmherzigen Verdrängungswettbewerb der Politik.

William Cohens Roman einer mehrfach verwickelten Verschwörung gegen die Welt des Westens und gegen Amerika als Führer des Westens gehört zu den lesenswerten Vertretern dieses Genres. Ein Thriller-Romancier hätte aus dem Stoff eine Spionagegeschichte gemacht, Cohen schreibt aus der Perspektive amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik – eine Sicht, die dem ehemaligen Congress-man und Senator als Verteidigungsminister der Jahre 1997 bis 2001 bestens vertraut ist. Der Kern des recht komplexen Erzählstrangs ist die Aufdeckung eines als Unfall der amerikanischen Streitkräfte getarnten terroristischen Anschlags mit Giftgas gegen die deutsche Zivilbevölkerung, um diese gegen die USA aufzuwiegeln. Deutschland soll so in ein Bündnis mit Russland getrieben werden, das beiden die alte Weltgeltung zurückbringen soll, während parallel in China ein Militärputsch die Dekadenz des amerikanischen Kapitalismus im Lande beseitigt. Den Hauptfiguren auf der dunklen Seite, dem russischen Oligarchen Wladimir Berzin, seinem deutschen Jugendfreund aus ostdeutschen Tagen, Wolfgang Wagner, und dem chinesischen General Li als Drahtzieher der Anschläge in den USA und Deutschland steht auf amerikanischer Seite im Wesentlichen ein Mann gegenüber: Verteidigungsminister Santini, ein ehemaliger Senator mit der Vietnam-Biographie eines John McCain und den physischen Fähigkeiten eines Arnold Schwarzenegger. Zu Beginn des Romans tritt er die Nachfolge seines ermordeten Vorgängers an. Er deckt die Verschwörung auf und setzt sich dabei gegen US-Präsident Jefferson und dessen Sicherheitsberater Praeger durch. Nach einer heftigen Schießerei auf dem Platz des himmlischen Friedens, wohin sich Santini vom Flughafen aus mit dem verletzten Vize-Verteidigungsminister Wu an Bord seines Maybach gerettet hat, erledigt Santini seinen chinesischen Widersacher Li von einem Kampfhubschrauber aus praktisch im Alleingang und bringt damit den Plot nach rund 450 Seiten dramatisch zu Ende.

Die Geschichte ist flüssig erzählt und in die Gegenwart nach Ende des Irak-Krieges platziert. Cohen lässt im Ringen seines Helden, des Verteidigungsministers, das Kraftfeld der amerikanischen Außenpolitik zwischen White House, State Department, dem Pentagon und den Geheimdiensten erkennbar werden. Die Rankünen und Machtspiele des Na-tionalen Sicherheitsberaters, Santinis Versuch, die Aufmerksamkeit des Präsidenten zu gewinnen und dessen vordergründiges Kalkül zu beeinflussen, sind getränkt von den Erfahrungen des Autors in der US-Regierung, seinem Wissen um die Abläufe im Zentrum der Macht in der Amtszeit Clintons wie bei seinem Nachfolger George W. Bush, um die Irrationalität im Prozess und um die Verbissenheit mancher Akteure auf den Fluren des Weißen Hauses, deren Rivalität bis tief in die Apparate hineinreicht, denen sie vorstehen. Anschaulich skizziert Cohen die Routinen eines globalen Sicherheitssystems der Vereinigten Staaten und ihres gewaltigen Militärapparats. In diesem Blick auf Amerikas Macht und Washingtons Betrieb ist Cohens Roman eine angenehm leichte Nebenlektüre derjenigen, die sich durch Bob Woodwards detailversessene Bush-Bände „Bush at War“ und „Plan of Attack“ arbeiten.

Ob gewollt oder ungewollt: Cohens Thriller teilt daneben auch manches über den Autor und seine Weltsicht mit, das aus hiesiger Perspektive nachdenklich stimmt. Sein Deutschland-Bild ist markant: So erscheint der deutsche Kanzler als altmodisch und politisch gestrig, nach Cohens Charakterisierung muss man sich ihn als Deutschnationalen und Revisionisten vorstellen – und sein Verteidigungsminister heißt ausgerechnet Joffe. In der deutschen Elite sieht Cohen die Sehnsucht nach alter Macht lebendig, sieht Antiamerikanismus und Antisemitismus als Teil eines traditionellen antiwestlichen Bildes. So gibt der junge Wagner dem Drängen des russischen Oligarchen auf ein zweites Rapallo nach und gewinnt sogar seinen Mentor, den einflussreichsten deutschen Finanzier, Baron von Heltsinger, für diesen Plan. Heltsinger steht für Ewald von Kleist, Gründer und Schlüsselfigur der jährlichen Münchner Wehrkunde-Tagung, heute die Konferenz für Sicherheitspolitik. Cohen kennzeichnet seine Figur als enttäuscht von Amerika und voll Misstrauen gegenüber einer EU, in der „Briten, Franzosen und Italiener sich verschwören, um Deutschland einzudämmen, es mit ihren starren Paragraphen und Intrigen in Fesseln zu legen“ (S. 267). So werde Deutschland im „Einheitsbrei des Mittelmaßes“ versinken. Die Aussicht auf ein neues Bündnis mit einem neuen Russland stimmt Cohens deutschen Baron heiter: „Vielleicht war es gar kein so wilder Traum, dass Deutschland erneut zu einer politischen und militärischen Macht wurde“ (S. 269).

Auch ein deutsches Lesepublikum, das den russischen Oligarchen und dem chinesischen Militär vieles Dunkle zuzutrauen bereit sein dürfte, wird die Selbstverständlichkeit verstören, mit der William Cohen die Kontinuität des deutschen Großmachtstrebens in seinen Erzählstrang einflicht. Das Buch irritiert gerade in dieser Hinsicht, gilt doch Cohen als besonderer Freund der Konferenz für Sicherheitspolitik, zu der er über viele Jahre seit 1985 die amerikanische Delegation geführt hatte. In seinen anderen Teilen ist der Roman ganz und gar nicht als Farce angelegt, so dass man sich schwer tut, ausgerechnet die deutschen Passagen so zu lesen.

Sind sie jedoch keine Farce, so sagen sie einiges über Ausformungen und Schichtungen des Deutschland-Bildes in der amerikanischen politischen Klasse – was jedoch nur sehr wenige der amerikanischen Leser dieses Buches bemerken werden.

William S. Cohen: Die Verschwörer. Limes Verlag, München 2004, 447 Seiten, 22,90€

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2005, S. 125 - 127.

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