Amerikas neue Agenda
Vom Klimawandel bis zur Rüstungskontrolle: Die Liste ist lang
Nach acht Bush-Jahren sind Ansehen und Macht der USA auf dem Tiefpunkt. Der neue Präsident wird vor einem Gebirge schwierigster Aufgaben stehen. Vor allem auf drei Dinge kommt es dann an: Er muss die Prioritäten erkennen und schnell handeln. Und er braucht engagierte, weitblickende, durchsetzungsfähige Verbündete – sprich ein starkes Europa.
Der Präsident der Vereinigten Staaten, der am 20. Januar sein Amt antritt, wird konfrontiert sein mit der komplexesten, schwierigsten und gefährlichsten Ansammlung von außenpolitischen Problemen, die jemals ein Neuanfänger im Oval Office vorgefunden hat: Kriege im Irak und in Afghanistan, ein mächtiger werdender Iran, ein Pakistan, das die Kontrolle über seine Grenzen verloren hat, ein dahinsiechender arabisch-israelischer Friedensprozess, ein Syrien, das verdeckt mit Nordkorea an der Entwicklung eines Atomwaffenprogramms arbeitet – und das sind nur die Schwierigkeiten in einer Region der Welt.
Im Umgang mit dieser Fülle von Problemen werden die USA unter ihrem neuen Präsidenten alle nur erdenkliche Hilfe brauchen, die sie von anderen Nationen erhalten können. Der neue Präsident muss rasch handeln, um das Ansehen Amerikas in der Welt nicht nur zu verbessern, sondern realiter wiederherzustellen. Alle Umfragen der letzten Zeit dokumentieren einen rasanten Niedergang des Ansehens von und der Achtung für die Vereinigten Staaten. In der Regierungszeit von George W. Bush sind diese beiden grundlegenden Prämissen für Amerikas Führungsrolle in der internationalen Gemeinschaft ernsthaft beschädigt worden. In seiner ersten Amtszeit hat Präsident Bush eine Reihe von internationalen Abkommen für null und nichtig erklärt, die Unterschrift der USA zurückgezogen oder von ihnen Abstand genommen – vom Internationalen Strafgerichtshof über das Kyoto-Protokoll und dem UN-Rahmenbeschluss zum Klimawandel bis hin zum Vertrag über die Begrenzung von Systemen zur Abwehr strategischer Raketen (ABM), der ursprünglich von Richard Nixon und Leonid Breschenew unterzeichnet und von den fünf auf Nixon folgenden Präsidenten eingehalten worden war. Die Entscheidung der Bush-Administration für den Einmarsch in den Irak, unter Missachtung des UN-Sicherheitsrats und gegen den Widerspruch vieler US-Verbündeter, markiert den Höhepunkt des amerikanischen Unilateralismus – und den Tiefpunkt des weltweiten Ansehens der USA.
Gegen Ende seiner ersten Amtsperiode, als sich die Situation im Irak von einem militärischen „Kinderspiel“ in einen politischen Sumpf verwandelte, erkannte Präsident Bush, dass er seinen Kurs korrigieren und die gestörten politischen Bindungen wiederherstellen müsse. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit entsandte er Außenministerin Condoleezza Rice nach Europa und brach danach selber zu einer Versöhnungsreise auf. Vorsichtig begann die Administration, sich wieder in multilateraler Diplomatie zu engagieren. Zu Beginn seines letzten Amtsjahres hoffte Bush, auf diplomatischem Parkett im Nahen Osten Pluspunkte sammeln zu können. Doch diese Hoffnungen schwanden unter dem Zeitdruck und angesichts seiner rekordverdächtig negativen Umfrageergebnisse dahin.
So erschreckend die außenpolitische Agenda zunächst aussieht: Der neue Präsident hat einige Vorteile, von denen er in den Anfangsmonaten des Jahres 2009 profitieren kann. Der erste ist eine Honeymoon-Phase mit dem Kongress. Dann kann er mit einer „Gnadenfrist“ der internationalen öffentlichen Meinung rechnen. Und drittens besteht die Möglichkeit für einschneidende Verbesserungen in den transatlantischen Beziehungen.
