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01. Mai 2012

Piratennetzwerke besser bekämpfen

Denn die dicken Fische sitzen an Land

Die internationale Gemeinschaft geht gegen die Piraten an den Küsten Somalias vor allem militärisch auf See vor. Doch das reicht nicht aus. Die Strafverfolgung an Land muss verstärkt werden, um diese Netzwerke der organisierten Kriminalität effektiv zu bekämpfen. Dabei müssen auch Piratenbosse, Unterhändler und Investoren weltweit verfolgt werden.

Ungefähr die Hälfte unseres außer­europäischen Außenhandels wird über See transportiert. Das entspricht einem Wert von rund 335 Milliarden Euro. Deutschland ist auf die Sicherheit der Seetransportwege angewiesen und hat das Recht und die Pflicht, gegen Piraterie vorzugehen. Der Bundestag hat mit der Zustimmung zu der europäischen Antipirateriemission Atalanta das Zeichen gesetzt, dass sich die Politik dieser Verantwortung bewusst ist. 2008 begann dieses Mandat, für das der Bundestag seither 272 Millionen Euro bereitgestellt hat.

Im Vergleich dazu fallen unsere Investitionen in die Strafverfolgung der Piraten eher gering aus. Seit 2008 haben wir nur rund zwei Millionen Euro ausgegeben, damit in den Provinzen Somaliland und Puntland in die Polizei, die Gerichte und die Gefängnisse investiert wird. Wir waren in diesem Bereich auch deswegen so zurückhaltend, weil wir die Autonomiebestrebungen dieser Provinzen gegenüber der zentralen Übergangsregierung Somalias nicht unterstützen wollten. Diese Zurückhaltung weicht jetzt allerdings einer pragmatischen Herangehensweise. Mit dem Einverständnis der Übergangsregierung arbeiten wir auch mit den Provinzen zusammen. Denn die Übergangsregierung kontrolliert nicht einmal die Hauptstadt Mogadischu vollständig, ganz zu schweigen von den Provinzen Somaliland, Puntland und Galmudug.

Aber gerade dort müssen Strukturen unterstützt werden, mit denen die Piraterie besser bekämpft werden kann. Unsere Hilfe ist wichtig, damit gegen die Piraten polizeilich ermittelt wird, sie vor Gericht gestellt und verurteilt werden können. Dabei sollten nicht nur die Handlanger vor Gericht kommen, sondern auch die Hintermänner.

Die Piraten haben sich professionalisiert. Es sind mittlerweile arbeitsteilige internationale Netzwerke der organisierten Kriminalität entstanden. Die durch Geiselnahme und Erpressung erwirtschafteten Mittel haben die Piraten für die Verbesserung ihrer Infrastruktur genutzt. Die Angriffsteams, die Handelsschiffe entern, machen nur einen Teil des Netzwerks aus, das sich weit über die Grenzen Somalias hinaus erstreckt. Wichtige Hintermänner in diesen Netzwerken sind Piratenbosse, Investoren und Unterhändler. Die Anführer koordinieren einzelne Operationen und schließen schriftliche Verträge mit den verschiedenen Mitgliedern eines Netzwerks, in denen Anteile am Gewinn einer Operation festgelegt werden.

Einige Bosse sind auf diese Weise reich und berühmt geworden, wie beispielsweise der ca. 55-jährige Mohamed Abdi Hassan „Afweyne“ aus der Stadt Harardheere in der Provinz Galmudug und der ca. 45-jährige Abshir Abdillahi „Boyah“ aus der Stadt Eyl in der Provinz Puntland.

Professionelle Arbeitsteilung

Die notwendigen Mittel werden von Investoren zur Verfügung gestellt, die oftmals aus der somalischen Diaspora kommen. Die Piraten haben ihre Basiscamps an verschiedenen Orten entlang der Küste Somalias: von Boosaaso im Norden der Provinz Puntland bis hin zu Haradheere im Süden der Provinz Galmudug. Von diesen Basen aus stechen die Angriffsteams in See. Nach einem erfolgreichen Angriff werden die erbeuteten Schiffe vor der Küste verankert, danach übernehmen weitere Teams die Bewachung der Schiffe und der Geiseln. Wieder an­dere Mitglieder der Netzwerke kümmern sich um die logistische Versorgung der Piraten und der Geiseln mit Lebensmitteln und anderen Gütern, solange die Schiffe vor Anker liegen und die Lösegeldverhandlungen laufen.

