IP

01. Juli 2009

Atalanta hat die falsche Strategie

Piraten bekämpfen, nicht Schiffe begleiten

In der Juni-Ausgabe der IP hat Andreas Uhl die Atalanta-Mission am Horn von Afrika als Erfolg bezeichnet. Dem wird hier energisch widersprochen: Die Piraterie müsse viel konsequenter bekämpft werden – falls erforderlich auch mit militärischer Gewalt.

Fregattenkapitän Uhl hat aus seiner Sicht als aktiver Soldat Recht: Innerhalb der ihnen vorgegebenen Rahmenbedingungen leisten die Soldaten am Horn von Afrika gute Arbeit. Aus politischer Sicht jedoch muss die Bilanz anders ausfallen. Es gibt nichts an der Tatsache zu deuteln, dass bereits im Juni 2009 die Zahl der Piratenangriffe am Horn von Afrika höher ist als im gesamten Jahr 2008. Von einer Eindämmung der Piraterie kann also keine Rede sein. Es gab in der Tat zeitweise weniger Piratenaktivitäten, etwa zu Beginn des Jahres. Diese Verringerungen gingen aber immer einher mit schlechten Wetterbedingungen, in denen seeräuberische Übergriffe mit Schlauchbooten schlicht nicht möglich waren. Sie sind also keine Wirkung von Atalanta.

Dieser Misserfolg ist die Folge einer militärisch falschen Umsetzung des politischen Mandats. Sowohl im Beschluss der Gemeinsamen Aktion der Europäischen Union als auch im Mandat des Deutschen Bundestags ist klar und deutlich festgelegt, dass die Bekämpfung der Piraterie („Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen“) und die Festnahme von Piraten gleichberechtigter Teil des Auftrags für Atalanta sind. Eine eindeutige Priorisierung der Begleitung von Schiffen, insbesondere des Welternährungsprogramms, lässt sich beiden Texten nicht entnehmen, sondern ist eine nachträgliche Interpretation.

Entsprechend hat auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung immer wieder zur Begründung von Atalanta die große Bedeutung freier und sicherer Seewege für die Exportnation Deutschland angeführt. Diese Begründung ist richtig, Deutschland braucht sichere Seewege und sollte auch seinen Beitrag dazu leisten. Wenn es um die Bilanz des Einsatzes geht, zieht sich die Bundesregierung aber zurück auf die verengte Aufgabe der Begleitung von Schiffen. Sie bezeichnet es als Erfolg, dass 24 Schiffe des Welternährungsprogramms nach Somalia sowie 150 Handelsschiffe begleitet worden seien. Die Begleitung einer winzigen Anzahl von Schiffen hat aber nichts zu tun mit der Schaffung sicherer Seewege. Es gibt am Horn von Afrika etwa 20 000 Schiffsbewegungen pro Jahr. Wenige Promille davon zu begleiten schreckt punktuell Piratenangriffe ab, statistisch ist der Erfolg aber völlig zu vernachlässigen.

Entscheidendes Erfolgskriterium von Atalanta kann nur die Anzahl der versuchten Piratenangriffe sein. Diese Zahl muss deutlich sinken, sonst muss Atalanta als Fehlschlag gewertet werden. Es geht nicht darum, die Zahl absolut auf Null zu senken, aber sie muss signifikant verringert werden. Und das ist bisher nicht geschehen, also muss die Strategie von Atalanta kritisch überprüft werden.

Um es ganz deutlich zu sagen: Wenn es nur darum geht, Schiffe des Welternährungsprogramms zu begleiten, dann ist Atalanta hoffnungslos überdimensioniert. Die Sicherung dieser Schiffe lässt sich mit einer oder maximal zwei Kriegsschiffen problemlos bewerkstelligen. Dazu bedarf es keiner riesigen, multinationalen Operation, mit allein fünf deutschen Schiffen (Stand Ende Mai) im Einsatz. Das wäre eine grandiose Verschwendung von Steuergeldern.

Der Auftrag muss also umfassender sein, um diesen Aufwand überhaupt zu rechtfertigen. Er muss, wie es im Bundestagsmandat und im EU-Mandat auch steht, die aktive Bekämpfung der Piraterie enthalten. Dieser Teil des Auftrags ist aber vom Verteidigungsministerium nur ungenügend in die nationale Befehlslage für die Soldaten umgesetzt worden. Dem wird von Seiten der Bundesregierung entgegengehalten, die Operationsplanung liege bei der EU und dem müsse man sich anpassen. Dies ist aus zwei Gründen falsch. Zum einen fällt europäische Planung nicht vom Himmel. Deutschland, als größtes EU-Land, ist in diese Planung eingebunden. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten: Entweder kann die Bundesregierung ihre Vorstellungen nicht durchsetzen oder sie vertritt sie gar nicht erst und schiebt die europäische Ebene als Ausrede vor.