Falls der Vertrag von Lissabon – trotz des „Nein“ der Iren – wie ursprünglich geplant von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verabschiedet werden kann, tritt er fast genau zu dem Zeitpunkt in Kraft, an dem der 44. Präsident der USA seinen Amtseid ablegen wird. Der Vertrag wird die EU entscheidend voranbringen. Denn er wird die Fähigkeit Europas steigern, mit einer und eindeutigerer Stimme zu sprechen. Die neue gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird die Klarheit des Auftretens der EU in ihrer globalen Rolle stärken. Vor allem wird das durch die Einsetzung des Hohen Vertreters für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und des neuen Präsidenten des Europäischen Rates geschehen.
Das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wird sich besonders deshalb vorteilhaft auswirken, weil es in einem Moment geschieht, in dem viele Vorbehalte gegenüber der europäischen Integration überwunden sind. Die US-Vertreter haben im Vorfeld des NATO-Gipfels in Bukarest keine Mühe gescheut, dies gegenüber ihren europäischen Gesprächspartnern klarzustellen. In den letzten Jahren hat es viel Auf und Ab in den Beziehungen zwischen NATO und EU gegeben; Bukarest war ein Wendepunkt, und die Unterstützung der USA für eine starke EU scheint in den kommenden Jahren gesichert zu sein. Es wird natürlich weiterhin Reibereien geben – etwa in der Frage der EU-Mitgliedschaft der Türkei, die in Washington sehr befürwortet wird. Doch solche Probleme werden (hoffentlich) nicht den Vorwand dafür liefern, über den Kernpunkt hinwegzusehen, nämlich dass eine geschlossenere und durchsetzungsfähigere EU sich positiv an der Herausbildung effektiverer Strukturen für die globale Kooperation beteiligen wird. Die Vorgänger von George W. Bush haben das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als eine amerikanische Priorität betrachtet; sein Nachfolger muss daran dringlich und überzeugend wieder anknüpfen.
Im Zentrum jeden Versuchs, das Vertrauen in die USA wieder herzustellen, muss vor allem eines stehen: Amerikas erneute Versicherung, dass sein Engagement für das internationale Recht und die multilateralen Institutionen zum Urgestein der amerikanischen Außenpolitik gehören. Das vordringlichste Anliegen des nächsten Präsidenten sollte sein, kurz nach seinem Amtsantritt die uneingeschränkte Einhaltung der Genfer Konvention und der UN-Konvention zur Folter zu bestätigen, das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit (Habeas Corpus) für die Menschen in US-Gefangenschaft wieder in Kraft zu setzen und dem Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof „wieder“ zuzustimmen.
Diese Schritte werden – unabhängig von ihrer eigenen Relevanz – auch die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Führungsrolle bei zwei multilateralen Themen wieder verbessern, die für die Weltgemeinschaft von überragender Bedeutung sind: die Rettung des Systems der nuklearen Nichtverbreitung und die Verhinderung einer katastrophalen Entwicklung beim Klimawandel.
Die USA sind in dreifacher Hinsicht sowohl für die Probleme als auch für deren Lösung verantwortlich. Sie sind schließlich der am stärksten aufgerüstete Atomstaat; bis sie vor kurzem von China abgelöst wurden, waren sie der weltgrößte Produzent von Treibhausgasen; und sie sind das einzige Land, das über die Fähigkeiten verfügt, die notwendigen multilateralen Bemühungen anzuführen, um diese beiden Herausforderungen zu bewältigen.