Die Unterhändler für die Lösegeldverhandlungen spielen eine zentrale Rolle im Piratennetzwerk: Sie stellen den Kontakt zu den Reedern her, um das Lösegeld zu erpressen. Deshalb sind einige von ihnen wie Ali Hassan Sharmarke, Looyaan Si’id Barte, Mohamed Saaili Shibin und Ahmed Saneeg namentlich bekannt. Sie verfügen über eine höhere Bildung als die Piraten in den Angriffsteams, beherrschen Fremdsprachen und reisen ins Ausland. Von Looyaan Si’id Barte ist beispielsweise bekannt, dass er sich im Jahr 2010 unter anderem in Dschibuti, Kenia und Schweden aufgehalten hat. Als Unterhändler hat er so viel verdient, dass er sich inzwischen auch als Investor in Piratennetzwerken beteiligt.

Nach der Lösegeldzahlung wird der Gewinn unter den verschiedenen Mitgliedern des Netzwerks aufgeteilt. Angreifer, Wachleute und weitere Handlanger erhalten eher kleinere Anteile von etwa 5000 Dollar, die aber angesichts der Armut in Somalia geradezu als Vermögen gelten können. Die Piratenbosse, Investoren und Unterhändler verdienen am meisten an der Piraterie. Deren „Verdienst“ aber muss meist gewaschen werden. Der Anschein legal verdienten Geldes ist erforderlich, um es auch im Ausland verwenden zu können. Geldwäsche ist demzufolge ein wichtiger Bestandteil einer Piratenoperation. Von Mohamed Abdi Hassan „Afweyne“ wird vermutet, dass er sich inzwischen ganz auf diesen lukrativen Bereich spezialisiert hat. Bisher ist die internationale Gemeinschaft nicht gezielt und entschlossen genug gegen diese Art der inter­nationalen organisierten Kriminalität vorgegangen. Es ist aber wichtig, dass wir die Geldwäsche der Piraten ebenso entschlossen bekämpfen wie die Geldwäsche bei Drogenhandel oder anderer organisierter ­Kriminalität.

Rechtliche Handhabe

Juristisch gelten nicht nur die Angreifer selbst als Piraten, sondern auch alle, die zu solchen Taten anstiften oder sie vorsätzlich erleichtern. Das ist in Artikel 101 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen geregelt. Damit gibt es eine wichtige rechtliche Handhabe, um gegen diese Organisatoren der Piraten vorzugehen. Nicht geklärt ist allerdings, wer eigentlich gegen diese Hintermänner vorgehen soll. Hier dürfen wir die Länder der Region nicht mit der Strafverfolgung der Piraten und ihrer Hintermänner alleine lassen. Piraterie ist ein Problem der internationalen Gemeinschaft und muss daher auch international bekämpft werden.

Weil sich die Piratennetzwerke über Landesgrenzen hinweg erstrecken, sind Ermittlungen nicht nur in Somalia selbst notwendig, sondern beispielsweise auch in Kenia, wo Piratengelder investiert werden und Profiteure der Piraterie in schönen Villen viel angenehmer wohnen als im armen Somalia. Die Bekämpfung der Piratennetzwerke muss folglich eine zentralere Stellung in unserer Zusammenarbeit mit Kenia einnehmen. Auch über Somalia und Kenia hinaus sind Ermittlungen nötig, um die Geldwäscheaktivitäten der Piraten aufzudecken.

Um gerichtsfeste Beweise gegen die Hintermänner zu sammeln, sind größere Kapazitäten bei den Strafverfolgungsbehörden erforderlich. Wir haben uns bereits für die Verbesserung solcher Kapazitäten eingesetzt.

Deutschland hat in den Aufbau der Polizei, der Gerichte und der Gefängnisse in den Provinzen Somaliland und Puntland investiert. Wir finanzieren solche Aktivitäten des ­United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) und der Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia (CGPCS). Außerdem finanziert die Europäische Union die Piracy Task Force von Interpol. Diese Task Force koordiniert den Austausch von Informationen über Piraten und die Zusammenarbeit von Polizeibehörden über Landesgrenzen hinweg. Deutschland wird bei Interpol durch das Bundeskriminalamt vertreten, das seine Anstrengungen bei Ermittlungen gegen Piraten verstärkt und im Jahr 2011 eine Task Force Piraterie gegründet hat.

