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01. Jan. 2009

Brücken in die Freiheit bauen

Wie wir den Menschenrechten weltweit Geltung verschaffen können

Eine auf dem christlichen Menschenbild basierende Außenpolitik strebt eine Weltordnung an, in der die Menschenrechte vollständig respektiert werden. Zur Durchsetzung dieses Zieles steht ein Bündel von Maßnahmen zur Verfügung, die, richtig eingesetzt, nachhaltigen Erfolg versprechen. Dies als Schaufensterpolitik zu diffamieren, ist nicht angebracht.

Wir beklagen oft, dass in Deutschland zu wenig über außenpolitische Grundsatzfragen diskutiert wird. Diese Klage ist berechtigt. In den letzten 50 Jahren haben sich Weltpolitik und die deutsche Außenpolitik dramatisch verändert. Wir müssen fragen, wie wir uns selbst verändern müssen, um angemessen auf die Entwicklungen in der Welt reagieren zu können. Und

Ich möchte mich mit der Frage beschäftigen, was es für mich bedeutet, eine auf dem christlichen Menschenbild basierende Außenpolitik zu betreiben und welche Ziele ich mit ihr verbinde. Dabei will ich einem Missverständnis vorbeugen: Mir geht es um ein außenpolitisches Leitbild, eine sehr grundsätzliche Konzeption von Außenpolitik und keine Ideologie. Diese Unterscheidung ist wichtig. In der Außenpolitik müssen wir – wie in anderen Politikfeldern auch – Entscheidungen treffen. Interessen, Werte, zur Verfügung stehende Mittel und Erfolgsaussichten müssen gegeneinander abgewogen werden.

Es wäre ein Irrtum zu glauben, mit einem Leitbild „wertegeleitete Außenpolitik“ könnte man diese notwendige Abwägung umgehen. Jede Situation, die außenpolitisches Handeln erfordert, verlangt zuerst eine Analyse, dann eine Diskussion, welche Ziele erreicht werden sollen und welche Maßnahmen dafür die geeigneten sind.

Ein Leitbild ist deshalb auch keine Garantie, ethisch und moralisch immer auf der richtigen Seite zu stehen. Wir wissen, dass wir als Menschen bei der Beurteilung von moralischen Fragen immer auch scheitern, Fehler machen, Situationen falsch einschätzen können. Diese Einsicht in die Begrenztheit menschlichen Handelns sollten wir bedenken und uns davor hüten, die eigene Politik moralisch zu überhöhen.

Aber – und das ist ebenso wichtig – wir können auf eine Diskussion, welche die moralische, die richtige Politik ist, nicht verzichten. Die Ausrichtung an einem klaren Wertefundament hilft, die richtige Entscheidung zu treffen. Ein zweiter Irrtum ist die Annahme, es könne einen scharfen Gegensatz zwischen Werten und Interessen geben. Eine solche Trennung unterstellt, dass Personen oder auch Staaten Interessen haben, ohne dass die Frage eine Rolle spielen würde, was moralisch richtig und was falsch ist. Meist wird eine solche Trennung verbunden mit der Behauptung, es sei ein Luxus in der internationalen Politik, Rücksicht auf Werte zu nehmen. Ein Land wie Deutschland könne sich einen solchen Luxus nicht leisten.

Die scharfe Trennung zwischen Werten und Interessen ist falsch. Sie ist der Versuch, aus komplizierten Abwägungsprozessen eine scheinbar einfache Entscheidung zu konstruieren. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt ist ein typischer Vertreter dieser Richtung, die sich das Etikett „Realpolitik“ gegeben hat. Er hat für eine andere China-Politik geworben: Mit Blick auf die Größe Chinas, auf seine Geschichte und auf den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg sei es ratsam, auf eine aktive Menschenrechtspolitik zu verzichten.

Dem kann ich nicht zustimmen. Denn zunächst einmal ist wichtig: Statt Werte und Interessen als Gegensatz darzustellen, kommt es darauf an zu klären, welche Werte und welche Interessen in unserer Außenpolitik eine Rolle spielen und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen sollen. Nur so lässt sich eine vernünftige Außenpolitik im Interesse unseres Landes betreiben.

Die Außenpolitik der Union basiert auf dem christlichen Menschenbild. Das hat weitreichende Konsequenzen. Christen glauben, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Verbunden mit der Vorstellung der Ebenbildlichkeit Gottes ist die Auffassung, dass jeder einzelne Mensch mit einer unantastbaren Würde ausgestattet ist.

