Angst vor der Isolation
Israels Medien über die wachsende Gefahr von Boykott und Sanktionen
Der Bedeutungsverlust ist so allumfassend wie erschütternd: Sogar für die libanesische Hisbollah ist Israel aus dem Blickfeld gerückt. Die schwer bewaffnete Schiitenmiliz sei tief im syrischen Bürgerkrieg verstrickt und werde sogar im Libanon selbst herausgefordert, konstatieren die israelischen Sicherheitsexperten Yoram Schweitzer und Benedetta Berti vom Institute for National Security Studies (INSS). Israel komme in dieser komplexen Gemengelage nur noch die Rolle zu, das Image der Hisbollah als Widerstandsorganisation mit gelegentlichen Raketenangriffen und Grenzscharmützeln aufzupolieren. „In diesem Kontext ist es für Israel wichtig, seine Interessen im Kopf zu behalten und sich nicht in den Bürgerkrieg in Syrien und die innenpolitische Instabilität des Libanon hineinziehen zu lassen“, schreiben die beiden einflussreichen Analysten in einer INSS-Publikation (19. März). „Israel würde gut daran tun, eine Eskalation zu vermeiden und sich auf einen begrenzten und fokussierten Militärschlag zu konzentrieren.“
Während das schwindende Interesse der Hisbollah an Israel eher Anlass zur Freude ist, sieht der Bedeutungsverlust des Nahost-Konflikts bei den Freunden und Verbündeten des jüdischen Staates ganz anders aus. Israel ist es – ebenso wie die Palästinenser – seit Jahrzehnten gewohnt, dass über jede noch so kleine Wende in der internationalen Presse berichtet wurde. Dafür sorgte eine ganze Armada von Korrespondenten.
Doch nun gilt alle Aufmerksamkeit europäischer und amerikanischer Außenpolitiker Syrien, Iran, Ägypten, Tunesien, Libyen und natürlich der Ukraine. Allen Bemühungen des US-Außenministers John Kerry um den nahöstlichen Friedensprozess zum Trotz interessiert sich jenseits der unmittelbar Beteiligten kaum noch jemand für die Verhandlungen.
Mit dem schwindenden Interesse in der Welt steigt die Bereitschaft, Israel mit Sanktionen oder Boykott zu begegnen. Die große Mehrheit der israelischen Kommentatoren ist sich einig, dass die Isolation des jüdischen Staates stetig wächst. Sogar Finanzminister Yair Lapid warnte im Februar davor, dass das Assoziierungsabkommen mit der EU gefährdet sei. Schon bei ersten Brüsseler Strafmaßnahmen stünden 20 Prozent der israelischen Exporte nach Europa und bis zu 10 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Auch US-Außenminister Kerry sagte, es bestünde die Gefahr, dass das Scheitern der Verhandlungen mit den Palästinensern einen Boykott gegen Israel in Gang setzen könnte.
Noch habe die EU ihre Pläne, Produkte aus den jüdischen Siedlungen im palästinensischen Westjordanland zu boykottieren, nicht umgesetzt, so Shimon Shiffer, Kommentator der auflagenstärksten Tageszeitung Yedioth Achronot. Doch wenn Israel für ein Scheitern der Gespräche mit den Palästinensern verantwortlich gemacht werde, „wird die EU sie mit all ihrer Energie anpacken“.
Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, so Shiffer weiter, sei noch eine Initiative auf dem Tisch, die weit dramatischere Folgen für Israel haben könnte. „Sanktionen, die denen ähneln, die die internationale Gemeinschaft gegen Südafrika während des Apartheid-Regimes verhängt hat.“ Israel könne ein Pariah-Staat werden, von dem sich alle fernhielten. Denn dass die rechtsgerichtete Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit ihrer Siedlungspolitik für das Scheitern verantwortlich gemacht werde, stehe außer Frage. „Wir haben den Krieg bereits verloren und werden in jedem Fall beschuldigt, da die Palästinenser als die Opferseite, die Underdogs gesehen werden. Selbst wenn das nicht wirklich die Situation trifft und Heuchelei beim europäischen Standpunkt mitschwingt, so sollten wir damit anfangen, uns auf diese Lage einzustellen. Es ist besser, weise zu sein als recht zu haben“ (Yedioth Ahronot, 2. Februar).