Rüstungskontrolle und nukleare Nichtverbreitung
Beide Vorhaben sind gefährdet. Glücklicherweise haben beide Präsidentschaftsbewerber signalisiert, die amerikanisch-russischen Rüstungskontrollverhandlungen wieder aufnehmen zu wollen. Um die verlorene Zeit wieder gutzumachen, sollte der Wahlgewinner eine Reihe von Initiativen starten und damit in Moskau beginnen. Ein drastischer Abbau der nuklearen Waffenlager beider Seiten ist wichtig als Vorbild für andere Länder.
Das Endziel der Abschaffung von Atomwaffen ist im Nichtverbreitungsvertrag (NPT) festgeschrieben, den der US-Senat vor fast 40 Jahren ratifiziert hat. Bis vor kurzem beschränkte sich die Abrüstung jedoch auf Lippenbekenntnisse. Doch das ändert sich jetzt. Vor mehr als einem Jahr haben sich vier bekannte Staatsmänner – Henry Kissinger, George Shultz, William Perry und Sam Nunn (also je zwei Demokraten und Republikaner) – für eine vollständige weltweite Abrüstung als ernsthaftes, wenn auch langfristiges Ziel der US-Politik ausgesprochen. Die nächste US-Regierung wird vielleicht mehr Spielraum als ihre Vorgänger für Verhandlungen mit Moskau über Atomwaffenkapazitäten vorfinden – und je mehr gegen Null es geht, desto besser.
Die USA sollten auch Verhandlungen mit Moskau über Raketenabwehrsysteme wieder aufnehmen. Vor mehr als 40 Jahren haben amerikanische Politiker ihre sowjetischen Gegenüber davon überzeugt, dass es die gefährlichste – und bei weitem teuerste – Art des Wettrüstens ist, wenn beide Seiten versuchen, die Raketen der Gegenseite mit einer Reihe aufwendiger Schutzschilde abzufangen. Durch die Unterzeichnung des ABM-Vertrags hat die Sowjetunion dieser Logik, wenn auch widerwillig, zugestimmt.
Nicht jedoch Ronald Reagan. Obwohl er den ABM-Vertrag nicht kündigte, verhalf er der wissenschaftlich und strategisch dubiosen Vorstellung, ein im Weltraum stationiertes Superabwehrsystem könne atomar bestückte Raketen „kraftlos und überflüssig“ machen, zu politischem Ansehen. 2002 verkündete George Bush den Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag. Wenn die nächste Regierung nicht neue Konzepte zur Verhinderung eines unkontrollierten Offensiv-Defensiv-Wettrennens vorlegt, werden wir wahrscheinlich beobachten, dass Russland und China zusätzliche Interkontinentalraketen in Stellung bringen und an Projekten arbeiten, die das US-Verteidigungssystem überwinden, penetrieren und blenden können. Das wiederum könnte ähnliche Bestrebungen bei den potenziellen Atomwaffenstaaten auslösen. Die Zahl dieser Staaten hat zugenommen. Es könnte sich zeigen, dass die neunziger Jahre, die erste Dekade nach dem Kalten Krieg, nur das Vorspiel waren für eine Post-NPT-Epoche, die eine Ära nuklearer Anarchie sein wird.
Heute verfügen neun Staaten über Atomwaffen: die USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Indien, Pakistan, Nordkorea und vermutlich Israel. Innerhalb der nächsten zehn Jahre könnten sich ein Dutzend oder noch mehr Länder den Zugang zu diesem Klub verschaffen. Bilaterale Feindseligkeiten, die „kleinere“ Atomkriege auslösen könnten, gibt es derzeit zwischen Indien und Pakistan und zwischen den USA und Nordkorea. Die Liste könnte sich in naher Zukunft erweitern um die Konflikte Iran/Israel, Israel/Ägypten, Iran/Ägypten, Iran/Saudi-Arabien, China/Taiwan.