Wir wissen, wohin es führt, wenn die Würde von Menschen mit Füßen getreten wird. Die Erfahrungen im Dritten Reich haben gezeigt, was passieren kann, wenn die Menschenrechte aufgekündigt werden, weil Menschen für unterschiedlich wertvoll gehalten werden. Aus unserer eigenen Geschichte gibt es daher eine zentrale Lehre: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Menschenrechte sind unteilbar.

Eine zweite Überzeugung ist für das christliche Menschenbild ebenso zentral: Der Mensch ist zur Freiheit berufen und mit Vernunft ausgestattet. Wir haben Entscheidungen zu treffen und für unsere Entscheidungen Verantwortung zu übernehmen. Ein freier Mensch kann sich für das Gute, aber auch für das Böse entscheiden. Diese grundsätzliche Feststellung, dass sowohl das Gute als auch das Böse existieren, ist wichtig, weil diese Einsicht heute in Deutschland nicht mehr populär ist.

So falsch es jedoch ist, die ganze Welt in Gut und Böse einteilen zu wollen, so gefährlich wäre es, die Existenz des Bösen auf dieser Welt zu leugnen. Es ist nicht richtig, wenn behauptet wird, dass es dem Verzicht der damals zwischen den Blöcken festgeschriebenen Kategorien von Gut und Böse zu verdanken ist, dass die Feinde von gestern heute zu Partnern und Freunden geworden sind.

Würde und Freiheit

Ein zentrales Ziel in unserer Außenpolitik ist eine Weltordnung, in der die politische Grundordnung auf zwei zentralen Werten beruht: die unverletzliche Würde des Einzelnen und ein Grundmaß an garantierter persönlicher Freiheit. Wir streben eine Weltordnung an, in der die Menschenrechte die Verfasstheit der Staaten bestimmen. Denn damit die Grundwerte der persönlichen Freiheit und der individuellen Würde die Grundlage einer Weltordnung werden, müssen sie in Form von Rechten allgemein anerkannt werden. Auf diese Rechte kann man sich nicht nur berufen, sie können im Konfliktfall eingefordert oder sogar eingeklagt werden.

Um eine Weltordnung zu erreichen, die aus Staaten besteht, die im Inneren die Menschenrechte verwirklichen, benötigen wir viel Kraft und Ausdauer. Eine solche Weltordnung ist aber auch keine ferne Vision, die sich erst am Ende aller Tage realisieren lässt, sondern eine Aufgabe, der sich Außenpolitik tagtäglich stellen muss. Und weil Menschenrechtspolitik ein wichtiger Teil unserer Außenpolitik ist, brauchen wir geeignete Instrumente. Wichtig sind internationale Abkommen, Konventionen und Erklärungen, in denen sich die Staaten auf einen Katalog an Rechten festlegen.

Dies gilt in ganz besonderer Weise für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Einer von Werten geleiteten Außenpolitik, wie sie dem christlichen Menschenbild entspricht, geht es dabei niemals darum, den Menschen zu reformieren oder gar einen „neuen Menschen“ zu schaffen. Es geht uns um eine politische Ordnung, die den besten Rahmen für den Menschen darstellt, wie er ist. Auch aus diesem Grund ist das die eigentliche Realpolitik.

Wenn wir also eine Weltordnung anstreben, die auf universellen Menschenrechten basiert, dann gehen wir davon aus, dass es jedem einzelnen Staat und vor allem seinen Bürgern zum Vorteil gereichen würde, Menschenrechte zu verwirklichen. Wir gehen davon aus, dass Menschenrechte eine Voraussetzung sind, um den Bürgern Freiräume zu schaffen. Sie sind notwendig für die Entstehung einer Zivilgesellschaft. Und wir sind überzeugt, dass eine internationale Ordnung mit Staaten, die dies im Inneren verwirklicht haben, stabiler und friedlicher ist.

In einer solchen Weltordnung würde sich selbstverständlich auch die strategische Position Deutschlands verbessern. Als eine Demokratie, die international verflochten ist, kommt es für uns ganz entscheidend darauf an, dass möglichst viele Staaten unsere Grundwerte teilen. Für die Verfechter einer „harten Interessenpolitik“ sei es daher noch einmal gesagt: Eine solche Weltordnung anzustreben, liegt in unserem ureigenen Interesse.