Geschürt wird die Angst vor wachsender Isolierung dadurch, dass in den vergangenen Monaten auch europäische Unternehmen ihre Zusammenarbeit beispielsweise mit israelischen Banken eingestellt haben, die den Hausbau in jüdischen Siedlungen mitfinanzieren. Da der israelische Staat die Siedlungen als Teil des Landes ansieht, sind die wirtschaftlichen Verflechtungen groß. Unzählige Firmen könnten von einem Investorenrückzug betroffen sein. Hinzu kommt, dass auch akademische Einrichtungen Israels immer häufiger boykottiert werden.
Wie die Isolierung bekämpfen?
Entsprechend heftig wird die Debatte geführt, wer das Land in diese missliche Lage gebracht hat. Die Bloggerin und Rechtsanwältin Shoula Romano Horing, die regelmäßig auf Ynet kommentiert, macht die „sich selbst hassenden, radikalen Linken“ verantwortlich. „Sie alle glauben, dass der israelisch-palästinensische Konflikt zentral ist für Ruhe und Stabilität im Nahen Osten – der Tatsache zum Trotz, dass Bürgerkriege, Völkermord und Gräueltaten weit verbreitet sind in der arabischen Welt“ (Ynet, 10. April). Sie ruft zum „Boykott der Boykottierer“ auf. „Lasst uns den Kampf zu ihnen tragen und ihnen finanziell schaden durch Prozesse und Gesetze“, schlägt sie vor. „Lasst Israel neue Märkte im prosperierenden Asien finden, wo man uns zu schätzen weiß, und schnell das ökonomisch an seiner Selbstgerechtigkeit untergehende Europa verlassen“ (Ynet, 2. März).
Für linksliberale Kommentatoren sind solche Anschuldigungen ebenso unerträglich wie der Gedanke an eine Loslösung von Europa. „Ich möchte diesen Rechten gerne eine einfache Frage stellen“, schreibt der Autor und Psychologieprofessor Carlo Strenger. „Wenn ihr uns als ,anti-Israel‘ und ,Selbsthasser-Juden‘ beschimpft, ist euch dabei jemals der Gedanke gekommen, dass ihr in einem offensichtlichen und einfachen Punkt danebenliegt? Glaubt ihr wirklich, israelische Linke hätten ein Interesse daran, dass Israel geächtet wird?“
Wenn Israels Wirtschaft leide, die Universitäten nicht länger in die akademische Welt integriert seien, Fußballmannschaften nicht mehr an Meisterschaften teilnehmen dürften und Israelis nicht mehr willkommen wären im Ausland, träfe das Linksliberale ebenso wie jeden anderen. „Belehrt uns nicht, dass wir unrealistisch und naiv sind, was die Gefahren für Israel angeht.“ Sogar ehemalige Geheimdienstchefs sähen die Besatzung inzwischen als die größte Gefahr für Israel als demokratische Heimstätte der Juden. Und die verstünden von Sicherheit weit mehr als die neuen Rechten in der Regierung vom Typ eines Naftali Bennett, Wirtschafts- und Handelsminister sowie Gründer der Partei HaBeit Hajehudi (Haaretz, 9. April).
Kein Wille zur Lösung
Gleichzeitig kritisieren viele linksgerichtete Kommentatoren die Art und Weise, wie die Verhandlungen mit den Palästinensern geführt werden. Die Gespräche würden „als Ersatz für Fortschritte benutzt“, so die Journalistin und Meinungsforscherin Dahlia Scheindlin, die auf dem Online-Nachrichtenportal 972mag.com bloggt. Wenn es nur noch um den Prozess, nicht aber um Frieden ginge, „schaden die Gespräche mehr als sie nützen“ (11. April).
Viele israelische Medien beklagen, dass weder Israelis noch Palästinenser es sich leisten könnten, die Gespräche ganz aufzugeben – erstere fürchten den Boykott, letztere das Ende der Finanzierung der Palästinensischen Autonomiebehörde. Es würde deshalb nur geredet und geredet, aber ohne den erkennbaren Willen, eine Lösung zu finden.