Bei der Ermittlungsarbeit ist die Polizei auch auf die Hilfe der Privatwirtschaft angewiesen. Die Bekämpfung von Geldwäscheaktivitäten erfordert die Unterstützung durch Banken und andere Finanzdienstleister, einschließlich der Akteure im Hawala-Finanzsystem. Auch Reeder und Versicherer müssen mithelfen. Wer Lösegelder zahlt und darüber verhandelt, der sammelt in der Regel auch Informationen über seine kriminellen Gesprächspartner. Die so von privaten Ermittlern zusammengetragenen Informationen müssen den öffentlichen Stellen für die Strafverfolgung zur Verfügung gestellt werden. Außerdem müssen die Seriennummern der Geldscheine registriert werden, um über die Verfolgung der Geldströme auch die Piratennetzwerke auf­decken zu können. Dafür ist ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen privaten und öffentlichen Ermittlern erforderlich – auch über Landesgrenzen hinweg.

In Ländern mit hoher Korruption ist eine solche vertrauensvolle Zusammenarbeit natürlich schwierig. Um ungestört agieren zu können, zahlen Piraten erhebliche Schmier­gelder an die lokale Machthaber – und das weit über die unmittelbare Region Somalias hinaus. Selbst in Somaliland, dem wohl stabilsten Teil Somalias, wurden im Oktober 2011 mehr als 60 verurteilte Piraten gegen Schmiergeldzahlungen freigelassen. Dennoch darf man sich von solchen Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Die Piraten agieren hauptsächlich aus den Provinzen Puntland und Galmudug. Im Süden Somalias ist es wegen des dort herrschenden Bürgerkriegs selbst für Piraten zu unsicher. In Somaliland gehen die lokalen Sicherheitskräfte aktiv gegen Piraten vor, obwohl auch diese Provinz ungeheuer arm ist.

Lukrative Kriminalität

Diese Erfahrung zeigt, dass Piraterie keine notwendige Begleiterscheinung von Armut ist. Daher ist Armutsbekämpfung allein auch keine unmittelbare Maßnahme zur Pirateriebekämpfung. Es ist eher umgekehrt: Die kriminellen ökonomischen Strukturen der Piraterie verhindern eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung Somalias. Solange Kriminalität wesentlich lukrativer ist als eine legale Wirtschaftstätigkeit, kann sich Somalias Wirtschaft auch nicht entwickeln. Sie wird von organisierter Kriminalität und Korruption am Boden gehalten.

Die Bekämpfung der Piraterie ist nicht nur ein  wichtiger Schritt für die Entwicklung Somalias. Auch Kenia ist durch die kriminelle Ökonomie der Piratennetzwerke und das damit einhergehende Ausgreifen von Korruption und Kriminalität bedroht. Um die Gefahren aus dem Nachbarland einzudämmen und dort die  Al-Shabaab-Miliz zu bekämpfen, ist das kenianische Militär auf somalisches Territorium vorgedrungen. Für Kenias Sicherheit und Entwicklung ist aber eine entschiedene Bekämpfung der Piraten mindestens ebenso wichtig – und dazu gehört auch, den Hintermännern und Profiteuren der Piraterie in Kenia selbst das Handwerk zu legen.

Lehren aus der Straße von Malakka

Um Piratennetzwerke zu zerschlagen, benötigt man kein perfektes, aber ein weitgehendes staatliches Gewaltmonopol, ausreichend Strafverfolgungskapazitäten und effektive Koopera­tion über Landesgrenzen hinweg. Das ist auch die Lehre, die man aus dem Rückgang der Piraterie in der Straße von Malakka ziehen kann. Indonesien und insbesondere die Region Aceh leiden noch immer unter erheblichen Problemen. Aber die Etablierung des Gewaltmonopols in Aceh und die Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gegen Piraterie haben dazu geführt, dass sie dort erheblich zurückgegangen ist. Die Bekämpfung der Piraterie auf See war um die Straße von Malakka wesentlich weniger wichtig als die Bekämpfung an Land. Aus dieser Erfahrung sollte man lernen und die Piraterie auch in Somalia umfassender bekämpfen als bisher.

Es reicht nicht aus, nur gegen jene Piraten vorzugehen, die unmittelbar an einem Angriff auf ein Schiff beteiligt sind. Wir müssen mit kriminal­polizeilichen Mitteln die dahinterliegenden Netzwerke aufdecken und gezielt zerschlagen, mit Hilfe eines funktionierenden Justizapparats die Strafverfolgung betreiben und für die Inhaftierung nach einer Verurteilung sorgen. Bei all diesen Aufgaben dürfen die wohlhabenden Staaten des Westens, die ja auch direkt von den Auswirkungen der Piraterie betroffen sind, die Länder der Region nicht alleine lassen. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass diese Art von internationaler organisierter Kriminalität umfassender bekämpft wird.

Dr. RAINER STINNER ist außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mal/Juni 2012, S. 115-119

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