Der große Wert der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besteht in der Idee individueller Rechte, die für sich Universalität beanspruchen können. Es stimmt zwar, dass Freiheit und Menschenwürde eine lange Tradition im Westen haben. Freiheit als politisches Konzept spielte bereits in den Stadtstaaten des antiken Griechenland eine zentrale Rolle, und das Römische Reich hat die Idee des Rechts zu einer Blüte gebracht. Das Christentum schließlich gab den politischen Institutionen Freiheit und Recht ein neues moralisches Fundament: der universelle Anspruch, dass alle Menschen gleich seien.

Menschenrechte haben also eine lange Tradition im Westen, sie sind aber kein westliches Konzept. Auf diesen wichtigen Unterschied müssen wir hinweisen, denn die Universalität der Menschenrechte ist immer wieder in Gefahr; besonders dann, wenn autokratische Herrscher die Geltung für ihren Einflussbereich verneinen und wenn sie ihre Macht nicht durch individuelle Rechte ihrer Bürger beschneiden lassen wollen. Universalität ist mehr als eine westliche Behauptung: Das erkennt man daran, dass Menschen überall für Freiheit und Selbstbestimmung auf die Straße gehen.

Die Universalität der Menschenrechte ist aber auch dann in Gefahr, wenn im Westen aus falsch verstandener Toleranz die weltweite Geltung der Menschenrechte in Frage gestellt wird. Toleranz bedeutet nicht, menschenverachtende Regime zu akzeptieren. Sie hört da auf, wo die Unantastbarkeit der menschlichen Würde und die unveräußerlichen Grundrechte in Frage gestellt werden.

Die Spaltung in der Welt überwinden

Die entscheidende Frage für die Außenpolitik ist also, wie wir uns angesichts dieser Realität verhalten sollen. Sollen wir den Anspruch der Universalität der Menschenrechte etwa aufgeben? Sollen wir uns darauf beschränken, den Menschenrechtsschutz im eigenen Land zu verbessern und andere Länder sich selbst überlassen?

Die Antwort, die wir in der Union mit unserer wertegeleiteten Außenpolitik geben, lautet, sich nicht mit der Spaltung der Welt abzufinden, sondern sie zu überwinden. Unser Ziel muss es sein, autokratisch regierten Staaten „Brücken in die Freiheit zu bauen“. Das heißt dort, wo die Menschenrechte bislang nicht gelten oder wo sie nur ungenügend geschützt sind, für sie einzutreten. Diese Brücken müssen mit Bedacht, aber nicht durch Anbiederung oder Anpassung gebaut werden. Angesichts von Globalisierung und weltweiter Verflechtung ist nicht Werterelativismus gefragt, sondern ein stabiles Wertefundament.

Wie können wir Brücken in die Freiheit bauen? Ganz gewiss auch durch Vorbild: Wenn wir überzeugend darstellen können, dass eine politische Ordnung, die Menschenrechte verwirklicht, tatsächlich dem Menschen dient und dass Menschenrechte sowohl mit politischer Stabilität als auch mit wirtschaftlichem Wachstum vereinbar sind. Auch deshalb war das Gefangenenlager in Guantánamo ein so großes Problem für die Menschenrechtspolitik des Westens. Nicht nur waren die dortigen Zustände mit unserer Vorstellung einer menschenwürdigen Behandlung von Gefangenen nicht vereinbar. Guantánamo ist zu einem Symbol geworden, das die Glaubwürdigkeit des Eintretens für Menschenrechte erschütterte.

Ein weiterer Weg, Brücken in die Freiheit zu bauen, ist Überzeugung. Wir können uns nicht darauf beschränken, das eigene Haus in Ordnung zu bringen, während es beim Nachbarn brennt. Ein beständiges Gespräch mit anderen Staaten über die Menschenrechtslage ist von großer Bedeutung. Dass die Bundeskanzlerin den Menschenrechtsdialog zu einem festen Bestandteil ihrer außenpolitischen Reisen gemacht hat, ist daher richtig und wichtig. So hat sie bereits bei ihrem ersten Besuch in Moskau durch ein Treffen mit Oppositionellen und Menschenrechtlern ein Zeichen gesetzt.

Um Regierungen von Menschenrechten zu überzeugen, ist ein kontinuierlicher Dialog notwendig. Der Rechtsstaatsdialog mit China ist ein wichtiges Element unserer Politik ist. Er darf nicht durch den Eindruck geschwächt werden, es käme uns nur auf den Dialog, nicht aber auf die Menschenrechte an. In der Auseinandersetzung um den Empfang des Dalai Lama im Bundeskanzleramt 2007 war es einigen wichtiger, lieber nicht den Dialog mit der chinesischen Regierung zu unterbrechen, anstatt ein klares Zeichen für den friedlichen Einsatz des Oberhaupts der Tibeter zu setzen.