Ob es gelingt, die Verbreitung von Atomwaffen – und den Ausbruch eines dieser Konflikte – zu verhindern, hängt mehr als alles andere davon ab, ob die momentan ausweglose Situation mit dem Iran auf friedliche Weise gelöst werden kann. Die Uhr tickt und die iranischen Zentrifugen drehen sich. Dies ist mit Sicherheit eines der vorrangigen Probleme, die der neue Präsident angehen muss. Anlass zu Optimismus geben die gemeinsamen diplomatischen Bemühungen von USA und EU, zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Aber der Iran hat sich bisher so gut wie gar nicht von der Stelle bewegt, manchmal sieht es sogar so aus, als habe sich seine Position verhärtet. Je nachdem, wer im November die Präsidentschaftswahlen gewinnt, könnte der Umgang mit dem Iran sehr unterschiedlich sein. Doch ist es klar, dass erhöhter Druck auf Teheran ausgeübt werden muss, um zu einer befriedigenden Lösung zu gelangen, selbst wenn gleichzeitig ein amerikanisch-iranischer Dialog stattfindet. Das bedeutet mehr und schärfere Sanktionen. Wenn die Europäer von Washington aufgefordert werden, ein solches Programm zu unterschreiben, werden sie es mit einer skeptischen Öffentlichkeit und unzufriedenen Unternehmen zu tun bekommen. Die europäischen Politiker werden zu Recht Washington nach der Zusicherung fragen, dass sich seine Rüstungskontroll-Anstrengungen nicht nur auf den Iran begrenzen, sondern darüber hinausgehen. Dies bedeutet, dass das im NPT-Abkommen festgelegte Ziel der Abschaffung der Atomwaffen durch die Atomwaffenstaaten mit konkreten Anstrengungen untermauert wird. Es wird dennoch eine schwierige Aufgabe sein, die Sanktionen zuhause zu verkaufen.
Es könnte kaum mehr auf dem Spiel stehen. Die Aushöhlung des NPT mag in seiner Gefährlichkeit weniger spektakulär sein als die eines apokalyptischen „Austauschs“ von mit H-Bomben bestückten Raketen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Doch die neue Gefahr ist einleuchtender, wenn man sich vorstellt, wieviel schwieriger es sein wird, die Pattsituation im tödlichen Spiel der gegenseitigen Abschreckung aufrechtzuerhalten, wenn statt zwei Großen zahlreiche kleine Mitspieler beteiligt sind.
Deshalb muss alles Menschenmögliche unternommen werden, um die Hürden für die Atomwaffenentwicklung auf allen Entwicklungsstufen zu erhöhen, vom Moratorium über die Produktion von spaltbarem Material bis zu einem überfälligen, überprüfbaren „Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Kernwaffen oder andere Kernsprengkörper“ (FMCT). Dazu sollte Amerika gemeinsam mit seinen wichtigsten Verbündeten alles tun, um in direkten, nachhaltigen Verhandlungen nicht nur den Iran, sondern auch Nordkorea als vollständig atomwaffenfreie Staaten auf die Linie des NPT zurückzubringen. Wenn diese Verhandlungen auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg haben sollen, muss Washington umfassende diplomatische Beziehungen zu Teheran und Pjöngjang aufnehmen. Regimewechsel ist die Sache der Völker dieser Länder.
Ein anderes wichtiges, aber vor sich hin schmorendes Abkommen ist der „Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen“ (CTBT). Die Ablehnung der Ratifizierung dieses Vertrags durch den US-Senat im Jahr 1999 war die bei weitem kurzsichtigste und schädlichste je von dieser Institution getroffene Entscheidung. Schon damals gab es republikanische Senatoren, die hinter vorgehaltener Hand diese Leichtsinnigkeit ihrer Partei kritisierten. Vielleicht werden sich einige von ihnen ja 2009 anlässlich des zehnten Jahrestages dieser kolossalen Fehlentscheidung unverblümter und überzeugender äußern. Es ist zwingend notwendig, den CTBT wieder aus der Mottenkiste herauszuholen, in die ihn der republikanisch dominierte Senat verfrachtet hatte; auch muss der Eindruck vermieden werden, dass die USA aus dem CTBT ausscheren wollten. Dies gilt besonders für Atomtests mit dem Ziel, eine neue Generation von Atomwaffen zu entwickeln. Solange der neue Präsident nicht mit dem Senat zusammen daran arbeitet, die Ratifizierung des CTBT wieder auf den Weg zu bringen, wird es schwierig werden, andere Atomwaffenstaaten oder Möchtegern-Atomwaffenstaaten davon abzuhalten, solche Tests zu machen. Je mehr Nationen über nukleare Waffen verfügen, desto größer ist die Gefahr, dass sie in die Hände von finsteren Organisationen oder nichtstaatlichen Akteuren wie Al-Qaida geraten. Deshalb muss der NTP um neue Vereinbarungen erweitert werden, die eine scharfe Kontrolle dieser mörderische Technologie ermöglichen.