Dieser Stillstand bringt den linken Kommentator und ehemaligen Politiker Yossi Sarid dazu, sogar einen Boykott zu fordern. „Wenn die Welt Israel nur bestrafen würde wie sie die Russen und die Schweizer bestraft“, schreibt Sarid in Haaretz. Die Besatzung der Krim hätte sofort Sanktionen hervorgerufen. Und sogar die Schweiz müsse für ihr EU-feindliches Referendum bezahlen, indem Schweizer Studenten fortan nicht mehr an dem prestigeträchtigen Erasmus-Programm teilnehmen dürften und die Universitäten keinen Zugang mehr zu EU-Forschungsgeldern bekämen. „Nur das kleine, verwöhnte Israel verbirgt illegal Einrichtungen ohne Beobachter, ignoriert Entscheidungen internationaler Institutionen, verspottet Konventionen und Abkommen und verletzt offen Menschenrechte. Und die Welt schweigt. Es heißt, es gibt Antisemitismus rund um die Welt. Wo ist also diese be-rüchtigte Neigung, wenn wir dringend ein bisschen davon bräuchten?“ (Haaretz, 11. April).
Die Äußerungen Sarids mögen radikal und extrem provokant sein. Sie zeigen dennoch, wie wenig der israelischen Linken noch zu den Verhandlungen mit den Palästinensern einfällt. Der Stillstand lähmt. Alle Seiten haben sich mit dem Status quo eingerichtet. Die meisten Israelis spüren im Alltag wenig vom Nahost-Konflikt. Die Palästinenser im Westjordanland haben sich ebenfalls weitestgehend mit der Lage abgefunden. Ein Aufstand ist nicht in Sicht, ebenso wenig eine Versöhnung mit der Hamas--Regierung im Gaza-Streifen.
Außenpolitik von der Seitenlinie
Vom verarmten und abgeriegelten Gaza selbst geht für Israel immer noch die unmittelbarste Gefahr aus. Die Sicherheitsexperten warnen deshalb vor den Folgen der jüngsten Erosion der Waffenruhe mit der radikalislamischen Hamas. Weder Israel noch die Hamas wollten den Konflikt eskalieren lassen: „Beide Seiten müssen einander versichern, dass sie ein Interesse daran haben, zu einem kontrollierten Konflikt zurückzukehren, bei dem die Hamas größtenteils für Ruhe sorgt und Israel größtenteils in justierter und limitierter Weise zurückschlägt“, so Yoram Schweitzer, Benedetta Berti und Shlomo Brom vom INSS (6. April).
Eine neue Militäroffensive in Gaza, die viele Menschenleben kosten und schlechte Presse mit sich bringen würde, könnte Israels internationale Lage weiter verschlechtern und den außenpolitischen Einfluss in Europa und den USA schmälern. Dieser Einfluss aber ist aus israelischer Sicht gerade jetzt vonnöten, da mit dem Iran über dessen Atomprogramm verhandelt wird.
Barak Ravid, diplomatischer Korrespondent und Blogger der Tageszeitung Haaretz, sieht Israels Einfluss bei der Lösung des Atomkonflikts bereits jetzt akut gefährdet. Netanjahus harte Positionen zum Iran „werden in Washington und den europäischen Hauptstädten als eine Politik losgelöst von der Realität angesehen“, schreibt er, „oder aber als Versuch, eine diplomatische Lösung möglichst zu erschweren“ (Haaretz, 18. Februar). Israel manövriere sich damit in eine Rolle der Irrelevanz, genau wie schon beim Abschluss des Interimsabkommens mit dem Iran. Israel „kann von der Seitenlinie schreien, aber es wird fast keinen Einfluss auf das endgültige Ergebnis haben.“
Der Eindruck der Isolierung verfestigt sich damit immer mehr. Ob der Aufstand in der arabischen Welt, die Atomgespräche mit dem Iran oder die Verhandlungen mit den Palästinensern – bei all diesen für Israel überlebenswichtigen politischen Konflikten ist der jüdische Staat ins Abseits geraten. Politisch schmerzt besonders die sich langsam, aber unübersehbar vergrößernde Kluft zu Washington. Wirtschaftlich aber ist die deutliche Distanzierung Europas eine konkrete Bedrohung.
Silke Mertins
war langjährige Korrespondentin
der Financial Times Deutschland in
Jerusalem.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2014, S. 130-133