Gespräche allein reichen zuweilen nicht. Wir müssen auch durch die Unterstützung von Reformkräften und Oppositionellen Brücken in die Freiheit bauen. Aus diesem Grund war es auch mir persönlich wichtig, den Dalai Lama zu treffen und ihm die Unterstützung für sein Engagement für mehr kulturelle Autonomie zu versichern. Dialog ist allerdings nur dort ein Instrument, wo es Aussicht auf Veränderung gibt. Er ist kein Selbstzweck und kein Beschäftigungsprogramm für Diplomaten. Wo Unterdrückung herrscht und wo es zu massiver Gewalt kommt, ist es unverzichtbar, Verstöße gegen Menschenrechte anzuprangern, um klar festzustellen, welches Verhalten wir nicht akzeptieren können. Wenn man eine solche Politik aber als Schaufensterpolitik abtut, dann diskreditiert man die Menschenrechtspolitik insgesamt. Es kommt auf das richtige Maß an vertrauensvollen Gesprächen und an öffentlicher Kritik an. Beides ist notwendig.

In letzter Konsequenz können wir auch mit Hilfe wirtschaftlichen Drucks politisch gegen grobe Menschenrechtsverletzungen vorgehen. Im Falle des Apartheidregimes in Südafrika waren wirtschaftlicher Druck und die mit den Sanktionen verbundene klare Botschaft letztlich erfolgreich. Zuvor hatten Unternehmen wie Daimler Benz bereits auf eine Vorbildfunktion gesetzt und ganz bewusst auf Rassentrennung in ihren südafrikanischen Werken verzichtet. Es ist zu hoffen, dass wirtschaftlicher Druck auch bei Staaten wie Simbabwe, Kuba oder Myanmar zu einer Verhaltensänderung führt.

Warnung vor Überheblichkeit

In der deutschen Diskussion über Menschenrechte wird oft vor Überheblichkeit gewarnt. Diese Warnung ist häufig gerechtfertigt. Wir leisten den Menschenrechten und den Menschen, die sich für sie einsetzen, keinen Dienst, wenn wir so auftreten, als wüssten wir alles besser. Deswegen sind eine kritische Überprüfung des eigenen Verhaltens im Inneren und eine kritische Überprüfung des Auftretens nach außen notwendig. Die Fähigkeit, selbstkritisch zu sein, ist die große Stärke des Westens.

Die Warnung vor einer Überheblichkeit des Westens wird jedoch auch in unserem Land mit dem Ziel vorgebracht, auf das Eintreten für Menschenrechte gänzlich zu verzichten. In diesem Fall wird aus einer grundsätzlich richtigen Warnung eine zynische Politik des Wegsehens. Das mag purer Bequemlichkeit geschuldet sein, einer gewissen Konfliktscheu oder auch dem Umstand, dass manche den Wert der Freiheit im Westen für so selbstverständlich halten, dass sie ihn gar nicht mehr zu schätzen wissen. Unsere Erfahrungen im Kalten Krieg haben uns gezeigt, dass das klare Benennen von Richtig und Falsch und der lange Atem in der Menschenrechtspolitik zum Erfolg führen. Auch dies wurde damals oft als Schaufensterpolitik diskreditiert.

Gleich welche Begründung man anführt – ein Verschweigen gravierender Menschenrechtsverletzungen darf es nicht geben. Das ist keine „kluge Realpolitik“, sondern eine Politik, die letztlich unseren eigenen Interessen schadet. Für ein Land, das auf seine freiheitlich-demokratische Grundordnung stolz ist, ist eine Außenpolitik, die sich nicht für die Freiheit in der Welt einsetzt, keine Option. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte bietet dabei das normative Fundament, auf das wir uns auch international berufen können. Sie ist der Beginn eines globalen Konsenses, der sich langsam entwickelt. Es ist ein Konsens, der über Grenzen von Staaten und Kontinenten, Religionen und Kulturen geht. Dieser beginnende Konsens ist etwas, an dem wir weiter arbeiten müssen – auch wenn wir Rückschritte niemals ausschließen können.

Doch ich bin überzeugt, dass in unserem Zeitalter der Globalisierung großer Fortschritt für die Menschen auf dieser Erde möglich ist. Und ich wünsche mir, dass wir uns in Deutschland weiter für diesen Fortschritt auf der Welt einsetzen.

VOLKER KAUDER ist Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2009, S.83 - 89.

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