Zum anderen zeigen andere Nationen, dass unter Atalanta weitergehendes Handeln durchaus möglich ist. So hat die französische Marine Piraten nach der Verhinderung eines Angriffs verfolgt und das Mutterschiff, zu dem diese geflüchtet sind, aufgebracht. Wenn dies alle Nationen, einschließlich Deutschland, konsequent tun würden, wäre schon viel gewonnen. Denn nur durch die Mutterschiffe können Piraten überhaupt ein derart riesiges Seegebiet bedrohen. Wäre man von Anfang an konsequent gegen diese Mutterschiffe vorgegangen, dann hätte man die Ausweitung des Mandatsgebiets von Atalanta vermutlich nicht gebraucht.

Die Identifizierung dieser Mutterschiffe ist nicht das Problem, zu dem es häufig gemacht wird. Zum Teil sind die Schiffe im Einsatzführungskommando heute schon bekannt. Seefernaufklärer können ihren Beitrag leisten festzustellen, ob auf einem Schiff Waffen, etwa Panzerfäuste, an Deck sind. Wird das festgestellt, dann muss das entsprechende Schiff gestoppt und entwaffnet werden – auch dies ist im Zusammenwirken von französischen und spanischen Kräften geschehen.

Es gibt für ein solches Vorgehen auch der Deutschen Marine keinerlei völkerrechtliche oder verfassungsrechtliche Hindernisse. Der Bundestag hat es mit seiner Zustimmung zum Atalanta-Mandat ausdrücklich erlaubt. Diese Mandate werden von der Bundesregierung geschrieben und dürfen im Gegensatz zu Gesetzentwürfen vom Bundestag nicht geändert werden. Das Parlament kann nur zustimmen oder ablehnen. Es entspricht allerdings nicht dem Geist der Parlamentsbeteiligung, wenn die Bundesregierung einen Auftrag in ein Mandat hineinschriebt, den zu erfüllen sie danach keinerlei Anstalten macht, so wie es jetzt bei der aktiven Pirateriebekämpfung der Fall ist.

Die mangelhafte Umsetzung des Mandats in die konkrete Befehlslage für die Soldaten zeigt sich auch noch an anderen Punkten. So ist die Festnahme von Piraten im Mandat als Auftrag enthalten. Als es dann drei Monate nach der Mandatierung wirklich zu einer Gefangennahme kam, gab es ein tagelanges Chaos in der Bundesregierung, wie nun zu verfahren sei. Auch hier wurde die Schuld der Europäischen Union zugeschoben, die es versäumt habe, ein Auslieferungsabkommen mit Kenia rechtzeitig zu verhandeln. Aber andere Nationen waren besser vorbereitet. So hat Großbritannien schon früher ein bilaterales Abkommen abgeschlossen.

Völlig unverständlich, aber auch typisch für deutsche Bürokratie im Einsatz, ist die Tatsache, dass erst im April 2009 die Bestimmung geändert wurde, dass Waffen fremder Nationen nicht an Bord deutscher Fregatten gelagert werden dürfen. Dies führte zu der kuriosen Situation, dass die Marine zwar Piraten festnehmen konnte, um sie einem Strafverfahren zuzuführen, die Tatwaffen aber, die wichtige Beweisstücke hätten sein können, mussten ins Meer geworfen werden. Auch hier ist von der militärischen Führung nicht zu Ende gedacht worden, welche Folgerungen sich aus dem Auftrag ergeben, und damit wurde die Effizienz des Einsatzes verringert.

Kernproblem des gesamten Einsatzes der Deutschen Marine am Horn von Afrika ist die mangelnde Bereitschaft der Bundesregierung, militärische Gewalt anzuwenden, wenn es zur Durchführung des Auftrags nötig ist.

Es ist richtig, dass Atalanta ein äußerst robustes Mandat ist. Der Bundestag hat den Soldaten alle Befugnisse gegeben, die sie brauchen. Wenn dies aber vom Verteidigungsminister nicht umgesetzt wird, dann bleibt der Einsatz ein Misserfolg. Ohne eine aktive Pirateriebekämpfung ist kein Ende des Einsatzes abzusehen. Dann können wir am Horn von Afrika noch Jahrzehnte Schiffe begleiten.

Das aber war nie Sinn und Zweck des Mandats.

Dr. RAINER STINNER ist FDP-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Verteidigungsausschusses.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2009, S. 111 - 113.

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