Klimawandel: Die größte Aufgabe
Wenn es schon schwer ist, die Spirale der Atomwaffenproliferation zu stoppen: Das ist nichts im Vergleich zur Aufgabe, den Klimawandel zu stabilisieren. Abgesehen von den technischen Schwierigkeiten werden die notwendigen Maßnahmen zur Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes horrende finanzielle und politische Kosten verursachen.
Die Gefahr, dass wir die Erde tödlich überhitzen oder, abhängig von den Wechselfällen des Klimawandels, ertränken, aushungern, in einigen Weltregionen erfrieren lassen, ist ein neuer Alptraum. Dass er wahr werden könnte, liegt hinter dem Vorstellungshorizont vieler heute Lebender, vielleicht sogar von unseren Kindern. Doch die Kinder unserer Kinder werden sehr wohl erleben, ob in Sachen Klimawandel die Optimisten oder die Pessimisten Recht behalten haben – besonders seit die Optimisten mit jedem neuen Report weniger beruhigend wirken.
Je klarer die wissenschaftliche Analyse dieses Problems uns allen wird, desto eindeutiger werden die politischen und wirtschaftlichen Dimensionen sowie der Fahrplan für die Lösung: Um das Tempo der Erderwärmung zu verringern, müssen die USA, Russland, die EU und neun andere Staaten – das so genannte „Dreckige Dutzend“, das für 80 Prozent der Emissionen verantwortlich ist – drastische Emissionseinschränkungen vornehmen. Die Hälfte der Länder auf dieser Liste werden als in „Entwicklung“ befindlich eingestuft. Nach dem Kyoto-Protokoll sind sie von verbindlichen Reduzierungen befreit. Die Großen Drei des „Dreckigen Dutzend“ sind Indien, China und Brasilien; des Weiteren gehören dazu Kanada, Südkorea, Mexiko, der Iran, Australien und Südafrika.
Kyoto läuft 2012 aus. Dem neuen US-Präsidenten bleiben also weniger als vier Jahre, um beim Entwurf für einen effektiven Nachfolgevertrag eine maßgebliche Rolle zu spielen. Dies müssen die USA per Diplomatie und durch gutes Beispiel erreichen. Wenn man berücksichtigt, wieviel Zeit und Mühe schon die Ratifizierung von Kyoto gekostet hat, wird die neue Administration mit Sicherheit nicht wieder den gleichen Weg einschlagen wollen. Wenn sie stark bindende eigene Emissionsbeschränkungen verabschiedet und gleichzeitig anderen Ländern Anreize dafür bietet, an den globalen Bemühungen teilzunehmen, dann könnte das Ziel, Kyoto durch ein Abkommen mit verbindlichen Reduzierungsauflagen zu ersetzen, realisierbar sein.
Dabei kann die Zusammenarbeit mit Europa hilfreich sein. Das neue EU-Präsidentschafts-Triumvirat aus Frankreich, Tschechien und Schweden, das der EU von Mitte 2008 bis 2009 vorstehen wird, ist bereit, auf der Grundlage von „SIS2“ zu arbeiten, einer revidierten Fassung des so genannten „Solana--Sicherheitspapiers“ von 2003. „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ lautet die Überschrift dieser EU-Sicherheitsstrategie. Darin werden die transatlantischen Beziehungen als „unersetzlich“ charakterisiert und es wird zu einer Stärkung der amerikanisch-europäischen Beziehungen aufgerufen. Folgt man der Prioritätenfestlegung der schwedischen Regierung für ihre sechs Monate EU- Präsidentschaft, ist es sehr gut möglich, dass die EU eine umfassender definierte Form der Sicherheitspolitik ausarbeitet, die auch Umweltpolitik einschließt. Wenn erkennbar wird, dass die Anstrengungen der neuen amerikanischen Administration in die richtige Richtung gehen, wird das den USA Aufwind für die Verhandlungen mit den anderen Umweltverschmutzern geben. Gemeinsam werden die EU und die USA mehr Druck auf das „Dreckige Dutzend“ ausüben können, höhere Umweltstandards einzuhalten. Ein amerikanisches Engagement entlang dieser Vorgaben würde den Europäern deutlich machen, dass sich der Kurs in der neuen Ägide geändert hat und so zu einer entscheidenden Stärkung der transatlantischen Verbindungen führen.
Scheitern ist keine Option
Es ist viel verlangt von der Welt – und vom nächsten amerikanischen Präsidenten – gleichzeitig das Problem der Proliferation und des Klimawandels anzugehen. Aber ein Scheitern dürfen wir nicht riskieren. Wenn die Öffentlichkeit besser versteht, wie diese und andere Gefahren miteinander verknüpft sind, könnte das die Durchsetzung notwendiger Lösungen, Opfer und Ausgleichsleistungen erleichtern.
Wenn Agrarland sich in Wüste verwandelt und ein ansteigender Meerwasserspiegel stark bevölkerte Küstenregionen verschlingt, wird dies ganze Nationen in ein wirtschaftliches und politisches Chaos stürzen, dass leicht zu grenzüberschreitender Gewalt führen kann. Prognosen haben gezeigt, dass die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels besonders die ärmsten Länder treffen werden, was den Zusammenbruch dieser fragilen Staaten beschleunigen könnte. Sie werden uns eine Lehre erteilen über den Zusammenhang zwischen ihrem Elend und der Gefährdung unserer Sicherheit: Gescheiterte Staaten sind oft gesetzlose, Quellen regionaler Instabilität, Brutkästen des Terrorismus und blühende Märkte für den Handel mit tödlicher Technologie.
Hier entsteht auch ein Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Proliferation: Die friedliche Nutzung der Atomenergie kommt wieder in Mode, denn sie basiert auf einer verfügbaren Technologie, die keine Treibhausgase emittiert. Wenn die Welt ihr Vertrauen in die Gewinnung von Elektrizität aus Atomkraft erhöht, werden aufstrebende Nationen von den Industrienationen Hilfe dabei benötigen, hunderte neuer Atomkraftwerke zu bauen. Im Gegenzug könnten sie bereit sein, stärkere Kontrollen für den Umgang mit Nuklearmaterial zu akzeptieren. Die Folge könnte eine Variante des „Atom-für-Frieden“-Plans von Dwight Eisenhower für das 21. Jahrhundert sein, eine dringend notwendige Vitaminspritze für den dahinsiechenden NPT.
Wird die Menschheit in der Lage sein, adäquat auf Klimawandel und nukleare Proliferation zu reagieren? Das ist eine offene Frage.
STROBE TALBOTT, geb. 1946, war in den achtziger Jahren Russland-Korrespondent von Time und von 1994 bis 2001 stellv. Außenminister der USA. Heute ist er Präsident der Brookings Institution in Washington D.C. Jüngste Buchveröffentlichung: „The Great Experiment: The Story of Ancient Empires, Modern States, and the Quest for a Global Nation“ (2008).
Internationale Politik 7-8, Juli/August 2008, S. 49 - 55